Termin 09/10 Mailnachspiel 1

Wieder werden Mails geschrieben. Vier Wochen Zeit zwischen 2 Spielterminen ist ja auch viel. Inzwischen schreiben einige auch mehr als alle Charaktere wissen, also gilt mal wieder, Spieler- und Leserwissen ist kein Charakterwissen.

von Kwalm:

                                                    Interludium

   Nebenan keifte Zihulk. Nick grunzte irgendwas zurück. Das machten die beiden oft. Der untersetzte Mensch Nick und die schlanke und fast schon gebrechlich wirkende Elfin Zihulk waren meine direkten Nachbarn in dem Wohnblock 56B Tecate Trail, in dem ich derzeit im zweiten Stock gleich rechts neben dem Treppenaufgang untergekommen war. Was die beiden für einander empfanden war mir ein großes Rätsel. Ich glaubte ja, dass die Elfin von diversen Keramikherstellern Zuschüsse erhielt und dass Nick genug Geld verdiente, um stets für Nachschub an Tellern und Vasen zu sorgen. Meine Theorie ging weiter, sobald Nick die Nuyen ausgehen würden, wäre Zihulk auf dem Weg zum nächsten, der ihr ihre Tantiemen sicherte. In Wahrheit war es vermutlich eine dieser temperamentvollen Beziehung, die man oft in Liebesfilmchen sehen konnte, wo die Hauptdarsteller meist südamerikanischen oder südeuropäischen Ursprunges waren. Ungeachtet der gegenwärtigen Lautstärke seitens meiner Nachbarn hatte es mich schon in wesentlich schlimmere Gegenden verschlagen als hier in Redmond, Touryville, Verwaltungsdistrikt des verlorenen Bezirks.

   Seattle hatte den Kampf um den Distrikt Redmond vor gut 50 Jahren, kurz nach dem ersten großen Crash verloren. Seitdem herrschte, mal mehr mal weniger, ein unruhiger Waffenstillstand zwischen den jeweiligen Sicherheitsbeauftragten der Stadt, den Gangs und Syndikaten die den Großteil der Redmond Barrens kontrollierten und die den Oberflächenglanz von Zivilisation in ihren abgesteckten Territorien regelmäßig nachpolierten. Das bedeutete, dass die Cops nicht weiter als Touriville vorstießen – es sei den es wurde mit schweren Kalibern wie panzerbrechenden Flakgeschossen, Boden-Luft-Raketen oder Banshee-Staffeln hantiert. Dann kamen die Cops schon mal in ihren vollgepanzerten Sondereinsatzwägen vorbei.  Aber das geschah an sich recht selten, beide Seiten hielten sich im Großen und Ganzen an die ungeschriebenen Spielregeln.

   Ich hatte diese Informationen seinerzeit aus der Shadowhelix gezogen und musste gestehen, dass diese Zusammenfassung heute wie gestern aktuell geblieben war. Erst letztes Jahr hatte ich einige Infos, die ich auf einen Run bezüglich eines Sasquatsh-Stammes in den südlichen Appalachen als kleine Gegenleistung in die Helix hochgeladen. Falls ihr das hier irgendwann mal lest, Chummers, Daumen hoch, ihr macht einen fantastischen Job! Aber gebt euch keine Mühe, sämtliche Namen der hier vorkommenden  Personen sind natürlich frei erfunden. Ein bisschen des alten Profis steckt noch in mir.

  Wie schon gesagt, Touriville – mein gegenwärtiger Aufenthaltsort - war die Ausnahme. Die… ah, gesunde Zelle im Krebsgeschwür der Barrens, wenn man so will. Wobei sich hinter den leuchtenden und funkelnden Fassaden der Diskotheken und Tanzshows, den Restaurants und Kabaretts genüsslich die träge- und sattgefressen dösenden Zivilisationshaustiere Prostitution, Glücksspiel, Hehlerei Menschen- und Drogenhandel reckten und streckten. Aber auf den Hauptsstraßen pattroulierte mittlerweile Knight Errant und sicherte damit den hart arbeitenden Metamenschen, die ja auch alle zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit Wähler waren, den Heimweg und ihre Rechte. Sofern sie nicht zu weit von den Hauptstraßen und deren schützenden Lichtinseln gerieten.

   Insgesamt ein nettes Fleckchen. Der Wohnblock muss im letzten Jahrtausend erbaut worden sein. Bevor ich einzog war das vierstöckige Gebäude um 2067 rum im Zuge eiliger Projekte zur „Wiederherstellung des historischen Kerns von Redmond Center“ seitens der damaligen Regierung  innerhalb eines Jahres komplett saniert worden. Ebenso hatte die unmittelbare Nachbarschaft von den rasch noch auszugebenden Projektmitteln profitiert, bevor die Gelder wie ein Brunnen in der Wüste wieder versiegten. Die gesamte Straße und ihre Infrastruktur wie Kanalisation, Stromzufuhr, GRID oder Gasleitungen waren generalüberholt worden. Die Kosten hierfür waren vergleichsweise hoch, aber vor dem großen Wahljahr 2068 scherte man sich nicht um ein paar Millionen Nuyen wenn sie nur Publicity brachten. Und was gab es schöneres als ein strahlendes Redmond zu zeigen, > Wir kümmern uns um unsere minder bemittelten Mitbürger! < Abgesehen davon mussten die Gelder so oder so ausgegeben werden, also konnte man auch den einen oder anderen Nuyen nach Tourivlle stecken, da wusste man wenigstens was man hat. 

   Lange Geschichte, kurz erzählt, ich hatte eine Top Wohnung unter dieser SIN. Da sie und der unmittelbare Bereich um meinen Block faktisch neu war, musste ich kaum einen Komfort missen, den man aus besseren Gegenden gewohnt war und alles zum kleinen Preis. Sehr angenehm, aus einer Vielzahl an Gründen. 

   Etwas flog mit großer Wucht gegen die Wand in Zihulks und Nicks Wohnzimmer, das genau an meinen designierten Büroraum angrenzte. Auch das passierte bei den beiden häufiger, ich registrierte nur das Geräusch einer splitternden Vase oder eines stereotypischen Tellers. Eigentlich störte mich nicht besonders das die beiden drüben gerade ihre Wohnung entkernten. Aber die letzten Tage waren anstrengend gewesen, noch dazu mit einigen Verlusten gepaart. Ich fuhr grunzend mein AR auf 75% Lautstärke hoch, um die Nebengeräusche des Lebens in der einfacheren Welt nebenan zu sanftem Hintergrund Gesäusel meiner Realität machen. Ich starrte die Wand an, auf der dank AR die Nachrichten des vorletzten Tages dieses fantastischen Jahres entlang krochen.

   Es waren diverse Parties in NYC, Washington, Seattle und gefühlte zweihunderttausend anderen Städten angekündigt, was absolut nicht zu erwarten gewesen war, ganz Seattle atmete auf (ha ha), die angekündigte Giftwolke aus dem explodierten Düngemittelwerk in Tsimshian war abgedreht, so dass der Himmel laut Meteorologen zumindest bis Donnerstag über Seattle klar sein werden würde, freier Blick aufs Feuerwerk, juhu! Diverse kleinere Einbrüche, Knight Errant war hart aber fair, ein Lob für unsere neuen Polizeikräfte, DocWaggon™ verzeichnete für das letzte Quartal des Jahres die üblich hohen Umsätze und wünscht allen Geschäftspartnern ein gesundes neues Jahr. Ich dachte bei mir, das die Wintermonate seit Jahrhunderten ein Traum für die Krankenhausgesellschaften sein müssten. Träge schüttelte ich meinen Kopf und hob in einem zynischen Moment mein Glas, um den Idioten zuzuprosten, die sich mit ihrem aktiven DocWagon™ Armband erhängen wollten. Mehr Glück beim nächsten Versuch, Kumpels! 

   Irgendwas kratzte unauffällig an meinem Local Area Network und begehrte Einlass wahrscheinlich Brittney aus dem ersten Stockwerk. Das teeny Girly hielt sich für gewitzt genug es mal wieder zu probieren. Keine Ahnung warum sie das versuchte, vermutlich wirkte ich auf den Teen interessant genug um Geheimnisse zu verbergen – aber nicht gefährlich genug um sie in wirkliche Schwierigkeiten zu bringen, sollte ich etwas von ihrem digitalen Einbruch mitbekommen. Oder sie glaubte, sie wäre zu geschickt. Einfach nicht zu greifen, zu fassen oder unberührbar. Was weis ich. Und grundsätzlich hatte sie Recht, zumindest mit dem digitalen Einbruch. Ohne Spitfire hätte die kleine Teufelin wohl schon längst in meinem Netzwerk eindringen können und was weiß ich veranstaltet. Sie war gut. Aber, es gab halt immer nen größeren Fisch. So war das im Leben.

   Mit einem Winken aktivierte ich die Auswerfroutine und schickte die Putzkolonne durch mein Comlink. Das sollte Brit für heute zumindest aus meinem Kopf halten. Ich starrte durch meine sehr persönliche Top-Ten Bilderlandschaft des Tages und konzentrierte mich mit einem Zittern meiner Schultern lieber wieder auf die Nachrichten. Aber insgesamt waren die folgenden Nachrichten genauso belanglos wie alles was ich bisher gehört hatte und halfen nicht wirklich von den wahren Bildern abzulenken, die vor meinem geistigen Augen aufblitzten. 

   Ich trank noch einen Schluck Korn, blickte stumpf durch die Wand und sah dort die Bilder, die nicht vom AR stammten. Blut auf Asphalt im blinkenden Licht eines Warnzeichens. Ein Mensch der im elektrischen Feuer tanzte. Eine Frau mit traurigem, Herzförmigen Gesicht die von Trauer geschüttelt auf ein frisches Grab blickte, eine weitere Frau, die auf indianisch um ihr Kind bettelte, das ungeboren in ihren Leib schlummerte, Feuer in einem Büroraum, die Leiche eines alten Mannes in einem Drehstuhl, ein explodierendes Lager dessen Druckwelle eine Gruppe Metas zerfetzte …

   Es gab Bilder, die konnte man nicht wie AR ausschalten, sie waren mir einerseits vertraut und trafen oft ohne Warnung ein. Fast so wie Sendungen, Erinnerungen aus einer anderen Ebene, an das was ich verloren, was ich gegeben hatte und an das, was kommen könnte. Einige dieser Bilder hatte ich selbst ge- und erlebt. Andere würde ich vermutlich noch erleben, auch wenn ich hoffte, dass diese speziellen Aufnamen, ich nannte sie insgeheim meine Splattermovies, nicht eintreffen würden. Neu hinzugekommen war nun am Ende der vertrauten Bilder ein kurzer Moment, zwei Augenblicke aneinandergereiht. Ein Zwerg mit chromgleissenden Armen, der sich an der Wand eines OP-Raumes festhielt und mit vor Lebensfreude blitzenden Augen grinsend auf sich zeigte – und eine leblose Hülle, die mit offenem Mund und aufgerissenen Augen in die Unendlichkeit starrend auf dem Asphalt einer dreckigen Straße lag.

   Sie würden mich bis zum Ende meines Lebens begleiten. Diese Bilder. Ich schloss die Augen und stellte fest, dass die Bilder wie üblich blieben. Schade. Ich erinnerte mich an mein Glas. Der Korn. Ja es war kein fürstliches Getränk, stimmt. Dennoch nahm ich einen weiteren Schluck. Feurig rann das klare Getränk meine Kehle hinunter und drohte meinen hinteren Zungebereich zu veröden. Ich schüttelte mich mit dem aufkommendem Ekel als meine Zunge das Passieren des bitter-kalten Geschmacks meldete  – welcher gleich darauf vom warmen Gefühl des sich ausbreitenden Feuers in meinem Körper weg gebrannt wurde. Tja, wir haben alle unsere Laster, egal was ich anderen gerne erzählte. Aber das musste ja keiner Wissen, solang es niemand bemerkt, solang ist es ja nicht geschehen, nicht wahr?

   An meiner Tür klopfte es.

   Unbeholfen stemmte ich mich in die Höhe. Bevor ich mich schwankend in Richtung Tür aufmachte erinnerte ich mich an mein Comlink. Gott sei danke, ich ließ mich wieder in den Stuhl fallen, der gefährlich knirschte, der alte Verräter.

   » Ja bitte? « ich schaltete mein Comlink auf Hausleitung und spähte durch die Kamera meines Türspions. Draußen stand Mrs. Roetars, die Journalistin  aus dem  ersten Stock. Ich stöhnte selbstmitleidig auf. Gerade heute war kein guter Tag um mit Cary zu plauschen, ich war nicht wirklich in bester Verfassung.

   » Äh, Hallo Terry, ich… also, ich wollte nur fragen ob du übermorgen auch auf die Sylvesterparty kommst? « Nervös strich sie sich eine ihrer grüngesträhnten Zöpfe hinters Ohr. Bevor ich antworten konnte fuhr sie rasch fort.

   » Nick und Zi kommen auch, die Spliers aus der 48 haben zugesagt – außerdem, « sie zählte tatsächlich die Leute an den Fingern ihrer Hand ab » wollte Ruby mit ihrem aktuellen Freund kommen und William hat auch gesagt das er kommen würde. Ich… weist du, ich komm mir hier schon ein bisschen albern vor, wenn ich hier so mit einer Tür rede. Ich meine, du hast dich die letzten Tage nicht gemeldet, « mit vor sich verschränkten Arme blickte den Gang entlang runter und zog einen leichten Schmollmund. Defakto war ich sogar wesentlich länger nicht da gewesen, aber Gott sei dank hatte "Terry", also ich, kurz vor Ende meines letzten Aufenthalts hier bekannt gegeben, dass er in Übersee für einen Klienten einige diskrete Nachforschungen vornehmen musste. Manchmal hat man Glück. Mick hatte da ganz andere Probleme, aber die wollte ich im nächsten Jahr in Angriff nehmen. Ja, ich war der Meinung dass man zuweilen seine Identitäten leben musste, sonst verliert man etwas und bleibt nicht in Charakter sozusagen. Allerdings nur bei den teureren SINs, alles andere wäre zeitlicher und organisatorischer Suizid.

» obwohl ich Dir eine persönliche Einladung geschickt habe! « Ich sah kurz in einen Spiegel, stellte die Kamera ein und prüfte noch mal den VidFeed und was übertragen wurde in einem extra Fenster und schaltete mich in Ihr Netz. An die Tür zu gehen wäre bei meinem Korn Atem heute wirklich nicht angesagt gewesen.

   » Sorry Cary, ich hab echt ein paar üble Tage hinter mir. « Cary schien zum gleichen Schluss gekommen zu sein. Ich fand zwar, dass ich ganz passabel aussah, aber sie schreckte förmlich von dem Bild zurück, das ich ihr übermittelte und bemühte sich mit blasser Nase ihre Frau zu stehen. Hm. » Ehrlich, ich glaube auch nicht dass es gut wäre, wenn ich Silvester vorbeikomme. « etwas verwirrt versuchte ich anhand des VidFeeds zu überprüfen, was sie so verschreckt hatte, konnte es aber nicht greifen. 

   » Erneut Sorry für die Abage. Danke Dir aber fürs nachfragen. « Ich ließ ein lächeln aufblitzen und kappte den Feed bevor sie antworten konnte. Irgendwas war mit mir was sie erschreckt hatte. Mein Blick fiel auf die Waffe vor mir auf dem Tisch.  Die konnte sie nicht gesehen haben, keine Chance, die Kamera war so eingestellt gewesen, dass sie das Bild so ablichtete, das nur mein Torso zu sehen war. Abgesehen davon, ich bitte Euch – eine Waffe, uhu, wie schrecklich! Auch wenn es eine für Zwergenhand angepasste Waffe war, das war nun wirklich nichts schlimmes… Die Flasche? Nun ja, als Privatdetektiv darf man schon mal des einen oder anderen Stereotyps bedienen fand ich, eine Flasche steht jedem PE gut. Was war… ich streckte die Arme von mir und drehte meine  Handflächen nach oben und blickte an mir herunter … und sah, dass ich noch immer in Kampfmontur hier saß. Und das der Tarnanzug voll getrocknetem Blutes war. in einem Anfall unbädniger aufbrodelndes Zonres auf mich selbst griff ich die Flasche Korn und schmetterte sie brüllend gegen meine Haustür. Verdammt wie dämlich musste man eigentlich sein! Das mir so etwas passiert, unglaublich. Hinter der Tür hörte ich einen unterdrückten Schrei und sich hastig entfernende Schritte. Ich hätte Glück wenn Cary die einzige wäre, die mich in Kampfanzug gesehen hatte. Ich hoffte wirklich, dass sie die einzige war. Da bisher keine Cops an der Tür geschellt hatten, war meine nächtliche Ankunft offenbar unbemerkt geblieben. Ich raufte mir die Haare. Jetzt war ich schon auf das Niveau von Zihulk gesunken und warf Dinge gegen meine Haustür. Heute war wirklich ein Drekstag.

   Mein Blick fiel auf mein Spirituosenkabinett. Da stand noch eine weitere Flasche Korn für schlechte Tage. Wenn heute kein schlechter Tag war, wann dann?

   Als ich die Flasche zur Hälfte mannhaft geleert hatte und sowohl AR als auch alles andere anfing blubbernd zu verschwimmen, beschloss ich, weise wie ich war, dass für den abend erstmal genug getrunken worden war. Ich konnte mich schon immer in allen Lebenssituationen beherrschen. Das war eine meine Stärken, fester Wille und das Ziel stets vor Augen. Darum schenkte ich mir nur noch einen kleinen ein, sozusagen um die Flasche gut auf ihr Ende in diesem Jahr vorzubereiten. Quasi zum Abschied. Ich rümpfte pikiert die Nase, als mir beim Einschenken einige Spritzer auf die Finger tropften. Ich hatte natürlich alles unter Kontrolle. Nachdem ich das Glas ausgetrunken hatte, schüttelte ich mich und stellte die Flasche beiseite. 

   Dann kippte ich seitlich weg.

   Ja, Entschuldigung.

   Auch Protagonisten haben ihre schwächeren Momente.

                                                       ~ * ~ * ~

   » Da hinten hat was ordentlich gescheppert …  ich glaube ... « Snowcats Pupillen weiteten sich und sie starrte für einen Moment ins Leere »Cannonball! « Die Elfin trat mit voller Wucht auf die Bremse, riss mit Schwung den Humvee in einem 180° Wheely herum und beschleunigte schon wieder mit durchdrehenden Reifen, noch bevor ich » Ungh! « von mir geben konnte. Ich versuchte den Status von Canonballs Biomonitor abzugreifen - statt der üblich hohen Pulsfrequenz, Blutdruckwerten und Adrenalin/ Noradrenalin Prozentangaben und was weis ich alles, war nur für den Bruchteil einer Sekunde mehrere grotesk hochschiessende Werte zu sehen, bevor der Stream gnädigerweise im Statikrauschen einer sich mit aller Wahrscheinlichkeit nach mit Hochgeschwindigkeit über den Asphalt verteilenden Sendeeinheit zusammenbrach.

   Drek. Ein Auto-Truck fuhr mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei und schüttelte den Humvee durch, als wir auf das Luftpolster trafen, das hinter dem Lastwagen wieder zurückströmen wollte. Ich glaubte aus den Augenwinkeln ein Stück Metal oder Plastikabdeckung von seinem vorderen Spoiler wegflattern zu sehen. Unbeirrt zog die Drohne vorüber ohne uns zu beachten, wir hatten Glück, das wir nicht auch von ihr erwischt wurden. Offenbar wirkte die Verschleierung von Smirks Geist ausgezeichnet.

   » Verschleierung aufheben, Cannon hats erwischt, sofort Verschleierung aufheben! « bellte ich über das Teamlink. Noch während der Magier bestätigte trafen wir bei Canonball ein. Snowcat griff ihr Trauma-Kit und sprang aus dem Wagen, noch bevor der Wagen komplett zum Stillstand gekommen war. Direkt neben die liegende Gestalt von dem Zwerg, die seltsam verdreht wie eine weggeworfene Puppe auf dem Asphalt lag. Während die Elfin mit geübten Griffen das Medkit anlegte, trafen die restlichen Teammitglieder ein. Ich sicherte die Unfallstelle, nicht das uns jemand in die Wiederbelebungsmaßnamen hinein fuhr, einmal reichte am Abend. Ich hatte wenig Hoffnung für den Zwerg. Nach einer Weile entwickelt man ein Gespür dafür wenn jemand jenseits von Hilfe ist. Ich musste unbewusst mit den Fingerknöcheln geknackt haben, denn Blackstone blickte kurz von seiner Snowcat unterstützenden Postion auf und starrte meine Hände an. Eine meiner Marotte, alte Dämonen legen sich selten kampflos zur Ruhe. Ich nickte Blackstone zu und suchte wieder den Himmel hinter uns nach auftauchenden Signalen des YellowJackets ab, der uns von den Docks in Tacoma bis hierher verfolgt hatte. Wir hatten ihn zwar dank der Verschleierung abgeschüttelt, aber wenn er ein Standard Suchmuster flog, würde er in ein paar Minuten in unser Richtung stoßen. Das wäre nicht schlimm, wenn wir zu dem Zeitpunkt woanders wären, aber momentan sah es nicht so aus als ob wir hier schnell wegkamen. Die erste Hilfe ist das wichtigste, das jedem Unfallopfer zu Teil werden kann, von ihr kann Leben oder Tod abhängen.

   Ich weis, die Profis unter Euch sagen jetzt sicher, hey, fackelt den Halben ab und rennt weiter, er würde verstehen dass ihr keine Spuren hinterlassen wollt und könnt. Ich hielt und würde bis an mein Lebensende immer dafür einstehen, das solang das Leben den Leib noch nicht endgültig verlassen hat, ich niemanden zurücklasse oder gar aus Bequemlichkeit töte. Das Leben ist erstaunlich widerstandsfähig. Ob es nach Jahren der Vergewaltigung schlussendlich doch wieder Triebe auf Asche- und Giftwüsten ausschlägt oder ob jemand am Ende seiner Zeit um die ihm verbleibenden Sekunden kämpft und gewinnt, das alles funktioniert nur, wenn wir demjenigen oder der Natur Zeit gäben, für sich selbst zu bestimmen ob es soweit ist. Ich weiß nicht was schlussendlich dazu führt, das wir auf die andere Seite übergehen. Aber solange eine Chance da ist, solang nehme ich sie wahr, das schulden wir den Leuten, die uns begleiten, die mit und für uns bluten - und die irgendwann einmal selber vor der Entscheidung stehen – liegen lassen oder mitnehmen. Eventuell wird das einmal mein und der Tod aller dann Anwesenden sein. Doch wollte ich nicht zurück zu meinen Ursprüngen und kühl, opportunistisch und präzise logisch entscheiden. Ich hoffte, dass ich das hinter mir zurück gelassen hatte, etwas das mich von meinen einstigen Leuten unterschied. Mich einerseits schwächte. Aber auch stärkte auf Ebenen die mir früher gänzlich verschlossen geblieben sind.

   » … 28, 29, 30 … « Pause. Luftholen. Pusten. Rippen knackten als bei der Herzmassage die Enden der ins Brustbein übergehenden fünften bis achten Rippenbögen trocken knackend absplitterten.

   » … 28, 29, 30 ... « Pause, Luftholen. Pusten. Müde schloss ich die Augen als ich den sanften Pfeifton vernahm, den das Medkit nach sechs Minuten Arbeit immer noch kontinuierlich von sich gab. Laut Computerlogik konnte die Arbeit an dem Toten eingestellt werden, danke das sie ein Biolabs™ Medkit benutzt haben.

   » … 28, 29, 30 … «

   » Kommt. « ich sprach schnell und kurz angebunden, trotz des tragischen Unfalls lief uns jetzt langsam die Zeit davon. Zwar noch weit entfernt aber dennoch in unsere Richtung unterwegs flammte ein suchender Finger strahlenden Lichts auf und durchbohrte den nächtlichen Himmel auf der Suche nach Beute. Wolverine Security war im Anflug, augenscheinlich angelockt von den plötzlich aufgetauchten Ansammlungen von Energiesignaturen. Wir mussten weiter.  » Rein mit ihm in den Humvee, versuch ihn drinnen zu stabilisieren, Snowcat, ich kann den Wagen fahren. « bot ich an.

  » Ich kümmer mich um ihn. « bedeutete Bittersweet. » Hebt ihn bitte vorsichtig in den Wagen. « 

  Die Magierin schaute mit tiefer Sorge auf den Zwerg herab, den wir behutsam in den hinteren Bereich des Wagens betteten. Ich griff hastig noch seine Waffe die ihm beim Herübertragen aus dem zerschundenen Holster gefallen war und stieg auf der Beifahrerseite ein. Ich blickte nach hinten und beobachte wie sich Bittersweet neben den leblosen Samurai setzte und ihn mit ihren Händen berührte, die anfingen in einem warmen, freundlichen Licht zu leuchten. Sanft ertastete sie seine Schläfe, seinen Mund, sein Herz. Und stimmte leise einen mir fremd, aber lebendig klingenden Gesang an. Ich hatte sehr wenig Hoffnung, doch schickte ich ein kleines Gebet an sämtliche Gottheiten und Entitäten die mir gerade einfielen und in der Lage waren zu hören, dass sie dem frohgemuten Draufgänger noch eine kleine weitere Chance einräumten. Schweigend fuhren wir auf Umwegen tiefer in die Puyallup Barrens ein. Der YellowJacket war hinter uns beim zurückgelassenen Wrack niedergegangen. Wir sahen ihn in dieser Nacht nicht wieder, nahmen Schleichwege, fuhren teilweise auf Parallelstraßen einen Teil zurück um eventuelle Verfolger zu verwirren, stets unserem Ziel entgegen.

   Nach zehn Minuten brach der mittlerweile heiser klingende Gesang aus dem hinteren Bereich mit einem letzten schluchzenden Ton ab. Ich schloss die Augen.

   Canonball war tot.

                                                              +-+-+

Yeah! Das wars doch, Mann! Ich riss einmal kräftig an der Sicherungsleine, zeigte aufmunternd dem hinter mir her fliegenden Drohnenball den OK-Daumen und hüpfte mit einem Bocksprung freudig lachend über den Rand des 60 Stockwerke hohen Hauses. Einen kurzen Moment schossen die Adrenalinanzeigen in die Höhe, als ich nicht sofort stabilisierenden Halt an der Häuserwand fand und ich mich an die merkwürdige Sicht auf den knapp 240 Meter entfernten Boden gewöhnte. Doch dann fanden meine suchenden Füße die Seitenwand und die Sporne rasteten mit dem vertrauten Knirschen in der oberen Krone des Stahlbetons ein. Mit geschlossenen Augen genoss ich es für diese winzige Sekunde mit ausgebreiteten Armen hier auf dem Hause zu stehen, vom Wind leicht hin- und hergewiegt und unter mir das Nichts. Ich tastete nach der Reißleine und hackte schnell in mein Commlink ein, zwei Berechnungen. Dann aktivierte ich mit einem zufriedenen glucksen den Timer. In einem Anflug von Übershcwang gab ich dem Timer eine weitere Sekunden dazu. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

» Hast Du das drauf, biste dabei, Alter? « winkend und in den Aufwinden hier oben leicht um Balance kämpfend blickte ich hinter mich zur Drohne. Ich versuchte mir vorzustellen wie der Steuermann des kleinen Balls ungefähr … jetzt den Timer ablas und beugte die Beine bis zum Anschlag.

» Cannon bist Du bekloppt, der Timer ist zu lang, selbst mit Deinen Beinen… Cannon, NEIN … Der Kerl ist gesprungen. Ist einfach gesprungen, was rede ich hier eigentlich, verdammter Mist, kann schon mal wer DocWagon informieren … «

Das Gejammer interessierte mich nicht mehr, ich grinste überglücklich und schrie jubelnd auf als ich den Karabiner aus meinem Gestell löste und mit ca. 20 km/h von der Häuserwand weggeschleudert wurde. Kurz darauf beschleunigte mein Körper mit weiteren 9,81 m/s² dank der Gravitation der guten alten Mutter Erde weiter gen Erdboden. Wenn ich die Reißleine ziehen würde, hätte ich die Standard Endfallgeschwindigkeit des Metamenschlichen Körpers von knappen 198 km/h erreicht und der Schirm hätte noch gute 3 Sekunden sie auf ein erträgliches Maß herunterzubremsen. Alle Zeit der Welt! Liebkosend spielten die Fallwinde mit meinem Barthaar und ließen mich für einen winzigen Moment ins Trudeln kommen. Manchmal waren sie zickig gestand ich mir lachend ein. Ich steuerte mit den Armen gegen. Es gelang mir recht gut wieder oben und unten auseinander zu halten. Noch 4 Sekunden, dann würde ich mit 198 km/h in den Asphalt unter mir eindringen, was einem unmöglichen Stresstest auch für meine Beine gleichkommen würde. Kristallklar sah ich unter und vor mir den Boden näher kommen, sah eine Krähe in der Ferne von einem Dach aufsteigen und sich in den Aufwind werfen. Das war das Leben, Mann! Der Timer blinkte, es war Zeit. Grinsend riss ich an der Leine.

Nichts tat sich.

Kacke.

Hektisch blickte ich mich um, nirgendwo war eine Häuserwand in Griffweite, ich war dank des Sprunges im gepflegten freien Fall unterwegs, bereits eine Sekunde überfällig und der Schirm wollte nicht aufgehen. In knapp 2 Sekunden würde ich als Schmierfleck unten auf dem immer rascher größer werdenden Asphalt enden, wenn ich nicht gleich etwas unternahm.

Ist ja nicht so, als ob ich so etwas nicht schon mal gemacht hätte. Darauf war ich bestens vorbereitet! Ich fummelte hastig an meinem Utilitybelt, verankerte die Harpunenpistole im Arm, rollte mich im Flug und schoss auf das nächstgelegene Haus. Hoffentlich hielt die Skelettverankerung im Schulterbereich, es würden doch einige Kilopond auf die alten Meatbody Gelenke wirken. Grimmig griff ich die Leine mit beiden Händen und grunzte als mich die Kanonenkugel (ich musste tatsächlich kurz grinsen) im Schulterbereich traf während sich die Leine straffte und mich in Richtung Häuserwand zog. Kaum merklich langsamer, aber immerhin nicht mehr beschleunigend und hoffentlich gebremst genug, so das meine Beine den Aufprall auf der Häuserwand weitestgehend abfedern konnten. Keine Zeit für Versuche, das musste beim ersten Mal sitzen. Wie in Zeitlupe schnellte der Beton des Hauses näher und nahm schließlich mein gesamtes Sichtfeld ein. Bereits kurz vor dem Aufprall begann ich mit laufenden Bewegungen und versuchte so die Aufprallgeschwindigkeit etwas raus zunehmen, indem ich mein Moment vom Frontalzusammenstoß in eine leicht seitwärts gerichtet Bewegung abwandelte. Aufstöhnende Hydraulikpumpen und bedrohlich rote Warnleuchten in meinem Sichtfeld flammten auf und ich fletschte die Zähne. Das würde knapp werden – wobei, bisher gings ja gut. Aber das sagt man sich bestimmt immer bevor man am Boden aufschlägt. Und der Boden war noch gute 15 Meter unter mir – was mir sagte, dass das bisherige Bremsmanöver insgesamt relativ knapp ausgefallen war. Ich Rammte meinen Sporn in die Wand und spürte wie die Fliehkräfte an ihnen und dem Beton rissen, prallte an einem Fensterrahmen kurz ab und trudelte wieder drehend gegen die Häuserwand wo ich mit einem dumpfen Klatschen, das mir die Luft aus den Lungen presste und mein natürlich nicht panisches Geschrei abrupt beendet, aufschlug. Mittlerweile begann meine Bahn wieder leicht aufwärts zu steigen, ohne dass sich meine Geschwindigkeit wirklich dramatisch verändert hätte. Mit kreischenden Servos und lautem Brüllen kam ich auf dem Zenit meiner unfreiwilligen Kletteraktion an, kappte das Seil und sprang, erneut unterstützt von den nun ächzenden Beinen, in die Höhe und weg von der Häuserwand. Ich riss an dem Fallschirm. Jetzt aber! 30 Meter sollten sicher langen das sich der Schirm auftat und mich etwas abfederte!

 

Ich schlug besagte 30 Meter unter mir recht beherzt ein und versuchte kurz vorher noch meinen Körper zu einer schützenden Kugel um meinen Kopf herum zu falten. Ich hatte ein wenig Glück. Schlussendlich kam ich mit Schmerzen, ausgefallenen Sensoriken im Beinbereich – was sicher teuer werden würde - und zahlreichen Schürfwunden überall am Körper an eine ausgebrannten GMC Stepvan zum Stillstand.

 

Ich lebte! Lachend riss ich meine Arme in die Höhe und sitzend bejubelte ich diesen Hammergeilen Sprung.

WOHO!

Es würde zwar etwas dauern bis ich das alles wieder zum Laufen bekommen haben würde, aber erstmal war ich am Leben.

 

Ja, Mann!

Dann öffnete sich der Fallschirm und ich lachte lauthals und aus vollem Herzen.

 

                                                                  ~*~*~

Der Brummschädel und ich. Alte Freunde die sich ab und an trafen, gequält lächelnd die Hände schüttelten, derweil sie hinter dem Rücken Baseballkeule oder AK-97 bereithielten.

Ich stöhnte ausgiebig und erfahren und öffnete die vom Schlaf leicht verklebten Augen. Das Beste würde bestimmt gleich noch kommen, da war ich mir auch aus Erfahrung schmerzlich sicher.

Was für ein Traum. Mein Blick fiel auf die Ares Pred vor mir, die Cannonball gehört hatte. Ich hielt meinen Kopf vorsichtig in meinen Händen und befühlte meine Stirn. Dabei stellte ich fest, dass sich neben dem dumpf pochenden Schmerz hinter vorderster Schädelplatte und Schläfe auch ein Abdruck einer Waffe auf meiner Stirn eingeprägt hatte. Ah. Das war dann wohl der Grund für den Traum gewesen …

Ich blickte auf die an die Wand projizierte AR Uhr. Mir fehlten nur gut zwei Stunden. Meine Güte. Der Traum kam mir so viel kürzer vor. Dafür war ich nun mehr oder weniger Nüchtern. Wie auch immer das von statten gegangen war, ich war nicht undankbar. Ich nickte im Geiste dem Zwerg noch einmal zu, der die große und letzte Reise angetreten hatte. Fürs erste war ich bereit meinen Frieden mit der Welt am heutigen Tag zu schließen und begab mich in Richtung Bett.

Es klingelte an der Tür.

 

Um die Uhrzeit klingelte in diesem Haus und vor allem für diese SIN niemand. Ich zögerte kurz und tastete nach meiner Handwaffe. Mit genügend großer Feuerkraft schaut man auch dem aussichtslosesten Kampf optimistisch entgegen, hier und heute fühlte ich mich aber auf heimischen Terrain und vergleichsweise Sicher. Dann blickte durch den Türspion dank Commlink. Da draußen stand Cannonball.

Heute war offenbar nicht mein Tag, die Traumreise war anscheinend doch noch nicht vorbei. Seufzend öffnete ich die Tür und hoffte dass es nicht all zu schlimm werden würde. Schön würde es jedenfalls nicht werden.

 

» Hi! « Krähte mir der Zwerg frohgemut entgegen und schritt einfach an mir vorbei in meine Wohnung. Ich ließ die Schultern etwas hängen und schloss die Tür, nachdem ich mich versichert hatte, dass uns niemand gesehen hatte und auch niemand folgte. Die Screamer blieben auch ruhig, so dass ich einigermaßen sicher war… ach was sollte es, es war eh ein Traum, hier würde alles logisch oder unlogisch sein, ganz wie es mein Hirn verarbeitet wissen wollte.

» Kann ich Dir was anbieten, ein Bier oder so was, Cannon? « Ich lächelte dem Zwerg aufmunternd zu, der sich ein in meinem Wohnzimmer interessiert umschaute und dessen Blick an mir hängen blieb. Grinsend hob er einen Zeigefinger und zeigte auf mich.

» Hey, Du hast auf mich gewartet oder, kennst Dich mit so was aus, klar! Sonst wärste bestimmt viel aufgeregter he he. Ich sag Dir, « das Abbild von Cannon setzte sich auf einen Stuhl der ihm etwas zu niedrig war, aber das störte ihn sichtlich nicht.

» wenn mich ein Geist besucht hätte damals, ich wär aus der Haut gefahren! Natürlich nur kurz, is kla, oder? « er hob beschwichtigend die Arme.

Ich warf dem Zwerg eine Bierbüchse aus meinem Kühlschrank zu und goss mir selbst einen weitern Korn ein. Wozu mit neuem Anfangen dachte ich mir und zuckte mit den Schultern.  

» Naja, ehrlich gesagt, ja, ich kenn mich mit Geistern und dergleichen schon ein bisschen aus. Abgesehen davon vermute ich, dass du der Versuch meines Unterbewusstseins bist, die gesamte Situation in einem letzten gemeinsamen Gespräch zu klären. « ich prostete dem Zwerg der da saß zu, » Nichts für ungut. Oder Du bist eine wilde Apparation aus dem Hausgeisterbereich der versucht mir etwas Trost zu spenden. Könntest natürlich auch ein freier Geist sein, der versucht durch diese Tarnung an mich heranzukommen, aber das glaube ich eigentlich nicht. Dafür sollte ich nicht wichtig genug sein. Wobei, « ich zwinkerte dem vermeintlichen Cannonball zu » man weiß ja nie, was einen freien Geist wirklich bewegt. «

Cannonball winkte mit der rechten Hand ab und trank einen Schluck vom Dosenbier. Dann blickte er nachdenklich auf die Dose herab.

» Kein Problem. Ich versteh zwar selbst jetzt nicht mal die Hälfte von dem was du da erzählst, aber ich würds ja selbst nicht glauben, wenn mirn echter Geist  in die Wohnung stiefeln würde, he he. Ich kanns immer noch nicht glauben, an sich. Schon komisch, erst biste auf der Straße und pflügst mit Vollgas durch die Gegend und dann, im nächsten Moment, Licht, schmerzen, Dunkelheit, ZACK – Game Over. « Cannon schüttelte den Kopf und trank mit einem weiteren ordentlichen Zug die Büchse aus.

» Haste noch so eine? « Er zeigte mit seinem zerschrammten Kunstarm auf die Dose. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen. Ich nickte und holte ihm aus dem Kühlschrank ein weiteres Bier.

» Danke.« Genüsslich leerte er sie auch diesmal. Man könnte meinen er hätte Erfahrung damit gehabt. Ich lächelte den Zwerg an.

» Na, dann erzähl mal, Cannonball, was treibt Dich zu mir. Ich meine von allen aus dem Team würde ich mich nicht unbedingt als erste Anlaufstation ansehen. Also, gesetz den Fall das du tatsächlich der echte Cannonball wärst. « fragend blickte ich den Zwerg an und aktivierte per Commlink meine Stereoanlage – die ich sofort mit zusammengekniffenen Augen in der Lautstärke runterregelte, das war dann doch zu laut für diese Uhrzeit gewesen.

» Hey, Mann, nee, nee, so läuft das nicht. Ich bin nich hergekommen um Dir irgendwas zu erzählen oder zu erklären. Nee. « er schüttelte den Kopf » ich bin nur hier um Dir deine Fragen zu beantworten. Drei haste. « Mit einem breiten Grinsen hob er drei kräftige Chromfinger in die Höhe.

Was war das denn, drei Fragen? Das warf mich etwas aus der Bahn. Sicher, die drei ist eine mystische Zahl. In diversen Szenarien ist gerade die Drei hinsichtlich Geistern eine äußerst potente Zahl, ob es nun die berühmten drei Wünsche sind, die drei Versuche etwas zu erraten wie gern von den Gebrüdern Grimm aus heidnischen Bräuchen als Erzählungen des Volksgutes überliefert worden war, oder die beiden ineinander gestellten Dreiecke die bei einigen Beschwörungen das Hexagramm bildeten. Aber von drei Fragen an einen Geist oder kürzlich verstorbenen hatte ich so noch nichts gehört. Ich kratzte mir den Kopf und dachte nach. Manchmal war ich mir selbst der größte Feind und schwor meinem Hirn Rache durch Entzug. Hah! Ich war hier noch immer der Herr im Kopf!

» Na komm schon, ich geb Dirn Tipp: Es hat was mit Deinem Traum zu tun und dem Hauptdarsteller da drin! « er grinste mich frohgemut an und zeigte mit seiner anderen Hand unter dem Tisch verstohlen auf sich.

» Mit meinem Traum. « echote ich lahm.

Der Zwerg verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. » Bist du ein Papigei oder wie das heißt? Ja, drei Fragen zu deinem Traum, nu los, ich hab echt nich den ganzen Morgen Zeit. « Erwartungsvoll blickte er zu mir. » Leider. « Fügte er leicht wehmütig an.

» OK. Also. Steht der Traum als Sinnbild für irgendwas mit Cannonball, was er so gemacht hat oder wie er so gelebt hat? «

» Geile Frage! Wie kommst du nur auf son Krams? « er winkte ab, » Ne, lass mal, beantworte das nicht, die antwort lautet: Ja! « er knickte einen Chromblitzenden Finger herunter und nickte mir zu » Nächste Frage. «

» Das ist doch keine Antwort auf meine Frage, einfach nur ja! «

Der Zwerg schien zu überlegen, nickte dann und bedeutete mir kurz mit einer Hand Geduld zu haben. Dann bewegte er die Lippen so als ob er mit jemand in Kontakt stand und schüttelte den Kopf, nickte erneut und lächelte mich wieder herzhaft an.

» Doch! Nächste Frage - und « seine Stimme nahm einen ernsten Tonfall an 

» Denk diesmal lieber nach bevor du den Mund aufmachst. « mit funkelnden Augen fixierte mich der Zwerg. Nur noch ein Finger war erhoben.

Verdammt, ich hatte keine Idee worauf das überhaupt hinauslaufen sollte und ließ den … ah ... Traum erneut Revue passieren.  Ein Sprung aus großer Höhe, wohl Base-Jumping, gleichzeitig eine Aufnahme davon vermutlich von einem anderen Base-Jumper, am Limit agieren und überleben, das waren an sich die Eckpunkte des Traumes.

» Spring ins Leben, Kämpf drum und bleib am Leben? Geht es darum? «

» Ha! Ich wusste es! Genau, Mann, Du hast mich entschlüsselt! « mit einem Lachen ballte er die erhobene Hand zur Faust und reckte sie in die Höhe und sprang vom Stuhl herunter. » Alles kla, hier hab ich dann nichts mehr verloren, du weißt Bescheid. «

Erstaunt schaute ich dem Zwerg nach, der gemütlich zur Tür lief.

» Momentchen mal, das ist doch auch keine wirkliche Antwort. Ich meine darauf lässt sich doch ein Leben nicht reduzieren! Das kann doch nicht alles sein. «

Cannonball drehte sich um und betrachtet mich von oben bist unten, als sähe er mich zum ersten Mal.

» Nein. Natürlich nicht. Aber mir hats ein Leben lang gereicht, ich wusste wo ich stand. Was ich wollte und was ich mir erhoffte. Und von allen Bildern die man sich so in Erinnerung von mir rufen mag, ist das doch eines der schöneren find ich. In den Abgrund springen und knapp aber lebendig davon kommen. Was gibt’s geileres? « wieder grinste mich der Zwerg an. Und etwas ernster fügte er an » Weist Du, ich kenn Dich nicht lang. Aber ich glaub du lebstn gutes Stück in der Vergangenheit, warum auch immer, is auch Dein Ding, weißte? Aber, und das musste mir jetzt einfach mal glauben, OK, Du hast nich viel Zeit hier « er hob die Arme und zwischen seinen Händen flackerte ein Globus auf. Er nickte darauf herab

» Nutze sie, Mann. Lebe und genieße einfach jeden Tag als wenn es Dein Letzter wäre. Damit würdeste mir nen Gefallen tun. » Er zwinkerte mir zu. » So, nu muss ich aber los, blad knallen die Korken und da will ich doch dabei sein, ich hab da nochn paar heftige Kracher vorzubereiten, die werden Augen machen ich sags dir! Hammer! Und ausserdem werd ich nu endlich mal die Needle in Angriff nehmen, mal gucken wie die mich jetzt aufhalten wollen, Ha! «

Langsam verblasste die Gestalt während sie durch meine Tür lief.

 

Draußen ging die Sonne auf. Ein neuer Tag.

 

                                                              ~*~*~

 

Zeit zu leben, eh?

Während ich am Frühstückstisch später am Tag saß, nickte ich in Gedanken Cannonball, dem Hausgeist oder meinem Wahnvorstellungen zu, je nachdem was er nun wirklich gewesen war. In mehreren hatte der kleine Kerl recht gehabt, nicht nur mit seinem letzten Satz. Vor allem fand ich, dass man jederzeit die Chance hat, seinen Weg zu verändern. Ob man nun unangespitzt in den Boden rammte oder versuchte noch etwas zu drehen und weiter zu rennen, es lag in unserer eigenen Hand. Lasst euch niemals etwas anderes erzählen, hört ihr? Jeder von uns muss für sich entscheiden wo er steht. Jederzeit. Egal ob er das ultimative Böse verkörpert oder ob er der wandelnde Jesus auf Erden ist. Schlussendlich sind nur wir selbst für unser Tun und unsere Entscheidungen verantwortlich. Alles andere sind Ausreden.

Und wie Cannonball ehrlich durchs Leben raste auf der Suche nach dem nächsten Kick, nach der nächsten Aufregung vergaß er doch nie, dass all der Spaß allein doch … Kacke ist. Gemeinsam war das Leben eventuell gefährlich, klar, aber halt am … geilsten.

 

Um ihn damit mal zu zitieren.

Und darum wurde es Zeit für mich eine Journalistin von über mir anzurufen und sie zu fragen, ob zu Sylvester noch Platz wäre – ich hatte ja aber auch ein anstrengendes Wochenende beim Paintball hinter mir gehabt, meine Güte! Und ein großes Sorry fürs wüten und Krakehlen, aber ich hatte gerade eine SmS von meinem Kumpel bekommen, der mich noch mal wegen der Niederlage verhöhnt hatte und ich war doch so ein schlechter Verlierer … peinlich so etwas zuzugeben …

Mal gucken was das neue Jahr brachte, ich freute mich drauf und grinste spitzbübig währen dich mich in meinem Sessel mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurücklehnte.

                                                          ✰✰✰✰✰

Nach dem Verstreuen von Cannonballs Überresten gehen die Runner wieder in die Bar, in der sie am Vorabend waren.  Es ist der 12/29/70


von Snowcat:

Der Barkeeper war zunächst überrascht gewesen, als er erneut mehrere Stunden vor der eigentlichen umsatzstarken Zeit Gäste bekam. Aber als er der Gruppe von Metamenschen wie am Abend zuvor eine Runde nach der anderen servieren sollte, begann er seine jüngsten Stammgäste wirklich zu mögen.

Snowcat hatte auf Scorpins Schoß Platz genommen. Körperliche Nähe war ihr jetzt wichtig. Cannonball würde ihr mit Sicherheit fehlen. Er war praktisch direkt nach Cravens Tod in ihr Leben getreten und hatte ihr mit seiner begeisterten Freundschaft über den Verlust hinweg geholfen. Mit niemandem hatte sie im letzten halben Jahr so viel Zeit verbracht, und mit niemandem hatte sie so unkompliziert Spaß gehabt. Snowcat kippte das dumpfe Gefühl in ihrem Bauch mit einem Schluck Nukit Waldmeister runter, korrigierte ihren Puls und verbannte mögliche Tränen. Die Gespräche am Tisch gingen in eine viel zu negative Richtung, niemand sah mit Zuversicht auf das neue Jahr, vor allem in Bittersweets hübschen Gesichts zeichneten sich Kummer, vielleicht auch Unsicherheit und Sorgen, ein solches Gesicht war aber eigentlich zum Lächeln gedacht, fand sie.

Snowcats Blick viel auf Smirk -  und es gab zusätzlich noch das ein oder andere zu klären. 

Lächelnd verließ sie die tröstende Wärme von Scorpions Nähe und setzte sich wieder auf ihren Stuhl neben Blackstone und mit eine Stimme ohne jede Spur von Trauer sagte sie: «Ich würde ja sagen, wir treffen uns morgen entgegen meinen Drang auszuschlafen um 11.00 Uhr in Downtown Tarislar, Du kannst dich ja von Ta..- Danilo bringen lassen - und ich lass Dich erst dann wieder zurück, wenn du in der Lage bist, mit Cannonballs Bike alleine nach Hause zu fahren. Was meinst Du?» Snowcats Lächeln wurde liebevoll und sie legte zärtlich ihre Hand auf Blackstones Wange und sah ihm tief in die Augen: «Und bis dahin, keinen Blödsinn machen, versprichst Du mir das, Pepples?» Snowcat suchte in Blackstones Augen nach Anzeichen von Abenteuerlust oder ähnlichem. «Ist ja nur bis morgen, nicht, dass ich umsonst so früh aufstehe.» Snowcat nahm ihre Hand wieder zurück und sagte dann noch, den Augenkontakt haltend: «Ach vorhin, das mit der Fragen warum Du plötzlich Gas gegeben hat, das war überhaupt kein Vorwurf. Ich wollte Dich nur noch mal an mich erinnern. Wenn Du beim nächsten Mal dabei laut "Festhalten" brüllen würdest, dann würde ich mich freuen.»

<etwas später>

Snowcat stand auf sagte zu Blackstone:«Rutsch mal 'nen Stück, bitte.» dann stellte sie ihren Stuhl neben den von Smirk. Sie lächelte, ein freundliches, aber vor allem höfliches Lächeln und begann mit den Worten: «Hallo Krieger,» ihre Stimme klang ruhig, ehrlich und ohne Hohn oder Aggression, «Ich hoffe wirklich deine Probleme sind erstmal vom Tisch. Ich denke die 20k zahlst Du einfach nach und nach in die Teamkasse ein, wenn es halt gerade passt, das hat Zeit.» Sie machte ein Pause und atmete hörbar aus. «Ich weiß, ich hab es vorhin schon mal gesagt, mehrmals vielleicht, aber da es mir wirklich, wirklich, wichtig ist, sage ich es Dir jetzt noch mal: Ich wollte Dich gestern nicht erniedrigen, auf gar keinen Fall. Ich wollte auch nicht, dass Du bettelst oder ähnliches, das ist nämlich auch erniedrigend. Ich wollte auch keine falsche Freundlichkeit. Nachdem ich allerdings festgestellt hatte, dass ich bei dem Job nicht mitmachen wollte, um nicht für die Laésa zu arbeiten, und als klar wurde, dass meine Teilnahme erforderlich wird, wünschte ich mir, dass Du mich für Dich fragst. Direkt, ohne Ausflüchte und Hintertüren. Denn wenn Du eine andere Möglichkeit gehabt hättest, dann hättest Du bitte die nehmen sollen.  - Wenn es ums Geschäft geht, mag ich keine offenen Türen oder Rumdrucksereien, da befürchte ich dann immer, ich soll reingelegt werden. - Und als ich gestern sagte, dass die Ancients und die Laésa nichts ähnliches sind, war das wertfrei gemeint. Leider ist es mir wohl nicht gelungen, dass eindeutig auszudrücken. » Bedauern war nun kurz in Snowcats Gesicht zu sehen. «Es ging mir nur darum, dass die beiden eben eine andere Zielsetzung und eine andere Struktur haben, und ich glaubte, dass das nicht alle im Team wissen. » Snowcat lächelte nun erneut und fuhr dann fort: «Da Du jetzt zum Team gehörst,  ist es für mich klar, dass ich Dir helfe, wenn ich kann. Also erübrigt sich das Problem zukünftig. Trotzdem würde ich es begrüßen, wenn UC nicht für die Laésa arbeitet. Egal warum. » Snowcat griff nach ihrem Getränk, ihr Lächeln verzog sich zu einem Grinsen. «By the way,» sie hob die Flasche und prostete Smirk zu, «Herzlich willkommen im Team! Sinèah!» Dann nahm sie eine kräftigen Schluck aus der Flasche.


<Antwort darauf von Smirk>

Smirk sitzt eng an den Sitz gelehnt. Das Drama war vorbei, doch es wollte sich keine Erleichterung, kein Friede einstellen. Die Anspannung saß ihm immer noch im Körper. So fest, daß es fast weh tat. Die Gedanken rauschten an Ihm vorbei, Snowcat macht gerade Ihre Runde und erzählt irgendwas. Irgendwie konnte er den Worten nicht folgen, zuviel ist geschehen. 

Was hatte er falsch gemacht, wie konnte dies passieren?

Müde schüttelte er sein Haupt, Selbstmitleid ist der erste Schritt zur Selbstaufgabe. Und dafür hatte er nicht gekämpft! Dafür war Cannonball nicht gestorben!

Da kam auch schon Snowcat zu Ihm, wahrscheinlich wollte Sie auch noch Vorhaltungen machen, daß Canonball gestorben ist. Nun ja, verstehen kann man es. Sie sagte "Ich hoffe wirklich deine Probleme sind erstmal vom Tisch." Ok, das ist schon mal ein guter Anfang."Ich wollte Dich gestern nicht erniedrigen, auf gar keinen Fall. Ich wollte auch nicht, dass Du bettelst oder ähnliches" Irgendwas läuft hier schief, dachte er, Katzen sind doch unberechenbar. Sollte dies auch in positiver Richtung laufen? Smirk war verwirrt. Das Leben ist manchmal kompliziert. "Herzlich willkommen im Team! Sinèah" 

Jetzt war es da --willkommen im Team -- Er war ein Teil des Teams. Er hatte es sich so gewünscht und doch nicht erreicht, so glaubte er und nun dies.

Mit einem verdatterten Blick zu Snowcat unfähig ein vernünftiges Wort zu sagen, erhob er ebenfalls sein Glas. Das Leben ist schon merkwürdig, zuvor am Boden zerstört. Kein Geld, keinen Rückhalt, allein gelassen und nun zwei Rudel, zu denen man, er Smirk, gehört. Stolz und unglücklich zugleich, glücklich und traurig,was traf es besser? Smirk wußte es nicht. Er wußte nur, dies ist der Anfang von etwas, was er nicht versauen sollte.

Smirk erhob sich und sprach "Laßt unsere Gläser erheben zu Ehren von Cannonball, möge er in unseren Taten und Gedanken weiterleben. Ich habe mit Ihm getrunken, er hat mich verstanden als es notwendig war, er hat mich retten wollen und sein Leben gelassen. Es war eine Ehre mit Ihm zusammen zu sein. Dann laßt uns die Gläser erheben, daß ich ein Teil Eurer Gruppe sein darf. Dafür und für Eure Hilfe und Vertrauen ein Dankeschön. Ich möchte 5k in die Teamkasse einzahlen als Aufwandentschädigung. Ich habe das Geld von meiner Organisation nach dem Run erhalten und möchte es dem Team geben." 

Ein Blick zu Snowcat und "Ich möchte nochmal Dir danken für Deine offenen Worte, die meinen Stolz wehgetan haben, aber auch meinen Kopf zurechtgerückt haben, für das was wesentlich ist. Vertrauen und füreinander einstehen, auch wenn es nicht so gut läuft" Smirk trank sein Glas aus. Langsam wich die Anspannung der Müdigkeit, er mußte mal dringend ausschlafen.

Und dann mußte er überlegen, wie er sich weiter entwickeln konnte. In so einem kleinen Team, mußte jeder mehrere Dinge tun können. So spezialiert zu sein, war in diesem Team tödlich. Vielleicht konnte er auch andere Dinge lernen, doch es war erstmal zu klären, was das Team noch bräuchte und was schon vorhanden war. Und dann brauchen wir dringend noch einen Job oder zwei.

Und dann...

Wenn ich mir Gedanken mache über die Zukunft, dann heißt es, daß ich vielleicht auch eine Zukunft habe.


<weiter von Snowcat>

Snowcat hörte eine Weile den Gesprächen zu, die geführt wurden. Dann wechselte sie erneut den Platz und setzte sich zu Bittersweet. Sie lächelte sie warmherzig und freundlich an: «Nun lass mal den Kopf nicht so hängen. Es kann ja nur besser werden und das wird es auch. Bestimmt. - Wenn Du irgendwelche Hilfe bezüglich Phil, Mandy und Danny brauchst, dann sagt Du aber bescheid ja? Und egal was ist, ich hab immer eine Ohrspitze zum Zuhören frei. » Snowcat griff nach Bittersweets Hand: «Aber vielleicht denkst Du ausnahmsweise man zuerst an Dich. Kümmerst Dich um Dich, Deine Magie und Deine Fähigkeiten. Und wenn Du Dich ausgeruht oder ausgetobt hast, je nachdem, wo nach Dir mehr ist, dann klärst Du das mit Phil.  Bis dahin weißt Du auch, ob Du Phil lieber überzeugen möchtest, was sicher Zeit braucht, oder ob Du ihm lieber den Verstand verdrehst oder ob Du ihm lieber aufs Maul hauen willst. » Snowcat grinste niedlich. «Oder alles drei? - Also denk bitte erstmal an Dich, vieles wird dann leichter sein. - Hey » Snowcat drückte Bittersweets Hand. «Und mach Dir um Seattle nicht all zu viele Sorgen, Deine blauen Augen sind viel zu schön, als das ein Schleier aus Kummer sie trüben sollte, Seattle packt das schon und auch wenn Du die Strassen nicht komplett rein halten kannst, so hast du doch Macht genug, sie sauberer zu machen und das können nur Wenige von sich behaupten. Ich weiß, Du musstest in letzter Zeit viel einstecken. Die Narben die Du davon trägst, zeugen von Deinen Vergangenheit, aber sie bestimmen nicht Deine Zukunft.  - Und wenn was ist, rufst Du an, jeder Zeit.» Snowcat drückte Bittersweets Hand noch einmal, dann sah sie ihr tief in die Augen, nickte und wendete sich wieder der Gruppe zu. 

<etwas später>

Nun setzte sich Snowcat mit einem frischen Nukit, diesmal Limette-Grapefruit, zuckerfrei, am Kwalms Seite. Sie lächelte ihn leicht verschmitzt an und fragte: «Hast du schon mal über eine Karriere Negotiator nachgedacht, oder kommst Du gar daher?» Snowcat schüttelte den Kopf und eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, die sie sogleich wieder hinter ihr Ohr strich: «Nein, ich will nicht neugierig sein, obwohl ich es grundsätzlich bin. » Snowcat zog die Nase leicht kraus. «Besonders bei einer Person wie Dir. Was ich eigentlich sagen wollte, wir werden im Januar einfach so viel arbeiten, bis Du zusammen hast, was Du brauchst, und danach noch ein bisschen mehr, damit das Leben auch schön ist. Soka? Einverstanden? - Ich finds übrigens gut, dass Du es nicht so mit tödlicher Gewalt hast, bin ich auch nicht so dafür, schon allein, weil der Metamensch zur Rachsucht neigt. » Snowcat leckte sich über die Lippen. «allerdings neige ich selbst gelegentlich schon zur Grausamkeit, von der Zicke in mir mal ganz zu schweigen. - Aber: Hand aufs Herz. » Snowcat machte die dazu passende Geste, grinste aber irgendwie geheimnisvoll. «Im Einsatz hab ich das gut im Griff. » Jetzt wurde ihr Lächeln breit und  fast zu einem Lachen. «Und wenn mal nicht, dann reicht ein " Snowcat, Platz!" von Dir sicher aus.» Dann fasste Snowcat Kwalm auf den Oberschenkel und fügte nicht mehr lachend hinzu: «Wenn was ist, sag einfach bescheid.» Sie ließ ihre Hand einen winzigen Augenblick länger dort liegen, als es für einen kumpelhafte Geste nötig gewesen wäre. Grinste dann noch mal und sagte: «Mein Platz ist, glaub ich, kalt geworden. »


darauf von Kwalm>:<

   » Es kann gut sein das ich auf Dich zurückkommen werde, Snowcat. « ich hob leicht das Glas in einer prostenden Geste und lächelte in die Runde. » Man weiß ja schließlich nie, was noch kommt. Besser man versucht vor dem großen Sprung möglichst viel zu klären, je weniger Rechnungen einen nach drüben begleiten, desto besser, eh? « etwas verschlagen erlaubte ich mir mit einem grinsen anzufügen. » Und möglichst lange Zeit noch bis dahin. « 

Interessiert wollte ich erstmal verfolgen was andere dazuzusagen hatten. Beziehungsweise ob sich eventuell generell Gesprächsstoff ergab bevor ich anfing zu sprechen.

Ich lehnte mich zurück steckte die Hände in die Hosentaschen und wartete genüßlich mit halb geschlossenen Augen.


<weiter von Snowcat>:

Sie setzte sich wieder auf Scorpions Schoß und fragte ihn neckend: «Nun, hast Du Dir inzwischen die Geschichte ausgedacht, wo Du Silvester gerne verbringen würdest?"

                                                        ✰✰✰✰✰


Blackstone und Snowcat treffen sich am 12/30/70 zum Motorradfahren üben, denn Blackstone lässt es sich von Snowcat beibringen. Auch dazu gab es Mails. Natürlich wissen nur die Beiden, was gesagt wurde. Aber auch solche Mails sind es wert hier festgehalten zu werden.


von Snowcat:

Snowcat war ja noch nie so'ne Quasseltasche, aber an diesem Tag schien sie noch ein bisschen ruhiger als sonst, auch wenn sie nicht traurig oder so wirkte.

Beim einer Trainingspause für ein Essen in einem Restaurant nach Blackstones Wahl, zu dem er selbst mit dem Motorrad hin fahren musste, sprach sie ihn noch mal auf das Papa-Problem an: «Wenn Du Deinen alten Herrn immer noch persönlich geeken willst, dann begleite ich Dich natürlich gerne. Aber ich hab's eigentlich nicht so mit tödlicher Rache. Und in Deinem Fall, wäre es mir genug, selbst zu wissen, dass er der Verlierer ist.  - Allerdings würde ich ihn über die Matrix gelegentlich an mich und meine Überlegenheit erinnern. Ich weiß, Du hast es mit der Trix nicht so, aber vielleicht könntest Du ja einen Hacker bitten, er soll mal einen kleinen bezahlten Run für Dich durchführen?» Die silbernen Sterne in Snowcats eisblauen Augen begannen plötzlich zu funkeln, ihre Stimme wurde verschwörerisch: «Stell Dir mal vor, ER kommt abends ins Bad, schaltet das Licht ein und das geht nicht an. Stattdessen sagt Deine Stimme: "Hallo Dad. " Und am nächsten Tag, macht er den Kühlschrank auf und der ruft ihm mit Deiner Stimme zu:"Das mit Deiner Firma, das war ich, so gut bin ich!"  -  Du könntest ihm auch eine Frist setzten und ihn so ängstigen. Und wenn er dann vollkommen paranoid darauf wartet, dass Du kommst dann meldest Du Dich und sagst, hach, ich hab's mir anders überlegt.  - So würde ich das machen.  Keine Reisekosten, kein Töten, keine Gefahr für mich, und der Typ stirbt vielleicht vor Angst.» Nun verzog Snowcat die Mundwinkel und grinste wölfisch: «Besonders grausam wäre natürlich die Idee, wenn man ihn ein Jahr lang ängstigt, dann viel investiert, zum angekündigten Zeitpunkt einen Top-Run durchführt, bei ihm auftaucht und ihn dann nicht tötet. Ich meine, das Wissen, dass jemand nur durch Deine Gnade lebt, das ist doch mal ne Rache! Was meinst Du? Wenn man jemanden tötet, dann hat der nur kurz Angst und alles ist vorbei. Kein Vorspiel, nicht mal ein richtiger Höhepunkt. Aber,» Snowcats Stimme wurde nun sehr sanft: «Rache und Hass sind eine sehr persönliche Angelegenheit. Viel persönlicher als Sex. Deshalb muss das jeder so machen, wie es für ihn richtig ist.»

Snowcat und Blackstone übten dann nach dem Essen weiter in Tarislar. Zwischendurch glaubte Blackstone gelegentlich eine kleine Gruppe Ancients in einiger Entfernung zu sehen, die die beiden beobachten. Als sie am späten Abend dann fertig waren und sich, eventuelle nach einem Drink in einer kleinen, netten Bar verabschiedeten, sagte Snowcat noch zu Blackstone: «Du wirkst auf mich in letzter Zeit besonders temperamentvoll.» Sie lächelte, «Das war völlig wertfrei gemeint.» Sie blickte ihm wieder tief in die Augen, «Könntest Du mir versprechen, besonders gut auf Dich aufzupassen und noch mal kurz nachzudenken, bevor Du irgendwo reinspringst? - Ich glaube nämlich, ich könnte es nur schwer ertragen, noch mal einen so guten Freund zu verlieren und außerdem bist Du der einzige, der mir noch übrig geblieben ist.» Dann grinste sie breit und blinzelte (vielleicht sogar eine Träne weg, aber da war Blackstone sich nicht sicher), «Ja, es geht mir dabei um mich, ich bin eben ein Egoist!»


von Blackstone:

Als Blackstone zum vereinbarten Treffpunkt kam, sah er sehr nachdenklich aus. Die Fahrten mit Snowcat taten schon immer gut. aber diesmal war es noch wichtiger. Mit ihr konnte man einfach mit dem Krad rumfahren und musste nicht viele Worte wechseln. Man verstand sich. Schade nur, dass der andere Zwerg nicht mehr da war.

Beim Essen fing Snowcat plötzlich zu reden an. Es dauerte einige Zeit bis Blackstone bemerkte, dass er eigentlich zuhören sollte. Die Idee, über den Jahreswechsel in die ADL zu reisen, war noch nicht lange geboren.  Aber der Gedanke war schön. Es gab da nicht nur die Sache mit seinem Vater, nein den Lütten mal wieder zu sehen, wäre sicher nicht schlecht. Wie es dem wohl in München geht? Was sagt Snowcat da? Ich soll nicht direkt hin, sondern das erstmal aus der Ferne anstoßen? Mmh... OK, los denk drüber nach Blackstone, mach schon. "Sorry Snowcat, war gerade in Gedanken. Du meinst, ich soll meinem Alten so richtig Angst machen und ihm mit Hinweisen klar machen, dass ich noch lebe und er nicht mehr lange?" Blackstone fing ganz langsam an zu lächeln. Gar nicht mal so übel, die Idee. "Ich werde mal den Profi befragen, was es da so für Möglichkeiten gibt.Was meinst Du, wird Scorpion da mitmachen und den Job annehmen? Ich rufe ihn morgen mal an. Aber jetzt lass uns mit den Bikes rumziehen. Macht wirklich Spass."  Warum hast Du das nicht schon früher gemacht? 

Hey Katze, Du bist wie ne Schwester. Ich werde auf Dich aufpassen, versprochen.

                                                               ✰✰✰✰✰  

von Snowcat:

                                                           Interludium

   Snowcat fuhr mit dem Bike über die Rampen auf den Treppen direkt bis vor die Wohnungstür ihres "Penthouses" im 5. Stock. Die Häuser in Puyallup waren nun mal nicht besonders hoch, sie waren es noch nie gewesen und das hatte sich auch nicht geändert, als die Kleinstadt in den Seattle Sprawl aufgenommen worden war. Und nach den Vulkanausbruch war hier kaum etwas Neues gebaut worden. Die Metamenschen, hauptsächlich Elfen, die hier im südlichen Teil des Bezirks, zwischen zwei Seen nach der Night Of Rage Zuflucht gesucht hatten, hatten genügend damit zu tun gehabt, das Vorhandene instand zu halten. 

  Tarislar - ewiges Gedenken.

  Snowcats unterbrach ihre Gedanken an Cannonball und die anderen von UC, um darauf zu warten, dass Mrs. Harden, die nette Zwergin aus der Wohnung links unter ihr, nach dem Rechten sah. Und da erklang auch schon das Geräusch von Riegeln, die zurückgeschoben wurden und als nächstes erschien der Lauf einer abgesägten Schrotflinte im Hausflur. Auch heute Nacht trug Mrs.Harden wieder ihre obligatorischen Cowboystiefel und dazu einen Morgenmantel. Manchmal fragte sich Snowcat, ob die Dame in diesen Stiefeln schlief, denn egal, was sie sonst anhatte, die Stiefel gehörten immer dazu. 

«Alles in Ordnung bei Dir Schätzchen?», fragte sie, wobei sie nuschelte, was wahrscheinlich an der kalten Zigarre in ihrem Mundwinkel lag. 

«Guten Abend Mrs. Harden,» rief Snowcat hinunter «Ja, bei mir ist alles Bestens, danke der Nachfrage.» Snowcat stieg von der Blitzen und schaltete sie aus. Mrs. Hardens Stimme erklang erneut: 

«Nee, Schätzchen, Du weißt doch, wie das bei uns läuft, zeig mal Dein hübsches Köpfchen und wink dazu. Oder willst Du mir, mit meinen kurzen Beinen, mitten in der Nacht zumuten zu Dir nach oben zu laufen, um nach Dir zu sehen?» 

Snowcat grinste, ging zum Treppenabsatz und winkte dann hinab zu der Zwergin. Ihre Nachbarin sah sie einen Moment lang aufmerksam an und sagte dann: «So ists fein Schätzen, dann gute Nacht - und iss noch was, Du bist viel zu dünn!»

«Irgendwann bricht sie einfach in der Mitte durch, das Ding. », murmelte sie noch kopfschüttelnd bevor sie wieder in ihrer Wohnung verschwand und die Riegel vorschob. 

   Snowcat nahm das kleine Paket vom Bike und schloss die Tür auf, hinter der Hoobs, Splash und Doby schon freudig auf sie warteten. Sie warf jeder ihrer Drohnen ein AR-Leckerlie zu, worauf diese sich noch einmal drehten und dann zurück in ihre Parkposition fuhren. 

Softpaw sass auf der obersten Sprosse der Leiter, die zum Dachgarten führte und rührte sich nicht. Vor kurzen hatte Snowcat dort ein Stück Teppichboden angebracht, damit die Katze es bequemer hatte. «Keine Begrüßung für mich?», fragte sie. Der plüschige Schwanz der weißen Blackberry-Katze schwang einmal hin und her. Snowcat lächelte und klapperte dann mit der Plastikbox. «Na gut, dann ess ich den Hummer, die Krabben und das Gemüsegratin eben allein, ich schaff Deine Portion, extra ohne Soße, bestimmt auch noch.» Die Elfe warf ihren Mantel an die Garderobe, schlenderte hüftschwingend zur Küchenzeile und traf ihre Musikauswahl, New-Metal-Balladen der elfischen Rockband "The Sphinx" . Sie deckte den Tresen für eine Person, stellte aber einen extra Teller hinzu. Aus dem Kühlschrank nahm sie eine Flasche Rose-Champagner, öffnete sie mit einem leisen Plop, goss sich ein Glas ein und nahm einen Schluck. Als sie sich auf den Hocker gesetzt hatte, sprang Softpaw schnurrend auf ihren Schoß. Snowcat vergrub kurz ihr Gesicht im Fell der Katze. «Schön, dass du da bist!», flüsterte sie, dann tat sie beiden das Essen auf. 

  Softpaw war bereits nach ein paar Minuten mit ihrer Portion fertig, dennoch leistetet sie Snowcat Gesellschaft, bis auch sie ihr Mahl beendet hatte. Es dauerte eine Weile, da Snowcat wie immer jeden Bissen genoss. «Hoobs,» die Servos der Drohne begannen augenblicklich zu summen, «räumst Du bitte ab!»

  Ein kurzes Bad später schlüpfte Snowcat in ein schwarzes Herrenhemd. Es war ihr wichtig gewesen, heute Nacht in dem Hemd, das einst Craven gehört hatte und nun langsam ziemlich verwaschen war, zu schlafen. Bevor sie sich in die blutroten Laken und Decken kuschelte, zog sie noch einmal den Kasten unter dem Bett hervor. Sie öffnete ihn und streichelte zunächst zärtlich über die blitzblanken, chromfarbenen Cybergliedmaßen von Cannonball, dann nahm sie einen Plastikbeutel heraus, in dem sich ein dunkelgrünes T-Shirt befand. Snowcat ging dicht mit der Nase an den Beutel, bevor sie ihn öffnete, und der unverwechselbare Geruch von Craven strömte ihr entgegen. Sie nahm das T-Shirt heraus und presste es wie ein Kuscheltier an sich, dann kletterte sie ins Bett und schmiegte sich in die Decken. Softpaw machte es sich auf einem Kopfkissen neben ihr bequem und sah die Elfe äußerst aufmerksam an, hätte die Katze Augenbrauen gehabt, hätte sie nun eine davon hochgezogen. Snowcat seufzte und flüsterte: «Ich weiß, das muss aufhören, nur heute Nacht noch! Ja?» Softpaw schnurrte. «Licht aus, Musik auf minimale Lautstärke dämpfen und in einer halben Stunde ausschalten, keine Weckzeit einstellen.» In der Hoffnung in der heutigen Nacht auf keine ihrer Dämonen zu treffen, schlief Snowcat ein.


  Den letzten Tag des Jahres 2070 ließ Snowcat ganz langsam angehen. Natürlich startete sie mit einem Milchkaffee. Eine leere Packung mit Katzenleckerlies lag auf dem Boden, Snowcat warf zunächst Softpaw und dann Hoobs einen strengen Blick zu. Beide heuchelten Unschuld. Sie wies die Drohne an, die leere Schachtel zu entsorgen. Nach dem Frühstück, welches heute aus einem zweiten Milchkaffee bestand, wickelte Snowcat sorgfältig unzählige, in Plastik gepresste, vierblättrige Kleeblätter in grünes Seitenpapier ein. Die Nachrichten verkündeten keine größeren Katastrophen, und nicht mehr Unruhen, als in den vergangenen Tagen. Knight Errant hatte allerdings angekündigt seine nächtlich Patrouillen für heute Nacht zu vervierfachen. Diese Jungs würden also nicht dazu kommen Silvester zu feiern. 

  Snowcat dachte an Bittersweet, ob sie wohl heute eine schöne Feier haben würde? Oder würden ihr Sorgen, Phil und düstere Gedanken den Abend verderben? Und Kwalm, was er wohl machte? Snowcat war überrascht, wie schnell sie diesen Menschen in ihr Herz geschlossen hatte und wie überaus interessant sie ihn fand. Eigentlich hätte sie dieses Silvester auch gerne mit UC in der Feuerwache gefeiert. Aber erstens waren die Partys der Ancients bisher unübertroffen und zweitens hatte niemand im Team auf die Idee, man könne sich ja nach Mitternacht noch treffen, reagiert. Also gab es auch keinen Grund ihre eigentlichen Absichten zu verändern. Außerdem wusste sie auch nicht, ob sie jemanden wie Smirk an einem solchen Abend sehen wollte, auf keinen Fall wollte sie es zu einem weiteren Missverständnis kommen lassen. Bei ihrer Familie musste sie weder vorsichtig sein, noch sich zurücknehmen oder verstellen. 

  Plötzlich lächelte Snowcat zufrieden, sie bezeichnete Nicht-Elfen als ihre Freunde, eine Neuerung die 2070 ihr gebracht hatte.

  Nach ausgiebiger Dusche und obligatorischer Körperpflege setzte Snowcat sich vors Trid, um sich während sie sich die Haare glättete eine Mega-Portion "New Yen Hunters" reinzuziehen. Nach über einer Stunde waren die Haare glatt, die Sonne untergegangen und Snowcat um einiges an Wissen bereichert, was Metamenschen alles bereit waren für Geld zu tun. Im Anschluss schnürte sich Snowcat in ihr grünbesticktes schwarzes Korsagenkleid. Da das Kleid hinten geschnürt war, brauchte sie die Hilfe von Splash. Mit seinen Greifarmen, die sonst zur 1.Hilfe benötigt wurden, zog er die grünen Lederriemen zusammen. Allerdings hatte er mit der Schleife so seine Schwierigkeiten. Neon würde das korrigieren, wenn er sie nachher abholte. Zur Feier des Tages legte Snowcat  Lidschatten und Lippenstift auf und lackierte ihre Fingernägel.

  Sie hatte noch Zeit und nahm deshalb Neujahrsgrüße für Nethertalk, Hellboy, Liam, Kyle und einige mehr auf. Sie achtete darauf, jedem etwas persönliches zu sagen und kontrollierte zum Schluss, dass sie niemanden vergessen hatte.

 Neon klingelte pünktlich, Snowcat stellte schnell noch zwei volle Schachteln mit Katzenleckerlies in den Schrank, und dann fuhr sie gemeinsam mit Neon zum HQ der Ancients. 

  Heute Nacht gab es mehr Wachposten, mehr Lichter, mehr Feuertonnen und die Musik war um einiges lauter als sonst. Freudig und ohne eine Spur von Trauer stürzte sich Snowcat in das Getümmel. Sie tanzte ausgelassen, leidenschaftlich und wild. Sie trank, redete und flirtete. Sie amüsierte sich ausgezeichnet. Langsam scannte sie die anwesenden männlichen Elfen ab und sortierte vor, wer für heute Nacht für sie in Frage kam. Snowcat wollte am ersten Tag des neuen Jahres unbedingt Sex haben. Ihr letzter Sex war schon viel zu lange her und die Auswahl hier war groß genug. Ihre Position bei den Ancients war gefestigter denn je, niemand würde jetzt noch an ihrem Wert für die Gang zweifeln. 

  Beschwingt von Stimmung und Alkohol dachte sie darüber nach, dass es vielleicht sogar an der Zeit war, nach jemandem Ausschau zu halten, mit dem sie mehr als nur eine Nacht verbringen konnte. Sie grinste wölfisch und dachte: "Hey Jungs, nehmt Euch in Acht, die Katze ist auf Mäusejagd!" 

  Leicht taumelnd blickte sie sich um und ihr Blick blieb an Green Luzifer hängen. Seine grünen Haare waren unglaublich gut gestylt. Mit seinen halb offenen, reich bestickten, schwarzem Hemd und seiner maßgeschneiderten Lederkleidung sah er aus, als wäre er gerade aus einem Mangacomic gesprungen. Snowcat näherte sich ihm ein wenig von der Seite und betrachtete ihn genauer. Seine Haut wirkte gepflegt, im linken Ohr trug er ein A aus funkelnden Rubinen. Er strahlte eine Aura von Macht aus. Snowcat blieb stehen. Sie zögerte. Green Lucifer war definitiv keine Maus. Sie wollte sich gerade abwenden, als seine Augen die ihren trafen. Aus dem ewig jungen Gesicht des Elfen blickten erfahrene Augen direkt in ihre Seele, ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter, die silbernen Sterne in ihren eisblauen Augen begangen wild zu tanzen, in ihrem Unterleib zog sich etwas zusammen. Was auch immer diese Nacht noch bringen würde, ein neues Jahr voller unglaublicher Erfahrungen und voll von intensivem Leben lag vor ihr. Und Snowcat würde jeden einzelnen Atemzug auskosten. 

  Noch immer hielt Green Lucifers Blick den ihren gefangen, die Frage war jetzt, sollte sie einen Schritt nach vorne machen oder sich abwenden?

                                                           ☆☆☆☆☆    

von Bittersweet:

"...danke David, das wünsche ich dir auch !"

Bittersweet ließ schnell ihre Wohnungstür ins Schloss fallen, bevor David versuchten konnte, das Gespräch noch einmal neu aufflammen zu lassen. David Brennaghan, seines Zeichens Wachmann für ASS - Argus Security Services - war an sich ein attraktiver Mann. Sein wuscheliges, blondes Haar umrahmte ein freundliches, attraktives Gesicht und sein trainierter Körperbau waren normalerweise genau das, was sich eine junge Frau wie Bittersweet wünschen würde. Und Uniformen machen ja nun bekanntermaßen sowieso sexy ... aber er war nun mal ein gottverdammter Cop ! ASS war ein kleines aber feines Seattle-basiertes Unternehmen, welches von den Großgrundbesitzern für die Sicherheit 

in dieser leicht abgelegenen Gegend von Downtown angeheuert wurde. David Brennaghan, Frühschicht von Montag bis Freitag, Single und verdammt hilfsbereit, hatte schon kurz nach ihrem Umzug in diese Gegend ein Augenmerk auf die junge Zauberin geworfen. Man sollte an dieser Stelle erwähnen, das dies das positive "ein Augenmerk auf jemanden werfen" war, jenes welches die Hormone gerne einmal verrückt spielen lässt. Besorgt durch ihre lange Abwesenheit und ihr leicht demoliertes Aussehen (ja, die Wunden und Müdigkeit der letzten Wochen zeichneten noch immer ihr Gesicht) bei ihrer gestrigen Wiederkehr, nahm er heute all seinen Mut zusammen und fragte sie, ob er nicht ihre schweren Tüten nach

oben in ihr Apartment tragen dürfte. Völlig verdutzt und auf dem falschen Fuß erwischt, blieb Bittersweet nichts anderes übrig, als das nette Angebot anzunehmen. Ein wenig Smalltalk im Fahrstuhl, ein paar Fragen ob es ihr denn gut ginge und wo man so lange war, die sie mit einem süßen Lächeln und ein paar noch süßeren Worten, wenn auch gelogen, schnell abtat ließen die Zeit bis zum rettenden Gong des Fahrstuhls glücklicherweise schnell vergehen. Auf den paar Metern vom Lift zu ihrer Wohnungstür betete sie, das er so geschickt war, wie er aussah und nicht den Inhalt ihrer neutralen, braunen Papptüten über den Flur verteilte. Aber David enttäuschte sie nicht. Er nahm sogar erneut seinen  ganzen Mut zusammen und fragte (um genau zu sein war es eher ein stammeln), was sie so zu Silvester treibe. Die junge Frau vertröstete den Wachmann mit der guten alten Familienfeierleier und man wünschte sich einen guten Rutsch und das obligatorische Glück für das nächste Jahr.

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Bittersweet lehnte sich von innen gegen ihre verschlossene Wohnungstür. Nachdem der wireless node der Wohnung ihr PAN entdeckt und registriert hatte, flackerte ihre Wohnung in sanften Licht auf und ihr Entertainment Center begann "My Saviour" von Bloodangel zu spielen. Sie stellte ihre Tüten auf den Boden und wie auf das Stichwort krabbelte Meph, ihr wichtelhaftes Emotitoy aus einer ihrer Taschen. Die kleine Drohne hatte ein kleines, puppenhaftes T-Shirt von CT an und und musterte seine Herrin eingängig. 

"Waaas ? Was soll dieser Blick Meph ? Lass das ! Du glaubst doch nicht wirklich, das ich mit einem Cop treffe ?!?" entgegnete sie schnippisch dem elektromechanischen Teufelchen. "Ich habe wirklich genug Probleme mit anderen Sachen Meph ! Was soll ich zu ihm sagen ? Ohhh, entschuldige bitte, ich bin eine mächtige Hexe und dazu noch eine auf der falschen Seite vom Gesetz. Aber ansonsten kannst du mir gerne die Seele aus dem Leib vögeln ! Wann besuchen wir deine Eltern ? Du spinnst Mep ! Guck nicht so !" 

Sie streichelte die kleine Drohne mit dem melancholischen Empathie-Chip liebevoll über den Kopf und entlockte ihr ein leises Schnurren. 

"Oh Meph, ich glaub´ du brauchst ein wenig Saft, das reicht nicht mehr lange ..." sagte sie erstaunt, nachdem sie auf die Poweranzeige des Emotitoy schaute. Sie hatte ihn nur ganz kurz aufladen, bevor sie zu ihrer gestrigen Run aufgebrochen war. Und nach drei Monaten ohne Energieversorgung war ihr ständiger Begleiter sozusagen "tot" gewesen. Sie zog sich ihre neu erworbene Wollmütze (ein schickes, schwarzes und vor allem warmhaltendes Exemplar mit weißen Totenköpfen) vom Kopf, schüttelte den Schnee von ihr und warf sie in Richtung Kleiderhaken. Zu ihrem Erstaunen traf sie ihn tatsächlich. 

"Wow, was für eine coole Mütze !" sagte sie überrascht zu sich selber und machte eine mentale Notiz, das modische Accesoire zu ihrem neuen Glücksbringer zu ernennen. Dabei hatte sie erst vor gut einer Stunde im Darkstore gekauft. Der angesagte Gothicklamottenschuppen lag auf dem Weg zu ihrer wohnung und nachdem sie sich gleich am frühen Morgen bei "Cuts´n´Stitches" für eine neue Frisur entschieden hatte, war sie auch wirklich nötig gewesen. Der Winter in Seattle war dieses Jahr klirrend kalt und sie hatte sich von der Elfe einen neuen Look verpassen lassen. Den Pony immer noch in hellem rot gehalten, hatte die metamenschliche Künstlerin ihr die vollen, schwarzen Haare an den Seite eine Handbreit ab rasiert. So konnte die Zauberin die Haare wie früher immer noch elegant lang und glatt tragen, oder sich so wie eben jetzt einen Pferdeschwanz binden und gewissermaßen den Ansatz eines Iros zeigen. Sie stellte sich vor den Spiegel ihres Flurs und spielte mit den beiden langen, pechschwarzen Strähnen, die ihr von den Schläfen ins Gesicht hingen. 

"Gut siehst du aus Phine ! Ein neues Jahr, eine neue Frisur. Oder wie ging der Quatsch ?" sagte sie lächelnd zu sich selbst. Die junge Frau stellte Meph in die Ladestation, gab ihn einen flüchtigen Kuss auf den Kopf und wünschte den Emotitoy eine gute Nacht. Sie ging mit den Tüten in dir Küche und entleerte diese auf dem Tisch. Zwei Paletten NuKit Energy Drinks XPress wanderten in den Kühlschrank, Koffeintabletten und Zigaretten wurden in einem Küchenschrank verstaut. Der Inhalt der zweiten Tüte war natürlich weitaus wichtiger und    teurer gewesen, so enthielt er doch seltene magische Utensilien. Exotische Reagenzien wie Telesma und Beschwörungskreide gesellten sich zu magischen Kleinoden wie einen Athame und eine Kette mit einem Pentagramm.  Zu guter Letzt holte sie ein in feines, teures Leder gebundenes Buch heraus. Dieses war voller arkaner Formeln und mystischen Beschwörungen. Dank des technologischen Fortschritts war dieses Grimoire auf e-paper gespeichert und konnte enormes Wissen fassen, ohne klobig oder unhandlich zu werden. Ja, sie hatte noch viel vor in den kommenden Stunden und Tagen. Den Gedanken an mehrere Wochen wollte sie erst gar nicht zulassen.

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Nachdem sie ihre Stiefel mit einem gekonnten Kick in die Ecke befördert hatte, sich das schwarze Winterkleid ausgezogen und gegen ein Band-Girlie ausgetauscht hatte, griff sie eine Dose Nukit und warf sich rücklings auf die gemütliche Couch in ihrem Wohnzimmer ... nur um mit einem spitzen Schrei sofort wieder auf zuspringen. "Du blöde Kuh, hast du überhaupt keinen Gripps mehr im Kopf" wimmerte sie mit schmerzverzerrten Gesicht, sich selbst für ihre Dummheit rügend. Sie griff mit dem Händen auf ihren Rücken um ihn ein wenig zu massieren und lief fluchend zurück zum Spiegel. Das Shirt vorsichtig hochziehend , studierte sie ihren Rücken. Wie dumm musste man sein, um zu vergessen, das man heute im Tattoostudio war ? 

"Naja, schieben wir es noch mal auf den langen Schlaf ..." ... nein, kein Blut. Die Göttin sei Dank ! Ihr Rücken war unversehrt und Margeaux´s Tintenkunstwerk strahlte weiterhin in seiner unvergleichlichen Handschrift. Seraphine hatte sich von dem Tattoostecher das Wort "Goddess" oberhalb ihres bereits bestehenden Engelsflügels-Tattoos stechen lassen. Ein weiterer Schriftzug, das Wort "Lilith" in hebräischen Lettern, hatte sie zur Ehrung ihrer neuen Mentorin auf eine Art Banner über einem gotischen Kreuz zwischen den Flügeln verewigen lassen. Margeaux war verdammt stolz auf seine Arbeit gewesen und Bittersweet war ebenso überglücklich über ihr neues Körperkunstwerk. Umso peinlicher, das sie es zugleich vergessen hatte. 

"Nur ein bissel ausruhen, fünf Minuten auf der Couch. Soviel Zeit musst du dir gönnen, du brauchst einfach ein wenig Ruhe. Siehst´ja was passiert. Und dann kommen wir zum ernst der Sache" dachte sie sich, während sie diesmal vorsichtig und auf der Seite liegend ihre Couch bestieg. Sie leerte die Dose in einem langen Schluck und warf sie in Richtung Mülleimer. Diesmal hatte sie weniger Glück, aber die Haushaltsdrone nahm ihr die lästige Arbeit des Aufhebens

emsig ab. So lag die Zauberin ein paar Minuten verträumt auf der Couch. Sich wohlig warm fühlend, bewegte sie ihre Zehen um so die letzten Überbleibsel des Seattler Winters zu vertreiben. Ihre oberschenkellangen Spinnennetzmusterwollstrümpfe waren zwar verdammt stylisch, aber die eisige Kälte konnten sie nur bedingt aufhalten. Ihr Blick wanderte langsam weiter in Richtung Bauchnabel und blieb an ihrem zu den Strümpfen passenden Slip hängen. "Haha, Spinnenweben, wie passend !" 

Nach drei Monaten Tiefschlaf in einem Krankenbett und den davor liegenden zwei Monaten Trennung von Mandy vermisste sie die intime Nähe eines Metamenschen. Sie redete schon wieder zu sich selbst ermahnte sie sich, klar in dem Wissen, das sie auf lange Sicht wieder ein wenig öffnen müsste und jemanden in ihr Herz hineinlassen sollte. Die Leere die der Widersacher hinterlassen hatte, wurde von Lilith fast vollkommen ausgefüllt. Aber halt nur fast. Ein kleiner Teil, der weltliche, mundäne Teil in ihrem Leben schrie danach, ebenfalls ausgefüllt zu werden. Die Augen, immer noch ein wenig müde von den Strapazen der letzten Nacht, fest verschlossen, merkte sie wie ihre Hand langsam aber unaufhaltsam in Richtung ihrer Unterwäsche wanderte. Ein wohliges Gefühl überkam sie in den nächsten Augenblicken und die Probleme der Welt schienen in Vergessenheit zu geraten. Eng umschlungene Körper in purer Ekstase. Die Welt war in Ordnung, in allerbester sogar. Heiße Küsse setzten ihren Mund in Flammen. Sich auf die Lippen beißend versank sie weiter in ihren Träumen ... aber dann kamen die Gesichter. Warum möchte das metamenschliche Gehirn eigentlich immer ein Gesicht hinter all diese Leidenschaft projizieren ? Anfangs war es das Gesicht von Kevin. Mandy. Rabenschrey. Soweit so gut. So war es ja nun einmal auch gewesen. Das attraktive Gesicht von Officer Brennaghan, die eisklaren, blauen Augen von Snowcat und das kecke Wesen von  Liam ließen ihren Atem schneller gehen. Da waren sie wieder, ihre Probleme, ihre Gefühle. War sie überhaupt fähig, jemanden den sie liebte nicht zu verletzen ? War dies nun wirklich mit Lilith anders ??? Als plötzlich das Gesicht von Cannonball vor ihr auftauchte und ein "Was ist denn jetzt los, gibt´s jetzt Action ?" zu rief, schreckte sie auf. Mit einem Sprung hüpfte sie von der Couch herunter, jegliche Wonnegefühle vollkommen in Vergessenheit geraten. Bittersweet sprintete in ihre Dusche und verblieb dort die nächste halbe Stunde. Es war gut, das Meph offline war, so konnte keine seiner Kameras etwas für die anderen festhalten und sein Empathie-Chip musste keine Algorithmen beanspruchen, um herauszufinden warum seine Meisterin dort zusammen gekauert unter der laufenden Dusche weinte. 

***

"Ich bin mir ziemlich sicher, nein ich bin absolut festen Überzeugung, daß auch ein Engel, so himmlisch und perfekt er uns auch erscheinen mag, tief in sich schwere Wunden trägt. 

Ich bin des weiteren der unvoreingenommenen Ansicht, das die Engel, sofern man diese personifizieren kann und darf, wenn sie auf das Leid dieser der unseren Welt blicken, ein 

ganzes Meer an Tränen vergießen müssen. Manchmal sind Engel metamenschlicher als man glauben mag. Manchmal sind Metamenschen himmlischer als wir es uns vorstellen können."

Bischof Werincourt, Erzdiaziöse Montreal, "Thesis Deus Rex Evangelica" 27.5.2056

***

Der neue Tag war bereits seit einigen Stunden angebrochen, auch wenn man davon vor nächtlicher Dunkelheit und leichten Schneetreiben kaum etwas hätte mitbekommen können. So wunderte es den aufmerksamen Beobachter auch nicht, das die Bewohnerin eines luxuriösen Apartments in Bitterlake, Downtown Seattle, weiterhin ihren mysteriösen Machenschaften nachging ohne etwas von ihrer Umwelt, mit all den Menschen die für diese Nacht, die letzte im Jahre 2070, ihre Vorbereitungen trafen, mitzubekommen. Auf den Tischen stapelten sich fein säuberlich aufgetürmt eine komplette Palette von leeren Energydrinks. Mehrere Verpackungen einer bekannten chinesischen Takeaway-Kette umringten die Dosenpyramide, ihres wohlschmeckenden wenn auch fragwürdiger weise nahrhaften Inhalts bereits entledigt. Abgerundet wurde die Komposition häuslicher, moderner Kunst von zwei überquellenden Aschenbechern und ein paar leeren Wasserflaschen, die ihren erfrischenden Inhalt als Mittel zur Einnahme von Koffeintabletten hergeben mussten. Verfolgte man diese Spur von hauswirtschaftlichen Chaos, so kam man nicht umher und gelang in das Wohnzimmer des Apartments. Ein merkwürdiger Singsang in einer fremden Sprache, die der wissende Linguist als französisch wiedererkannt hätte, gab Aufschluss darüber, das die junge Zauberin Bittersweet noch immer in ihren selbst gezeichneten, weißen (und damit sei sowohl die wirkliche Farbe der Kreide als auch seine magische Ausrichtung erwähnt) Pentagramm saß und sich dem Ritus der Initiation unterzog. Bereits einmal hatte sie dieses Ritual hinter sich gebracht. Eine Initiation war die Weiterbildung seiner magischen Fähigkeiten. Die Erweiterung seines Geistes, der Feinschliff seiner mentalen Fähigkeiten, seien sie nun zum Heilen oder Zerstören gedacht. Es waren ziemlich genau sieben Monate her, das die junge Magiekundige sich erfolgreich dieser Strapaze hatte unterziehen können. Damals hatte es eine ganze Woche gedauert um dieses Ziel zu erreichen. Nun war sie in den knappen zwölf Stunden bereits soweit, das sie die Ziellinie bereits vor Augen hatte. Lag es an ihrer neuen Mentorin, der Göttin Lilith ? Oder war die Queste auf die sich begeben hatte, bereits der Beginn ihrer Initiation gewesen ? 

"Wanda´s Witchcraft ... netter Hinweis !" kicherte sie in sich hinein, als sie an die nette, schrullige Dame aus ihrer metaplanaren Reise zurück dachte. War sie vielleicht die Göttin in Person gewesen, die sich ein Bild von ihr machen wollte ? Fragen über Fragen. Fakt war, daß sie in Windeseile die komplizierten Feinheiten des Manastroms, der die Welt wie wir sie kennen durchfließt, hatte verstehen können und was noch weitaus wichtiger war, ihn steuern konnte und somit ihre Macht aus der für Mundäne unsichtbaren Kraftquelle ziehen konnte.

Bittersweet saß seit einer gefühlten Ewigkeit in der Lotusposition und rezitierte in ihrer melodiösen, französischen Heimatsprache die ihr bekannten magischen Formeln. Ihre schlanke Finger zeichneten arkane Sigilen in die Luft, die um sie herum flimmerte. Ihr Wohnzimmer, welches sie für diese Initiation missbrauchte, roch stark nach einer Vielzahl von Kräutern und Räucherstäbchen. Ein drei Meter durchmessendes Kreidepentagramm war akribisch genau nach Norden gerichtet auf den Fußboden gemalt, an seinen fünf Spitzen große Wachskerzen , die die bereits heiße Luft zusätzlich erhitzten. Die fünf Knotenpunkte des Pentagramms, die fünf Achsen der Magie, die Grundpfeiler der Hexenkunst, die auch ansonsten fast jede andere Tradition der Sechsten Welt ausmachten, wurden von Opfergaben wie mundänen Schmuckstücken bis hin zu reinen Telesma verstärkt.

Die in schwarz gewandete Hexe zögerte ein wenig. Ihr Geist war von diversen weltlichen Muntermachen, aber auch von magischen Mixturen wie Láes und Witch´s Moss benebelt. Dennoch hätte ihre astrale Sicht momentan nicht besser sein können. Überall um sie herum schwirrten die feinen Flammen der Erleuchtung, sie warteten regelrecht darauf von ihr Besitz zu ergreifen, sie mit Wissen und Macht zu erfüllen. Die komplexen arkanen Formeln, welche für jeden Zauberspruch die Basis schufen waren längst von Bittersweet entschlüsselt worden. Dennoch zögerte sie in angst vor dem, was nun kommen musste. Sie hatte einen Geist von seiner Ebene beschworen um ihr zu dienen. Das Binden des ätherischen Wesens war für die erfahrene Zauberin schon lange kein Problem mehr. Nein, was ihr ihr sorgen bereitete war der Fakt, das dieser Geist nun gleich Besitz von ihr ergreifen würde. Als sie noch eine Lakaiin des Widersachers war gehorchten ihr die geisterhaften Diener weiterhin in ihrer eigenen Form, ihren eigenen astralen oder weltlichen Körper. Die Doktrin von Lilith, die Manifestation der Hexenkunst per se erforderte jedoch, das der Geist in den Beschwörer hinein fährt. Man sprach hierbei von Beseelen oder einer Beherrschung. Das Ziel Séraphine´s war es nun, durch ihre Initiation zwar beseelt zu werden, aber weiterhin ihren eigenen Körper zu kontrollieren. Den Geist in ihr zu kontrollieren. Schnell und schmerzhaft kamen ihr wieder die bilder von Cannonball in den Kopf. Wie sie den Zwerg angriff, mit all ihrer brachialen Kraft, die ihr die Göttin in Form eines Erdelementars gegeben hatte. Brennende Tränen schossen ihr erneut aus den zu Schlitzen zusammengepressten Augen hervor. Nein , sie hatte Cannonbal nicht getötet, aber er war ihr Fokus. Ihr gebündeltes Leuchtfeuer des Mutes sich dieser Aufgabe zu stellen. So etwas durfte nicht noch einmal passieren ! Sie war es ihm schuldig. Ihren Teamkollegen. Ihren Freunden. Ihrer Göttin … Sie biss die Zähne zusammen und fasste ihren Mut ...

„Esprit, je vous ordonne de me donner la force ! Esprit, je vais laisser en utilisant mon corps comme un temple ! Me prendre !“ rief sie in den Raum hinein.

Einen unangenehm langen Moment passierte überhaupt nichts. Unausstehliche Stille. Dann aber gab es einen plötzlichen und starken Windzug, der alle Kerzen im Raum löschte. Durch die fade Beleuchtung einer Tischlampe konnte Bittersweet den Geist sehen, als er sich ihr nun manifestierte. Eine Kreischeule, groß wie eine Dogge, erschien in der Luft und flatterte mit ihren riesigen Schwingen. Sie erblickte die Beschwörerin und mit ungeahnter Leichtigkeit und Geschwindigkeit stieß sie auf sie herab. Bittersweet hob die Arme aus Schutzreflex, nicht das sie hätte etwas gegen diesen Urtum hätte ausrichten können. Eine Kreischeule ! Das seit Urzeiten angestammte Totem der Göttin Lilith ! Welch grausame Ehre wurde ihr hier zuteil ? Einen Moment bevor der riesige Vogel sie traf verschwand er in der Luft so plötzlich wie er gekommen war, nur um astral in den filigranen Körper der Frau zu fahren. Ein Gefühl, so schmerzhaft wie tausende von Stecknadeln auf der Haut, aber andererseits so wohltuend wie ein inniger Kuss in einer Sommernacht. Bittersweet riss die Augen auf und wollte schreien, aber kein laut kam von ihren Lippen. Sie sank auf die Knie und atmete schwer. Was nun ? Was kam jetzt ? Wo war er hin ?

---

Séraphine ging in sich, suchte nach dem Geist. War er etwa …

„מי אתה קצת חיוני " 

Sie kannte die Sprache des Wesens nicht, verstand aber nur allzu gut was es zu ihr sagte. „Man nennt mich Bittersweet ! Ich bin eine Dienerin von Lilith, deiner und meiner Herrin !“

„לצחוק על המאהבת שלך? מה משקל אתה רוצה ממני?“ 

„Ja, Lilith ist auch mit mir ! Ich habe dich beschworen, damit du meinen Willen hörst und mir als Ratgeber dienen magst.“ warf sie diplomatisch und leicht verängstigt ein.

„לצחוק יהיה שלך! אתה לא מכשפה צעירה" 

„Sprich nicht so mit deiner Meisterin, Bote der Göttin. Meine Absichten sind gut und ich möchte dem Namen der Göttin Ruhm und Ehre bringen und der Welt helfen !“

„עזרה העולם הוא טוב אם אתה וחבריך יכולים אפילו לא לעזור לעצמי!“ machte sich das Wesen über die Hexe lustig. 

„הדרך שעזרת קנון בול!?“ 

Wut überkam sie, als sich der Geist über ihre Unfähigkeit den kürzlich verstorbenen Zwerg zu retten lustig machte. 

„Ich habe alles menschenmögliche getan, es war nicht meine Schuld, das ...“ Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Nun verstand sie die Taktik des Geistes ! 

„Nein, Geist du wirst mich nicht provozieren ! Ich bin die Herrin über meinen Körper und ...“

„ודיו אוהו הם אפוא כן. ובכן, אני אראה עושה ילד שלי,“ zischte der Geist sie an. Bevor sie sich versehen konnte, griff sie wie von Geisterhand zu dem Athame-Dolch der vor ihr lag. Zähneknirschend versuchte sich sich dagegen zu wehren. Aber zu stark schien die Macht des Geistes zu sein. Immer näher wanderte ihre mit dem Ritualdolch bewaffnete Rechte zu der Schlagader ihrer anderen Hand, die sie sich nun selber bereitwillig entgegenstreckte. 

„אתה רוצה להרביץ לי“ sprach der Geist siegessicher in ihrem Unterbewusstsein. Das kalte, silberne Metall berührte ihre Haut und mit einem heftigen Schmerz stach er in das bleiche Fleisch der Hexe. Bittersweet zitterte am ganzen Leib, als sie roten Lebenssaft aus ihren Handgelenken auf den Boden tropfen sah. Sie versuchte sich zu konzentrieren, zwang sich langsam zu atmen. Der Geist lachte weiterhin siegessicher, wenn auch nicht boshaft in ihren Gedanken. Immer mehr Blut floss auf den Boden innerhalb des Pentagramms. 

„Ich … darf … nicht aufgeben“ knirschte sie unter schmerzverzerrten Zähnen hervor. Langsam aber sicher verlor sie das Bewusstsein...

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So schmeckt also der bittere Geschmack der Niederlage. So verliere ich nicht nur das Leben meiner Freunde, sondern auch mein eigenes. War ich zu mutig ? Zu überheblich ? Zu forsch ? Warum tue ich das überhaupt ? Warum in Gefahr begeben ? Für wen ? Für all die Kranken und die Drogenjunkies dort draußen ? Für die korrupten Politiker und Cops ? Für die Corps die die ganze Welt mit ihren Industriemüll versauen ? Vielleicht ist es besser so. Der Kampf ist doch sowieso verloren. Wenigstens habe ich es versucht.“

„Wenigstens versucht ??? Was ist denn das für ein Scheiß !“ hörte sie Cannonball sagen. Sie lächelte. Selbst jetzt konnte sie den Zwerg noch hören. Zusammen mit ihm hatte sie das heftigste Feuergefecht ihres Lebens überstanden. Er hatte ihr sogar geholfen, den gekidnappten Phil zu retten, selbstlos wie er war. Er hatte nicht aufgegeben. Hätte es nie getan. Ebenso wenig wie Kwalm. Der Kerl jagte seit Ewigkeiten einen schemenhaften Shedim hinterher, ohne aufzugeben. Er würde wohl auch immer weitermachen, aber niemals aufgeben. Blackstone wurde von einem Vampir gebissen. Hatte wahrscheinlich eine schlechte Erfahrung mit einem Schattengeist gemacht. Gab er auf ? Nein, bestimmt nicht. Snowcat … steckte wirklich soviel Leichtigkeit und Glamour hinter ihrem Sein oder hatte sie es nicht vielleicht auch schwer ? Auch sie gab nicht auf. Nein. Keiner von ihnen gab auf. Sie hatte Freunde. Vielleicht sogar mehr als das. Sie hatte noch ein paar Angelegenheiten aus der Vergangenheit wieder in Ordnung zu bringen. Sie musste für Phil da sein. Nein, sie würde nicht aufgeben. Lilith war ihr Weg. Wenn die Göttin ihr Steine in den Weg warf, um sie zu testen, so würde sie einen Weg daran vorbei finden. Nein , sie wird nicht aufgeben … niemals !

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„Niemals !!!“ riss sie ihr Schrei wieder in das Bewusstsein. Sie schleuderte den Dolch weit von sich fort und festigte ihren Geist.

„Je suis votre maîtresse. Je suis une déesse. Vous obéissez-moi. Toujours et à jamais !“ 

Knisterne Lichtblitze durchzuckten den Körper von Bittersweet. Gleichzeitig setze das warme beruhigende Leuchten ein und überzog ihren Körper von Kopf bis Fuß. 

„Vous écoutez ma réponse! Je suis Bittersweet. Je ne suis pas seul. Mon corps m'appartient. Mon âme est à moi! Vous ferez ce que je dis! Je sers la déesse !“ Mit letzter Kraft stärkte sie ihren Willen. Eine Explosion magischer Partikel verschoss blau leuchtende Funken konzentrisch von ihrem knienden Körper ausgehend. Sie vermischte die heilende und die zerstörende Energie der Göttin und ließ all ihren Frust aus sich heraus. Das Ende und der Anfang. Leben geben und Leben nehmen. Tod und Geburt. Denn dies war der Weg der Göttin. Dies war der Weg Bittersweet´s.

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Sie öffnete die Augen, die nur schwer und träge aufgehen wollten. Sie lag immer noch am Boden, in mitten des Pentagramms. Ihr linkes Handgelenk ließ sich nicht mehr bewegen, es war völlig taub vom Blutverlust. Sie rutschte auf dem glitschigen Boden aus, als sie sich mit ihrem verbliebenen arm aufrichten wollte. 

„Merde, ich habe zu viel Blut verloren. Merdemerdemerde !“ fluchte sie heiser vor sich hin. 

„Habt keine angst, werte Hexe, ich werde Euch helfen. Meine Kraft ist die eure und ich bin euer untertäniger Diener.“ erklang die Stimme des Geistes in ihrem Kopf. Sie hatte es geschafft ! Tatsächlich hatte sie es geschafft. Ein Lächeln kam ihr über die trockenen Lippen. 

„Ich habe es geschafft. Schade nur, das ich es nicht mehr genießen kann.“ 

Ein letztes Mal Zynismus. Das musste einfach sein. War ja eh das letzte Mal. Sie schloss die Augen …

… „Ms. Lancaster, hören sie mich ? Ms. Lancaster !“ sagte das freundliche und besorgt klingende verschwommene Gesicht. Wuscheliges, blondes Haar, der angenehme Duft von Davidoff Cool Water, eine dunkle Uniform. Langsam kristallisierten sich Details aus dem verschwommenen Nichts heraus …David … 

„Ms. Lancaster, sie leben. Gott sei dank ! Nicht bewegen ! Ich habe sie schreien gehört ! Was war hier los ? Sie werden durch ein MedPac versorgt. Alles wird gut. Warten sie bitte kurz, ich informiere eben den Notfalldienst !“ 

Der staatliche Cop griff zu seinem Commlink. Überrascht über ihre plötzlich wiederkehrende Schlagfertigkeit hielt sie ihn an 

„Nein David es ist alles in bester Ordnung. Ich brauche keinen Krankenwagen. David, kommen sie … komm bitte näher !“ 

Der junge Mann lehnte sich zu Bittersweet herunter. 

„David … küss mich bitte.“ hauchte sie ihm schwächlich entgegen. Der Officer konnte sein Glück kaum glauben und beugte sich über das Gesicht von Bittersweet, immer noch zögernd und um die Gesundheit der Zivilistin besorgt. 

„Nein, Ms. Lancaster, ich … ähm … wir sollten wirklich … öhm … einen Arzt …“ Weiter kam er nicht, denn die Lippen der arg gebeutelten Frau berührten die seinigen. Er schwebte im siebten Himmel. Ihre Finger umschlungen seinen Hinterkopf und verfingen sich in seinem Haar. 

Sieben Sekunden später setze der Zauber ein, der ihn dieses gar merkwürdige und doch so schöne Ereignis für immer vergessen lassen würden …

***

Es war 22:13 des 31.12.2070. Das Messen ihres Willens gegen den des Geistes hatte überraschenderweise in der Realität sehr viel länger gedauert. Nun ja, überraschen konnte Bittersweet nach den Ereignissen in der Metaebene nichts mehr. Sie saß mit einem schweren, schwarzen Wollmantel und ihrer neuen Glücksmütze auf dem obersten Dach ihres Seattlers Apartment-Skyscrapers. Der Geist, der nun in ihr wohnte, war befriedet und gehorchte ganz und gar dem Willen seiner neuen Meisterin. Es war dennoch ein merkwürdiges, ungewohntes Gefühl für die Hexe. Sie würde den Geist bald wieder freigeben. Aber erst nachdem sie wieder in ihrer Wohnung war. Sie hatte die Kraft des Geistes genutzt um hier auf das Dach des Hauses zu fliegen. Was für Möglichkeiten so etwas mit sich brachte! Es gab noch so viel zu lernen. Noch so viel Wissen. Aber eins nach dem anderen. Aber heute konnte sie feiern. Sie hatte sich erfolgreich initiiert und die Kunst des Kanalisierens erlernt. Nun gut, sie wäre dabei beinahe drauf gegangen, aber halt nur beinahe. Immer noch geschwächt von dem hohen Blutverlust musste sie mit einem Schmunzeln an die letzten Momente zurückdenken. Ihre Haushaltsdrohnen hatten die Sauerei in ihrer Wohnung mit akribischer Arbeit beseitigt, die Nachbarn wurden mit der guten alten „Trid-zu-laut“ Methode beruhigt und David Brenneghan schlief fest auf ihrer Couch. Bekleidet natürlich ! Nein Spaß beiseite, der Kerl hatte ihr Leben gerettet. Sie sollte ihn mal auf ein Café einladen. Er weiß zwar nicht mehr wie er zu der Ehre kommt, aber sie wusste es ja, das sollte genügen. 22:16. Noch war Zeit eine der unendlich vielen Silvesterparties zu besuchen. Snowcat feierte bei den Ancients, soviel wusste sie. Was machten Blacky, Kwalm, Liam und die anderen wohl ? Wie ging es Phil und der Truppe ? Noch war Zeit um irgendwo hinzugehen. Sie baumelte sitzend mit den Füßen über dem Abgrund und fing mit der Zunge eine Schneeflocke auf. Oder sie genoss einfach das Leben. Man hatte nur eines aber dafür konnte es echt klasse sein …

                                                              ~ PHIN ~      

                                                             ✰✰✰✰✰    

Mehr von Bittersweet:      

Der Sprengkörper zerfetze mit einem lauten Knall und sonderte bei seiner Explosion eine Vielzahl weiterer, kleinerer Zylinder ab, die konzentrisch davonflogen. Es dauerte kaum einen weiteren Herzschlag, bevor auch diese winzigen Kanister lauthals barsten und ein die Dunkelheit erleuchtendes, feuriges Farbspektakel von sich gaben.

Die Rakete mischte unerkannt in der chaotischen Symphonie des Feuerwerks mit und füllte die bereits mit schwefeligem Rauch geschwängerte Luft über Seattle weiter an. Natürlich hatten es die Nachrichtensender wieder eintausendmal in ihren Livefeeds erwähnt und hatten darum gebeten, das Silvesterfeuerwerk erst um 0 Uhr abzfeuern, aber es gab wie immer niemanden, der sich and diese Bitte hielt. Ich saß noch immer auf dem Dach meines Apartmentwohnkomplexes in Downtown Seattle, die schweren schwarzen Lederstiefel über die Brüstung baumelnd und die azurblauen Augen gen Himmel blickend, um das alljährliche Spektakel zu bewundern. Die Smaragd-Stadt erleuchtete in einer Myriade von Farben, als ihre zahlreichen Bewohner sich nicht von dem kurz zuvor einsetzenden Schneefall abhielten liessen und ihre schwer verdienten Nuyen mit Hilfe einer Zündschnurr in alle Himmelsrichtungen verpulverten. Ich musste spontan an den Chemiker und Sprengstoffexperten Liam denken. Ob eine dieser Raketen wohl seine Handschrift trug ? Nein, der Gute war durch und durch Profi, er würde sich sein Feuerwerk bis um Mitternacht aufheben, damit die ganze Stadt an seiner Genialität teilhaben könnte. Hey, ich mochte den Kerl, er hatte diesen netten und einfallsreichen Charakter gepaart mit einer Prise Wahnsinn und Aufmüpfigkeit. Eine explosive Mischung die zu ihm passte. Ich spielte kurz mit dem Gedanken ihn anzurufen und ihm ein gutes, neues Jahr zu wünschen. Er würde das schon nicht als Avance missverstehen, also griff ich vorsichtig mit meiner behandschuhten Rechten in die Manteltasche, die das Commlink beinhaltete. Sofort bereute ich die Entscheidung, als ich meinen linken Arm, halbwegs ruhend in einer Dreieckstuchschlinge verborgen, anheben musste. Erneut brandete der Schmerz meines geschundenen Handgelenks durch meinen schmalen Körper. Ich biss die Zähne zusammen und fingerte das Fairlight Caliban heraus...

***

Sie hatte, nachdem sie wieder zu Bewusstsein gekommen, war die Routine des MedPacs noch gut eine halbe Stunde zuende laufen lassen, damit ihr Zustand wieder stabilisiert wurde. Der AutoDoc riet natürlich zu einer sofortigen Weiterbehandlung durch einen lizenzierten Arzt, aber die stur programmierte Intelligenz der Software konnte natürlich nicht wissen, daß sein Patient eine geübte Magiekundige war. Nachdem das MedPac ihr einen bunten Cocktail an Natriumsulfat, Ephidrin und Methamphetamin verabreicht hatte, ging Bittersweet in sich, um die heilende Kraft der Göttin zu kanalisieren. Mit ein paar geübten, wenn auch sehr zittrig und schwach wirkenden Handbewegungen sprach sie arkane Zauber, die sie zum einem von den leichten Drogen der Initiation entgifteten und zum anderen ihre schwere Wunde am Handgelenk, die sie sich während der Besessenheit zugefügt hatte, zu heilen. Es war durch die Nervosität und das ganze Blut keine Leichtigkeit gewesen, aber nach einer weiteren Viertelstunde ging es ihr wieder den Umständen entsprechend gut. 

Sie fragte sich innerlich, wie stark die Hilfe des Geistes, der immer noch in ihr ruhte, gewesen sein mag.„Habt keine Angst, werte Hexe, ich werde Euch helfen. Meine Kraft ist die eure und ich bin euer untertäniger Diener.“ hatte er gesagt. Hatte er sie mit seiner Essenz, seiner Energie, am Leben erhalten ? 

Sie wischte den Gedanken beiseite und rief sich den Officer des Sicherheitsdienstes wieder ins Gedächnis. David Brennaghan lag friedlich schlafend auf ihrer Couch. Sie war sich nicht sicher, ob dies ein Lächeln auf seinen Lippen war, oder ob er einfach nur nett vor sich hinträumte. Bittersweet hatte ein wirklich schlechtes Gewissen, den Mann kurz nach dem innigen Kuss schlafen legen zu müssen und ihm die Gedanken der letzten Minuten zu rauben und zu verändern. Wäre er nicht gewesen, dann wäre sie jetzt höchstwahrscheinlich tot. Elendig in ihrem Zimmer gestorben. Die Musikmags hätten bestimmt ein paar geniale Schlagzeilen für ihren Tod gefunden. 

"CT-Leadsängerin nimmt sich selbst das Leben ! War der Druck zu hoch ? War Tempo im Spiel?" 

Was hätte Phil und die anderen gedacht ? Oh meine Göttin, wie unüberlegt habe ich gehandelt ?! Nein, es tat ihr wirklich ungemein leid, den freundlichen Mann so abfertigen zu müssen. Aber was hätte sie tun können, er war im Begriff ein DocWaggon Team zu holen. Und auch wenn sie sich sicher war, daß ihre gefälschte Magie-Erlaubnis ziemlich sicher war, so wollte sie dennoch keine dumme Fragen beantworten müssen. Denn wo DocWaggon und Argus sind, da sind die Cops von Knight Errant nicht weit. Nein, David, tut mir leid, es musste sein bekräftigte sie ihre Meinung noch einmal. "Ich lasse mir was einfallen, um das wieder gut zu machen" sagte sie zu dem Schlafenden und küsste seine Stirn. Er müsste noch eine ganze Weile weiterschlafen, lang genug um das Chaos hier zu beseitigen und ein wenig frische Luft zu schnappen.

Nachdem sie den Haushaltdrohnen eine komplette Reinigung ihres Wohnzimmer angeordnet hatte, ging sie erneut in sich. Diesmal um zu erspüren, ob der ehemals aufmüpfige Geist noch in ihr war. Es dauerte einen Augenblick, denn diese Technik war der ehemaligen Schamanin noch immer ziemlich fremd, aber dann fand sie ihn. Ein Elementar der Luft, von ihr beschworen und von ihrer Göttin gesandt, schlummerte tief in ihr, bereit ihren Befehlen folge zu leisten. Während eine Schamanin lediglich diese geisterhaften Begleiter beschwören konnte und um einen Dienst bitten musste, so konnte eine Hexe sich von diesen Wesen beseelen lassen. Eine überaus gefährliche Angelegenheit, wie ihr die Ereignisse des letzten Kampfes gegen den Pflanzengeist wieder schmerzhaft in Erinnerung riefen. Besonders der Fakt, daß sie Cannonball angegriffen hatte, verstöte sie zutiefst. Deshalb war ihr die Initiation und die Kunst des Kanalisierens auch so wichtig gewesen. Sie duschte erneut um sich von dem Blut zu säubern, zog sich etwas winterfestes an und stellte sich in die Mitte des Raumes. Die Hexe meditierte noch einmal ein paar Atemzüge lang, festigte ihren Willen und fasste dann ihren ganzen Mut zusammen.

"Oui alors mon ami, dann wollen wir mal sehen, welche Früchte ich nach diesem Kampf ernten kann ... Diener der Göttin, oh mächtiger Geist der Luft, erhöre die Bitte einer treuen Dienerin Lilith´s und gebe mir deine Kraft !" Sich innerlich auf eine weitere Gegenwehr des Geistes wappnend, wartete sie auf die Reaktion. 

"Ich gehorche dir, kleine Göttin ! Was kann ich für dich tun ?" 

"Wohohow, kleine Göttin, das klingt gut !" musste sie mit einem Lächeln zugestehen. "Geist, sei eins mit mir und gewähre mir die Gabe eines Dienstes !" 

"Ganz wie ihr wünscht, kleine Göttin ! Ich höre und gehorche. Was wollen wir mit euren Köper anstellen ?" antwortete der Luftgeist, immer noch ein wenig pikiert über seine Niederlage gegen die Zauberin.Aber er hatte nun keine Wahl mehr. Wenn ein Magiekundiger die Kraft des Kanalisierens beherrschte, so war dieser ganz und gar Herr über seinen Körper. Er teilte sich diesen mit dem Geist, konnte all seine Fähigkeiten benutzen und über die Macht und Gaben des Geistes gebieten ! 

" Nun, probieren wir etwas, das ich kenne !" Sich der Gewissheit sicher, daß sie noch über ein paar Dienste des Geistes verfügte sprach sielaut und bestimmt "Verleihe mir die Macht des Fliegens !"

***

Kichernd musste ich an die ersten Minuten zurückdenken, als ich wie eine Hexe in den alten Trids fluchend unter meiner Wohnungsdecke hing. Ich kannte das Gefühl des Fliegens, hatte ich mich doch schon oft in eine Krähe verwandelt. Aber dieser Zauberspruch konnte mich nicht im geringsten auf die Kraft, die der Geist mir verlieh, vorbereiten.

 Ich wischte mir eine hartnäckige Schneeflocke von den langen Wimpern. 

Diese Art des Fortbewegens war komplett unterschiedlich von dem Flug des Vogels, in den ich mich durch einen komplexen Manipulationszauber verwandeln konnte. Rabenschrey hatte mir dieses Kunststück gezeigt. Als eine Art ... kleine Gegenleistung. Aber die Kraft, die mir der Bote der Göttin verlieh war unglaublich ! Nur durch meinen Willen konnte ich mich duch die Luft fortbewegen. Was für ein Geschenk mir zuteil wurde ! 

Nach ein paar albern anzusehenden Trockenübungen in meiner Wohnung hatte ich nach ein paar Minuten den Trick heraus. Ich rieb mir gedankenverloren den Oberschenkel, der einen großen blauen Felck von einem Zusammenstoß mit der Wand trug und sog die kalte, rauchige Luft auf dem Dach ein. Hier stand ich, völlig ramponiert und fertig auf der Bereifung, aber ich lebte.

"Ich lebe und kann fliegen. Ich lebe, kann fliegen, Geister beherrschen und meine Magie ist stärker denn je geworden. Wow, Happy New Year kleine Göttin Phine" sagte ich zu niemanden bestimmten und doch zur ganzen Stadt. 

"Ich lebe."

 Es klang so einfach, so simpel, nur vier kurze Buchstaben. Ich holte mir die halbvolle, oder sollte ich halbleere sagen, Packung Zigaretten aus der Tasche und wollte mir eine als kleine Belohnung gönnen. Aber irgendetwas lies mich inne halten. Ich starrte auf die Packung und in einer Laune warf ich sie im hohen Bogen in die Häuserschluchten unter mir. Auf dem Zenith ihrer Flubahn schnippte ich mit den Fingern und die Schachtel entzündete sich, um dann kokelnd und unmotiviert nach unten zu gleiten. 

Ich weiß nicht, ob es diese alberne "gute Neujahrsvorsätze"-Masche oder etwas anderes war, auf jeden Fall hatte ich das Gefühl das richtige zu tun. Mir kam plötzlich in den Sinn, daß ich eigentlich Liam einen guten Rutsch wünschen wollte, bevor ich in Erinnerungen versunken war. Ich schaute auf das Fairlight. Keine Nachrichten. Es ist dieses merkwürdige Phänomen, daß niemand den ersten Schritt machen mag. Man denkt  wahrscheinlich, daß man somit Schwäche zeigt oder zu gutmütig rüberkommt, aber Fakt ist, daß dieses kindische Verhalten doch ganze Beziehungen oder Freundschafte kaputt machen kann. Ich hatte gehofft, daß Phil, Mandy oder Danny zuerst schreiben würden, ich bin da nicht anders. Sie hatten es nicht getan, und ich hätte wetten können, daß sie ebenfalls nervös wartend auf meinen ersten Schritt vor ihren Commlinks saßen. Wo sollte das im nächsten Jahr mit CT noch hinführen ? Ich liebte die Band, die wilden Jungs und meine Gefühle für Mandy waren sowieso ganz besondere. Eineinhalb Jahre waren wir ein Paar gewesen, so etwas verfliegt nicht so schnell. Dennoch war ich glücklich, daß sie Mr. Perfect gefunden hatte. Ich fühlte mich ein wenig schlecht, denn ich konnte mich nicht einmal an seinen richtigen Namen erinnern. Wir hatten den Olymp erklommen, nun gut, sagen wir mal einen anständigen Hügel, aber es war ein erfolgreiches Jahr. Ein Jahr, daß ich durch meine Abwesenheit arg in Gefahr gebracht hatte. Phil war tempoabhängig. Einen Fakt, den ich auf jeden Fall, Band hin Band her, wieder in Ordnung bringen musste. Mir fehlte jegliche Idee, wie ich die "Arbeit" mit dem "Job" unter einen Hut bringen konnte, beide waren mir ungemein ans Herz gewachsen, die Menschen die dahinterstanden waren mir sehr teuer. Aber diese Frage musste warten, am wichtigsten war es jetzt Phil wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Ich schrieb den dreien eine Nachricht auf ihr Commlink. Den Inhalt möchte ich hier lieber nicht wiedergeben, man hätte mich sonst noch als schwülstig, lieb und "nett" bezeichnet. 

Ein Sache, die meinem Ruf garnicht gut getan hätte.

Endlich konnte ich auch meine Nachricht an Liam absetzen. Ich entschied mich auch hier für eine Textnachricht, ich war momentan einfach kein Fan von großen Worten, zu stark ruhte der Schatten der Strapazen der letzten Monate und der Schmerz über den Verlust meiner Kollegen und Freunde auf meinem Gemüt. 

Als ich die Leute kennenlernte, hatten sie gerade drei ihrer Freunde verloren. Ich kannte Craven, Lestrat und OC nicht, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß solch ein Verlust sehr schmerzhaft war. Mittlerweile gehörte ich neben Snowcat und Blackstone schon zum "alten Eisen". Denn nachdem leider auch Fiddler, Candy und Cannonball von uns gegangen waren, blieb nicht mehr viel von der alten Clique übrig. Gedankenverloren summte ich den Song, den ich zu Fiddler´s Ehren geschrieben hatte, vor mich her. Candy mußte ihn wirklich geliebt haben, wenn sie den Freitod gewählt hatte. Ich juchzte laut vor mich her, Hurra, echte Liebe existierte also doch ! 

Ich mußte an den Zwerg Blackstone denken. Ruhig und gelassen in der Hitze eines Gefechtes, ein Fels in der Brandung, immer auf die Sicherheit der Damen im Team bedacht. Liebend gerne hätte ich ihm gesagt, daß er auf sich selber auch einmal ein Auge werfen sollte, sein Wohlergehen war uns doch auch wichtig. Er trug die schweren, nicht heilenden Wunden eines Vampirbisses an sich und warf sich trotzdem mutig einem Schattengeist entgegen, wissend das es ihm nicht gut ergehen würde. Ich mochte den Zwerg wirklich sehr, umso mehr Sorgen machte es mir zu sehen, wie er sich systematisch aufopferte. Na gut, nun hatte auch er eine Agenda zu laufen. Einen persönlichen Rachezug gegen seinen Vater. Eine Aufgabe, von der ich nichts verstand, aber Blackstone hatte mir versprochen, mit uns darüber zu reden. Wenn er denn gewillt war. Es war seine Wahl, aber ich würde ihm die Bitte nach Hilfe nicht abschlagen. Wer weiß, vielleicht fand ich sogar einen Weg, auf magischen Wege ein klein wenig sein Leiden zu lindern. Ich schickte ihm und Kwalm die gleiche Nachricht für ein glückliches, neues Jahr, denn mit den dicken Wollhandschuhen war es recht schwierig, etwas halbwegs koherentes zu schreiben. 

Kwalm. Auch er war ein merkwürdiger Mann. Die Ruhe im Feuergefecht, immer die Übersicht behaltend und klar im Verstand. Ich war mir noch nicht ganz klar, was ich von ihm zu halten hatte. Ein Sammy, der in der Kunst des arkanen Formelschreibens bewandert war ? Eine merkwürdige Mischung. Aber hätten wir ihn nicht gehabt, so wäre der Kampf gegen den Pflanzengeist defintiv anders ausgegangen. Es tat mir leid, daß ich vorgeschlagen hatte, ihn zum Teamleader zu machen. Ich hielt, nein ich halte ihn immer noch für genau den richtigen Mann für diesen Job, aber ich habe nie an die Nebenwirkungen gedacht. Ein Führer, der sich um seine Leute kümmert, kommt früher oder später nicht umher, etwas für diese zu empfinden. Wenn die Leute dann plötzlich wie die Fliegen sterben, wie nah geht es diesem dann ? Für mich war es ein Einfaches gewesen Kwalm vorzuschlagen, aber konnte er mit den Verlusten leben ? Wie stark nahm er es sich zu Herzen ? Ich konnte auch in ihm die Dämonen sehen, die mich auf gewisse Art und Weise plagen. Der verbissene Kampf gegen etwas, was die Welt allgemein als böse oder dämonisch sieht, macht einen anderen Menschen aus einen, ob man nun mag oder nicht. Dies ist der Preis, den wir zahlen müssen. Welchen Preis hatte er bisher gezahlt ?

Ich verwendete die gleiche Nachricht von eben, veränderte nur schleunigst die Namen um sie ein wenig persönlich zu gestalten und schickte Scorpion, Nethertalk, Hellboy, Dodger und Hotwire meine besten Neujahrswünsche. Auch Smirk erhielt diese Mail. Der Night One war sehr mutig gewesen, aber noch kannte ich ihn kaum. Konnten wir ihm wirklich trauen ? Ich kannte bisher einen Night One und der war ein echter, nun sagen wir mal Risikofaktor. Aber Smirk war nicht Warlock und man musste die Zeit entscheiden lassen, wie es mit dem Team weiterging. Bisher war er auf jeden Fall einen sehr gute Ergänzung für unser Team.

Langsam wurde es kalt auf dem Dach, der Wind und diverse Raketen zischten mir um die Ohren und ich beschloss nach einem Blick auf die Uhr (sie zeigte 22:54) wieder in mein Zimmer zurückzukehren. Dort angekommen entliess ich den Geist mit meinen besten Dank und war froh, erst einmal meinen Körper wieder alleine für mich zu haben. Dies war auf jeden Fall stark gewöhnungsbedürftig und es würde eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hatte.

Ich setze mich neben Officer Brennaghan, der immer noch fest schlief. Nur noch eine Person fehlte. Leider nur noch eine. Cannonball war nicht mehr da. Der hilfsbereite, freundliche, fröhliche, actionliebende Zwerg war tot. Ich wußte, daß mich der Geist mit meiner Unfähigkeit ihn zu retten nur provozieren wollte, aber innerlich tat es mir sehr weh, daß ich nichts für ihn tun konnte. 

Was mich zu Snowcat bringt. Wenn ich das damals aus den Stories richtig rausgehört hatte, dann war Craven in ihren Armen gestorben. Craven. Der Elf schien mehr wie nur ein guter Freund und Mentor für die wunderschöne Elfe gewesen zu sein. Was sie wirklich verband, kann ich nur erahnen. Cannonball. Der Zwerg hatte trotz seines radikalen Auftretens etwas geschafft, was sonst kein anderer von uns hätte schaffen können. Er hatte Snowcat über den Tod von Craven hinweggetröstet. Sie wieder aufgemuntert, sie wieder zurück ins Leben gebracht. Nun war auch er tot. Gestorben in ihren Armen. Ich hätte gerne etwas für sie getan. Liebend gerne, mehr als alles andere in der Welt hätte ich ihr helfen wollen. Sie hatte sich in den letzten Monaten rührend um mich gekümmert, dabei hatte sie selber allergrößten Grund, in tiefen Sorgen zu versinken. Ich war mir verdammt sicher, daß hinter all dieser übernatürlichen Schönheit ein paar tiefe Sorgenfalten und Trauer liegen. Aber sie feierte heute bei den Ancients. Ein Ort an dem ich, und wohl auch kein anderer klar denkender Mensch, sein Silvesterfest auf keinen Fall verbringen mag. Ich wählte ihre Nummer, nur um nach dem ersten Klingen sofort wieder aufzulegen. Ich entschied mich feigerweise für eine Textnachricht, in dem ich ihr schrieb, daß ich für sie da sein würde, wann immer sie eine Schulter zum Ausheulen brauchte. Oder einfach eine gute Freundin zum shoppen etc. Mir war leider verdammt klar, daß ich mich damit in Teufels Küche begab, den meine Gefühlswelt kam eh sehr stark ins Schwanken, wenn ich an die bezaubernde Elfe dachte.

23:02 So, das neue Jahr konnte kommen. Ich hatte ungefähr der halben Welt versprochen sie zu retten. Keine ganz so kleine Aufgabe wie mir schien. Zumal ich es gerade einmal so mit Ach und Krach geschafft hatte, selber die Kurve zu kratzen. 

Aber hier bin ich und lebe. Bereit die Welt zu retten. Oder so.

23:10 Zwei Tassen dampfend heisser Kaffee standen vor mir und Officer Brennaghan. Dem wachen, wenn auch leicht benebelten David Brennaghan. Ja, ich hatte ihm das Du angeboten und er war darüber überaus glücklich. Er war noch weitaus glücklicher darüber, daß ich ihm geholfen hatte, nachdem er "während des hin und wieder in dieser Gegend vorkommenden Stromausfalls innerhalb seiner Patrouille versehentlich gestolpert und in meiner Etage unglücklich auf den Kopf gefallen ist." Ich hatte ihm versprochen, seinem Boss nichts zu sagen und er genoss sichtlich die angenehme Atmosphäre meines wieder aufgeräumten Wohnzimmers und den wohltuenden Kaffee. 

Ich schaute auf mein Commlink und stellte fest, daß mehrere Antworten eingegangen waren. Würden es wichtige sein ? Ich rief das Nachrichtenprogramm auf und begann zu lesen. Wenn es nichts weltbewegendes war, hatte ich ja noch "rein zufällig" eine Flasche Sekt kaltgestellt. Und mein schwarzes, seidenes Abendkleid mit viel Spitze und genau dem richtigen Ausschnitt lag ja auch "rein zufällig" ganz oben auf dem Kleiderstapel.

Hey, immerhin lebe ich noch.

                                                            ✰✰✰✰✰                                     

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*