Termin 27/12 am 19.10.12 Run 40/5

Folgende Charaktere befinden sich derzeit „On The Run“: Average, Blackstone, Gumshoe, Mystique, Riven, Twinbow, Sunrise und Snowcat. 

Datum der Ereignisse in unserer SR-Timeline: 2.+3. April 2072

Ein Termin bei dem alle Spieler anwesend waren. Aus diesem Grund wurde der Charakter Gumshoe spontan an Bord des Luftschiffes ,teleportiert‘. 

Die Suche nach dem zweiten Teil von Shantayas Kompass, einer wertvollen Kette mit magischer Aura, hat die Runner an Bord der Aman Iki geführt. Das Luftschiff fliegt über der sich bewegenden Stadt Karavan und führt sie an. (Achtung, enthält Spoiler für "Dawn Of The Artifacts Part 4: New Dawn" by Catalyst Game Labs.) 

Die Ereignisse fügen sich nahtlos an die des vorherigen Spieltermins an und sind wie immer aus der Sicht von Snowcat beschrieben. 


Zurück in der Kabine suchte Snowcat die winzige Dusche auf. Das Wasser an Bord der Aman Iki war verständlicher Weise in einem gewissen Maß rationiert. Die Dusche selbst war mit einem Timer versehen, der auf vier Minuten eingestellt war. Wollte man länger duschen, musste man sich weitere Minuten vom System genehmigen lassen. Vier Minuten waren mehr als genug Zeit für die Elfe. Sie achtete darauf, ihr Haar nicht nass werden zu lassen und verließ die Dusche nach 3 Minuten und 30 Sekunden. Vor dem Spiegel kontrollierte sie den Bronzeton ihrer Haut und das Schokoladenbraun ihres Haars. Sie stieg in den ärmellosen Catsuit, band sich die Bauchtasche mit der falschen Kette aus Hong Kong um die Hüfte und zog das einfach geschnittene, aber farbenprächtige Kleid über, welches Mystique ihr gestern gezaubert hatte. Den Abschluss des heutigen Outfits bildete der Waffenholster für ihre Fubuki, denn auch an Bord der Aman Iki lief jeder bewaffnet herum. Unbewaffnet zu sein, hieß unangenehm aufzufallen. 

Mystique lächelte sie an: „Du bist genauso hübsch wie gestern.“

„Gut“, Snowcat zwinkerte Mystique zu. „Dennoch schadet es nicht, mich noch ein wenig hübscher zu machen. Kannst Du mir vielleicht noch einmal mit ein wenig Make Up aushelfen?“ 

„Klar, bedien Dich!“, Mystique gab Snowcat einen kleinen Koffer aus Hartplastik, in dem sich professionelles Visagisten-Make Up befand. 

Als Snowcat fertig war, legte sie noch einen Tropfen ,Kiss Of Winter‘ auf, schlüpfte zurück in ihre Koje, nahm das Kopfkissen in den Arm, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Magie in ihrer Umgebung. Einige Meter von ihr entfernt konnte sie die Präsenz von je zwei Kraftfoki und zwei Shielding-Foki spüren. Nicht einmal zwei Meter weiter nordwestlich ertastete sie die duale Gestalt des Drakes. Masaaki bewegte sich nur wenig, offenbar waren die Japaner also noch in ihren Kabinen. An Masaaki befestigt waberte der mächtige Strang eines Zaubers durch den Astralraum. Ob man wohl direkt in einem Drachenhort landen würde, wenn man seiner Spur folgte? Der Gedanke ließ Snowcat schmunzeln, jagte ihr aber gleichzeitig einen kalten Schauer über den Rücken. Snowcat löste ihre Wahrnehmung von Masaaki und schlich auf den selben geistigen Samtpfoten davon, auf denen sie gekommen war. Am Rande ihrer Wahrnehmung lauerte eine weitere astrale Signatur. Das goldene Flimmern mit filigranen Mustern ließ kaum einen Zweifel daran, dass das die echte Kette Shantayas war. Snowcat öffnete ihre Augen und beendete damit die Reise ihres Sinns. 

Die Elfe tippte eine Nachricht in ihr Commlink und verteilte die Message an das Team. Diejenigen, die noch schliefen, würden die verschlüsselte Botschaft einfach später aufrufen können: ,Die Kette ist an Bord. Irgendwo im Bug.‘ Laut sagte sie zu Mystique: „Wie wäre es mit Frühstück?“

Snowcat kontaktiere Tapio und kurz darauf klopfte es an der Kabinentür. Tapios Gesichtsausdruck war unfreundlich wie am Tag zuvor. Die Galauniform des mürrischen Zwergs saß tiptop und erneut strafte sein Tonfall seinen freundlichen Guten-Morgen-Gruß Lügen, allerdings erwiderte er Snowcats Lächeln, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Monoton erklärte er, dass in der Schiffsmesse ein kleines Frühstücksbüffet aufgebaut worden war und er die Damen nur all zu gern dorthin geleiten würde. Er schien ein wenig enttäuscht, als Snowcat ihm nicht erlaubte, die anderen der Gruppe zu wecken. Am Büffet, welches aus einer reichhaltigen Auswahl an Fladenbrot, Konfitüren, würzig eingelegtem Gemüse, getrockneten Datteln, Feigen, Honigkuchen und ausreichend Kaffee und Tee bestand, trafen sie auf Blackstone, der als einziger aus dem Team bereits ebenfalls wach war. Mystique filmte das Angebot und schickte den Feed an Average.

„Danke. Zu gütig. Ich liebe Widerholungen.“, kam es von ihm gereizt.

Mystique blickte Blackstone fragend an. Der dunkelhäutige Zwerg zeigte seine strahlend weißen Zähne in einem breiten Grinsen. 

Die Drei suchten sich einen kleinen Tisch und nahmen dort Platz. Tapio hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und sagte: „Scheuen Sie sich nicht, mich jederzeit zu stören, wenn Sie etwas benötigen.“, dann entfernte er sich ein paar Schritte, ungefähr so weit, dass er sich außer normaler Hörreichweite befand und beobachtete sie mit ausdrucksloser Miene. 

Mystique grinste breit und meinte: „Tapio steht auf Dich.“

Snowcat lachte leise: „Ja, ich glaube auch, dass ich sein Herz im Sturm erobert habe. Wahrscheinlich wird er mir schon morgen Geschenke machen wollen.“

In diesem Moment betraten die sieben Japaner die Messe. Masaaki nickte Snowcat freundlich zu und sie erwiderte seinen Gruß mit einem strahlenden Lächeln und einer leichten und sehr eleganten Verbeugung. 

Snowcat wartete, bis die Japaner an einem anderen Tisch Platz genommen hatten, überlegte einen Moment und meinte dann zu ihren zwei Freunden: „Wie wäre es, wenn wir versuchen den ,Ort‘ ein wenig genauer zu lokalisieren? Vielleicht entdecken wir ja eine ungeahnte Möglichkeit.“

Mystiques Augen blitzen auf, sie trank einen schluck Tee bevor sie antwortete: „Gute Idee. Tapio hatte uns ja schon gestern eine Führung versprochen.“

Blackstone nickte: „Ich bin eh gerade fertig mit Frühstück. Lasst uns loslegen.“

Tapio machte keinen Hehl aus seiner Begeisterung für diese Idee, doch er trug sein grausames Schicksal tapfer, wie ein ganzer Kerl. Snowcat musste quasi ein Dauergrinsen unterdrücken, als er erneut fragte: „Und Sie sind sicher, dass ich nicht zunächst die anderen Mitglieder ihrer Gruppe wecken soll?“

Statt zu grinsen lächelte Snowcat charmant: „Ja, ich bin sicher, die anderen brauchen ihren wohlverdienten Schlaf!“

Tapio seufzte herzhaft und verbeugte sich dann höflich: „Selbstverständlich. Es ist ja auch überhaupt kein Problem die Führung zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu wiederholen, wenn die anderen das wollen, ich habe ja nichts Besseres zu tun.“ So wie es Snowcat stets gelang, jede Bewegung mit perfektionierter Grazie auszuführen und jedem Satz die passende Betonung zu verleihen, so gelang es Tapio mit jeder seiner Äußerungen und seiner Gesten seine Abneigung gegenüber seinen ,Gästen‘ kundzutun. Dementsprechend begann er mit seiner im gelangweilten Ton vorgetragenen Führung in der Messe und sie hörten den Text, den sie bereits gestern gehört hatten: „Hier befinden wir uns in der sogenannten Messe. Bitte beachten sie die geschmackvollen Sitzmöbel, die handgewebten Teppiche und die echten Stoffe an den Wänden. Die elektrische Beleuchtung ist den Kronleuchtern des Barrocks nachempfunden, teilweise handelt es sich sogar um Original-Lampen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, natürlich ist alles technisch auf dem modernsten Stand und entspricht den energiesparenden Anforderungen...“

Snowcat blendete Tapios Erläuterungen in den Hintergrund und betrachtete stattdessen die Einrichtung der Aman Iki genau. Die Stoffe an den Wänden waren echt, schwer und sie waren farblich aufeinander abgestimmt. Den dicken Perser-Teppichen sah man zwar an, dass sie benutzt wurden, Verschleißspuren markierten die viel begangenen Wege, dennoch hatten die Farben der Orient-Muster nichts von ihrer Brillanz verloren. Die Lüster an den Wänden waren vergoldet und die Lampen darin gaben ein warmes, gelbes Licht ab, was dem von Kerzen nachempfunden worden war. Am meisten faszinierten Snowcat jedoch die Kronleuchter, an denen unzählige geschliffene Glas- und Plastiksteine baumelten, die je nach Bewegung des Luftschiffes sanft klackerten und klirrten. 

Nach 25 Minuten Führung hatten sie alles, was ihnen Tapio gestern gezeigt hatte, ein zweites mal zu sehen bekommen. Der uniformierte Zwerg schloss mit den Worten: „Hier nahe der Lade gibt es aus verständlichen Gründen keine Stoffe mehr an den Wänden. Dafür wurde der gesamte Bereich mit zahlreichen Holzornamenten versehen. Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.“

Snowcat lächelte Tapio an: „Ich bedanke mich für Ihre nette Führung. Es war mindestens so interessant wie beim letzten Mal und nun würden wir gerne die Bereiche kennenlernen, in denen wir noch nicht waren.“

Tapio seufzte erneut vernehmlich: „Sind Sie sicher, dass Sie den recht beschwerlichen Aufstieg zur oberen Aussichtsplattform wagen möchten?“

Snowcat blieb bei ihrem warmen, charmanten Tonfall: „Ja, wir sind uns sicher, dass wir das wirklich gerne sogleich wagen möchten.“

Der Zerg verzog das Gesicht, als würde ihm der nächste Satz Schmerzen bereiten:„Wunderbar, das hatte ich gehofft! Und ich soll auch dafür nicht den Rest ihrer Gruppe wecken?“

„Nein, vielen Dank!“

Noch tiefer seufzend machte sich Tapio auf den Rückweg zur Messe. Mystique, Blackstone und Snowcat folgten ihm schmunzelnd. Als sie die Messe erneut durchquerten, wiederholte Tapio seine Sätze von vorher, allerdings waren einige seiner englischen Worte völlig unverständlich. Ohne hinzusehen zeigte er auf die Wände oder Tische und murmelte: „ Echte Stoffe... Teppiche... geschmackvolle...“

Die kleine Gruppe betrat einen Gang, in dem Snowcat zuvor noch nicht gewesen war, und sie bewegten sich tiefer in Richtung Bug des Luftschiffes. Hinten waren Wachposten zu sehen. Tapio erklärte halbherzig etwas von Kabinen der Besatzung, Kapitänskajüte und Brücke. Nach wenigen Metern bogen sie in einen Gang rechts ab, den Tapio entschlossen bis zum Ende ging. Dort angekommen hielt er seine Schlüsselkarte vor eine Tür. Das Lämpchen am Kartenleser flackerte kurz, sprang dann auf grün und die Tür fuhr zischend in die Wand. Dahinter befand sich ein 4 Meter breiter Gang, der offenbar links und rechts das gesamte Luftschiff entlanglief. Bei der gegenüberliegenden Wand handelte es sich um die Außenwand des Luftschiffes. Hier gab es keine Teppiche. Die Motoren der Aman Iki waren lauter zu hören und das Summen hallte von der hohen Decke wieder. Überall waren Verstrebungen, Leitern und Catwalks zu sehen, die sich wie ein Skelett durch diesen Bereich des Luftschiffs zogen.

Außer den aufgemalten Pfeilen, die auf Notausgänge hinwiesen, gab es keinerlei Markierungen, aber Snowcat war sich ziemlich sicher, dass das anders war, wenn man wie Tapio als Crewmitglied am Schiffssystem angemeldet war. 

Die Schritte der vier Metamenschen hallten ebenfalls auf dem blanken Boden. Blank war dabei genau das richtige Wort, denn Snowcat entdeckte nicht einen Staubkorn oder einen Schmutzfleck. Während sie den Gang entlanglief, streckte sie kurz ihren magischen Sinn aus, um nach der Kette zu spüren, dann markierte sie den Standort auf einer imaginären Karte vor ihrem inneren Auge. Vor dem Bereich hatten die Wachen gestanden, wahrscheinlich lag das gute Stück in der Kajüte des Kapitäns. 

Nach weiteren Metern kamen sie zu einer relativ steilen Treppe mit Geländer, die Tapio direkt ansteuerte. Dort oben befand sich die zweite große Aussichtsplattform und die Aussicht von dort war wirklich atemberaubend. Die gewölbten riesigen Fenster verstärkten den Eindruck man fliege selbst dermaßen, dass Snowcat das Gefühl bekam, sie könne den Flug mit ihren schuppigen Schwanz lenken, den sie in ihrer elfischen Gestalt nicht einmal hatte.

Auch hier gab es Tische und Bänke und dieser Bereich war sogar wieder mit einem dicken Orient-Teppich ausgelegt. Tapio empfand hier soviel Stolz auf sein ,zu Hause‘, dass er dabei sogar vergaß grimmig dreinzublicken. Snowcat, Blackstone und Mystique setzten sich und genossen eine Zeit lang schweigend den bedächtigen Flug. 

Zurück in der Messe war Tapio dann wieder der Alte. Er verbeugte sich mit ernster Miene und betonte abermals, man solle ihn nur rufen, wenn man noch etwas benötigte. Snowcat bedankte sich, nahm sich ein Tasse Mokka vom Frühstücksbuffet und zog sich dann mit Mystique und Blackstone zu einer Sitzgruppe auf der unteren Aussichtsplattform zurück.

Snowcat stellte eine Commlinkverbindung zu Beiden her und fragte: „Was haltet ihr denn davon, wenn wir versuchen den Austausch so bald wie möglich vorzunehmen? Als Besatzungsmitglieder verkleidet sollte es Mystique und mir gelingen, in die Kapitänskajüte vorzudringen. Wenn also feststeht, dass der Kapitän nicht in seiner Kabine ist und Tapio zum Beispiel damit beschäftigt ist Sunrise, Gumshoe, Twinbow und Riven durch das Schiff zu führen, dann könnten wir versuchen das Objekt auszutauschen. Wir wären dann nicht mehr von den Verhandlungen abhängig und selbst wenn wir uns das Teil nicht schnappen können, dann könnten wir zumindest heraus bekommen, wo die Kette genau aufbewahrt wird.“

Blackstone strich sich über den kurzen weißen Bart und nickte: „Klingt gut in meinen Ohren. Ich bleib in eurer Nähe und hallte mich bereit, falls ihr Hilfe braucht.“ 

Auch Mystique war einverstanden. „Allerdings müssten die anderen dazu zumindest wenigstens wach sein.“

Wie auf Stichwort meldeten sich Gumshoe und Sunrise über den Teamkanal und gaben bekannt, dass sie nun Frühstücken gehen würden. Es war jetzt 10.16 Uhr. Nicht einmal vier Minuten später meldete sich Riven und fragte, wo Snowcat denn so sei. Snowcat bat die schöne Hexe, ebenso wie die anderen drei Teamkollegen, zur unteren Aussichtsplattform zu kommen, wenn sie mit dem Frühstück fertig wären. 

Wenige Minuten später erschienen Twinbow und Riven -die auch heute wieder wie eine junge Frau arabischer Herkunft aussah - Arm in Arm am Tisch und setzten sich auf zwei Sessel nebeneinander. Riven strahlte deutlich mehr gute Laune aus, als noch wenige Stunden zuvor. Sie schien den Rat beherzigt zu haben und ihre Zeit mit Twinbow zu genießen. 

Sunrise grinste über das ganze Gesicht, als er mit Gumshoe im Schlepptau zu ihnen stieß. Fröhlich prahlte er von seiner Nacht mit Trisiphone. Zumindest hatte sie ihn dazu bekommen, die Mütze abzusetzen. Auch er trug nun, wie Twinbow, wieder eine einfache graue Mütze. 

Gumshoe schmunzelte über die Begeisterung seines jungen Freundes und bot ihm ein wenig ,Kraftstoff‘ aus seinem Flachmann an. Snowcat seufzte innerlich, Alkohol noch vor 11.00 Uhr war nicht gerade ein Zeichen von Professionalität, aber so lange die Runner nicht betrunken davon wurden, sollte es ihr Recht sein. 

Twinbow fragte scherzend: „Hast Du denn auch was über das Mädchen rausbekommen Sunrise? Also ich meine mehr als ihre Qualitäten im Bett?“

Sunrise grinste jungenhaft: „Niet, aber wir haben auch nicht viel mit einander gesprochen. Ist teilweise ganz schon wild die Kleine, aber...“

Snowcat unterbrach ihn: „Vielleicht könntest Du das nur denen erzählen, die es interessiert.“

Sunrise verlor den Faden und verstummte. Riven grätschte ein: „Oh, mon ami, solange Du  nicht mehr über Dich verraten hast, als Du später noch gut findest, ist alles in Ordnung!“

Das Grinsen auf Sunrises Gesicht kehrte zurück, „Niet, niet. Ich sagte ja schon, wir haben nicht viel mit einander gesprochen. Es...“

Diesmal wurde er von Blackstone unterbrochen, „Wie wäre es, wenn wir jetzt mal zu dem Thema kommen, warum wir eigentlich hier sind.“

Über Twinbows Gesicht huschte ein schelmischer Ausdruck: „Ach, wir sind aus irgendeinem Grund hier?“ 

Blackstone strafte ihn mit einem bösen Blick, der er wie einen gegnerischen Zauber einfach abprallen ließ. Riven legte Twinbow beschwichtigend die Hand auf den Oberschenkel und Gumshoe sagte: „Blackstone hat Recht, das andere hat noch Zeit.“ Leise und ins Mikro des Commlinks gesprochen fuhr er fort: „Also Snowcat, ich hab gelesen, Du weißt inzwischen, wo die Kette ist?“

Snowcat nickte und erläuterte den anderen, was sie herausgefunden hatte und was sie demzufolge planten. „Riven, könntest Du noch eine Körpermaske auf mich sprechen und gleichzeitig an Tapios Führung teilnehmen?“

Naturellement!“, war die kurze, knappe Antwort. 

Snowcat war erfreut, das zu hören. Sie wandte sich an Mystique: „Und Du kannst Dich als ein typischer Mann an Bord verkleiden?“ 

Mystiques Antwort fiel noch knapper aus: „Ja.“

Snowcat trank einen weiteren Schluck Mokka „Gut. Dann lasst uns das so bald wie möglich durchziehen. Wir müssen nur sicher sein, dass der Kapitän beschäftigt ist.“

Gumshoe schien zu überlegen und sagte dann: „Ihr solltet Euch aber zunächst nur umsehen und nicht gleich zuschlagen, nicht dass ihr im Eifer des Gefechts überrascht werdet oder, dass die Gefahr besteht, dass der Kapitän den Austausch bemerkt.“

„Hmm?“, auch Snowcat überlegte kurz, „ich denke, wenn die Gelegenheit günstig ist, werden wir die Kette austauschen, aber wir werden sicher nicht zu viel riskieren.“

Sunrise nickte und begann dann wieder damit, von der gestrigen Nacht zu sprechen. Außerdem verkündete der Mann mit dem russischen Akzent seine Pläne für heute Nacht, er wollte sich eine der beiden anderen Furien schnappen, was von Average mit einem ,Ja, macht nur Pläne für heute Nacht. Ich sitz ja hier als einziger gelangweilt rum.‘ und von Gumshoe mit einem ,Warum nur eine?‘ kommentiert wurde.

Als Riven und Twinbow in die entspannte fröhlich Unterhaltung mit einfielen und sich auch noch Megara von den Furien zu ihnen gesellte und fragte, ob sie sich setzten dürfe, nickte Blackstone Mystique und Snowcat zu und deutete mit dem Kopf an den Nachbartisch. Die beiden Elfinnen, von denen heute nur Snowcat wie eine Elfe aussah, folgten seiner Aufforderung gern. 


Gegen 12.00 Uhr Mittags wurden die Japaner zum Gespräch mit dem Kapitän gebeten. Das war für die Runner die Gelegenheit. 

Snowcat winkte Tapio zu sich, um ihn um eine Führung für die anderen zu bitten. Diesmal sah der Verbindungsoffizier wirklich richtig verärgert aus, dennoch verbeugte er sich und meinte: „Es wird mir eine Freude sein.“ 

Snowcat lächelte ihn an, „Das ist schön. Ich werde mich inzwischen ein wenig ausruhen. Danke Tapio.“

Tapio warf Snowcat einen Blick zu, der Milch sauer werden lassen konnte. Snowcat beugte sich ein wenig zu ihm runter und sagte im charmanten Ton: „Ich werde Ihre Großzügigkeit und ihre Professionalität lobend bei meinem Treffen mit dem Kapitän erwähnen.“, etwas leiser fügte sie hinzu: „Und keine Sorge, Sie haben zumindest schon fast die Hälfte der Zeit mit uns hinter sich.“ Snowcat blickte dem Zwerg tief in die Augen und nach einem Moment entspannten sich seine verbissenen Gesichtszüge. 

Damit Riven die Körpermaske auf Snowcat zaubern konnte, kam sie noch kurz mit in die Kabine, um sich frisch zu machen. Nur wenige Sekunden später sah Snowcat aus wie ein Mann, den sie hier an Bord schon einmal gesehen und gehört hatten. Hierbei kam es nicht darauf an, eine perfekte Kopie geschaffen zu haben. Eine simple Täuschung für die Augen der Wachen reichte völlig aus. Snowcat und Mystique musste niemanden bestimmten darstellen, sie musste einfach nur nicht auffallen, wenn sie im Bug der Aman Iki umherliefen. „Lasst Euch bitte jede Menge Zeit bei der Führung.“, sagte Snowcat noch ins Commlink. 

„Copy.“, kam es von Gumshoe kurz darauf zurück und sogleich konnte Snowcat über den Knopf im ihrem Ohr hören, wie Gumshoe detaillierte Fragen an Tapio stellte. 

Mystique hatte sich inzwischen ebenfalls ,umgezogen‘. Blackstone wartete vor der Tür und gab den beiden Frauen das Signal, dass die Luft rein war. Dann nahm der Zwerg erneut in der Messe Platz und setzte sich so, dass er den langen Gang in dem die Wachen standen einsehen konnten.

Der Rest der Runner war noch immer in der Messe, wo Tapio gerade seinen Text über die Stoffe runter gerattert hatte. Gumshoe stellte offenbar dermaßen viele Fragen, dass sich auf Tapios Stirn schon Zornesfalten gebildet hatten. Riven und Twinbow hatten sich sogar wieder gesetzt und ein Hauch von Verwirrung war auf ihren Gesichtern zu erkennen. 

Perfekt, denn Zeit brachte das allemal. 

Zielstrebig und ohne zu zögern betraten die beiden als Männer verkleideten Frauen den Gang. Sie unterhielten sich auf Finnisch, was der Illusion den letzten Schliff verlieh. Die Wachen am Ende würden sehen, was sie erwarteten zu sehen. Wie zur Bestätigung nickten sie ihnen aus der Ferne kurz zu. 

Bei nächster Gelegenheit bogen Snowcat und Mystique links in einen Gang ab, in dem keine Wachen standen, um kurz darauf wieder links abzubiegen. Auch hier gab es keine Wachposten.

Snowcat fühlte noch einmal nach, nun waren sie der Kette ziemlich nahe. Kurz vor der Kreuzung blieb Mystique stehen und kramte ihn ihren Hosentaschen, so als wolle sie ihrem Kollegen etwas zeigen. Snowcat warf einen Blick in den Gang recht. Auf einer Tür dort stand „Kapteeni“, man musste kein Finnisch sprechen, um zu wissen, dass dies das Wort für Kapitän war. Allerdings stand vor der Kabine ein weiterer Mann. Die beiden Wachen im Mittelgang, die wahrscheinlich den Weg zur Brücke sicherten, waren ebenfalls zu sehen. Die drei Männer hatten also Blickkontakt zueinander.  

Snowcat betätigte die AR-Taste ihres Subvocal-Mics und flüsterte „Unsere Tarnung wird nicht reichen, um die Wachen von Nahem zu täuschen und um ihnen zu erklären, was wir in der Kapitänskajüte wollen. Sollen wir versuchen über die Catwalks von oben einzusteigen?“

Blackstone, Mystique und Snowcat diskutierten kurz das Für und Wider, kamen aber zu dem Schluss, dass sie sich dann wahrscheinlich in irgendeiner Form durch das Kabinendach würden schneiden müssen, keine unmögliche Aufgabe, aber so ein Loch im Kabinendach könnte wohlmöglich entdeckt werden. 

Mystique machte einen viel simpleren Vorschlag: „Blackstone, könntest Du nicht einfach für Ablenkung sorgen, indem Du die Männer beschäftigst?“

Blackstones Antwort blieb einen Moment lang aus, er dachte wohl über seine Möglichkeiten nach. Ein paar Sekunden verstrichen, dann sagte er: „Ich werde einfach versuchen auf die Brücke zu gelangen. Dann werden sie mich schon aufhalten.“

Snowcat wartete mit Mystique hinter der Kreuzung. Mystique hielt eine kleine Kamera um die Ecke, so dass sie sehen konnte, was bei den Wachposten geschah. Zunächst sah es nicht so aus, als könnte Blackstone die Wache vor der Tür der Kapitänskajüte weglocken, aber schließlich kam er mit der Masche der ,Sprachbarriere‘ durch. Der einzelne Wachmann verließ seine Posten, um zu helfen. 

Snowcats Herz schlug schneller, als sie geräuschlos bis zur Tür der Kabine huschte und dann dort stand und wartete, während Mystique sich an dem Schloss zu schaffen machte. Sie mochte diese Art von Aufregung so sehr, dass sie sich kaum vorstellen konnte, jemals völlig darauf zu verzichten. Mystique nickte ihr zu, dann verschwanden Beide unbemerkt in der Kabine des Kapitäns. 

Draußen hörte man Blackstone sagen: „Na gut, dann frag ich meinen Verbindungsoffizier, wie ich auf die Brücke kommen kann.“ Er zog sich zurück. 

Snowcat blickte sich um. Schon allein wegen des vielen Platzes lohnte es sich, der Kapitän zu sein. Ein großer Schreibtisch, ein Trideoschirm, eine Sitzgruppe, ein großes Bett und ein vollständig eingerichtetes Bad mit einer richtigen Dusche hatten in der Kabine Platz gefunden. Die Möbel dufteten nach echtem Holz. Natürlich gab es auch hier einen dicken Teppich und echte Stoffe an den Wänden. Der Kapitän schien den vorhandenen Accessoires nach eine Vorliebe für den mittleren Orient zu haben, doch die beiden Elfinnen waren nicht hier, um sich ein Bild vom Kapitän zu machen. Snowcat streckte ihre magischen Fühler aus und spürte die Präsenz der Kette hinter einem Gemälde, auf dem ein Luftschiff abgebildet war. Dahinter befand sich ein Tresor, der durch einen Daumenabdruck-Scanner gesichert war. Nun hieß es improvisieren. 

Snowcat sah sich erneut um und entdeckte ein benutztes Glas auf dem Schreibtisch. Sie hielt das Glas gegen das Licht und erkannte mehrere brauchbare Fingerabdrücke, auch ein rechter Daumen befand sich darunter. Nun musste der Abdruck nur noch irgendwie auf den Scanner, wobei das ,nur‘ an sich eine schwierige Aufgabe war. Snowcat dachte laut: „Wir brauchen irgendwas zum Einstäuben und dann ein Stück Klebeband, womit wir den Abdruck kopieren können. Das könnte vielleicht gehen.“

„Das mit dem Pulver ist eine gute Idee.“, meinte Mystique, „Den Rest übernehme ich. Leider ist der Kapitän keine Frau, dann gäbe es hier Puder und wir müssten nicht lange suchen.“

Snowcat grinste kurz: „Ja, womit wir dann endlich die Begründung dafür hätten, warum eine Frau nie ohne Puderdöschen aus dem Haus gehen sollte, selbst, wenn sie gerade ein Mann ist.“

Mystique lachte leise. Dann begannen die beiden Elfen zu suchen. Nach ungefähr 10 Minuten, die Suche hatte allein schon deshalb länger gedauert, weil Beide darum bemüht waren, alles wieder exakt an seinen Platz zu stellen, hielt Snowcat eine Schachtel mit echten Bleistiften in der Hand. Auf einem kleinen Teller zerrieben sie etwas davon zu Grafit-Staub und Snowcat pustete ihn dann auf das Glas. Die Fingerabdrücke waren nun gut sichtbar. Mystique zog ihr Commlink hervor und scannte den Abdruck. 30 Sekunden später lächelte sie Snowcat zufrieden an und hielt ihren rechten Daumen in die Höhe. Snowcat sah einfach nur einen ganz normalen Daumen - den von Mystique - aber sie ging davon aus, dass der Abdruck nun der des Kapitäns sein würde. Mystique war der selben Ansicht, denn sie trat an den Scanner und drückte ihren Daumen darauf. Augenblicklich piepte das Schloss und sprang auf. 

Neben ein paar Papieren, zertifizierten Kredsticks, und eine kleine Schatulle mit Edelsteinen, lag in einem Stück dunklen Stoff eingeschlagen Shantayas Kette. Snowcat zog die Manasheet-Tasche mit der falschen Kette aus dem Museum hervor und tauschte die beiden Objekte aus. Mystique schloss den Tresor, während Snowcat Glas und Teller säuberte. Dann spitzten sie die Bleistifte an und beseitigten auch diese Spuren. „Okay, Blackstone. Es ist Zeit für Deine Rückkehr.“, sagte Snowcat, während sie gut gelaunt die echte Kette in der Manasheet-Tasche unter ihrer Kleidung verstaute und zusätzlich mit einem Seidentuch über ihrem Bauch festband. 

Obwohl diese Art von Ablenkung nicht gerade zu Blackstones Spezialitäten gehörte, schien er in seiner Rolle aufzugehen. Sein „Copy“, klang freudig wie selten. 

Mystique schob ihre Teleskop-Kamera unter der Tür durch und beobachtete, was Blackstone tat. 

Snowcat konnte hören, wie er polternd ankam und erklärte, er könne Tapio nicht finden, deshalb wolle er einfach noch mal fragen, ob es nicht andere Möglichkeiten gäbe auf die Brücke zu kommen. Der Türsteher eilte seinen Kameraden beflissen zur Seite. Mystique rollte die Kamera auf und öffnete die Tür. Die beiden ,Männer‘ schlüpften lautlos hindurch, bogen nach rechts ab und verschwanden hinter der nächsten Ecke. Blackstone diskutierte noch einen Augenblick und nahm dabei Hände und Füsse zur Hilfe.


Zurück in der Kabine verschwand Mystique in der Nasszelle, um kurz darauf in der menschlichen Gestalt einer Frau, in der sie an Bord gekommen war, zurück zu kehren. Snowcat hatte Riven inzwischen gebeten den Zauber fallen zu lassen. 

Fast so zärtlich wie eine werdende Mutter streichelte Snowcat über ihren Bauch. 

„Prima, kann ich Euch dann jetzt abholen?“, kam es nach der Erfolgsmeldung über Commlink von Average.

„Nein Average, leider noch nicht. Ein wenig wirst doch noch ohne uns auskommen müssen. Wir wollen doch so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf uns ziehen.“, Snowcat hatte vollstes Verständnis dafür, dass Average sich langweilte, aber eine plötzliche Flucht von Bord oder der Versuch, die Kette zu Average zu bringen, würde mit ziemlicher Sicherheit für ungewolltes Aufsehen sorgen.

„Wo seid Ihr denn gerade?“, fragte Snowcat Riven und die anderen.

Twinbow antwortete: „Du wirst es nicht glauben, aber wir sind immer noch in der unteren Aussichtsplattform. Was Gumshoe und Sunrise mit Tapio anstellen, ist kaum zu fassen. Aber bisher hat Freund Tapio sich noch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Allerdings könnte es sein, dass mir die Geduld bald ausgeht.“

Snowcat lachte perlend, „Na, dann werden wir mal kommen und Euch erlösen.“

Gumshoe musste mit seinen Fragen wirklich nervend gewesen sein, denn zum ersten Mal, seid sie an Bord waren, war Tapio wirklich erfreut Snowcat zu sehen und er war erleichtert, als sie die Führung für beendet erklärte und ihre Freunde zu einem Plausch hier in die untere Aussichtsplattform einlud.

Gumshoe nörgelte zwar ein bisschen, als er die Führung beenden musste, aber Snowcat war klar, dass das nur Show war. 

Blackstone dachte ebenso an seine Rolle und meinte zu Tapio: „Auf ein Wort. Was muss ich tun, um mir die Brücke ansehen zu dürfen?“

Tapio war zunächst kurz erstarrt, aber dann antwortete er ruhig: „Dafür brauchen Sie eine Einladung des Kapitäns. Sie können mit ihm gerne bei ihrem Gespräch darüber verhandeln.“

Da Megara, die menschliche Frau der drei Furien, noch bei ihnen saß, konnten die Runner nicht gleich über ihr weiteres Vorgehen sprechen, aber mit der ,Maus‘ auf dem Bauch, war Snowcat so zufrieden, dass es ihr noch weniger ausmachte zu warten, als sonst. Dennoch waren alle ihre Sinne angespannt. Sie hatte keine Lust, sich die ,Maus‘ einfach wieder wegnehmen zu lassen. Snowcat holte die Taste für die Sofort-Injektion ihrer Lieblings-Kampfdroge Jazz auf die AR-Benutzer-Oberfläche ihres Commlinks, die sie nun per Knopfdruck mit Hilfe des Biomonitors den sie trug, einspritzen konnte. So würde sie bei Bedarf sofort schneller handeln können. Blackstone hatte sich neben Snowcat gesetzt, auch er sah zufrieden und aufmerksam aus. 

Als Megaras Partnerinnen Trisiphone und Alecto in die Aussichtslounge kamen, verabschiedete sich die Frau für eine Weile und die drei setzten sich an einen anderen Tisch. 

Sunrise wollte sie schon alle drei bitten, hier zu bleiben, schließlich hatte er sich für heute Nacht noch etwas vorgenommen, aber Gumshoe erinnerte ihn mit einem Blick daran, dass sie noch etwas zu besprechen hätten. Ein Schluck Wodka tröstete den jungen Mann über die Tatsache hinweg, dass er sich gedulden musste. Immerhin tranken die Beiden heute deutlich weniger, als an den Tagen zuvor. 

Gumshoe lehnte sich zurück und verschränkte seine kräftigen Oberarme, um es sich bequem zu machen; „Ich denk mal, wir sollten nicht alle zum Meeting mit dem Kapitän gehen.“

Blackstone nickte zustimmend, „Das wird wohl nicht nötig sein. Snowcat sollte auf jeden Fall gehen und ich werde sie begleiten! Mystique, was ist mit Dir?“

„Ja, ich werde auch mit zu den Verhandlungen gehen.“

Twinbow sah extrem entspannt aus, als er hinzufügte: „Na drei ist doch eine prima Zahl. Der Rest von uns bleibt hier.“

Gumshoe fuhr fort: „Gut, aber du solltest die Kette nicht mitnehmen Snowcat, sondern bei uns lassen.“

Innerlich zuckte Snowcat zusammen, sie wollte die Maus nicht hergeben, aber es war wahrscheinlich eine gute Entscheidung, sie nicht mit zum Kapitän zunehmen.

Sunrise unterstützte Gumshoes Idee, noch bevor Snowcat antworten konnte, „Da! Aber natürlich darf die Kette auch nicht unbewacht in der Kabine bleiben.“

Snowcat nickte und erklärte: „Ich werde sie an Riven übergeben, wenn es soweit ist.“

Twinbow legte den Arm um Riven Schultern. „Und wir passen dann hier solange auf sie auf!“, der gut aussende Elf hatte das sicher absichtlich so zweideutig ausgedrückt. Riven schenkte ihm dafür einen dankbaren, leicht verträumten Blick. 


Gegen 14.00 Uhr kamen Massaki und seine Begleiter zur unteren Aussichtslonge. Snowcat wusste nicht, ob sie direkt nach ihrem Gespräch mit dem Kapitän hergekommen waren, da man den Gang nur von der Messe aus sehen konnte, aber ihre Körpersprache zeugte davon, dass sie zufrieden waren. Riven, die astral wahrgenommen hatte, bestätigte Snowcats Eindruck. 

Um 14.25 Uhr trat Tapio an sie heran und erklärte: „Der Captain hat jetzt Zeit für Sie, wenn Sie mit bitte folgen würden.“

Snowcat richtete sich auf: „Gerne, aber ich habe doch sicher noch Zeit, mich schnell frisch zu machen? Ich möchte doch einen guten Eindruck auf den Kapitän machen.“

Tapios Gesichtszüge erstarrten. Snowcat erriet, warum das geschehen war und fügte hinzu, „Es geht nur darum, eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen. Ich habe weder vor Geschenke zu machen, noch welche anzunehmen.“

Tapio deutete seine übliche Verbeugung an und sagte: „Natürlich können Sie sich Zeit lassen. Ich bin sicher, der Captain wartet gerne jederzeit auf ein paar Yabancis.“

Von der Ironie in Tapios Stimme ließ Snowcat sich nicht abschrecken. Sie bat Riven ihr bei ihrem Haar zu helfen und verschwand mit ihr in der Kabine. 

Die Kette abzugeben fiel Snowcat nicht sonderlich leicht. Das hatte nichts mit Vertrauen zu tun, sondern war allein der Tatsache geschuldet, dass sie die Beute gern bei sich behielt. Sie half Riven dabei die Tasche mit dem Seidentuch zusätzlich festzuknoten, dann bürstete sie sich kurz über ihr braunes Haar, legte Lippenstift nach und trat wieder vor die Tür, wo sie von Tapio, Mystique und Blackstone erwartet wurde. 

Twinbow holte Riven ab und sie setzen sich dann zu Gumshoe und Sunrise in die Messe. Sie begannen entspannt und völlig gelassen eine Unterhaltung. Die Reisenden, die nichts zu verbergen und nichts zu fürchten hatten, gaben sie ausgesprochen gut. 

Snowcat schaute kurz sehnsüchtig in Richtung der Kette und tarnte dies mit einem Winken.

Die beiden Wachen am Gang warfen Blackstone einen argwöhnischen Blick zu, als die Gruppe hinter Tapio an ihnen vorbeilief. Natürlich gingen sie nicht geradeaus in Richtung Brücke. Tapio blieb vor einer Tür mit dem AR-TAG ,Kokoushoune‘ -was übersetzt Konferenzzimmer hieß - stehen und klopfte. 

„Herein!“, tönte es von drinnen auf Englisch. Tapio öffnete die Tür und gab so den Blick auf ein modernes Konferenzzimmer frei, dass dem eines Konzerns in nichts nachstand. An dem runden Tisch aus Echtholz fanden gut 20 Personen Platz. Ein großer Trideoschirm hing an der linken Wand und rechts befand sich eine Sitzgruppe aus Sesseln, an der es sich mindestens acht Metamenschen bequem machen konnten. Es war sogar je ein Stuhl und ein Sessel vorhanden, der das Gewicht eines Trolls tragen konnte.

Tapio verbeugte sich würdevoll und diesmal war jeglicher Spot aus Gestik und Mimik verschwunden, „Captain!“, grüßte er förmlich, dann drehte er sich zu Snowcat um und sagte ebenfalls rein höflich, „Es ist mir eine Ehre, Ihnen Captain Markus Lax vorzustellen.“

Der Kapitän war ein Hüne von einem menschlichen Mann. Sein weißblondes Haar, seine hellen Augen und seine Statur zeugten von seiner nordischen Abstammung und seine Kleidung zeugte von seiner Vorliebe für den mittleren Orient, was zu Snowcats Überraschung eine äußerst geschmackvolle und attraktive Kombination ergab. Als Tapio die Tür von innen schloss, brach der Kontakt zu den anderen Runnern ab. Der Konferenzraum war also abgeschirmt. 

Captain Lax machte einen Schritt auf Snowcat zu und begrüßte sie mit einem wohl dosierten Händedruck, dabei blickte er ihr in die Augen und Snowcat konnte in seinen Augen erkennen, dass sie trotz ihrer dunklen Haut- und Haarfarbe Wirkung auf ihn hatte. Sie stellte sich und ihre Kollegen unter den Namen ihrer falschen SIN‘s vor. Captain Lax warf einen flüchtigen Blick auf die Sitzecke, bat sie dann aber doch an den Konferenztisch und fragte, ob er ihnen etwas zu trinken bringen lassen dürfe. Sie wählten Tee und Wasser, woraufhin Lax gestikulierte und das Bestellte über AR in Auftrag gab. Snowcat machte dem Kapitän ein Kompliment für sein Luftschiff, welches er gekonnt mit einem Kompliment über Snowcats Schönheit zurückgab. So ging es eine Weile hin und her und diese Prozedur machte Snowcat klar, das Captain Lax Verhandlungen liebte und darin geübt war. Nach ein paar Minuten lenkte Snowcat das Gespräch schließlich auf die Kette.

Das Gesicht des Kapitäns wurde ein wenig ernster: „Ich befürchte, ich kann ihnen da nicht entgegenkommen, nicht einmal, obwohl ich das wirklich gerne würde. Ich könnte ihnen die Kette nicht einmal schenken, wenn ich wollte. Wie Sie vielleicht wissen, handelt es sich dabei um eine Spende der Celljucoak, die ich aus Respekt und Hochachtung erst nach einem Jahr freigeben darf.“

Snowcat lächelte charmant und nickte verständnisvoll: „Davon habe ich schon gehört. Aber vielleicht lässt sich doch schon heute darum handeln?“, sie hatte das letzte Wort einen Hauch stärker betont, „Wenn wir zum Beispiel im Tausch etwas anzubieten haben, was dem Wohl von gesamt Karavan zu Gute kommt und das besser früher als spät, dann wäre es doch schade, wenn Karavan erst nach einem Jahr in Genuss dieses Vorteils kommt. Ich bin sicher, dann hat niemand etwas gegen einen verfrühten Tausch einzuwenden, auch nicht die Sultanin der Celljucoak.“

Captain Lax behielt gekonnt einen leicht zweifelnden Ausdruck im Gesicht bei, als er ebenfalls lächelnd fragte: „Nun, wenn dem so wäre, ließe sich vielleicht eine Ausnahme machen. An was für eine Art Vorteil hatten Sie denn gedacht?“

Snowcat lächelte wissend, „Nun, ich dachte da an einen Kontakt, der ihnen unbegrenzten Zugang...“

Es klopfte und Snowcat hielt mit ihrer Ausführung inne. Die Getränke wurde gebracht. Mit dem Öffnen der Tür trudelten mehrere Nachrichten ein, die sich im Netzwerk des Teams gesammelt hatten und die Snowcat erblassen und erschrocken den Atem hätten anhalten lassen, wenn sie sich nicht so gut unter Kontrolle gehabt hätte. 


Sunrise: „Shit, die Japse greifen uns an.“

Twinbow: „Die Japaner greifen uns mit Magie an.“

Laut Timestemp nicht einmal sechs Sekunden später: 

Der Biomonitor von Twinbow in orangener Schrift: „Bewusstsein verloren.“

Der Biomonitor von Riven in orangener Schrift: „Bewusstsein verloren.“

Snowcat drückte auf die AR-Taste. Jazz begann ihren Körper zu durchfluten, die Zeit wurde langsamer. 

Verdammter Mist, fuhr es ihr durch den Kopf. Warum mussten ausgerechnet die Japaner und Masaaki ihre Konkurrenten um die Kette sein? Warum waren sich nicht einfach wirklich wegen unterschiedlicher Dinge hier? Snowcat hatte Masaaki wirklich interessant und anziehend gefunden, trotz oder gerade wegen seiner zurückhaltenden japanischen Art. Vielleicht hatte Snowcats Unterbewusstsein auch zu ihrer positiven Stimmung ihm gegenüber beigetragen, weil es nicht vergaß, dass er ein Drake war. Warum auch immer, sie hatte ihn irgendwie gemocht und nun standen sie doch auf gegnerischen Seiten. Während sich Snowcats Herzschlag weiter beschleunigte, sagte sie mit ruhiger aber ernster Stimme: „Es tut mir aufrichtig leid, die Verhandlungen unterbrechen zu müssen, aber ich befürchte, es gibt einen medizinischen Notfall bei meinen Freunden...“

Biomonitor von Sunrise in orangener Schrift: „Zustand: Bewusstlos.“

„... Ich habe die entsprechenden Medikamente bei mir und muss sofort...“

Gumshoe: „Wir gehen unter. Brauchen Verstärkung, die wollen die Kette.“

Biomonitor Gumshoe: „Achtung, Bewusstlosigkeit steht kurz bevor.“

Na wenigstens schienen sie nicht in Lebensgefahr zu sein. „ ... nach ihnen sehen.“

Snowcat hatte genau den richtigen Ton getroffen, denn der Kapitän sagte nur: „Ja, natürlich.“

Blackstone und Mystique waren bereits aufgestanden und hatten sich in Bewegung gesetzt. Sie hatten ein kleinen Vorsprung. 

Als Snowcat den Konferenzraum verließ und in den Gang einbog, sah sie als erstes dunklen Rauch, der sich bedrohlich über den Durchgang in den Gang verteilte. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie erschrocken, aber dann registrierte sie, dass es sich dabei nur um den heißen Rauch einer Granate handelte, die geworfen worden war, um die Sicht zu behindern.

Blackstone verschwand gerade in dem Rauch, sein Ares Alpha hielt er kampfbereit vor sich. 

Snowcat rannte und schloss zu Mystique auf, die mit gezogener Pistole auf sie wartete und dann kurz vor ihr den mit Rauch geflutete Bereich betrat. 

Snowcat spürte nach Bewegung hinter dem Durchgang, damit sie nicht direkt in die Arme eines Gegners lief, aber in dem Bereich war niemand, also trat sie durch den Rauch hindurch.

Als die Sicht frei von Rauch war, bot sich ihr folgendes Bild. 

In der Ecke, in der die Runner gesessen hatte, war das Chaos ausgebrochen. Stühle, Gläser und Flaschen lagen umher. Irgendwer hatte den Tisch noch als Schutzschild zwischen sich und die Angreifer umgestoßen.

Snowcat sah ein Bein von Sunrise, das heftig und unkontrolliert zuckte. Der charakteristische Geruch von Stick n‘ Shock Munition lag in der Luft. 

Twinbow lag, wie ein unliebsames Hindernis beiseite geworfen, links neben dem Tisch. Außerdem war Rivens Oberkörper zu sehen oder viel mehr der Oberkörper der Frau, den Riven dank des Zaubers im Zauberspeicher immer noch darstellte. Ihr Kleidung war aufgerissen.

Von Gumshoe war nichts zu sehen, die Sicht auf ihn war durch den umgeworfenen Tisch komplett verborgen. 

Die sieben Japaner bewegten sich gerade vom Geschehen weg. Zwei der Vier verdrahteten Asiaten liefen rückwärts und hielten mit ihren Waffen die drei Furien in Schach, die sich mit erhobenen Händen ergeben hatten und völlig ruhig verhielten. 

Beinahe gleichzeitig eröffneten Blackstone und Mystique das Feuer auf die Japaner. Während Blackstone zwei von ihnen mit Bursts aus dem Sturmgewehr unter Beschuss nahm, streckte Mystique einen von ihnen mit einem Kopfschuss nieder. 

Snowcat fühlte und spähte nach der Kette. 

Masaaki hatte sie in der Hand. Snowcat legte jede Befehlsgewalt, die sie mit Hilfe ihrer speziellen Fähigkeiten aufbringen konnte in ihre Stimme und sagte auf Japanisch: „Masaaki, wirf die Kette her.“

Blackstone feuerte erneut und auch Mystique erschoss einen weiteren Mann. Sie hatten die Angreifer mit ihrem Einschreiten völlig überrascht. Gut so. Nachdem nun auch drei Japaner am Boden lagen, waren die Chancen wieder ausgeglichener. 

Total entsetzt über sich selbst warf Masaaki das Bündel mit der Kette in Snowcats Richtung. Vielleicht war er kein allzu guter Werfer oder aber sein Unwille hatte ihm geholfen, jedenfalls warf er die Kette viel zu kurz und sie landete beinah genau in der Mitte zwischen seiner und Blackstones Position. Beinah genau war zum Glück jedoch nicht ganz genau. Das Päckchen lag ein Stück näher bei Blackstone und der Zwerg musste auch nicht seine Überraschung über sich selbst überwinden. So reagierte Blackstone schneller als Masaaki, er sprang vor und kickte die Kette mit dem Fuss weiter zurück in Snowcats Richtung, wo die Elfe das Päckchen mit ihrem Fuss sanft stoppte. 

So schnell sie konnte, griff sie danach und zog sich durch den Infrarot-Rauch zurück in den Gang. Blackstone und Mystique gaben Snowcat Deckung und eliminierten einen weiteren Japaner.

Blackstone meldete: „Ich glaub der Kerl hat sich verwandelt. Snowcat, sieh zu, dass Du wegkommst.“

Snowcat verstaute das Päckchen unter ihrer Kleidung und überlegte fieberhaft. Der nächste Gang rechts würde sie zum Bereich mit den Leitern und Catwalks führen, allerdings hatte sie keine Schlüsselkarte für die Tür davor.

„Ja, er hat sich verwandelt,“, kam es erneut von Blackstone, „er feuert Blitze ab, Snowcat hau ab.“

Snowcat wollte nichts lieber als das. Sie nahm den Kopf hoch und blickte den Gang hinunter. Die Wachposten standen unentschlossen an der Kreuzung und da war der Schopf von Captain Lax zu sehen, der in ihre Richtung blickte und offenbar versuchte herauszufinden, was bei ihnen vor ging. 

Plötzlich spürte Snowcat einen Lufthauch. Sie fühlte mit ihrem siebten Sinn nach der Bewegung und entdeckte den Drake direkt hinter sich fliegend, gleich würde er sie packen können. Sie machte sich zum Sprung bereit.

„Gib mir den Gergenstand! Dann geschieht Dir nichts“, klang es in ihrem Kopf. Doch Masaaki in seiner Gestalt eines kleinen, rotschwarzen, östlichen Drachen schaffte es nicht bis zu ihr, denn Blackstone hielt ihn fest und zwang ihn in den Nahkampf. 

Snowcat nutzte die gewonnen Sekunden, rannte direkt auf Kapitän Lax zu und rief: „Captain, bitte retten Sie mich.“, genau fünf Worte die sie vorsichtshalber mit speziellem Nachdruck ausgesprochen hatte. Der Captain trat völlig aus der Tür, zog Snowcat in den Raum, wies seine Leute an, in Verteidigungsposition zu gehen und schloss dann die Tür. „Notfallprogramm aktivieren.“

Snowcat atmete auf, sie war mit der Kette in Sicherheit. Doch die Freude darüber währte nur einen Wimpernschlag, denn in dem Moment, wo sich die Tür geschlossen hatte, hatte sie auch den Kontakt zu ihrem Team verloren.

„Was ist denn bloß los?“, fragte Lax.

Snowcat sah ihn an und sagte atemlos und mit einem Hauch von Panik in der Stimme: „Ich weiß nicht, irgendein Angriff. Massaki und seine Leute...“

„Ein Angriff auf die Aman Iki? Dieser Bastard! - Machen sie sich keine Sorgen, Sie sind hier jedenfalls sicher. Ich habe meinen Männer bereits Anweisung erteilt und in wenigen Minuten werden die Kisil Kristall die Angreifer zurückschlagen.“

Snowcat machte sich keine Sorgen um sich, sie machte sich Sorgen um ihre Freunde. Wenige Minuten? Der Captain hatte offenbar keine Vorstellung davon, was eine Gruppe von Runnern in wenigen Minuten alles tun konnte. Im Normalfall konnten Runner in Sekunden ganze Stadtteile in Schutt und Asche legen. Snowcat hielt ihren Ärger und ihre Ungeduld in Zaum, was in Anbetracht der Tatsache, dass immer noch Jazz durch ihren Blutkreislauf floss, eine Menge Selbstbeherrschung erforderte.  

„Gibt es vielleicht Kameras über die wir die Messe sehen können?“ fragte sie relativ ruhig.

Markus Lax nickte: „Oh ja, natürlich.“ Er tippte auf einer AR-Tastatur umher, die nur er sehen konnte und nach schier endlosen Sekunden erwachte der große Trideoschirm zum Leben und die sechs Kameras setzten ein ziemlich detailreiches, bewegtes Bild der Messe zusammen. 

Und dieses Bild ließ Snowcats Atem diesmal wirklich stocken. 

Gumshoe stand aufrecht mit einer Waffe in der Hand mitten in der Messe. Er brüllte: „Weg von Sunrise, sage ich!“, seine Stimme war vom Kampfrausch gezeichnet. Die Adern auf seinen eh schon kräftigen Oberarmen traten deutlich hervor, sein Hals wirkte breiter denn je. Offenbar hatte er eine Kampfdroge genommen und es handelte sich dabei sicher nicht nur um Jazz. Gumshoe war beinah völlig auf seinen Freund Sunrise konzentriert und er hielt die beiden Japaner in Schach, die übrig geblieben waren. Das bedrohliche Bild nur ein paar Meter links schien ihm völlig zu entgehen.

Denn dort stand der rotschwarze Drake und hielt den zierlichen Körper Rivens in seiner Klaue. Ihren Kopf hatte er in seinem Maul eingeklemmt und seine Bartflusen umspielten ihren Hals, wie kleine giftige Schlangen. Auch wenn Riven gerade nicht aussah, wie sie selbst, hatte Snowcat kaum je etwas Bedrohlicheres in ihrem jungen, ereignisreichem Leben gesehen. 

Snowcat folgte dem Impuls, sich erschrocken die Hand vor den Mund zu schlagen, da es sich dabei um eine passende und glaubwürdige Geste handelte, die Captain Lax ruhig sehen konnte. Sie machte Anstalten sich zu bewegen, überlegte ob und wie sie eingreifen konnte. Natürlich konnte sie nicht hören, was Masaaki wollte oder sagte, Dragonspeech war über Mikrophone und Lautsprecher nicht wahrnehmbar, doch mit ziemlicher Sicherheit ging es um die Kette. Masaaki musste doch sehen, dass man mit Gumshoe nicht verhandeln konnte. Wo waren überhaupt Blackstone und Mystique?

Genau in diesem Augenblick trat Mystique in die Messe und erschien somit auf der Bildfläche. Sie hielt ein Bündel in den Händen und sagte: „Hier, ich habe, was ihr wollt.“ Ein japanischer Handlanger bewegte sich und sofort riss Gumshoe die Waffe rum und nahm ihn direkt ins Visier. 

„Nein,“, sagte Mystique mit feste Stimme; „ich gebe es nur ihm.“, sie deutete mit der Hand in Richtung des Drakes. Snowcat war nicht besonders geübt darin, in der Körpersprache von Drakes zu lesen, aber sie glaubte, dass Masaaki zögerte und dann ließ er tatsächlich Rivens Kopf los und ihren Körper sinken. 

Snowcat atmete geräuschvoll und ein wenig erleichtert aus. Doch irgendwas musste geschehen, denn Mystiques Täuschung würde nicht lange halten. 

Masaaki kam vorsichtig einen Schritt näher und dann ...

... schlugen die Runner zu, beinahe völlig synchron.

Gumshoe erschoss sein Ziel, ohne mit der Wimper zu zucken. 

Mystique sprang hinter den anderen Handlanger und brach ihn in einer flüssigen Bewegung das Genick, als wäre es das einer Holzpuppe.

Ein Schimmern bewegte sich von links her ein paar Meter auf den Drake zu, Blackstone war offenbar getarnt und so kaum zu sehen. Seine Silhouette verschwamm mit der Umgebung. Der Zwerg schoss, doch Masaaki war trotz der Verletzungen, die er inzwischen davon getragen hatte und die sich auf seinem schuppigen Leib abzeichneten, schnell. Der erste Burst streifte ihn nur und der zweite ging völlig daneben. Immerhin hatte Blackstone es geschafft, sich zwischen ihn und Rivens bewusstlosen Körper zu bringen, so war es Masaaki unmöglich die junge Frau erneut aufs Korn zu nehmen. 

Der Drake sah sich um, kein einziger seiner Leute bewegte sich noch. Er war auf sich allein gestellt. Die Kette befand sich außerhalb seiner Reichweite. Er drehte sich um und flog unter den wachsamen Augen von Blackstone durch die Messe Richtung Schiffsheck davon.

Mystique machte sich daran, sich um die Verletzen zu kümmern. 

Nicht so Gumshoe, er setzte sich in Bewegung, um Masaaki zu folgen. Sein sonst eigentlich stets freundlich aussehendes Gesicht, strahlte wilde Entschlossenheit aus.

Die drei Furien standen immer noch unbeweglich in der Messe umher, Blackstone rief ihnen im neutralen Tonfall zu: „Ich hätte mehr von Euch erwartet.“ Auf diesen simplen Satz reagierten die Frauen mit einer Mischung aus Schulterzucken, Trotz, Gleichgültigkeit und Betroffenheit, aber in einem waren sie sich einig, es gab keinen Grund mehr hier zu bleiben, sie verließen die Messe. 

Snowcat wandte sich an den Kapitän: „Gibt es vielleicht auch Kameras im Heck? Ich würde gerne sehen, was mit meinem Freund ist.“

Captain Lax riss sich von der Szenerie in der Messe los und antwortete: „Ja, natürlich. Jedenfalls in der Aussichtsplattform und an der Ladeklappe.“ Er gestikulierte und einige Kameras erwachten zum Leben. 

„Da!“ Snowcat zeigte auf den Kamerafeed bei der Laderampe, wo soeben der Drake ins Bild gekommen war, einen Knopf gedrückt hatte und nun darauf wartete, dass sich die Klappe öffnete. Captain Lax spreizte die Finger und das Bild der Kamera nahm nun zwei Drittel des Trideoschirms ein.

Bald würde das Tor vollständig offen sein. Sie befanden sich zwar in über 300 Metern Höhe, aber da die Amani Iki nicht sonderlich schnell flog, brachte das Öffner der Klappe nicht die geringsten Probleme für die Stabilität mit sich. 

Noch einen Meter.

Noch ein halber Meter.

Masaaki wartete nicht länger und flog los.

Ein metamenschen großer Schatten rannte durchs Bild und - Snowcat traute ihren Augen nicht- sprang ebenfalls von Bord. Gumshoe hatte offenbar keine Lust den Drake einfach so ziehen zu lassen. In voller Absicht war er auf den Fliegenden aufgesprungen. Masaaki hatte versucht sich wegzudrehen, aber das war ihm nicht völlig gelungen, so dass Gumshoe unter dessen Bauch hing. Die Arme hatte er um den Hals Masaakis geschlungen und drückte ihm die Luft ab.

Snowcat riss die Augen weit auf. War der Kerl denn verrückt geworden? Im wilden Tanz flogen die beiden in einander verschlungenen Körper durch die Luft. Ohne das Snowcat fragen musste, hatte der Kapitän der Aman Iki auf das Bild der Außenkameras geschaltet. So konnte Snowcat fast ungläubig mit ansehen, wie Gumshoe mit dem Drake rang. Sie sackten ein ganzes Stück tiefer und Snowcat befürchtete schon, sie würden abstürzen, aber dann lockerte der Mann seinen Griff ein wenig und Masaaki gewann erneut an Höhe, machte überraschender Weise kehrt und peilte wieder das Luftschiff an, in dessen Inneren die zwei unsanft landeten. 

Dann stellten sie sich einander gegenüber und nahmen auf ihre Art klassische Kampfposen ein. Sie fochten das Mann gegen Drake aus. Boxen gegen japanische Kampfkunst.

Schnell zeigte sich, dass Masaaki ein besserer Nahkämpfer war als Gumshoe und mit der Drake-Gestalt hatte der Japaner einen weiteren Vorteil auf seiner Seite. Masaaki trieb Gumshoe immer weiter auf die offene Ladeklappe zu. Noch ein, zwei weitere solcher Moves und der Mann würde 300 Meter in seinen sicheren Tod stürzen.

Snowcat wollte einschreiten, nur wie? „Gibt es von hier vorne eine Möglichkeit nach draußen zu kommen?“, fragte sie den Kapitän, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen. 

„Nicht von hier direkt, aber von der Brücke aus. Wieso?“

Snowcat zögerte, „Ich...“ 

Katze sprang mit gesträubtem Fell auf den Konferenztisch und fauchte: „Eine ganz, ganz dumme Idee, Elfenmädchen!“ 

Snowcat brach den Satz ab, „Die Klappe! Lassen Sie bitte die Klappe schließen, Captain Lax.“

„Ja, natürlich!“, kam es vom dem Kapitän der Aman Iki zurück.

Doch es war bereits zu spät, denn in diesem Moment stürzte Gumshoe über den Rand.

Im letzten Augenblick fing er sich gerade noch ab, bekam die Kante des Luftschiffes zu fassen und hielt sich fest.

Masaaki wandte sich ihm zu, doch entgegen dem, was Snowcat befürchtet hatte, zerfetzte er Gumshoes Hände nicht mit seinen Klauen, und als der Mann sich hochzog, ließ der Drake das zu und eine weitere Runde des eigentümlichen Tanzes begann.

Masaaki war überzeugt davon, dass er Gumshoe auf die selbe Art jeder Zeit wieder besiegen würde können und auch wenn der Mann sich gut schlug und sogar den einen oder anderen Treffer landete, schätze Snowcat die Situation ähnlich ein. Früher oder später wurde Gumshoe erneut unterlegen sein.

„Gibt es irgendetwas, womit sie den Mann auffangen könnten?“, harkte Snowcat beim Kapitän nach.

„Nein, leider nicht Miss Foxborough, aber die Klappe wird sich jeden Augenblick schließen.“

Jeden Augenblick würde wahrscheinlich einen Augenblick zu spät sein. Diese dumme Klappe setze sich viel zu langsam in Bewegung.

Gumshoe führte eine Reihe von Boxhieben aus und konnte bei Masaaki abermals einen Treffer am Schädel landen. Doch der Drake hatte den Hieb absichtlich eingesteckt, um Gumshoe erneut mit seinen Bewegungen zurück zu treiben. Die Absätze von Gumshoes Schuhen ragten bereits über den Rand hinaus. Er musste die Angriffshaltung aufgeben und mit den Armen rudern, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. 

Der angeschlagene Massaki wollte wohl nicht in eine dritte Runde gehen, er holte aus, um dem Mann über die Klippe zu stoßen. 

Plötzlich hallte ein Schuss durch den Laderaum. 

Am Rücken des Drake zerplatzten Schuppen und Blut spritzte auf. Es folgte ein zweiter Schuss, der den Drake erneut heftig traf und herumriss. Die rotschwarze Gestalt brüllte schmerzerfüllt auf und wurde erneut von zwei aufeinanderfolgenden Schüssen aus Blackstones Ares Alpha getroffen. Der Zwerg hatte eingegriffen und den Kampf zu Gumshoes Gunsten entschieden. 

Der Runner nutzte die Chance sofort und tat den entscheidenden Schritt zurück ins Luftschiff. 

Masaaki sprang! Nein, er fiel vielmehr aus dem Luftschiff. Er bekam den Flug nicht mehr unter Kontrolle. Sein roter Drachenkörper wand sich im Todeskampf und einige Sekunden später schlug er ungebremst auf dem steinigen Boden auf. 

Gumshoes drogengeschwängerte Stimme dröhnte durch das Heck des Luftschiffes: „Ha! Auch wenn Du und Feiglinge nennst, am Ende warst du doch nur ein Redshirt.“

Das Schicksal oder auch die Physik waren gnädig gewesen. Der Körper des Drakes lag ein gutes Stück von der Kolonne Karavans entfernt zerschmettert auf dem Boden.

Sollte es Einwohner der fahrenden Stadt gegeben haben, die den Fall des Drakes bemerkt hatten, so kümmerten sie sich nicht darum. Sie hatten auch gar keine Zeit dazu, denn Karavan bewegte sich unaufhörlich weiter. So wie die Aman Iki und schon bald war der tote Massaki nur noch ein winziger roter Punkt in der Landschaft.


Gumshoe torkelte beträchtlich, als er die Messe betrat, in der Snowcat gerade bei Riven erste Hilfe leisten wollte. „Wenn das Kamikaze aufhört zu wirken, dann kipp ich um.“, erklärte er.

Snowcat seufzte leise, Riven würde sich noch einen Moment gedulden müssen, die Elfe musste zunächst Gumshoe verarzten, denn wenn zu dem Schaden den der Mann während der Kämpfe davon getragen hatte, auch noch der Entzug der Kampfdroge kam, würde es heftig werden. So etwas könnte sogar einem Ork das Licht endgültig auspusten. 

Während die Kisil Kristall mit den Aufräumarbeiten begangen, half Snowcat mit ihrem Medkit den Runnern  dabei, nach und nach das Bewusstsein wieder zu erlangen. Als Riven die Augen aufschlug, lächelte sie Snowcat kurz an, dann aber erstarrte ihr Gesicht und sie rief: „Ma Déesse, was ist mit Twinbow?“

Snowcat beruhigte sie: „Keine Sorge, er ist auch nur bewusstlos, ich kümmere mich gleich um ihn.“

Twinbows Reaktion war ähnlich, auch er fragte zu allererst nach Riven. Riven ging zu dem weißblonden Elfen und sah ihn an: „Ich bin froh, dass es dir gut geht. Das mit dir und mir, dass mit meiner Magie und deiner Antimagie scheint mir eine verdammt gute Kombination. Wir sollten zusehen, dass wir dass nicht noch mal so leicht aufs Spiel setzten.“

„Sehe ich auch so.“, bestätigte Twinbow. Die beiden betrachteten einander intensiv, so als wollten sich sich gegenseitig davon überzeugen, dass ihnen wirklich nichts fehlte. Wenn das nicht romantisch war? Snowcat bekam solche rührenden Szenen viel zu selten zu sehen. Vielleicht bahnte sich da etwas ganz Großes an. Es würde sie für die beiden freuen. 

Sunrise sah sich lieber gleich selber nach Gumshoe um, ohne nach ihm zu fragen und als sein Kumpel ihn angrinste, sagte er: „Scheiß Japse! Was ist, sind die entkommen? Haben sie uns den Schatz abgenommen?“

Riven fasste sich erschrocken an ihre Taille, sie schien erst jetzt wirklich zu registrieren, dass ihr Kleid zerfetzt worden war und das da etwas fehlte. 

Gumshoe antwortete zuerst: „Die Japaner sind alle tot. Ich glaube, die Kette haben sie nicht.“

Snowcat beruhigte das Team, „Massaki hatte sie, aber wir haben sie uns zurück geholt.“

„Diese Bastarde!“, schimpfte Riven, dann grinste sie ein wenig, „Haben mir doch glatt das Outfit ruiniert.“

Twinbow lächelte: „Na, die wollten halt auch mal was Schönes sehen! Obwohl Deine wahre Schönheit derzeit ja im Verborgenen liegt!“

Mystique verdrehte die Augen, „Bevor ihr jetzt anfangt heftig zu knutschen, wie wäre es, wenn ihr uns mal erzählt, wie die euch so schnell fertig machen konnten?“

Rivens Lächeln gefror und sie wurde sehr ernst. Wie immer, wenn die schöne Zauberin so ernst wurde, war ihr französischer Akzent fast völlig verschwunden. „Wir waren -ich war, einfach nicht richtig vorbereitet. Ich hatte weder einen Geist beschworen, noch habe ich meine Reflexe verstärkt. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die mit tödlicher Gewalt vorgegangen wären.“

Bei Sunrise war es genau anderes herum, sein russischer Akzent wurde heftiger: „Da! Wir haben uns überrumpeln lassen. Sie haben uns praktisch gleichzeitig mit einem Gewitter aus Stick n' Shock Munition eingedeckt. Und sie haben Magie benutzt, die uns mit bunten Lichtern umgeben hat!“

Twinbow ergänzte, wobei sein leichter Sperethiel-Akzent blieb, wie sonst auch, „Außerdem haben sie Riven und mich mit zwei Luftgeistern beschäftigt. Was im wahrsten Sinn des Wortes atemberaubend war.“

Gumshoe trank einen Schluck Whisky und reichte die Flasche an Sunrise, der sich ebenfalls einen Schluck gönnte, wenn auch nur einen kleinen. Der erschöpfte Mann bestätigte „Sie haben uns ziemlich kalt erwischt. Ich wusste kaum wie mir geschah, als auch schon die Zapper einschlugen.“

Sunrise überlegte sich noch einen Schluck zu genehmigen, verzichtete dann aber darauf und sagte: „Aber Du mein Freund hast dich viel cleverer verhalten, als ich. Du hast dich ,tot‘ gestellt. Ich habe nur noch den Tisch umgeworfen und blind und taub zurückgeschossen.“

Gumshoe nickte, „Als mir klar war, dass sie uns überrennen, habe ich so getan, als wäre ich bewusstlos und als Blackstone und die anderen dann auf der Bildfläche erschienen sind, habe ich mit das Kamikaze-Pflaster aufgedrückt. So konnte ich wenigstens noch mitmischen und Masaaki verdreschen.“

Ja, Gumshoe hatte mitgemischt, dachte Snowcat, als die Kollegen sich nun aufgeregt und schnell gegenseitig ihre Geschichten erzählten. Blackstone ergänzte seinen Teil mit wenigen Worten und auch Mystique war eher wortkarg. So übernahm Gumshoe den größten Teil des Erzählung. 

Der Mann hatte sogar heftig mitgemischt. Bedenklich fand Snowcat nur, dass er in einer entscheidenden Situation nur Augen für seinen Freund Sunrise gehabt hatte, der sich zu diesem Zeitpunkt kaum in Gefahr befunden hatte. Im Gegensatz zu Riven, deren Kopf im Maul von Massaki gesteckt hatte. 

Masaaki hatte die Nerven behalten, nicht zugebissen und laut Gumshoe gesagt: „Ich glaube, ich bin dennoch in der besseren Position. Bringt mir den Gegenstand!“

Zum Glück war Gumshoe klar genug geblieben dies über Commlink weiter zu geben. Mystique hatte sich dann die Finte ausgedacht, die letztendlich zum Gewinn der Situation geführt hatte. 

Snowcat betrachtete Gumshoe noch einmal in Ruhe und entschied für sich, dass es müßig war, weiter über das Wenn und Aber nach zu denken. Am Ende war alles gut gegangen. 

Riven sah sehr nachdenklich aus. Sie war stärker als alle anderen über sich selbst verärgert, darum ging Snowcat nun zu ihr und sagte: „Es lohnt nicht, sich weiter Vorwürfe zu machen. Wichtig ist doch nur, dass wir daraus gelernt haben. Nun wird uns nie wieder jemand so unvorbereitet treffen können.“

Riven blickte beinah schon beängstigend entschlossen drein, als sie sagte: „Mit Sicherheit nicht. Der nächste Angreifer wird es mit der geballten Macht der Göttin zu tun bekommen, wann immer er auch zuschlagen mag! - Ich frage mich nur, wir dieser Drecks-Masaaki wissen konnte, dass ich die Kette habe.“

Snowcat nahm astral wahr und blickte auf ihren Bauch. Das filigrane Muster der Aura der Kette schimmerte sanft durch die Mana-Sheet-Tasche hindurch. „Das war wohl ein Leichtes, er hat sie über den Astralraum sehen können.“

Snowcat wandte sich abschließend an alle im Team, sie achtete darauf, dass Average ebenfalls zuhören konnte: „Da wir nun fest davon ausgehen können, dass wir Konkurrenz haben und wir nicht wissen was und wie viel Massaki seinem Auftraggeber - bei dem es sich immerhin auch um einen Drachen handeln könnte - verraten hat, sollten wir nun zusehen, dass wir schnellstmöglich von Bord kommen....“

„Na endlich!“ unterbrach Average erleichtert. „Wann soll ich euch holen?“

Snowcat schmunzelte: „Bald Average, bald! Wir müssen nur noch mit Captain Lax klären, wo wir aussteigen können.“ Snowcat strich sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht und fuhr fort, „Dann müssen wir sehen, dass wir den Lobo so bald wie möglich abgeben, um dann anders...“

„Was??? Wieso denn?“, kam es von Average.

„Weil man den Lobo erkennen kann und ganz Karavan weiß, dass wir damit hier waren. Aber noch ist es ja nicht soweit. Wie und wann das geschieht, werden wie ja noch sehen.“

Tapio trat an sie heran, er verbeugte sich leicht und sagte: „Captain Markus Lax würde sich freuen, wenn er sie heute alle als seine Gäste beim Abendessen begrüßen könnte.“

Snowcat lächelte Tapio an. „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Ich würde den Kapitän sogar gerne so schnell wie möglich sprechen.“

Tapio erklärte: „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Nur fünf Minuten später saß Snowcat bereits wieder im Konferenzraum. Captain Lax schien ein wenig enttäuscht darüber, dass sie nicht bleiben wollten, hatte aber vollstes Verständnis dafür. Im Tausch für die Hilfe bei der Verteidigung der Aman Iki, bestand der Kapitän darauf, Snowcat die Kette zu überlassen. Dann veranlasste er, dass die Aman Iki beidrehte und die Runner in einiger Entfernung zum Konvoi Karavans absetzt wurden.

Als Anteil an der Beute übergab man dem Team noch die Hälfte des Gepäcks der Japaner, In den Kisten befanden sich neben zwei Foki, immerhin je vier Cameleon-Air Fall-Suits, Vibroblades und HK 22x nebst Munition. 

Als sie in der Landschaft auf Average warteten, ließ Snowcat die Ereignisse der letzten Stunden Revue passiere. Bei dem Gedanken an Masaakis Tod empfand sie echtes Bedauern. Ihrer Meinung nach hätte der der Drake nicht sterben müssen. Sie seufzte innerlich herzhaft. Neutral betrachtet war es wahrscheinlich sogar besser so, schließlich konnte er ihnen nun nicht mehr Vergeltung suchend folgen.

Average riss sie mit seiner Meldung aus den Gedanken. Er war erfolgreich gestartet und würde in 10 Minuten bei ihnen sein. 


Plötzlich flirrte die Luft um sie herum und zu ihrer aller Entsetzen manifestierte sich die riesige astrale Gestalt eines östlichen Drachen unmittelbar in ihrer Nähe. Alle erstarrten, als es in ihren Köpfen dröhnte: „Ihr habt MEINEN VASALLEN getötet! Und ihr habt was ICH begehre! ICH werde euch damit nicht entkommen lassen! Seid versichert, ICH WERDE EUCH FINDEN!“

Die Luft flirrte erneut und die Gestalt des Drachen löste sich auf. 

Lange Zeit sagte niemand ein Wort.

„Oh ha!“, meinte Gumshoe irgendwann nur.


Nachdem sie alle ihre Fassung mehr oder weniger wieder erlangt hatten, setzte Snowcat Average darüber ins Bild, was soeben geschehen war. Dann wandte sie sich an alle: „Ich habe keine Ahnung um welchen Drachen es sich da eben gehandelt hat. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Großer Drache war. Rein optisch könnte es Ryumyo gewesen sein. Ich betone das ,könnte‘.“ Sie holte tief Luft und sie verbarg das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht, dass sich dabei zeigte, „Nun ist es umso wichtiger, dass wir den Lobo loswerden. Es gibt nicht allzu viele Auftankmöglichkeiten dafür und an jeder könnte ein Hit-Team auf uns warten. Außerdem wird es ratsam sein, ein paar Haken zu schlagen, um unsere Spuren zu verwischen. Wenn Average hier ist, werden wir zügig einladen und ich werde Average bitten, eine sichere Leitung aufzubauen, um unseren Auftraggeber zu kontaktieren.“

Gumshoe sah sehr ernst aus, als er fragte: „Was ist mit der Option, dem Dachen das Stück anzubieten?“

Snowcat schüttelte vehement den Kopf, „Das ist überhaupt keine Option.“

Gumshoe runzelte die Stirn: „Warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Ganz einfach. Erstens hat er uns das gar nicht angeboten, also will er uns jagen. Zweitens können wir ihm nicht trauen und drittens prellt man seinen Auftraggeber nicht.“

Jede weitere Diskussion wurde erst einmal durch die Ankunft von Average unterbrochen.


Als das Gepäck verladen war, zog sich Snowcat ein gutes Stück Abseits des Lobo zurück, schaltete Kopfhörer, Bildschirm und Mikrophone ihres Commlinks ein und wählte die Nummer, die sie von ihrem Auftraggeber bekommen hatte. Im Anschluss gab sie den Code ein, damit am anderen Ende der Leitung auch zu erkennen war, dass sie selbst anrief. Nur Blackstone hatte in ihrer Nähe Stellung bezogen, alle anderen warteten beim Lobo. Das zweiteilige Artefakt trug Snowcat nun am Körper in der Mansheet-Tasche, auch wenn sie inzwischen wusste, dass die Tasche zur Tarnung der Aura des Kompasses nicht ausreichte. 

Ehran nahm nach dem fünften Klingeln ab. Snowcat hatte nicht überprüft wie spät es anderswo war. Es spielte keine Rolle und außerdem wusste sie eh nicht, auf welchem Kontinent sich ihr Mentor gerade befand. Sie erwiderte Ehrans Lächeln und begrüßte ihn auf Sperethiel, „Seid gegrüßt Meister.“ 

Er schmunzelte, als sie ihn so förmlich ansprach. „Sei gegrüßt, meine liebe Schülerin. Geht es Dir gut? Bist Du unverletzt?“

Aus reiner Gewohnheit und weil es einfacher war, sich in dieser Sprache präzise auszudrücken, blieb Snowcat beim Sperethiel: „Danke, ich habe keinen Kratzer abbekommen und erfreue mich bester Gesundheit. Es ist uns sogar gelungen, das zweite Teil des Puzzles zu beschaffen.“ Sie machte eine kurze Pause und genoss den Stolz, den sie ihn Ehrans Augen erkennen konnte, dann fuhr sie fort: „Leider gibt es ein ,Aber.‘ Es waren Konkurrenten an Bord, die versucht haben, uns das Stück wieder abzunehmen. Es kam zu einem Kampf. Wir haben es uns zurück geholt und dabei den Anführer der Gruppe, einen Drake mit dem Namen Massaki und alle seine Leute getötet. Im Anschluss haben wir uns dann hier absetzen lassen und eigentlich war alles in Bester Ordnung, bis... ja bis sich vor wenigen Minuten ein astraler Drache vor unseren Augen materialisierte und uns drohte.“

Ehran hob auf die ihm so eigene Art eine Augenbraue, die Interesse, Überraschung und vielleicht einen Hauch Anspannung darstellte, aber Sorge oder gar Panik zeichnete sich in seinem Gesicht nicht ab. „Befindest Du Dich in unmittelbarer Gefahr?“

Snowcat schüttelte den Kopf: „Das glaube ich nicht, der astrale Drache war vor 17 Minuten hier, wenn er mehr vermocht hätte, als uns zu Drohen und Einzuschüchtern, dann hätte er es wohl gleich getan. Dennoch sollten wir unbedingt den Lobo loswerden, denn der Drache könnte erfahren, dass wir damit gereist sind und es wäre ein Leichtes zu jeder möglichen Auftankstation ein Team zu schicken. Außerdem sollten wir Umwege machen und Haken schlagen, damit sich die Chancen erhöhen, dass sich unsere Spur verliert. Da die Mana-Sheet Tasche nicht ausreicht, um die Signatur des Kompasses zu verbergen, sollten wir so oft wie möglich den Schutz von Hütern nutzen.“

Ehran nickte. „Dem stimme ich zu.“, war da etwa wieder so etwas wie Stolz in seiner Stimme zu hören? „Doch bevor wir uns um die Weiterreise kümmern, möchte ich zunächst, dass wir uns ein wenig Zeit nehmen und Du mir genauer beschreibst, was geschehen ist.“

„Gern, was möchtest Du wissen?“

Ehran stellte nun detaillierte Fragen zu Massaki, dem Kampf an Bord des Luftschiffes und der astralen Gestalt des Drachens. Für letzteres nahmen sie sich am längsten Zeit. Snowcat war inzwischen an diese Fragetechnik gewöhnt und sie wusste, worauf es dabei ankam. Wenn Snowcat keine exakten Angaben machen konnte, galt es Vergleichswerte zu nennen, um das Ergebnis zu präzisieren. Ein Gegenstand war nicht einfach klein, er war ungefähr so groß wie ein Fingernagel. Nachdem sie ihrem Mentor die manifestierte Aura des Drachen beschrieben hatte und er mit dem Ergebnis zufrieden war, fragte sie: „Und, könnte es Ryumyo gewesen sein?“

„Ich schließe es zumindest nicht aus. Aber mit der Aura ist es eben so eine Sache, das weißt Du ja. Wirklich sicher sein könntest Du Dir nur, wenn Du ihm das nächste Mal begegnest und seine Aura betrachtest. Wobei wir eine weitere Begegnung mit ihm unbedingt vermeiden sollten.“

Snowcat nickte erneut, „Falls es etwas nützt, als das Flimmern begonnen hat, habe ich die Fluktuation meiner Aura angeworfen.“

„Da hast Du sehr gut reagiert und es hat auf keinen Fall geschadet. Nun macht euch auf den Weg. Reist zunächst einfach direkt nach Norden. Ich melde mich in exakt dreißig Minuten und gebe dir dann weitere Auskunft.“

Snowcat lächelte, „Gut, danke.“

„Da gibt es nichts zu danken. - Und Snowcat, pass auf dich auf!“

Ihr Lächeln wurde breiter, „Ja Meister.“


Irgendwie hatten die dröhnenden Motoren einen beruhigende Wirkung auf Snowcat. Nach der vielen Aufregung stellte sich so etwas wie Müdigkeit bei ihr ein. Doch es war ihr nicht vergönnt, die Augen für die nächsten 25 Minuten zu schließen, die ihr bis zu Ehrans Rückruf noch blieben.

Gumshoe sprach sie an. „Hast du was über den Drachen rausbekommen?“

Snowcat schüttelte den Kopf, „Nein. Es bleibt dabei, es besteht die Gefahr, dass es Ryumyo ist, aber es könnte auch irgend ein andere Drache sein.“

„Mensch Snowcat,“ fuhr Average dazwischen, „Du weißt doch was Velvet immer gesagt hat, nenn die Namen von Drachen nicht, dass könnten sie hören.“

Bei dieser Äußerung verzog Gumshoe das Gesicht, ungeachtet dessen fuhr er fort: „“Ist ja auch egal welcher Drache es ist. Wenn ein Drache hinter uns her ist, ist das kein Pappenstiel. Wenn wir ihm das Teil nicht anbieten, weil er auf Rache aus ist, dann sollten wir zumindest sagen, dass wir das nicht können, weil es zum Beispiel für Lofwyr ist. Oder wir sollen es Lofwyr gleich anbieten!“

„Ma‘an, keine Drachen-Namen.“, fauchte Average.

Snowcat rieb sich die Augen, sie konnte es nicht fassen, ärgerlich sagte sie, „Und warum sollten wir das tun, Gumshoe?“

„Na weil es gut ist, einen Drachen zum Verbündeten zu haben, wenn es gegen einen anderen Drachen geht.“

„Was du da sagst ist völliger Quatsch.“, Snowcats Tonfall war aggressiver, als man es von ihr gewohnt war, „Einem Drachen etwas anzubieten, macht ihn nicht zu deinem Verbündeten, eher machst du dich zu seinem Sklaven. Außerdem weißt du nicht, wer unser Auftraggeber ist und...“

Gumshoe unterbrach sie: „Siehst Du, dann könnte es auch Lofwyr sein und wir können das andeuten.“

„Nein, können wir nicht, egal, ob er es ist oder nicht. Man kann Drachen nicht gegeneinander ausspielen, indem man sie einfach erwähnt. Du weißt doch Nichts über sie! Vielleicht haben gerade die beiden, die du ausgesucht hast, einen Pakt mit einander geschlossen und du fliegst mit deiner Geschichte sofort auf.“

„Na gut, dann bieten wie es einem anderen Drachen an. Wenn einer das Teil sucht, dann ist vielleicht auch ein anderer daran interessiert. Und es lohnt sich in jedem Fall einen Drachen zum Freund zu haben.“

„Wir drehen uns gerade im Kreis.“, Snowcat hatte sich beruhigt und sie sprach jetzt wieder im ruhigen, schmeichelnden Ton. „Du sagst schon wieder das Selbe und ich sagte dir, das geht nicht! - Außerdem kann man nicht einfach mit einem Drachen Freundschaft schließen.“ Sie machte eine kurze Pause und ergänzte keck lächelnd, „Das heißt, du kannst es nicht, ich kann es vielleicht schon!“


Ehran meldete sich pünktlich. Er nannte ihr die Daten nur ein einziges Mal. Er wusste, dass sie nichts davon vergessen würde. „Snowcat, du behältst die Losung bitte für dich, damit du die Einzige bist, die die Verbindung herstellen kann.“ Snowcat nickte. Nach der Unterhaltung, die sie kurz zuvor mit Gumshoe geführt hatte, war sie selber zu der Erkenntnis gekommen, dass es besser war, vorsichtig zu sein, vor allem im Bezug auf Gumshoe und Sunrise, da sie die zwei Männer erst so kurz kannte. 

Sie machte sich nichts vor, am Ende gab es hier an Bord nur einen Metamenschen dem sie vollständig vertrauen und auf den sie sich gleichzeitig immer verlassen konnte, Blackstone.

Ehran verabschiedete sich: „Eine gute Reise und bis bald!“

Snowcat lächelte, „Bis bald, werter Eoerin!“, dann unterbrach sie die Verbindung.

Sie tippte Koordinaten in ihr Commlink und sandte sie an Average. „Average, setzt bitte Kurs auf Tashkent. Bei den angegeben Koordinaten wird man Funkkontakt mit uns aufnehmen, den Du dann bitte zu mir durchstellst. Landen darfst Du erst, wenn sicher ist, dass Unten die Richtigen auf uns warten.“

„Copy!“, bestätigte der Mann aus seinem Kokon heraus.

Nach weiteren 85 Minuten Flugzeit erreichten sie ihr erstes Etappenziel und wie erwartet, funkte man sie an. Average stellte den Kanal für alle im Lobo hörbar durch. „Hallo unbekannter Aztechnology Lobo. Hier ist ihr Landeplatz.“ sagte eine sympathisch klingende, unbekannte, männliche Stimme im akzentfreien English. „Bitte identifizieren sie sich indem sie den folgenden Satz korrekt erwidern: A dark knight is still a knight.“

Snowcat drückte auf den AR-Button für ,Sprechen‘ und antwortete, „To fight the dark, he needs a light and heart.“

Man nannte ihnen genaue Koordinaten für die Landung und nachdem Average Snowcat gefragte hatte: „Das war der richtige Codesatz?“ und die Elfe dies bestätigt hatte, landete er den Lobo sanft und sicher etwa 30 km südlich der Stadt Tashkent. 

Am Landeplatz stand ein Hubschrauber vor dem zwei menschliche Männer warteten. Der eine war etwas über 1,80 m groß, braun gebrannt, mit wettergegerbten Gesicht und mit dunkelblonden sehr kurz geschnittenem Haar. Er trug eine Bomberjacke, Springerstiefel und Cargohosen. 

Der andere Mann war knapp 1,90m groß, wirkte aber durch seine hagere Gestalt, seine sehr blasse Haut und seine Glatze noch um einiges größer. Er war in eine dunkle Hose, einen schwarzen, taillierten Mantel und ein dunkles Hemd samt Weste gekleidet. Sein Schuhwerk war eher praktisch, wirkte aber frisch geputzt, obwohl die Schuhe nicht ganz so blank waren, wie die von Blackstone. 

Snowcat hatte im Lobo das Kleid ausgezogen und trug nun einen langärmeligen Catsuit und Combat-Boots. Ein Großteil ihrer wichtigsten Ausrüstung war an zwei Gurten verstaut, die sie gekreuzt über den Schultern trug, einige andere Dinge hatte sie an ihrem Gürtel befestigt. Die Mana-Sheet-Tasche steckte in einem Hüftbeutel, den sie zusätzlich mit einem langen schwarzen Seidentuch befestigt hatte. Über die Sachen hatte sie ihren Lieblings-Ledermantel gezogen, der ebenfalls schwarz war. Außerdem was sie wieder zu original Haut- und Haarfarbe zurückkehrt. Das lange schneeweiße Haar hatte sie zu zwei parallelen französischen Zöpfen geflochten und die Frisur wurde zusätzlich von einem schwarzen Bandana zusammen gehalten, welches sie als Kopfbedeckung trug.

Der hagere Mann kam Snowcat entgegen und begrüßte die Runner im akzentfreien Englisch: „Mein Name ist Sal Fortuneshocker und dieser...“ er deutete auf den anderen Mann links neben sich, „... Mann hier ist Trouble. Wir sind sozusagen eure Reiseführer für die nächste Zeit.“

Snowcat lächelte wie üblich so charmant wie möglich: „Hallo. Das hier sind Riven, Mystique, Twinbow, Sunrise, Gumshoe, und Blackstone. Der Mann der den Lobo nur so ungern verlässt ist Average und ich bin Snowcat.“

Sal lächelte Snowcat an, sah ihr in die Augen und meinte: „Ich weiß.“

Snowcat hob in gespielter Skepsis eine Augenbraue: „Gut, ich wollte nur höflich sein und die anderen vorstellen.“

Sal grinste ansatzweise: „Oh, ja natürlich. Das war auch gut so. Ich wusste zuvor auch nur, dass du Snowcat bist. Du könntest gar keine andere sein.“

Snowcat legte den Kopf ein wenig schief: „Ich nehme das mal als Kompliment. Danke!“

Trouble beulte die Taschen seiner Bomberjacke in einer ungeduldigen Geste aus. Dann zog er die rechte Hand aus der Tasche, hob sie zum Gruß und sagte zu Snowcat: „Hoi Schwester.“, dann blickte er zu Sal; „Können wir dann jetzt mal loslegen.“

„Oh ja, natürlich,“, sagte der hagere Mann sofort. Er blickte die Runner an: „Euer Gepäck müsst ihr bitte in den Hubschrauber laden und an die zwei Männer die dort gerade aussteigen, muss dann bitte die Schlüsselkarte für den Lobo übergeben werden.“

Der Schmerz, den das für Average bedeutete, war ihm anzusehen. Als er den Zugangscode an die beiden Männer übergab, wischte er sich symbolisch die Augenwinkel. 

Riven meldete sich über den Team-Kanal: „Die Aura von Trouble sieht mundän aus und er ist auch nicht verdrahtet. Fortuneshocker hat ein ansehnliches Magieattribut, ist auch nicht verdrahtet und wirkt völlig gesund.“ Snowcat drehte sich zu ihr um und nickte ihr lächelnd zu. ,Danke‘, formte sie tonlos mit den Lippen.

„Ready for Lift-Off, Schwester?“, fragte Trouble Snowcat, als das Umladen beendet war. Dann setzte er sich auf den Pilotensitz.

Sie flogen nur etwa 10 Minuten, dann landeten sie auf einem kleinen Flugplatz irgendwo im Stadtgebiet von Tashkent. Von hier aus ging es in einem geräumigen, viel genutzten SUV weiter. Trouble setzte sich erneut ans Steuer. 

„Wir fahren jetzt zu dem sicheren Haus, wo ihr euch erstmal ausruhen könnt.“, erklärte Sal. 

Average dachte sofort an das für ihn Wesentliche: „Gibt es da auch noch was zu essen und ne kalte Cola?“

„Das erste mit Sicherheit, für die Cola kann ich aber nicht garantieren.“, antwortete Sal leicht schmunzelnd.

Snowcat hingegen interessierte etwas völlig anderes: „Ist das Haus durch einen Hüter geschützt?“ 

Sal nickte: „Ja, ist es.“

„Wird dieser Hüter uns davor schützen, magisch gefunden zu werden?“, fragte Sunrise nach.

Wieder antwortete Sal zuerst: „Nun, sagen wir mal so, es macht das Finden auf jeden Fall schwer und langwieriger. - Und Sunrise, du bist also der Russe.“

Sunrise zog argwöhnisch die Augenbrauen zusammen: „Was hat mich verraten und wieso willst du das wissen?“

„Oh, das war gar keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung.“, begann Sal.

Trouble schnaufte und murmelte dabei: „Das wird jetzt wieder länger dauern.“

Sal achtete nicht weiter darauf und fuhr fort: „Verraten hat dich natürlich dein unüberhörbarer Akzent, aber keine Sorge, ich meinte das nicht irgendwie wertend, es war eine reine Feststellung. Ich kann das sogar weiter ausführen und deinen Ursprung auf die nördlichen Bezirke von Moskau eingrenzen. Du bis natürlich auch nicht der einzige dessen Aussprache etwas über seine Herkunft verrät, auch wenn es bei dir hier am deutlichsten ist. Riven zum Beispiel stammt ihrem Akzent nach, den sie übrigens absichtlich betont, aus Quebec, hat ihn aber erst kürzlich durch einen längeren Aufenthalt im schönen Paris aufgefrischt. Average stammt unverkennbar aus L.A. in Kalifornien. Unter Twinbows langgezogenen Sperethiel-Vokalen verbirgt sich ein wenig polnische Sprachmelodie, was die Vermutung nahe legt, dass er aus dem schönen Herzogtum Pomorya stammt und mir förmlich die Frage aufdrängt,“ Sal sah Twinbow nun an, der wieder den Arm um Riven gelegt hatte, „bist du vielleicht von dort verbannt worden?“

Twinbow starrte finster zurück, „Wenn ich es wäre, würde ich es nicht sagen.“

Sal winkte ab: „Natürlich nicht. Auch Gumshoes Herkunft ist leicht. Er spricht mit einem starken Bostoner Akzent und selbst wenn er dort nicht geboren wurde, so lebte er doch lange Zeit dort. Um seine Herkunft genauer einzugrenzen, müsste er allerdings noch ein paar Worte mehr sagen.“

Gumshoe zog eine Flasche Wodka unter seinem Mantel hervor und sagte grinsend: „Nastrovje!“ , dann reichte er die Flasche an Sunrise weiter, der kurz zögerte und dann davon trank.

Sal lachte und machte dann weiter: „Blackstones Herkunft liegt eindeutig in den ADL, aber auch du müsstest noch ein paar Worte mehr sprechen, damit ich das genauer eingrenzen kann. Bei Mystique gestaltet es sich schon viel schwieriger, aber Englisch ist definitiv nicht deine Muttersprache, dafür ist es viel zu akzentfrei.“ 

Mystique unterbrach ihn und sagte mit einem heftigen Südstaaten-Akzent, der jeden Texaner vor Neid erblassen lasse würde: „Danke Mann, als akzentfrei ist mein English noch nie bezeichnet worden.“ 

Trouble lachte kurz. Sal ignorierte das und sah nun Snowcat an, „Was Snowcat angeht...“

Trouble stoppte ihn, „Wir sind gleich da. Mach mal Pause jetzt Sal.“ 

Sal lächelte Snowcat charmant an, redete aber nicht weiter. 

Es hatte zu Nieseln begonnen, als sie tief in der Nacht das SUV verließen. Bei dem Safehouse handelte es sich wirklich um ein richtiges Haus. Um genau zu sein war es ein zweistöckiges Einfamilienhaus mit Garage und kleinem Garten auf der Rückseite. Hier und da war der Putz abgebröckelt, aber alles im allem machte das Haus einen soliden Eindruck. 

Die Einrichtung war einfach und nicht sonderlich modern, aber in der Essküche, die praktisch direkt in ein großes Wohnzimmer überging, gab es einen Kühlschrank nebst Gefrierschrank, eine große Kaffeemaschine und einen Geschirrspüler. Das modernste Gerät hier war die Mikrowelle, die über ein relativ aktuelles AR-Bedienfeld verfügte. Der Gasherd wirkte so, als wäre er schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden und über AR war er nicht mal aktiv. 

Auf dem Küchentressen hatte jemand einen Haufen selbsterhitzende Mahlzeiten und Fertiggerichte für die Mikrowelle abgelegt. Sal begann damit, die Gerichte nach Sorten und Größe zu sortieren und sie in einer Reihe auszurichten. 

Im Kühlschrank standen Wasserflaschen und ein Dutzend Dosen einheimischen Bieres, welches Gumshoe skeptisch begutachtete. Dann zog er von weiter hinten eine Dose hervor und warf sie Average zu, der sie ein wenig ungeschickt auffing, beinah wäre sie ihm runter gefallen. Es schien wohl so eine Art Cola zu sein. 

Auch der Trideoschirm war nicht besonders neu, aber die Couch und die Sessel davor waren zumindest sauber und sahen gemütlich aus, auch wenn sie ursprünglich nicht zusammen gehört hatten. Echte Stoffe gab es hier an den Wänden natürlich nicht, dachte Snowcat schmunzelnd.

Oben gab es fünf 2-Bettschlafzimmer. Twinbow und Riven sicherten sich das einzige in dem ein Doppelbett stand. Snowcat teilte sich erneut ein Zimmer Mystique. Die Kombination Gumshoe und Sunrise war auch unausgesprochen eine sichere Sache. Ein weiteres Zimmer würden Trouble und Fortuneshocker belegen. So blieben für den letzten Raum noch Blackstone und Average übrig. „Lass mal. Kannst das Zimmer für dich alleine haben Average.“ verkündete Blackstone. „Ich schlaf lieber unten auf der Couch.“ Average zuckte mit den Schultern, warf seine Tasche auf ein Bett und ging dann zurück zur Garage, die man von der Küche aus betreten konnte, um sein restliches Equipment zu holen. 

Nachdem sich alle irgendwie eingerichtet hatten, winkte Sal Blackstone und Snowcat zu sich. „Kommt ihr Beiden bitte mal kurz mit. Wir möchten Euch oben was zeigen.“ Er deutete auf eine Treppe, die man von der Dachluke runtergelassen hatte. 

Snowcat sagte den anderen über den Teamkanal bescheid und stieg dann die steilen, leicht wackligen Stufen hoch. 

Bis auf ein paar Kerzenstummel, einem leeren Holzegal und einer rohen Glühlampe, die an einem Kabel von der Decke baumelte und die nun ihr kaltes Licht tanzend auf dem Dachboden verteilte, war der Raum leer. Er erstreckte sich fast über die gesamte Grundfläche des Hauses, so dass man hier eine Menge Platz für alles mögliche hatte. Trouble wartete im hinteren Drittel. Er hatte Bomberjacke, Schuhe und Socken ausgezogen und sie neben sich auf den Boden gelegt.

Sal zog die Treppe hoch und schloss im Anschluss die Luke. Blackstone beäugte die beiden Männer abwechselnd und ein wenig argwöhnisch. „Keine Sorge,“ beschwichtigte Sal. „Trouble will euch wirklich nur etwas zeigen.“

Trouble grinste kurz, zog dann völlig ohne Scheu T-Shirt und Cargohose aus und verwandelte sich kurz darauf in einen Drake. 

Snowcat sah ihm fasziniert dabei zu. Sie hatte noch nie zuvor eine Verwandlung in Ruhe betrachten können. So sah es also aus. Troubles Drake-Gestalt war die eines westlichen Drachen in warmen Erdtönen. 

„Seht ihr, keine bösen Absichten. Ich wollte euch das nur wissen lassen!“, klang es in Snowcats Kopf.

„Wow. Dankeschön. Darum hast du also immer Schwester zu mir gesagt.“

Trouble nickte.

„Und woher wisst ihr, dass ...“ Snowcat brach den Satz ab, es fiel ihr schwer das einfach so auszusprechen.

Sal ergänzte: „Woher wir wissen, dass Du auch ein Drake bist? Der, der uns hierher geschickt hat, hat es uns gesagt.“

Snowcat war ein wenig erleichtert, „Gut. Trotzdem noch mal danke für euer Vertrauen.“ Snowcat machte keine Anstalten sich jetzt auszuziehen und sich ebenfalls zu verwandeln und es schien auch überhaupt nicht von ihr erwartet zu werden. 

Trouble streckte kurz Beine und Flügel, soweit das hier möglich war und verwandelte sich dann zurück. Er trat wieder ohne jegliche Scheu an seine Sachen und zog sie an. 

„Wie lange ist deine erste Verwandlung so her?“, fragte Snowcat neugierig.

„Ungefähr vier Jahre.“ antwortete Trouble ohne Umschweife.

„Bei mir ist es fast ein Jahr her.“, erzählte Snowcat, obwohl ihr klar war, dass auch hier nicht erwartet worden war, dass sie etwas von sich Preis gab.

„Na, dann lasst uns mal wieder runter gegen, bevor sich die anderen noch Sorgen um euch machen.“, meinte Sal nur.

Die anderen Runner saßen unten in der Wohnküche beisammen, die meisten hatten sich eines des selbsterhitzenden Essen genommen, schließlich war ihre letzte richtige Mahlzeit das Frühstück an Bord der Aman Iki gewesen. Twinbow und Riven saßen nebeneinander und Riven legte hin und wieder ihren Kopf auf Twinbows Schulter, um sich auszuruhen. 

„Besonders toll ist das Essen aber nicht,“, nörgelte Average.

Twinbow sah ihn fragend an: „Hä? Und wieso hast du dann schon drei Portionen davon gegessen?“

„Ich konnte ja nicht wissen, dass alles gleich schlecht ist und außerdem habe ich Hunger und es ist nichts anderes da. Pizza wolltet ihr mich ja nicht bestellen lassen.“

Trouble trat an die Theke, suchte sich ein Essen aus, wobei er einige andere Essen hin und her schob und alles in Unordnung brachte. Als er sich umdrehte, um sich mit seiner Auswahl an den Tisch zu setzen, schubste er noch einen der Stapel um: „Wie ungeschickt.“, murmelte er grinsend. 

Sal ging zu dem Essen, doch er nahm sich zunächst keines, er sortierte und stapelte es erst wieder nach Art und Größe. 

Snowcat suchte sich eine Portion scharfe, asiatische Nudeln aus und überlegte kurz.

Average schluckte seinen letzten Biss runter und verkündete nicht ohne Stolz: „Ich hab sie alle schon mit dem TAG-Eraser bearbeitet.“

Sunrise blickte von seinem Essen auf: „Ah, genau, warum hast Du das eigentlich gemacht?“

„Na wegen der TAGs, die die Azzies immer in die Fertigessen tun, um einen verfolgen zu können.“ erklärte der dunkelhäutige Mann, als wäre es das Normalste von der Welt. „Hast Du davon etwa noch nie gehört?“

Sunrise und Gumshoe schüttelten gleichzeitig den Kopf. 

Während unter den anwesenden Runnern nun eine angeregte Diskussion darüber entbrannte, ob und warum Aztechnology so etwas tun sollte, begann Snowcat damit, ihren Magen mit heißen Nudeln zu füllen. Der Geschmack war nebensächlich. Ihr Bauch jedenfalls schien zufrieden damit. Ob das nun daran lag, dass sie wirklich Hunger gehabt hatte oder daran, dass über dem Bauch Shantayas Kompass befestigt war, wusste die Elfe nicht. Es spielte auch keine Rolle.

Und alles andere hatte noch bis morgen Zeit.

 

                                                            UC - UNIVERSAL CONSULTANTS - UC

                              UC - Unknown Consequences -das TOP-Runnerteam aus Seattle- You See! 


Wie und wohin die Reise weiter geht, ob die Runner ungewollt gefunden werden und ob sie den Namen eines Drachen auf ihre Feindesliste setzten müssen, wird demnächst hier zu lesen sein. 

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*