Termin 18/12 Meeting Colt Run 38/3

Dieser Eintrag setzt sich aus den Ereignissen von zwei Spielabenden, ein paar Stunden am 6.7. und ein paar Stunden mehr, am 7.7. zusammen. Leider konnte der Spieler von Gumshoe nicht dabei sein. Spontan hatten wir am 6.7 auf einen Beitrag aus dem SR-Nexus Forum reagiert. Dort suchte ein Spieler eine SR-Runde in Berlin. Genauso spontan kam Spieler O. am 7.7. vorbei. Der Charakter Colt wurde erschaffen und sogleich eingeführt.

Die Ereignisse fügen sich nahtlos an die von „Meeting Gumshoe“ an und sind wie immer aus der Sicht von Snowcat beschrieben. 

Die Runner haben durch Netcat, einer Hackerlegende und ungewöhnlicher Weise bekennende Technomancerin, von einem geheimen MCT- Labor unter einer Schönheitsklinik im Bostoner Nobelviertel Becon Hill erfahren. Dort sollen Experimente an den Gehirnen von mehreren Technomancer stattfinden. Die Runner wollen mit Netcat und in deren Auftrag, einen der Technomancer mit dem Namen Puck befreien. Die Situation ist ungewohnt, denn das zusammengewürfelte Team hat in Boston nur auf begrenztes Equipment Zugriff.  


Sparky und Arcade hatte schon recht, es war verdammt kalt hier in Boston, dachte Snowcat, als sie schnellen Schrittes mit noch feuchtem Haar, zu ihrem schwarzem Landrover 2068 ging. Nicht ungewöhnlich kalt für einen 9. Februar in Boston, aber ungewohnt kalt, für jemanden, der seine Winter bisher in Seattle verbracht hatte. Sie musste sich beeilen, sonst würde sie noch zu viel zu spät zum Meeting und Abendessen bei Tango um 18.00 Uhr erscheinen. Natürlich würde sie nicht rennen, das wäre ihrer unwürdig gewesen. Sie rannte nur dann, wenn es unbedingt notwendig war. Snowcat rannte, wenn sie jemanden jagte oder wenn sie vor jemandem floh, aber sie würde niemals rennen, um pünktlich zu sein. Natürlich sah sie mehr als einfach nur gut aus, wenn sie rannte. Darum ging es hier auch nicht. Es ging ums Prinzip. Andere konnten ruhig auf sie warten, das war jemand wie SIE alle Mal wert.

Nein, Snowcat rannte nicht, wenn sie Zeit aufholen wollte, um pünktlich zu sein. Aber schnell zu fahren, war ihrer nicht unwürdig. Also trat sie aufs Gas und brauste mit einem waghalsigen Manöver aus ihrer Parklücke. 

Snowcat hatte vorhin vertieft in die Aufgabe, die ihr ihr Professor im Enchanting-Kurs am MIT&T gegeben hatte, völlig die Zeit vergessen. Viel zu spät war sie in ihrem Apartment angelangt. Auf eine Dusche hatte sie nicht verzichten wollen und so war es nun bereits 17.45 Uhr. 

Sie schaltete Musik an. Lauter Goblin-Rock dröhnte. In fünfzehn Minuten von hier zu Tangos Studio? Das war für einen Weg von normalerweise 35 Minuten wohl nicht drin, aber sie konnte es in 20 Minuten schaffen. 

Schnee spritze auf, als Snowcat das SUV schwungvoll vor dem Backsteingebäude einparkte. Es war 18.06 Uhr. Sie lächelte zufrieden und drückte den Summer, woraufhin sich die Tür mit einem leisen Klicken öffnete. Warme Luft, in der ein wundervoller Duft nach frisch zubereitetem Essen lag, umströmte sie. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.

Snowcat war kaum durch die Tür, als Sparky und Arcade sie bereits schnell wieder zustießen. Sparky trug eine grüne und Arcade eine orangene Mütze. „Lass bloß nicht so viel kalte Luft rein, Eisprinzessin.“, tönten die Zwillinge unisono. „Uns ist gerade wieder fast warm.“

Morrie trat hinzu, nahm Snowcat ihren Mantel ab und henkte ihn an die Garderobe. Ob Tango ihn wohl dazu aufgefordert hatte oder ob der junge Mann selber auf die Idee gekommen war? Sparky und Arcade rollten mit den Augen, was Morrie ebenfalls nicht entging. Snowcat schmunzelte. Wer oder was auch immer dazu den Ausschlag gegeben hatte, nun würde Morrie Snowcat sicher mehr solche Höflichkeiten erweisen. 

Netcat saß bereits am Tisch. Sie blickte immer noch sehr ernst drein, auch wenn sie nicht mehr ganz so angespannt wirkte, wie die Tage zuvor, was sicher an der heimeligen Umgebung lag. 

Snowcat trat zu Tango in die Küche, der gerade beide Hände und den Schwanz voll mit der Zubereitung des Essens zu tun hatte und begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange.  Seine Echsenhaut war im Gesicht glatt, warm und vor allem Bartlos, was ein Küsschen zu einer sehr angenehmen Angelegenheit machte.

Snowcat blickte sich um. Gumshoe fehlte noch, dennoch bat Tango alle zu Tisch. Arcade erklärte: „Gumshoe wollte seinen Posten nicht verlassen.“ 

„Seinen warmen Posten in dem gemütlichen Auto!“, ergänze Sparky. 

„Er hat angerufen und uns alles mitgeteilt, was er bis jetzt rausgefunden hat.“

Zwischen Vorspeise und Hauptgang rief Arcade eine Datei auf und verteilte sie über AR. Snowcat überflog die Überwachungsdaten der Klinik und betrachtete kurz die Bilder, die Gumshoe offenbar mit Hilfe eines guten Zooms gemacht hatte. Um alle Details aufzunehmen, brauchte die Elfe nur ein paar Minuten. Sie würden zwar noch mehr Informationen benötigen, aber es wurde sofort klar, dass Gumshoe wirklich wusste, was er tat, wenn er etwas beobachtete. 

Arcade, die allein während der Vorspeise fünf mal ihren Teller mit Sparky getauscht hatte, erklärte, „Dank Gumshoes fundierten Daten wissen wir jetzt so einiges über die Bewegung am Vorder- und Hintereingang der Klinik. Aaaaber, das System ist wirklich abgeschirmt. Soll heißen, wir müssen bis 0,5 Meter an die Hauswand ran, um an irgendwas zu kommen, was sich im Inneren befindet. - Ist natürlich nicht ungewöhnlich für ne Schönheitsklinik, schließlich müssen die ihre Gäste ja vor den Paparazzi schützen. Das einzige, was man also abhören kann, sind aus- und eingehende Commcalls.“

„Wir müssen also ins Gebäude rein, um was rauszukriegen?“, fragte Morrie nach. 

Die Zwillinge nickten, „Wir müssen jedenfalls dicht ran.“

Nach der Hauptmahlzeit begangen sie mit der Planung. Sie kamen überein, sich für die nächsten Tage im Namen eines reichen Kunden als dessen Stab einen Termin für eine Führung geben zu lassen, ihren ,Führer‘ auszuschalten und dann heimlich nach unten zu gelangen, Puck zu befreien, im Gebäude eine Ablenkung zu starten und im Gewirr mit Puck zu verschwinden. Innerhalb weniger Minuten stand der Plan also im Groben. Aber für die Details würden sie noch mehr Informationen brauchen. Gumshoe wollte mindestens noch weitere 14 Stunden auf seinem Posten bleiben, aber das allein würde nicht genügen. Sie brauchten Information von Innen. 

Aber auch dafür hatten sie eine Idee!


140 Minuten nachdem sie ihre köstliche Nachspeise verzehrt hatten, liefen Snowcat und Netac bei Morrie eingeharkt, aufgedonnert, kichernd und leicht torkelnd, mit einer fast leeren Champagner-Flasche in der Hand auf den Eingang der Collins Biotech Klinik in Becon Hill zu. Bei Collins Biotech handelte es sich natürlich um eine Tochtergesellschaft von MCT. Dank Snowcat Wandlungsfähigkeiten und dank der Nanopaste, die Morrie ebenso besorgt hatte, wie eine Limousine, würde sie niemand erkennen und dank der teueren Kleidung, die sie trugen, hielt sie auch niemand auf. Sie bewegten sich laut und auffällig und gaben so den getarnten SpArcade, die sich parallel an die rechte Seite des Gebäudes schlichen, zusätzliche Deckung. 

Im Foyer und am Counter ging Snowcats Show erst richtig los. In einer Mischung aus Schüchternheit und Frechheit ließ sich sich sämtliches Informationsmaterial auf ihr Commlink schicken und fragte dann, ob man ihr nicht doch irgendwie ein Autogramm von Simon Brubaker besorgen könne, natürlich würde das rothaarige Mädchen auch niemanden verraten, dass der Trideostar tatsächlich hier war. 

Unterdes platzierte Morrie Sparkys kleine Glibberball-Drohne am Tresen und ließ eine kleine Flugdrohne unbemerkt in die Luft steigen. Arcade und Netcat kümmerten sich um die Matrix.

Nach zwölf Minuten war die Aktion vorbei. Sie hatten nur zwei Minidrohnen im Gebäude platziert, die fleißig filmen würden. Sie besaßen einen Gebäudeplan und eine Lieferliste mit Zeiten und Firmen für die nächsten drei Tage. Sie wussten, dass sämtliche Mitarbeiter und Patienten mit nicht-implantierten RFID-TAGs ausgestattet waren und, dass diese TAGs den Zugang begrenzten. Es gab zwei Matrix-Systeme, ein offizielles und ein verstecktes für die Sicherheit. Arcade hat sich zu beiden eine Hintertür gelegt. 

Eigentlich wussten sie nun alles, leider befand sich dabei klein Beweis auf die Existenz einer geheimen Klinik unter dem Keller. Es gab nur zwei winzige Hinweise. Erstens waren von den 35, sich laut Anmeldung im Gebäude befindenden Sicherheitsmännern, nur 25 auffindbar gewesen und zweites gab es im Keller, nahe der Waschküche eine Tür und im Haus einen Fahrstuhl, vor- beziehungsweise, in dem sich ein Handabdruck-Scanner befand, auf den man weder über das öffentliche System, noch das Sicherheitssystem Zugriff hatte. 

Sie wussten zwar immer noch nicht genau, was sie unter dem Keller erwartete, aber sie wussten, dass sich dort zehn Sicherheitsmänner aufhalten würden. Sie kannten den genauen Zugangsort und sie wussten, dass sie auch im Gebäude einen Hacker brauchen würden, denn jemand musste vor Ort sein, um direkt an dem Schloss herum zu schrauben. 

Sie verabredeten sich für den nächsten Abend, ebenfalls um 18.00 Uhr, bis dahin würde Netcat sich um ein passendes Profil für einen afrikanischen Boss gekümmert haben, der sein Personal schickte, um die Klinik zu inspizieren. 


Am 10.2.2072 erreichte Snowcat um 10.03 Uhr eine Textnachricht von Gumshoe: ,Überwachung war erfolgreich. Kenne nun den Zeitpunkt des Keller-Wachwechsels. Die 10 Männer haben 24 Stunden- Schichten und werden um 4.00 Uhr früh abgelöst. Eure Lieferdaten stimmen mit dem Geschehen am Liefereingang überein. Leider muss ich kurzfristig in einer dringenden Familienangelegenheit weg. Wenn ihr einverstanden seid, schicke ich euch vertrauenswürdigen Ersatz. Der Mann heißt Colt. Sparky, Arcade und/oder Netcat können ihn gerne gegen-checken, wenn nötig. Wenn Ihr bestätigt, dann gebe ich Colt die Adresse zum Meeting um 18.00 Uhr.‘

Sparky, Arcade und Netcat bestätigten nur wenige Sekunden danach, beinahe gleichzeitig. Woraufhin noch ein bissen später ein: ,Einverstanden, aber machen wir 17.00 Uhr daraus.‘, von Tango kam. Snowcat gab ein ,COPY‘ in ihr Commlink ein, drückte auf ,Senden‘ und betrat dann den Saal im MIT&T, um ihren Kurs in Politologie zu besuchen. 

Einige Minuten nach Mittag erhielt Snowcat eine Datei von Netcat über einen Mr. Makaba, einen afrikanischen Warlord mit sieben Hauptfrauen. In der nächsten Pause verinnerlichte Snowcat die Agenda ihres ,Bosses‘. Zum Glück dauerte so etwas inzwischen bei Snowcat nicht mehr sonderlich lange. 


Snowcat hatte sich schlicht in einen schwarzen Cashmere-Rollkragenpullover und eine schwarze Aston Jeans gekleidet. Sie trug kein Make Up, bis auf den üblichen Hauch Wimperntusche. Ihr Haar hatte sie mit mehreren Zopfgummis zu einem festen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Glanz würde dennoch erstrahlen. Selbstverständlich erschienen alle mehr als pünktlich. Bereits um 16.45 Uhr, hatten sie bei Tango in der Küche Platz genommen. Auch Netact. Niemand wollte nach dem ,Unbekannten‘ eintreffen.  

Colt wiederum war einfach pünktlich. Die Ziffern der Uhr waren noch nicht auf 17.01 Uhr gesprungen, als die Türklingel betätigt wurden. Sparky und Arcade sprangen nach einem Blick auf den Kamerafeed gleichzeitig auf. Sie öffneten die Tür nur einen Spalt und steckten beide ihre Gesichter vorsichtig vor, so dass Sparkys Kopf über dem von Arcade lag. Natürlich hatten sie gleichzeitig den Eingang und das Kamerabild im Blick, das wusste Snowcat. 

Arcade fragte: „Passwort?“ Sie hatten keines ausgemacht. 

Colt wusste sich zu helfen, denn Snowcat hörte eine männliche Stimme antworten: „Gumshoe!“

Sparky und Arcade sagten gleichzeitig: „Dann komm schnell rein, damit Du nicht so viel kalte Luft mit reinbringst.“ Beide stoben davon. Sparky rief fröhlich in Richtung Küche: „Hey Unterwäschen-Model, Deine Freundin ist da.“, woraufhin Morrie aufstand und in der Trainingshalle verschwand. 

„Sparky, das ist doch ein Kerl, kein Mädel.“, kommentierte Morrie dann.

Snowcat war sich nicht so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, die beiden ,Quälgeister‘ die Tür öffnen zu lassen. Andererseits würde Colt so gleich zeigen können, wie gut er mit solch anspruchsvollen Situationen klar kam. 

Morrie führte den Neuankömmling durch die Trainingshalle nach hinten in die große Wohnküche. Tango werkelte an der Vorspeise, die köstlich duftete.

Neben dem gut aussehenden Morrie betrat ein weiterer Hüne von einem menschlichen Mann den Raum. Er reichte fast an Morries Größe heran, würde also mindestens 1,95m groß sein. Snowcat schätze ihn auf Anfang bis Mitte dreißig. Wo Morrie mit seiner Figur an ein Unterwäschemodel erinnerte, erinnerte Colt eher an einen Vorzeige-Wrestler. Colt war noch muskulöser und breiter gebaut als Morrie und zeigte an der einen oder andern Stelle etwas mehr Fett am Körper. Der Umfang seiner Oberarme war beeindruckend und maß wahrscheinlich deutlich mehr Zentimeter als Snowcats Taille. Gekleidet war er in schwarze Cowboystiefel, eine schwarze Jeans und ein dunkles, eng sitzendes T-Shirt, über dem er eine Panzerweste trug. Sein gebräuntes Gesicht war männlich, markant geschnitten. Seine Narben und Falten zeugten von einem Mann, der sein Leben in allem Bereichen genoss. Sein blondes, leicht gewelltes, etwas mehr als Schulterlanges Haar war hinter den Ohren zurück gegeelt und fiel ihm so nicht ins Gesicht. Den blonden Bart schätze Snowcat auf drei bis fünf Tage, aber besonders gut kannte sie sich mit menschlichen Bartwuchs nicht aus. 

Morrie stellte die Anwesenden vor. Colt nickte freundlich und kommentierte kurz: „Gleich zwei Kätzchen.“ Snowcat verkniff sich eine Bemerkung darüber. Colt war einen zweiten Blick auf Snowcat, aber keinen dritten. Er hatte sich also gut unter Kontrolle. Das er einfach nur schwul war, schloss sie aus, so wirkte er nicht. 

Als Morrie ihm Tango vorstellte, zeigte Colt seine Verblüffung offen. Natürlich hatte er noch nie einen Echsenmenschen gesehen. Snowcat nutze die Gelegenheit und nahm kurz astral wahr. Colt war offenbar mittelschwer verdrahtet, er war wirklich verblüfft, aber nicht angewidert. Gut. 

Tango bat Colt, sich ebenfalls zu setzten, da das Essen fertig war. Morrie bot Colt ein Bier an, welches er nahm und Wein vorzog. 

Sparky und Arcade hatten Messer und Gabel in die Hand genommen und warteten auf ihre Teller. Trotz dieser Unhöflichkeit servierte Tango ihnen zuerst. Freudig stellten sie fest, dass Tango Arcades Teller orange und Sparkys grün verziert hatte. Ihre Freude wurde etwas gedämpft, als sie darauf kamen, dass sie ihre Teller nun nicht mehr andauend tauschen konnten. Genau das hatte Tango offenbar mit seiner Extra-Mühe beabsichtigt. 

Nachdem die Vorspeise serviert worden war, umriss Snowcat kurz, worum es ging. 

Colt beugte sich ein wenig in Snowcats Richtung vor: „Ich fass noch mal zusammen. Für die Summe von 5000 ¥ soll ich mit in ein geheimes Labor eines Megakonzerns in einer Tripple-A Gegend eindringen, um dort jemanden zu befreien?“, seine Stimme wies einen Südstaaten-Akzent auf und es schwang ein neckender Unterton in seinen Worten mit. 

Morrie grätschte ein: „Hey, Du hilft einer schönen Frau, da kann Mann doch nicht nein sagen!“

Colt nahm Augenkontakt mit Snowcat auf: „Dir?“ 

Snowcat schüttelte den Kopf und Netcat sagte: „Nein mir.“ 

Colt ließ seinen Blick zu Netcat hinüber gleiten, nickte dann und sagte mit einer Spur von Grinsen im Gesicht: „Klar ich bin dabei.“

„Ganz hervorragend!“, begann Snowcat und nannte Colt nun sämtliche Details über den Job, alle gewonnen Erkenntnisse ihrer bisherigen Recherchen und die Ideen ihres Plans. 

Colt hörte sich alles genau an, dann sagte er: „Die Idee mit dem Stab eines Afrikanischen Warlords ist zwar nicht ganz meins, aber damit kann ich mich abfinden. Ich würde generell lieber nachts einsteigen, aber Eure Argumente überzeugen. Habt ihr schon eine Idee für die Ablenkung bei der Flucht?“

Snowcat überlegte einen Moment und meinte dann: „Feueralarm?“

Colt nickte: „Rauch wäre gut. Können wir Rauchgranaten einschmuggeln?“

Sparky meldete sich erfreut, „Ja können wir oder besser, könnt ihr. Ich hab von Oheim einen Signalstörer, wenn ihr durch den Waffenscanner geht, müsst ihr den nur in die Richtung des Scanners halten und dann gibt der keinen Alarm ab.“

„Prima!“ Morrie grinste, „Aber da Colt und ich hier als Bodyguards gehen, sollten wir uns ein paar preiswerte Pistolen besorgen und die abgeben. Alle Bodyguards haben Waffen.“

Nachdem sie mit den Details begonnen hatten, kam der Plan ins Rollen und sie waren bald darauf fertig. Colt hatte aus der Trix noch ein paar Bilder aus der Bauphase des 12-Etagen hohen Klinikhauses gezogen. Daraus hatten sie schließen können, dass die Aushebungen für eine, maximal zwei unterirdische Etagen reichten und das diese auf keinen Fall mehr Quadratmeter maßen, als die Oberirdischen. Sie wussten zwar immer noch nicht genau, was sie im Untergeschoss erwarten würde, aber ihre Vorstellung hatte wenigstens etwas Form angenommen. 

„Ich weiß, wie wir die Wachen unten ausschalten!“, erklärte Sparky stolz. „Wir besorgen uns die genauen Namen, verfolgen die Jungs, programmieren Naniten und verabreichen sie denen und genau im richtigen Moment schlafen die dann ein.“

Zu Sparkys Enttäuschung blieb der Beifall aus. Snowcat fragte: „Wo bekommen wir die Naniten her?“

Sparky deutete auf Morrie, der den Kopf schüttelte. „Boah, wenn der Oheim was von Naniten sagt, sind alle immer begeistert!“, jammerte er.

„Das liegt daran, dass der Oheim Naniten nur erwähnt, wenn er sie auch hat!“, erklärte Snowcat.  

Colt wandte sich an Netcat: „Darf ich noch fragen, welche Art von Interesse du an der Befreiung von Puck hast?“

Netcat zögerte einen Augenblick mit ihrer Antwort. „Nun ja, das ist schwer zu erklären. Puck ist ebenfalls Technomancer und ich fühle mich irgendwie mit ihm über die Matrix verbunden.“

„Soll mir reichen!“, antwortete Colt.

Snowcat verschwand im Bad, färbte dort Haut und Haar, setzte braune Kontaktlinsen ein, kam zurück und wählte die Nummer der Klinik. Da die Hintergrund-Informationen perfekt saßen, dauerte es nur wenige Minuten und sie hatte ihren Wunschtermin zu einer Besichtigung für morgen um 14.30 Uhr. Im Anschluss ging Snowcat zurück ins Bad und färbte sich zurück. Es war nun kurz vor 20.00 Uhr. „Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?“

Morrie, Sparky, Arcade und Colt saßen bereits bei einer Flasche irischen Whisky zusammen, aber Tango meinte: „Nun, für eine Trainingsrunde ist das genau der richtige Augenblick, nicht wahr!“

Zwei gegen Eins stand an. Ohne zu zögern bat Tango Colt darum, mitzumachen. Snowcat sollte sich mit einer Klinge gegen Colt und Morrie verteidigen. Wie immer machte Tango zunächst alles in Zeitlupe vor. Dann war Snowcat dran. Colt hielt sich etwas zurück, das merkte Snowcat ihm an. Morrie hatte es darauf abgesehen, Snowcat immer mal wieder sanft mit seinem Stock auf den Hintern zu schlagen. Am Ende korrigierte Tango erneut die Haltung von allen, auch von Colt, der dessen Bemerkungen aber ignorierte, was Tango wiederum nicht beachtete.


Die Donnerstag-Nachmittag Vorlesungen konnte Snowcat natürlich nicht besuchen. Sie war bereits um 12.45 Uhr mit dem Team in Tangos Studio verabredet. Also bestellte sie die Matrixaufzeichnungen der Stunden. Wenn sie von dem Run zurück war, würde sie alles mit ihrem Commlink abrufen können.

Pünktlich trafen sie bei Tango ein und begannen mit den Vorbereitungen. Als Snowcat bei Morrie die Nanopaste anlegte, um ihn zu verkleiden, flirtete sie mit ihm. Er ging darauf ein. Wie bei den Malen zuvor, wussten beide, dass das zwischen ihnen nur ein Spiel war. 


Hätte Snowcat weniger Kontrolle über ihren Körper gehabt, hätte ein erhöhter Herzschlag von ihrer Aufregung zeugen können, so aber stieg sie mit einem perfekten, geschäftsmäßigen Lächeln aus der Limousine, die Tango mit einer Chauffeursmütze als Kopfbedeckung gefahren hatte. Während Netcat, Snowcat, Colt und Morrie die Klinik ganz offiziell und bis zur Unkenntlichkeit verkleidet betreten hatten, waren Sparky und Arcade schon ein paar Meter vorher ausgestiegen, an eine Hausecke getreten, hatten dort den Tarnmodus angeworfen und waren an die Rückseite des Klinik-Gebäudes geschlichen. 

Snowcat trug unter ihrem neuen rostbraunen Hosenanzug mit grünen afrikanischen Mustern und der goldbraunen Bluse mit Stehkragen von ,Ripon Of Mumbai‘ ihren schwarzen Catsuit. Da der Lacklederanzug wie eine zweite Haut saß, hatte die Elfe keine Probleme damit gehabt, ihn unter den Hosenanzug zu ziehen. Das Braun passte perfekt zu ihrer jetzt fast ebenholzfarbenen Haut, obwohl dank brauner Handschuhe und braunen Stiefeln nicht besonderes viel davon zu sehen war. Der ihr gegebene Glanz brach auch durch diesen Hautton durch, so dass sie wieder einmal auf eine übernatürlich Art schön war. Snowcat empfand erneut Dankbarkeit für diese Gabe. Das nun schwarze lange Haar war zu Zöpfen geflochten und sie hatte es mehrfach zusammengesteckt, damit es kürzer wirkte. 

Ein gut aussehender, gepflegt wirkender Mann, dessen Alter Snowcat auf 35 Jahre schätzte und der deshalb wahrscheinlich um einiges älter war, schließlich führte er sie durch eine Schönheitsklinik, kam mit einem strahlend weißem Lächeln auf sie zu. „Miss Barku, ich bin sehr erfreut sie bei Collins Biotech begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Jeremy Mac Clintoc und ich habe die Ehre sie durch das Haus zu führen.“ Mac Clintoc betrachtete ,Miss Barku‘ ein wenig länger, als es höflich gewesen wäre. Erkannte Snowcat da etwa den abschätzenden Blick eines Schönheitsexperten. Seine Augen blieben nach dem Gesicht an ihrer Taille und ihrer Hüfte hängen. Ein leichtes, echt erfreutes Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht. Snowcat war ihrerseits froh, dass der Hosenanzug noch nicht auf ihre Figur zu geschneidert war, sie hätte ihn sonst wohl maximal in ihre Verkleidungskiste legen können, denn Mac Clintoc schien ein Auge für perfekte Maße zu haben. Bevor es weiter auffiel, riss Mac Clintoc sich zusammen und deutete auf den Counter; „Da wir hier sehr hohe Sicherheit-Standards haben, haben Sie sicher Verständnis dafür, dass sie etwaige Waffen abgeben müssen.“

Natürlich hatten sie das. Da Netcat den Blocker für den Scanner im richtigen Moment betätigte, konnten sie all die Waffen mit reinnehmen, die sie wollten. Sowohl Colt, als auch Morrie gaben eine Pistole ab. Wie erwartet, wurden sie von einem Security-Mann auf ihrer Führung begleitet. 

Über das Teamnetzwerk meldete Sparky, dass sie das Security-System bereits unter Kontrolle hatten. Auf Signal des Innenteams würde er den Spider ausschalten. 

Snowcat fragte Mac Clintoc nach Suiten in der 3 Etage und ob es möglich war, eigenes Personal und alle sieben Hauptfrauen ebenfalls unterzubringen. Nach dieser Frage wurde Mac Clintoc noch zuvorkommender. 

Obwohl Snowcat weder mit Morrie, Netcat oder Colt eingespielt war, kamen sie gut mit einander zurecht. Morrie und Colt ,überprüften‘ die eine oder andere besondere Gegebenheit, wie die Beschaffenheit einer Wand, einen Papierkorb, die Waschräume, den Wasserspender und so weiter. So konnte Snowcat nach und nach die von Morrie besorgten Rauchgranaten deponieren, die Arcade zum Zeitpunkt ihrer Flucht zünden würde.

Nach 15 Minuten stand die Besichtigung eines schallisolierten Privatzimmers in der dritten Etage an. Netcat blieb auf dem Gang zurück, um zu überprüfen, ob von drinnen nichts zu hören war. 

Als Snowcat die Tür hinter sich geschlossen hatte, nickte sie Morrie und Colt zu, stolperte in die Arme von Mac Clintoc und genau in diesem Moment schlugen ihre Kollegen im wahrsten Sinne des Wortes zu. Noch bevor Snowcat ausgeatmet hatte, lagen Mac Clintoc und der Sicherheitsmann bewusstlos am Boden. Colt und Morrie waren schnell. Ihre  Bewegungen verschwammen beinah. 

„Beide Down, Sparky Go.“, meldete Snowcat über das Teamnetzwerk. 

„Sec-Spider ausgeschaltet!“, kam es von ihm postwendend zurück.

Kurz darauf erklang Arcades Stimme: „Ich lass die Gruppe um Miss Barku in fünf Minuten ihren Rundgang für die Kameras und RFID-TAG-Scanner fortsetzten. Dank der TAGs weiß ich, wo sich jeder im Gebäude aufhält und ich lotste Euch dann durch.“

Über AR erschien ein Plan des Gebäudes und AR-Pfeile wiesen den Weg. Ein Smiley erschien in einem Kommunikationsfenster: ,Netcat:Ich hab hier draußen nichts gehört;‘

Snowcat zog mit raschen Bewegungen den Hosenanzug aus und packte ihn in ihre dehnbare Berklinbag-Tasche, im Gegenzug zog sie ihre Fubuki hervor. Geschwind harkte sie einen Umhängegurt in die Tasche und warf sie sich über die Schulter. Snowcat blickte sich um, sprang ins Bad und fand dort tatsächlich einen Bademantel der Klinik. Vorsichtshalber legte sie ihn über die Tasche. Man wusste schließlich nie, wann man eine zusätzliche Ablenkung brauchte. Laut ihrem Display war der Gang frei und auch der AR-Pfeil blinkte grün.

Die kleine Gruppe der vier zusammengewürfelten Runner bewegte sich flink und fast völlig lautlos in Richtung Treppenhaus zum Keller. Die Türen öffnete sich mit einem leichten Zischen, kurz bevor sie sie erreichten. Sie mussten nur einmal beim Wechsel von der zweiten zur ersten Etage Halt machen, um der Gefahr zu entgehen, durch die Fenster der Tür gesehen zu werden. 

2 Minuten und 45 Sekunden nachdem sie Mac Clintoc schlafen gelegt hatten, standen sie vor einer Tür im Keller, von der sie hofften, dass sie dadurch in die geheime Forschungsanlage von MCT kamen. Bis hier war alles glatt und ruhig verlaufen, aber bisher waren sie auch durch die Hacker gedeckt und vorbereitet gewesen. Nachdem sie durch diese Tür getreten waren, würden sie wohl oder übel improvisieren müssen. Aber hey, sie waren Shadowrunner und... Snowcats Blick fiel auf Morrie und Colt... zumindest waren einige von ihnen Shadowrunner. Snowcat atmete langsam aus, um ihren Puls zu kontrollieren, dann warf sie Jazz ein. 

Ihre Muskeln spannten sich leicht an, sie war zum Sprung bereit, wie eine Raubkatze. Ihr Blut rauschte angenehm in ihren Ohren. Die Welt wurde langsamer. 

Mit sicheren Handgriffen half Snowcat Netcat dabei, die Verkleidung vom Handabdruck-Scanner zu entfernen und das Schloss zu überbrücken. Netcat grinste, die Worte, ,Netcat: wie nett, Mausefallen, damit man das Schloss nicht knacken kann,‘ huschten über das Display. Sie zwinkerte Snowcat zu und raunte auf Sperethiel: „Aber wir zwei sind keine Mäuse!“ Dann erklärte sie über den Teamkanal: „Ich hab das Schloss so eingestellt, dass wir es von innen einfach aufbekommen, dass es aber von außen jedem den Zugang verweigert.“

Das Schloss sprang auf grün. Netcat öffnete die Tür. Dahinter verbarg sich eine weitere, 5 Meter lange und dreieinhalb Meter breite Treppe nach unten, an deren Ende sich ein kleiner, kahler, klinisch beleuchteter Raum öffnete. An anderen Ende des vier mal drei Meter großen Raumes war eine medizinische Sicherheitstür zu sehen, eine Schleuse, wie man sie vor Laboren und Infektions-Stationen fand. Mit einem roten Knopf neben der Tür konnte man sie offenbar öffnen. Morrie und Colt gingen links und rechts von den zwei Elfinnen in Position. 

Neben der Tür hing ein großes, weißes, unübersehbares Schild, keine AR-Schild, sondern ein reales Schild zum Anfassen. In roten Buchstaben stand darauf geschrieben: ,DEAKTIVIEREN SIE VOR DEM EINTRITT ALLE DRAHTLOSEN NETZWERKE!‘

Was auch immer sie dahinter erwartete, hier waren sie richtig.

Netcat deutete mit der Hand auf einen Radiosignal-Scanner, der in den Türbereich strahlte. „Wir sollten vorsichtshalber all unsere drahtlosen Systeme ausschalten. Ich mach das wahrlich nicht gern. Schottet man Technomancer völlig von der Matrix ab, so ist das eine Qual und sie werden früher oder später verrückt. Ich kann den Scanner drinnen ausschalten, aber wir wissen ja nicht, ob auf der anderen Seite auch einer ist.“

Snowcat nickte, „SpArcade, habt ihr gehört. Wir werden eine zeitlang keinen Kontakt haben.“

„Oh, Frag!“, kam es von Sparky.

„Copy,“ meinte Arcade, „Ich hab inzwischen die Alarmleitungen entdeckt. Wenn die da unten den Alarm auslösen, werde ich dafür sorgen, dass er nicht nach oben weiter geleitet wird. Außerdem habe ich das Einsperren der 25 Sicherheitsleute und den Feueralarm vorbereitet. Meldet Euch so bald ihr könnt.“

„Gut, dann gehen wir jetzt offline!“ Zunächst schaltete Snowcat ihre Kontaktlinsen und im Anschluss ihr Commlink samt Mikrophone aus. Nach und nach wurde die Welt leiser und grauer. 

Colt zog eine Pistole, Morrie seinen Schlagstock, beide traten einen Schritt vor. Dann drückte Netcat den Knopf. Lautloser als erwartet, öffnete sich die erste Tür der Schleuse. Die Vier traten ein. Einen Augenblick später glitt die Tür hinter ihnen wieder zu. 

Snowcat sandte ihre Sinne aus, aber hinter der zweiten Schleusentür konnte sie weder Magie noch Bewegung spüren. 

Colts Stimme erklang, er sprach leise: „Da ich Euch ja nicht einfach mein Bild schicken kann, beschreibe ich Euch, was ich sehe. Der Raum scheint achteckig zu sein. In der Mitte sind Dinge gestapelt, da hab ich keinen Durchblick. Rechts von uns geht ein Gang mit zwei großen Räumen ab. In dem vorderen sehe ich sechs normalgroße Metamenschen, schätze, dass sie Menschen sind. Hinten gehen rechts und links jeweils ein Gang ab, die ich aber von hier aus nicht einsehen kann. Wenn wir uns nach dem Eintreten gleich an der Wand halten, bin ich sicher, dass uns die Wachleute in dem Raum nicht sehen können.“

„Copy. Dann los!“, meinte Snowcat.

Netcat deaktivierte den Radio-Signal-Scanner, dann drückte den großen roten Türöffner in der Schleuse. 

Auch diese Tür öffnete sich nahezu lautlos, aber in der Aufregung und der Stille, meinte Snowcat, dass man das Geräusch bis in der vierten Stock hören konnte, aber natürlich was das völliger Quatsch. 

Sie schlichen parallel zueinander in den Raum, duckten sich und hielten sich dann nach rechts, dicht an der Wand entlang. 

Ein Geruch von Blut, Desinfektionsmitteln und verbranntem Eiweis lag in der Luft. Snowcat schwante nicht Gutes. 

Bei dem Raum, der in dem schräg nach rechts führenden Gang vorne lag, schien es sich um eine Art Beobachtungsraum zu handeln. Er war ungefähr bis zur Hälfte verglast. Dort konnte Snowcat nun ebenfalls sechs sich mehr oder weniger bewegenden Metamenschen fühlen. Gedämpfte Stimmen waren von dort zu hören.  

„Ich schleich ran und mach die Tür für Euch auf.“, flüsterte Snowcat und unterstütze ihre Worte mit Gesten.

„Erst Flash-Bang rein. Dann Morrie und ich.“, meinte Colt daraufhin. 

Snowcat nickte, während sie in ihrer Tasche nach einer Flash-Bang Granate angelte, sicherten Morrie und Colt in Richtung der beiden hinteren Gänge, die Mitte des komplett gefliesten Raumes war mit Käfigen und Operationstischen so weit zugestellt, dass jemand der aus den Gängen kam, sie nicht sofort sehen konnte. Wahrscheinlich waren die Käfig-Gitter aus einem abschirmenden Material, darum hatte Colt mit seiner Radarsicht nicht hindurch blicken können. 

Plötzlich zerriss lautes, beinah melodisches Klacken die Stille. Jemand fuhr mit einem Stab über Gitterstäbe. „Na ihre kleine Ratten?“, tönte es hämisch von hinten aus dem linken Gang. 

,Arschloch!‘ 

An den Gesichtern ihrer Kollegen konnte Snowcat erkennen, dass sie nicht die Einzige war, die solche Gedanken hatte.

Netcat erklärte, „Hier ist kein weiterer Scanner. Wir können unsere Geräte wieder einschalten.“

Alle drückten auf diverse Knöpfe, aber es würde ein paar Sekunden dauern, bis alles wieder online war.  

Mit der Granate in der Hand schlich Snowcat lautlos unter dem Panzerglas entlang. Alle Türen waren offenbar mit altertümlichen Schlüssellöchern versehen. Ein Bolzen war nicht zu entdecken, also war die Tür nicht abgeschlossen. 

Morrie und Colt schlichen neben Snowcat. Sie betätigte den 3-Sekunden Timer der Granate, drückte dann die Türklinke, öffnete die Tür ein Stück und warf die Granate hindurch. Schnell zog sie die Tür wieder zu. Eine Stimme von drinnen fragte: „Was war da....?“

Dann ging die Granate hoch. Fast augenblicklich drückte Snowcat die Tür weit auf und ließ Colt und Morrie in den Raum. 

Snowcat hatte die Granate gut platziert. Klasse. Schließlich machte sie so etwas nicht besonders oft.

Morrie schlug dem ersten Wachmann nieder, während Colt zwei weitere mit Stick n Shock Munition zum Zucken brachte. 

Eine ähnliche zweite Runde folgte und in dem Beobachtungsraum kehrte Stille ein.

Snowcat war an die Ecke des Ganges geschlichen und hatte sich aufgerichtet. In den Käfigen standen metallene Liegen und auf den Liegen lagen metamenschliche Körper oder besser Teile davon. 

Morrie und Colt huschten an Snowcat vorbei. „Ich geh nach links!“, erklärte Morrie, dann sprintete er zu linken Seite des Raumes und rannte im Anschluss nach hinten zum Gang. Colt lief rechts entlang.

Sicher hatten die vier fehlenden Sicherheitsmänner den Lärm gehört. 

Snowcat bewegte sich schnell und lautlos zur Mitte. Was sie dort zu sehen bekam, war furchtbar. Sie benötigte ihre komplette Selbstbeherrschung, um sich nicht übergeben zu müssen. Dort lagen Körper, Oberkörper und Köpfe junger Menschen, in denen medizinische Scanner, Lebenserhaltung und Folterwekzeuge stecken. Alles war an Analyse-Einheiten angeschlossen. Wenn es noch ein Gesicht gab, zeichneten sich darauf Qual und Wahnsinn ab. 

Snowcat riss ihre Gedanken los und wendete sich wieder ihrem Einsatz zu. Nicht mehr lange, dann würden diese Metamenschen Gnade in der Erlösung finden, aber dazu mussten sie erstmal mit den übrigen Wachleuten fertig werden.

Morrie war in dem linken Gang verschwunden und befand sich bereits im Nahkampf. Die beiden Wachleute im Gang rechts hatten sich cleverer bewegt und schlichen offenbar mit gezogenen Waffen vor.

Bei der Planung hatte Snowcat erzählt, dass sie ein paar Wachmänner kurzfristig mit ihren Worten zu etwas bringen konnte. Colt stand vor der Ecke zum Gang nach rechts und stellte die Anfrage: „Waffen fallen lassen?“

„Copy“, Snowcat überlegte kurz, auch Colt stand rechts voraus vor ihr. Sie musste ihre Worte weise wählen, damit er sich nicht angesprochen fühlte. Netcat hatte ihnen gesagt, dass alle Wachmänner mit Fichettis bewaffnet waren. Sie erhob ihre Stimme und rief laut und klar: „Fichettis fallen lassen!“, augenblicklich war ein zweifaches Poltern zu hören. 

Colt wirbelte herum, schoss zwei Mal und bewegte sich auf den letzten noch stehenden Wachmann zu, er drückte ihm die Pistole an die Schläfe und sagte: „Keine Bewegung!“

Der Mann begann zu zittern, was Colt offenbar nicht als Bewegung zählte.

Netcat näherte sich von hinten und trat an die Geräte. Snowcat half ihr dabei, die Lebenserhaltung auszuschalten. ,Mögen sich die Götter, an die ihr glaubt, Eurer annehmen oder möget ihr in der Resonanz ewige Erfüllung finden. Was immer ihr vorzieht.‘, betete Snowcat lautlos.

Netcat machte sich im Anschluss an den Analyse-Computern zu schaffen. 

„In fünf Minuten und 33 Sekunden kommt der Wäschewagen und macht Euch den Ladezugang auf.“, erklärte Arcade.

„Copy!“

Snowcat half Morrie dabei die überlebenden Technomancer aus den Zellen zu befreien. Es waren fünf und einer von ihnen trug den Namen Puck.

Der Wachmann, den Colt verhörte, weinte und wimmerte. Snowcat konnte nicht eine Spur von Mitleid aufbringen. 

Snowcat legte einem Mädchen von etwa 15 Jahren den Bademantel um, den sie mitgenommen hatte. Alle Fünf würden Hilfe oder Stütze beim Gehen brauchen.

Colt kam zu ihnen: „Der Wachmann wusste nicht viel. Bis vor ein paar Tagen waren wohl noch mehr hier. Aber das Labor wurde verlegt. Er wusste nicht wohin.“

„Da waren auch kaum noch Daten. Die haben die Speicher mitgenommen.“, Netcat klang ein wenig entmutigt. 

Arcade meldete sich über den Teamkanal: „Der Wäschedienst ist pünktlich.“

„Gut, warte noch, bis wir ein paar Stufen der Treppe geschafft haben. Dann zünde die Rauchgranaten und lös kurz darauf den Alarm aus. Wir sehen uns am Liefereingang.“

Sowohl Morrie als auch Colt trugen einen der besonders schwachen Teenager. Sie warteten am Treppenabsatz, bis die ersten Franklin-Sirenen aus der Ferne zu hören waren. Dann gingen sie zu Laderampe, der Fahrer des Wäschewagens lag bewusstlos neben seinem Fahrzeug. Sparky und Arcade ließen ihre Tarnung fallen und stiegen nach hinten in den Transporter zu Colt, Netcat und den befreiten Technomancern ein.

Snowcat fuhr den Wagen, Morrie nahm auf dem Beifahrersitz platz.

Snowcat fuhr ein paar Meter, dann warf sie die Besucher-RFID-Tags aus dem fahrenden Wagen. Kurze Zeit später lies sie Haare und Haut wieder ihren eigentlichen Farbton annehmen. 

Unbehelligt kamen sie zum Treffpunkt mit Tango und stiegen in die Limousine um. Arcade stellte ein Gerät in den Lieferwagen. Einige Sekunden später stieg Rauch daraus auf. 


Nach 15 Minuten schweigsamer Fahrt hatten sie das Safehouse erreicht, welches Morrie gemietet hatte. Sie hatten Puck befreit, aber dennoch war ihnen nicht nach feiern zumute, schließlich waren da noch viel mehr gewesen, die man weggebracht hatte.

Als sie die Safehouse Tür hinter sich geschlossen und die Technomancer medizinisch versorgt hatten, wobei sich gezeigt hatte, dass Colt gut darin war, fragte Snowcat: „Und wer von Euch ist nun Puck?“

Netcat wies auf einen jungen Mann mit weißblondem Stachelhaar und ernstem, traurigen Blick. 

Sparky trat an den Mann heran und fragte nach: „Du bist Puck?“

Puck nickte müde.

Plötzlich machte Sparky eine schnelle Bewegung, legte Puck ein metallenes Halsband um und lies es mit einem deutlichen ,Klick‘ einrasten. Aggressiv und mit wutverzerrtem Gesicht sagte er: „Mach nur eine falsche Bewegung, hier oder in der Matrix und ich spreng Dir den Kopf weg! Sei Dir sicher, wir erwischen Dich sofort. WIR sind auch Technomancer und meine Schwester ist in der Matrix und wenn Du Dich da blicken lässt, bist Du TOT!“

Puck wurde noch blasser und auch Netcat wich die Farbe aus dem Gesicht.

Arcade hatte ihren Kopf an die Wand gelehnt und war weggetreten, sie war offensichtlich wirklich in der Matrix.

Morrie, Colt und Tango blickten Snowcat fragend an. Sie schüttelte leicht den Kopf, denn auch sie wusste nicht, was los war. Sanft fragte sie Sparky: „Würdest Du mir bitte mal erklären, was das soll?“

Sparkys Gesicht schien die Farbe aufgesaugt zu haben, die die andern verloren hatten: „Diese Kerl, Puck!, hat der durchgeknallten AI Deus dabei geholfen, Experimente an den ersten Technomancer, damals noch Otaku genannt, durchzuführen. ER hat dabei geholfen Tausende von Metamenschen in der Arcology festzuhalten, zu quälen, zu verdrahten und zu willenlosen Soldaten zu machen. ER hat einen Stück vom Deus Code in sich getragen, als der aus der Arcology floh. Er hat Pax, einer dissonanten Technomancerin die Deus anbetet, geholfen, mit Winternight Kontakt aufzunehmen. Er hat dabei geholfen, den Code freizusetzen, der zum Crash 2.0 geführt hat.“ Sparky wandte sich nun wieder an Puck und tobte: „Na, sag mal, wie war das, als man an dir die selben Experimente durchgeführt hat, wie du Jahre zuvor? Ich hoffe es war richtig scheiße!“

Snowcat trat an Sparky heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sparky, beruhige Dich ein wenig.“

Sparky seufzte laut, setzte sich und sah dann einfach nur unendlich traurig aus. 

Nun sah Snowcat Netcat fragend an: „Stimmt das, was Sparky sagt? Hast Du davon gewusst?“

Netcat klang unsicher, aber auch wütend, als sie antwortete: „Ja... das stimmt schon. Aber Puck hat sich geändert und aus dem Crash ist doch auch viel Gutes entstanden.“ Hilfesuchend blickte sie Snowcat an: „Snowcat, die Resonanz hat mir gesagt, dass es meine Aufgabe ist, Puck zu befreien und Puck ist nicht dissonant. Du siehst doch das auch Sparky? Er ist nicht dissonant!“, sie klang beinah verzweifelt.

Sparky zuckte mit den Schultern und schüttelte dann den Kopf: „Nein, dissonant ist er nicht. Aber das ändert fast nichts.“, die letzten Worte hatte Sparky so leise gesagt, dass sie beinahe nicht zu hören waren. 

Snowcat rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht und sagte dann: „Also ich bin erstmal enttäuscht, dass weder Sparky, Arcade noch Netcat mir, oder besser uns, gesagt haben, wer Puck wirklich ist. Dieser Job war mehr so was wie ein Gefallen. Dass Johnsons uns nicht alles sagen ist klar, aber andere Runner???“

„Seh ich auch so.“, meinte Morrie. Er wandte sich an Sparky: „Du hättest echt was sagen können. Das war Scheiße von Dir.“ Snowcat traute ihren Ohren nicht. Morrie war richtig angepisst. 

„,Und was nun?“ brüllte Sparky auf, „Willst Du mich anmachen?“

Snowcat musste beschwichtigend eingreifen, sonst wären die Beiden aufeinander losgegangen. 

Als die Lage wieder unter Kontrolle war, blickte blickte Snowcat der Reihe nach zu Sparky, Netcat und Puck: „Wer sagt Dir denn, Netcat, dass Du nicht in die Irre geführt wirst? Ich hätte gern die Wahl gehabt und eine Warnung, damit ich darauf achten kann. - Wie dem auch sei. Das ist Vergangenheit und wir sitzen nun hier. Was nun?“

Netcat antwortet sofort: „Da sind noch mehr. Ich würde gerne das Labor finden und es endgültig schließen. Ich werde das auf jeden Fall versuchen, aber wenn ich Hilfe hätte, wäre es natürlich leichter.“ Dann sah Netcat Sparky an und versuchte es mit: „Es muss doch zählen, dass er nicht dissonant ist! Du musst das doch verstehen! Du und Deine Schwester sind doch auch Technomancer.“

Sparky stand wieder auf und seine Trauer war nun förmlich greifbar: „Vielleicht hat der Crash auch etwas zum Guten verändert. Und es mag sein, dass Puck nicht dissonant ist. Aber verstehen müssen wir gar nichts, denn wir wissen das dadurch viele Metamenschen gestorben sind. Am 2. November 2064 um 9.32 Uhr haben Arcade und ich unsere Eltern und drei Geschwister verloren.“

Nun wich aus Netcats Zügen jegliche Wut. Morrie schluckte schwer und auch Snowcat hatte damit zu tun, diese Auskunft zu verarbeiten. 

Nach einer Pause nahm Snowcat den Faden wieder auf. „Ich will auch etwas gegen das Labor unternehmen.“ Dann wandte sie sich an Puck: „Was sagst Du denn zu all dem?“

Pucks Stimme klang seltsam belegt, als er antwortete: „Alles was Sparky gesagt hat, ist wahr. Ich hab all das getan und ich kann nichts davon zurücknehmen. Aber ich würde gerne in Zukunft etwas Gutes tun. Ich glaube nicht, das Pax oder Deus vernichtet sind, ich glaube, da ist noch was, was ich jetzt tun kann. Tun muss, um sie aufzuhalten. Aber erstmal möchte ich die anderen Technomancer vor MCT retten.“

Snowcat nickte: „Sparky, nimm ihm bitte das Sprengstoffhalsband ab!“

Sparky murrte etwas, aber dann löste er das Halsband. Erst in diesem Augenblick entspannte sich Colt ein wenig. Er trat an die Betten der vier anderen Technomancer und kümmerte sich um die weitere medizinische Versorgung. 

Snowcat sah Puck eine lange Zeit an und meinte dann: „Ich will und werde den gefangenen Technomancern helfen und das Labor schließen. Aber bisher bin ich noch nicht davon überzeugt, mir von Dir dabei helfen zu lassen.“

„Wenn Deine Bedingung ist, dass Du nur mitmachst, wenn ich nicht mitmache, dann werde ich mich zurückhalten.“

Snowcat schüttelte den Kopf: „Du hast keinen Einfluss darauf, OB ich das mache. Es ist nur die Frage, wie weit ich Dir traue Puck. Auf jeden Fall werde ich für jede weitere Aktion diesbezüglich bei meinem Team um Verstärkung bitten, denn wo immer es hin geht, wir werden mehr Equipment und mehr Vorbereitung brauchen. - Lasst uns erstmal darüber schlafen, dann beruhigen sich auch die Gemüter.“

„Eine ganz hervorragende Idee.“, meldete sich Tango zu Wort. 


Viele Hinweise darauf, wo sie nach dem verlegten Labor suchen sollten, hatten sie wirklich nicht, da war nur ein Name: Dr. Cathrine Sharon. 

Doch zunächst brachen Tango und Colt auf, um die vier anderen Technomancer nach Hause zu ihren Stämmen zu bringen, denn sie waren alle im Raum Boston heimisch.

Morrie trat zu Sparky und sagte: „Komm, wir holen was zu essen vom Stuffer Shack.“

Sparky nickte und beiden stiegen in Morries Wagen, den er, genau wie Snowcat schon heute Mittag zum Safehouse gebracht hatte. 

Die vier Männer kehrten beinahe gleichzeitig zurück.

Sie hatten eine riesige Tüte Burger und zwei Flaschen irischen Whisky dabei.  

„Sláinte!“, - Schließlich muss man Prioritäten setzten.  


Ob es den Runnern gelingt, die anderen Technomancer vor MCT zu retten, wer dabei mit von der Partie ist, wohin die Spur führt und ob UC den einen oder anderen Neuen oder Alten ins Team aufnimmt, wird demnächst hier zu lesen sein. 

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*