Termin 09/12 Zwischenspiel Run 36/1

Hier nun die eine Geschichte, die sich nahtlos in die Timeline der Gruppe einfügt, aber nicht während eines Spieltermins entstanden ist. 

Natürlich ist jedes Wort mit dem GM abgesprochen und durch ihn genehmigt.

Snowcat muss für den australischen Drachen Tjurjunga, der ihr geholfen hat, die Gestaltwandlung von Drake zu Metamensch beherrschen zu lernen, innerhalb von einem Jahr und einem Tag auf jeden Kontinent ein Kind retten. Eine Chance für Europa tut sich auf. Sparky, Arcade, Liam, Doc und Blackstone begleiten sie auf ihrer Mission, um ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. 


Liam zurrte Snowcats Blitzen 2070 neben den drei Blitzkrieg und dem Landrover Impuls fest, während Blackstone mit starrer Miene die Anweisungen von Sparky und Arcade genau befolgte und das übrige Gepäck verstaute. Die Zwillinge skateten immer wieder zurück in den Hangar, um weitere Teile, Taschen und Kisten zu holen und sie dem dunkelhäutigen Zwerg in die Hand zu drücken, der sie dann dort unterbrachte, wo sie hingehörten. 

Doc hatte bereits in der Maschine Platz genommen und las dort über AR einige Dateien. An der Bewegung seiner Augen und an den kurzen Zeitabständen, in denen er die virtuellen Seiten umblätterte, konnte man seine Lesegeschwindigkeit erahnen. Doc las ganze Bücher innerhalb von Minuten und auch nach Wochen hatte er nicht einziges Wort davon vergessen. So konnte er Zusammenhänge ergründen, die jedem anderen verborgen blieben. Nein, es gab keine anders Wort dafür, dachte Snowcat, Doc war ein Genie.

Ebenso wie Liam ein Genie war, wenn auch auf einem anderen Gebiet. Liam ließ sich immer etwas einfallen. Ob es sich nun um die Modifikation einer Waffe, um einen neuen Drogencocktail, der bei dem Ziel genau die beabsichtigte Wirkung erreichte, um ein Gadget irgendeiner Art oder um die Sprengung eines ganzen Gebäudes handelte. Natürlich waren Liams Explosionen nicht nur einfach perfekt und punktgenau, nein, Funken und Rauch waren meist grün, -wenn es sie denn gab- und wenn Liam einen gut leiden mochte, konnte man sich auch mal eine andere Farbe wünschen.

Snowcat war sich nicht sicher, wie gut Liam und Doc auf der bevorstehenden Reise mit einander auskommen würden, aber es gab bestimmt schlechtere Dinge, als mit gleich zwei Genies auf eine Mission zu geben. 

Sparky und Arcade skateten nun in der Maschine umher und verluden Getränke und andere Verpflegung in der Bordküche. Natürlich machten sie ein jonglierendes Spektakel daraus. Wasserflaschen flogen nur so durch die Luft. Nachdem sie alles verstaut hatten, drehten sie kurz ihre Köpfe einander zu, nickten und begangen damit alles umzusortieren. Jedenfalls so lange, bis Liam ihnen einen tadelnden Blick zuwarf, da verzogen sie ihre hübschen Gesichter zu Grimassen und sortierten missmutig alles wieder an ihren Ursprungsort zurück und verschwanden danach, bereits wieder grinsend, in ihren Rigger-Kokons. Würde man die Zwillinge nach der Anzahl der Genies an Board dieser Maschine befragen, sie hätten sich beide mit dazugezählt und vielleicht lagen sie damit gar nicht mal so falsch.

Blackstone setzte sich zu Snowcat und schnallte sich an. Er war ruhig und gelassen wie immer und inzwischen verzogen sich seine Mundwinkel auch nicht mehr die paar Millimeter nach unten, wenn Sparky oder Arcade ihn ansprachen. Er hatte sich mit den ,Chaoten‘, arrangiert. Snowcat war froh ihren ältesten Freund bei sich zu haben, denn genau das war er, ihr Freund. In den vergangenen Monaten hatte sie ihn gelegentlich sogar vermisst.

Ein paar Minuten später hob die Ares TransSky mit der Kennung IED7, der Firma Industrial Experimental Designs sanft von der Landebahn in Seattle Richtung Paris ab. 


Arcade hatte wenige Stunden vor dem Abflug am 10/09/71 in der Matrix den Hilferuf einer menschlichen Frau aus dem 16 Département des Pariser Metroplex aufgeschnappt, die ihre neunjährigen Zwillingsmädchen vermisste. Niemand interessierte sich dafür, was für die Gegend nahe des Bois de Boulogne nicht weiter verwunderlich war. Fröhlich und zufrieden winkten die zwei niedlichen, blonden Mädchen auf dem Bild in die Kamera, welches die Frau nun überall umher zeigte. 

„Hey!“, hatte Arcade getönt, „Europa und vermisste Zwillinge das klingt doch genau nach dem, wonach ich meine Augen und Ohren offen halten sollte.“, womit sie völlig Recht gehabt hatte.  

Snowcat blickte auf die Uhr. Berücksichtigte man die Zeit, die die Mutter bereits suchte, waren die Mädchen nun seit zehn, maximal zwölf Stunden unauffindbar. Der Flug nach Paris würde ungefähr neun Stunden dauern. Das FBI hatte eine Statistik veröffentlicht, nach der die Chance ein vermisstes Kind zu retten, nach 24 Stunden drastisch sank. Damit nicht genug, war dieses Ultimatum abgelaufen, sanken die Chancen während jeder weiteren Stunde rapide. Diese Statistik bestätigte sich immer wieder, egal welche Behörde oder besser welcher Sicherheitskonzern, mit der Suche beauftragt worden war. 

Snowcat sah das AR-Bild der beiden Mädchen an und dachte: ,Erstens sind die 24 Stunden noch nicht abgelaufen und zweitens sind wir weder von der Polizei, noch von irgendeinem Konzern. Wir sind Shadowrunner. Wir scheren uns nicht um Chancen.‘



Liams Landrover passte, dank Ruthenium Polymer Coating, diverser Miniprojektoren und AR-Beschriftung genau ins Stadtbild des Pariser Metroplexes. Snowcat wartete einen Moment, aber ihre Tür öffnete sich nicht. „Liam?“, fragte sie.

„Ich dachte, ich warte, bis Du den Mantel über den Catsuit gezogen hast Kittycat. Wobei‘s mir nicht darum geht, die Clochards im Umkreis von zwei Kilometern davor zu schützen, dass ihnen beim Anblick deiner Figur die Augen ausfallen, sondern einzig und allein darum, dass Dir nicht kalt wird. Ist ja schon Herbst draußen.“

Snowcat lächelte: „Oh, natürlich.“, sagte sie. Dann schlüpfte sie in den Mantel und schlug vorsichtshalber noch die Kapuze des Schals hoch, der so ihr schneeweißes Haar vollständig verbarg. Arcade war es während des Flugs eine wahre Freude gewesen, die langen Strähnen kunstvoll zu verschlingen, zu verknoten und hochzustecken, so dass der Elfe das Haar nur noch bis zu den Schulterblättern reichte.

Die Tür klickte und Snowcat trat zu Blackstone und Doc auf die Strasse, sie legten die wenigen Meter bis zu dem achtstöckigen Haus zurück, in dem Monique Dupont mit ihren Töchtern Fabienne und Julienne lebte. Die Sonne war bereits untergegangen, als sie das muffige Gebäude betraten, welches wohl zu Beginn dieses Jahrhunderts gebaut worden war. Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock.

Snowcat schlug die Kapuze wieder zurück und klingelte. Zunächst geschah nichts, doch als sie ein zweites mal auf den Summer drückte, stürmten hektische Schritte zur Tür, die dann augenblicklich aufgerissen wurde. Die menschlichen Frau war von Verzweiflung und Kummer gezeichnet. Die Augen waren vom vielen Weinen stark gerötet. Snowcat konnte Enttäuschung, Verwunderung, aber auch Hoffnung in dem Gesicht erkennen. 

Die Elfe sprach mit sanfter und ruhiger Stimme und sagte auf französisch: „Bonsoir Madame Dupont. Wir haben gehört, dass Sie ihre Kinder vermissen und wir würden ihnen gerne dabei helfen, sie zu suchen. Haben sie etwas dagegen, wenn wir eintreten?“

Beinah ehrfürchtig blickte die Frau zu Snowcat auf, sie flüsterte: „Und ich dachte sofort, sie können nur ein Engel sein. Dieu soit loué, Dieu soi loué!“, dann trat sie zurück, küsste ein kleines goldenes Kreuz, welches sie um den Hals trug und sagte laut, „Oh bitte, treten Sie ein. Ich kann es nicht glauben. Wenn sie wirklich gekommen sind, um zu helfen, dann ist das ein Wunder.“, die nächsten Worte verstand Snowcat nicht, denn sie gingen in einem heftigen Schluchzen unter. 

Es dauerte einen Moment, aber dann hatten sie, vor allem durch Docs Befragungstechnik,  in Erfahrung gebracht, dass Madame Dupot vor jetzt 22 Stunden von der Arbeit nach Hause gekommen war und ihre Kinder nicht angetroffen hatte. Sie hatte sofort geahnt, dass etwas nicht in Ordnung gewesen war. Denn die Mädchen waren weder an ihr Commlink gegangen, noch hatte ihre Mutter sie an den üblichen Orten finden können. Natürlich war es schon vorgekommen, dass die Mädchen beim Spielen die Zeit vergessen hatten, aber als Madame Dupont dann eine Plüschkatze im Dreck gefunden hatte, war es ihr klar gewesen, dass den Kindern etwas passiert war, denn schließlich würden sich die Zwillinge nie von ihrem Kuschelkatzen oder von einander trennen. Anklagend hielt die Mutter ein schmutziges Plüschkätzchen hoch, um es dann erneut schluchzend an sich zu drücken. 

Ausgerechnet Plüschkatzen, wenn das nicht schon eine Keule des Schicksals war?

Madame Dupot war mehrere Stunden in der Nacht herumgelaufen und hatte gefragt, ob jemand etwas gesehen hatte. Doch niemand hatte etwas gesehen. Dann war die Mutter zu den Eurocorps gegangen, die einzige Polizei, die sich hier bisher wieder etabliert hatte. Erst im Januar diesen Jahres war das skandalöse ,Omen Projekt‘ entdeckt worden, ein Versuch der katholischen Kirche und der französischen Aristokratie, dass Land durch Marionetten-Minister und Präsidenten zu kontrollieren. In Folge dessen hatten die Megacons Frankreich eines Großteils seines Wohlstandes geraubt und deren Bürger in einem wirtschaftlichen Chaos zurückgelassen.  

Die Familie war arm und Madame Dupont hatte glaubwürdig versichern können, dass es auch keinen anderen Grund gab, um sie zu erpressen. Nach dem Snowcat die verzweifelte Mutter beruhigt und sediert hatte, war diese erschöpft auf der Couch eingeschlafen. Vorsichtig zog Snowcat ihr das Plüschkätzchen aus den Armen, entledigte sich ihrer Handschuhe und konzentrierte sich. Blackstone war zu Sicherheit an sie herangetreten, um sie zu stützen, schließlich waren ihre Reaktionen auf das Erspüren von Gegenständen oder Orten in der Vergangenheit oft heftig gewesen. Doch diesmal war dem nicht so, denn Snowcat wurde in keine Situation hineingezogen. Die Umgebung hatte sich nur kurz erhellt und die Elfe hatte den Abdruck von unzähligen Stunden des Spielens erhalten und dann hatte sich ein Schleier von Verzweiflung darüber gelegt. Snowcat sah Doc an und schüttelte den Kopf.

Laut den Nachforschungen von SpArcade war das Commlink der Kinder ausgeschaltet oder zerstört worden. Also stand klassische Beinarbeit ab. Bewaffnet mit Euros, Charme und einigen Orten, an denen die Kinder oft spielten, machten sich Blackstone, Snowcat und Doc auf den Suche. Liam, Sparky und Arcade unterstützten sie vom Wagen aus. 

Nach nicht einmal 15 Minuten hatten sie das zweite Plüschkätzchen und die Überreste eines ziemlich veralteten Commlinks gefunden, dass man nicht nur ausgeschaltet, sondern auch zertreten hatte. Die Vermutung, dass etwas passiert war, erhärtete sich. 

Snowcat lehnte sich mit dem Rücken an eine Hauswand, zog erneut ihre Handschuhe aus und konzentrierte sich auf dieses Plüschtier. 

-Sie sitz an einem ihrer Lieblingsplätze im untergehenden Sonnenlicht und spielt mit ihrer Schwester. Sie ist hungrig und blickt auf die Uhr, bald wird Mama nach Hause kommen und dann gibt es was zu essen. Ein Auto nähert sich, die Männer, die aussteigen, sehen gruselig aus. Einer wirft seine Kippe auf den Gehsteig, das soll er nicht, das ist Umweltverschmutzung, sagt Mama. Sie umzingeln sie beide. Packen sie beide. Sie will schreien, aber eine riesige Hand presst sich ihr auf den Mund. Die Hand stinkt nach Zigaretten. Auch ihre Schwester hat Angst. Und dann lässt sie ihre geliebte Katze fallen. Mama!-

Snowcat erholte sich einen Moment und berichtete dann über den Teamkanal, was sie gesehen hatte. „Es könnte sein, dass einer der Entführer Nordafrikaner ist, aber auf jeden Fall raucht er.“, schloss sie ihre kurze Geschichte. 

Eine kleine Drohne flog heran und tanzte über einer Zigarettenkippe. Doc hob die Kippe auf und tütete sie ein: „Gaulloise Blonde Menthol“, sagte er, „lasst und doch mal gucken, ob wir hier irgendwo noch mehr davon finden.

Ein paar Minuten später rief Blackstone sie zu sich. Er hatte einen ganzen Haufen der Kippen entdeckt. Von dieser Stelle aus hätte man die Mädchen beobachten können. „Ich würde mal sagen, hier liegen so ein dutzend der Dinger rum, vielleicht sind es auch zwei.“, meinte er ruhig.

„Es sind 19 Stück.“, erklärte Doc, nachdem er einen flüchtigen Blick auf den Ort geworfen hatte, dann erklärte er: „Das bestätigt meinen Verdacht, dass die Entführung der Mädchen keine impulsive Tat war. Es ging speziell um die Zwillinge. Das Gute daran ist aber, dass sie dann noch eine Weile an Leben sind. Wir haben Zeit gewonnen, die wir nicht vergeuden sollten.“ 

Was sie natürlich nicht taten. 

Sie liefen im 16 Département durch das nächtliche Paris und befragten Leute. Kurz nach Mitternacht hatten sie die Beschreibung eines schwarzen BMW‘s mit einem silbernen Totenschädel auf der Motorhaube und den Namen eines algerischen Waffenschiebers: Youri Djorkaeff. Ein schneller Backroundcheck durch Arcade ergab, dass es nun an der Zeit war, sich in die römischen Katakomben unter der Innenstadt zu begeben und sich mit Leuten zu unterhalten, die sich hier auskannten. 


Die Gebäude nahe des alten Stadtkerns waren auch bei Snowcats zweitem Besuch von Paris prachtvoll anzusehen. Sie hatten nichts von ihrem Flair verloren, nur weil man schon einmal hier gewesen war. In den Départements eins bis acht wimmelte es nur so von Touristen. Das war auch heute nicht anders. Ein dementsprechend buntes Bild bot sich den sechs Runnern aus den UCAS auch in dieser Nacht, als sie sich durch das 5te Département bewegten, welches auch als Quartier Latin bekannt ist. 

Zielstrebig machten sie sich in Richtung einer Seitengasse auf, um von dort die Pariser Katakomben zu betreten, als ihnen ein junger, menschlicher Mann auf einem Einrad fahrend entgegenkam. Er jonglierte mit überdimensionierten Knicklichtern und war, wie so einige Akrobaten hier, in ein Kostüm aus der Zeit der Musketiere gekleidet. 

Blackstone stieß ein kurzes Schnauben aus und schüttelte den Kopf minimal, woraus Snowcat schloss, dass auch dieser Mann dieses Outfit nur im AR trug. SpArcade hatten dem ARo-phoben Zwerg sein Commlink so eingestellt, dass sich alle augmentierten Bilder nur als durchscheinende Schleier über die Realität legten, damit Blackstone das AR zwar sehen, es aber von den physikalisch vorhandenen Dingen unterscheiden konnte.

Doc hatte seinen Steampunk-Gehrock ein wenig beiseite geschoben und seine Hand lässig auf dem Kolben einer seiner Pistolen abgelegt. Er richtete sich an den jungen Mann, der nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war, wobei aller Zynismus und all die Masse an Überheblichkeit, die nur er an den Tag legen konnte, in seinen Worten mitschwangen. Er sprach Französisch und nicht sonderlich laut, aber dank der ihm innewohnenden Magie konnte ihn der Mensch auf dem Einrad sicher hören: „Ihr näher zu kommen, wäre wirklich ein ganz, ganz dummer Fehler. Denn wenn Du das tun würdest, müsste ich Dich auf der Stelle erschießen. Was mir dann wirklich, wirklich unglaublich leid tun würde.“

Der Mann hatte seine Lichtstäbe an seinem Gürtel verstaut und tänzelte auf der Stelle mit dem Einrad hin und her. Docs Worte hatten Wirkung gezeigt, denn er war blass geworden, dann sammelte er sich und erwiderte unsicher lachend „Ah non, mon Dieu, Mounsieur, ich bin ihrem Mädchen doch nicht näher gekommen und was das Erschießen angeht..,“ er wurde mit jedem Wort selbstbewusster, „das war doch sicher ein Scherz!“

Einen kleinen Moment lang schien die Szenerie eingefroren, dann trat Liam einen Schritt vor und meinte ebenfalls auf französisch: „Ah Renard, Du hast deinen messerscharfen Verstand eingesetzt, um die Situation zu analysieren und wie immer hast du die völlig falschen Schlüsse daraus gezogen. Ersten ist sie nicht sein Mädchen und zweitens würde er nicht zögern, dich hier und jetzt zu erschiessen.“

Doc nahm die Hand vom Kolben und erst danach sprang Renard vom Einrad, um Liam zur Begrüßung zu umarmen, dann stellte Liam Renard offiziell vor: „Das ist Renard vom unglaublichen Cirque du Sorciere. Renard, dass sind Snowcat, Doc und Blackstone, Sparky und Arcade kennst du ja schon. “ 

Der ,Gang‘ Cirque du Sorciere, die sich durch schier unmögliche akrobatische Stunts einen Namen gemacht hatte, ihr Geld hauptsächlich damit verdiente, dass sie die Touristen beklaute und einen hohen Anteil an magisch Aktiven haben sollte, war Snowcat bereits begegnet, sie konnte also ungefähr erahnen, was für Fähigkeiten Renard hatte. 

Renard machten einen Schritt auf Snowcat zu, besann sich aber nach einem Blick auf Doc und verbeugte sich nur kurz. Er grinste Liam an und fragte: „Ey Chummer, was führt dich hier her?“, wobei er wirklich das Wort Chummer verwendete und keinen landesüblichen Ersatz. 

Sparky flüstere Arcade halblaut auf Englisch zu: „Hast Du ne Ahnung warum die hier alle immer noch dieses furchtbare Französisch sprechen?“

Arcade zuckte mit den Schultern und flüsterte zurück: „Nö! Die spinnen halt, diese Franzosen. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein,“ sie deutete mit dem Kopf in Richtung von Doc und Liam, „denn es scheint ansteckend zu sein!“ 

Sparky stimmte seiner Schwester durch heftiges Nicken zu. Dann griffen sich beide, in sich spiegelnden Bewegungen, an ihre Gürtel, nahmen einen Breezer davon ab, setzten ihn auf und zogen sich Latex-Handschuhe über. Die von Arcade waren neonorange und die von Sparky neongrün.

Blackstone schüttelte minimal den Kopf.


In Renards Begleitung tauchten alle sechs in die, im wahrsten Sinne des Wortes, Pariser Unterwelt ab. Snowcat hatte darum gebeten keinen allzu hoch frequentierten Ort aufzusuchen, schließlich wollte sie weder Masque, noch irgendeinen anderen Ancient auf ihre Anwesenheit in der Stadt aufmerksam machen. Die Haarfarbe hatte sie dennoch nicht gewechselt. 

So waren sie in einer kleinen aber feinen Bar unter der Stadt gelandet, die nicht nur einen anständigen Whisky, sondern auch einen wirklich guten Café au Lait servierte. Drei weitere Mitglieder der Cirque du Sorciere hatten sich zu ihnen gesellt und sie alle strahlten ein gewisses Mass von Hyperaktivität aus. Sie saßen nicht still, jonglierten mit ihrem Glas, schnippten sich die Erdnüsse im hohen Bogen gegenseitig zu oder balancierten wagemutig auf einem Stuhlbein. Eine gewisse Ähnlichkeit zu Sparky und Arcade ließ sich nicht leugnen. 

Renard ließ nebenbei ein Feuerzeug zwischen den Fingern seiner linken Hand tanzen, während er überlegte, dann lächelte er Snowcat breit an: „Youri Djorkaeff sagst Du? Das der ein internationaler Waffenschieber ist, hab ich auch gehört, aber nicht, dass er auf kleine blonde Mädchen steht. Er zahlt angeblich regelmäßig Geld an die Vory hier. Ich würd‘ mal vermuten, dass der von denen die Safehouses mietet und sich gelegentlich Muskeln leiht. Im Norden des Plex, ehemals Vorort von Paris, gibt es ein paar Adressen, die wir Euch rüberwachsen lassen können.“ Renard zwinkerte Snowcat zu, „und weil du wirklich unglaublich sexy bist, machen wir Dir auch nen Sonderpreis.“

Sie tauschten Daten gegen Cred und plauderten dann noch ein paar Minuten. Zum Abschied fragte Renard: „Hey Doc, wie sieht‘s aus? Erschiesst Du mich auch, wenn ich Comm-Id‘s mit Snowcat austausche?

Doc schüttelte süffisant den Kopf: „Nein!“, dann starrte er Renard direkt in die Augen, „aber wenn du dich bei Snowcat meldest, um sie um ein Date zu bitten oder, um mit ihr zu flirten, dann komm ich zurück und erschieße dich.“

„Tja Rennard,“ lästerte Arcade, wobei sie nicht mal den Namen französisch aussprach, sondern Rennard, sagte „War nett dich gekannt zu haben.“

Blackstone nickte, „Ja, ich glaub auch, dass er trotzdem anruft.“


Kurz vor 3.00 Uhr am Morgen näherten sie sich dem Haus, welches angeblich von Djorkaeff als Waffenlager genutzt wurde. Matrixsuche und Drohnenüberwachung hatten sie an diesen Ort geführt. Vor dem ehemaligen Carrefour-Supermarkt standen ein Container-LKW, ein Kombi, ein SUV und ein schwarzer BMW mit einem Totenkopf auf der Kühlerhaube. Bingo. 

Während Liam einen Überwachungsballon in den Himmel sandte und über das Marktgelände stellte, teilte Snowcat heißen Kaffee und französische Croissants aus, um die inzwischen schon etwas müden Lebensgeister wieder zu beleben. 

„Hey,“ sagte Sparky, „Ich glaube ich habe einen Zugang ins das Haus gefunden, durch den meine Drohne passt.“ 

Wenig später meldete er sich erneut und Abscheu lag in seiner Stimme , „Die Schweine. Die schlagen da überhaupt keine Waffen um, jedenfalls nicht heute, der ehemalige Lagerraum ist voller Kinder.“ 

Sofort waren alle hell wach und allen war klar, dass sie so bald wie möglich zuschlagen mussten. 

Arcade verkündete, „Ich hab da drinnen elf Commlinks gefunden und vier Kameras. Das Sicherheitssystem ist von Vorvorgestern und nicht sonderlich gut. Ich schleif Euch mal die Bilder der Ü-Kameras dadrinnen durch. Nur ein Commlink taucht überhaupt was, dem würde ich mich gerne später in Ruhe widmen. Zwei Comms sitzen drinnen dicht beisammen, zwei befinden sich in der Nähe der Hintertür, zwei weitere Commlinks laufen Patrouille. Die fünf anderen befinden sich im Sleep-Mode, worunter auch das Bessere ist. Außerdem hab ich Zugriff auf den Strom, die Klimaanlage, eine Kühlkammer und auf ein paar Schlösser.“ 

Doc gestikulierte und stellte eine AR-Übersicht zusammen. Dank der von Sparky gelieferten Bilder und der Tatsache, dass man den Supermarkt bis auf ein paar Regale und ein paar Feldbetten so gut wie leer geräumt hatte, hatten sie ein ziemlich gutes Bild der Situation beisammen. 

Doc schloss aus dem Informationen, dass es sich bei den sechs Wachleuten um örtlich angeheuertes Personal der Vory handelte, und dass die fünf Schlafenden zu dem un-ehrenhaften Kreis der Waffen- und Kinderschieber gehörten. 19 Kinder und Teenager, sowohl Jungen, als auch Mädchen, befanden sich derzeit in deren Gewalt, darunter waren auch die vermissten Zwillinge. Einige von ihnen waren geknebelt und gefesselt worden. Die meisten schliefen jedoch zusammengerollt auf dem Boden. Nur den Zwillingen hatte man einen Schlafsack überlassen. 


Innerhalb von fünf Minuten stand der Plan.


Snowcat kletterte hinter Blackstone über den Zaun des Geländes. Lautlos schlichen beide an die Hintertür. Noch bevor sie diese erreicht hatten, sprang das Signallämpchen am Schloss von rot auf grün. Snowcat gab Sparky das Zeichen und dieser schaltete mit seiner Drohne die beiden Sicherheits-Vory aus, die gerade an der Vorderseite entlangliefen. Diese Schüsse waren schallgedämpft gewesen, so dass es kaum einen Laut gegeben hatte. Nun jedoch knatterte Sparky aus einer anderen Drohne eine vollautomatische Salve gegen die verstärkte und verbarrikadierte Vordertür. 

Genau in diesem Augenblick öffnete Snowcat leise die Hintertür. 

Blackstone hatte mit den beiden abgelenkten Wachen ein leichtes Spiel. Nur den Bruchteil einer Sekunde später lagen die zwei, dank der Stick‘n Schock- Munition, bewusstlos und zuckend am Boden. 

Snowcat sprintete in Richtung Feldbetten durch die leere Halle, während Blackstone mit seinem Ares Alpha bereits die beiden Vory unter Beschuss nahm, die vorne offenbar bei einem AR-Spiel beisammen gesessen hatten.

Snowcat wurde von Sparkys Drohne überholt, der praktisch sofort auf die vier Männer in den beieinander stehenden Feldbetten schoss, die gerade dabei waren, richtig wach zu werden. 

Snowcat hatte sich inzwischen dem fünften, etwas abseits stehenden Feldbett, genähert. Sie zog ihre Peitsche, vollführte einen Salto, landete geschickt auf dem Tisch neben dem Bett und schlug Djorkaeff, der sich gerade aufrichtete, einen Striemen ins Gesicht. 

„Schlampe!“, fauchte er sie an. 

Blackstone eilte herbei, wobei auch er, wie Sparky, die vier Männer in den Betten mit Stick‘n Schock Munition bepflasterte, so dass sie gar nicht erst richtig aus ihren Betten kamen. 

Yuri griff nach seiner Waffe, aber Snowcat schlug genau in diesem Moment nach dessen Hand, so dass er intuitiv weg zuckte. Da er jedoch schneller als Snowcat war, griff er sofort ein zweites Mal danach und richtete die Waffe nun auf die Elfe im Catsuit.

Jedenfalls wollte er das, denn in diesem Augenblick erklang Docs Stimme. Sie befahl, „Lass die Waffe fallen!“

Djorkaeff gehorchte. Er blickte sich um und erkannte, dass er noch der einzige von seinen Leuten war, der stand. Er lockerte die Schultern, hob die Arme und ergab sich. 

Liam und Sparky spazierten ins Lagerhaus und begangen damit, die Bewusstlosen mit Plastik-Stribes zu fesseln und mit extrastarken Klebeband zu knebeln.

Doc richtete seine Pistole auf Djorkaeffs Genitalien und nickte Snowcat zu, die sich daraufhin zum Lagerraum aufmachte. Blackstone begleitete sie, aber als er sah, dass sich im Lagerraum wirklich nur Kinder befanden, ging er zurück zu Doc.

Einige der Kinder waren bereits wach geworden, andere begangen erst damit. Unabhängig davon weinten die Meisten. Ihre Angst konnte man förmlich schmecken. Sie drängelten sich aneinander und wichen soweit es ging, von der Tür zurück. 

Snowcat schaltete das Licht ein, lächelte und sagte leise und sanft. „Ihr müsst keine Angst mehr haben. Wir tun Euch nichts. Wir sind hergekommen, um Euch zu befreien.“

Ein wirklich hübscher Zwergenjunge, Snowcat schätzte ihn auf ungefähr zehn Jahre, stand auf und fragte: „Bist Du ein Engel?“

Snowcat schüttelte den Kopf, „Nein mein Lieber.“ , dann trat sie zu den Zwillingen und zeigte ihnen die beiden Plüschkatzen, „Seht mal, was ich da habe.“, worauf zwei paar Kinderaugen sie anstrahlten. 

Geduldig erklärte Snowcat den Kindern, dass sie sich noch einen Moment lang ruhig verhalten sollten, doch als sie ein paar Minuten später gehen wollte, um zu sehen, wie weit Doc bei dem notwendigen Verhör von Djorkaeff war, fingen einige sofort wieder an zu weinen. 

Zum Glück skatete Sparky herein und vollführten lustige Kunststücke, die die Kinder ablenkten. 

Liam kam zu Snowcat und berichtete ihr und über das Teamnetz gleichzeitig auch allen anderen:  „Die Kids wurden bereist alle geTAGt. Auf den TAGs stehen Alter, Geschlecht, Zustand und eine Preisempfehlung. Und das alles mehrsprachig.“

Snowcat musste aufkommende Übelkeit unterdrücken. 

Liam fuhr fort: „Für die Zwillinge gibt es keine Preisempfehlung. Nur einen Warnhinweis, dass sie eine Speziallieferung sind und unbedingt unversehrt, jungfräulich und in einem guten Zustand an ihrem Zielort ankommen müssen.“ Liam lächelte Snowcat kurz an, „Hey Kittycat, ich sag nur, was da steht.“


Djorkaeff schrie schmerzerfüllt und ängstlich auf, „Bella Aurora. Belle Aurora heißt das Schiff. Mehr weiß ich nicht. Wirklich.“

Über AR blinkte eine Nachricht in schriller Leuchtfarbe: „Hallo! Habt ihr was auf den Augen. Ich hab alle relevanten Infos aus dem Commlink gezogen, ich weiß genug, damit wir weiter machen können. Ihr könnt aufhören!“

Es schien beinah, als beendeten Blackstone und Doc das Verhör nur widerwillig. Sie verpassten Djorkaeff eine Portion Laés, fesselten und knebelten ihn und packten ihn zu seinen Kollegen in den immer noch funktionstüchtigen Kühlraum, den Arcade wiederbelebt und auf -5° Celsius eingestellt hatte. 

Snowcat bat zwei Teenager, einen elfischen Jungen und ein menschliches Mädchen zu sich und erklärte ihnen, dass sie jetzt gleich gehen würden, aber dass ganz bald die Eurocorps hier einträfen und sich dann um alles Weitere kümmern würden. Snowcat versicherte den Beiden, dass ihnen von ihren Entführern keine Gefahr mehr drohte. Die Zwei nickten und versprachen darauf zu achten, dass sich alle bis zum Eintreffen der Polizei ruhig verhalten würden.


Liam sagte: „ETA 180 Sekunden.“ worauf sie Fabienne und Julienne auf die Arme nahmen, durch die Hintertür traten, in den Impuls stiegen und davon brausten. 


Über die Kamera einer sehr weit oben schwebenden Überwachungsdrohne beobachteten die Runner, wie gepanzerte Konzernangestellte von Eurocorps das Gelände stürmten und die Kinder befreiten. Nachdem klar war, dass nichts mehr schief gehen konnte, brachten sie die Zwillings-Mädchen nach Hause. 


Liam kümmerte sich noch um die TAGs, bevor Snowcat mit Doc und Blackstone in den Fahrstuhl stieg. Sie hatte Fabienne auf dem Arm und Doc trug Julienne.

Die Bilder, die nun folgten, würden sich wohl für immer in Snowcats Gedächtnis prägen. So sahen Metamenschen aus, die einfach nur überglücklich waren. 

Als die Mutter ihre Kinder ein zweites Mal fest an sich drückte, zogen sich die drei Runner lautlos zurück und schlossen die Tür hinter sich. Irgendwann später würde Madame Dupont in den Hosentaschen ihre Mädchen je einen 5000¥ Barstick, mit dem Vermerk: „Eine kleine Wiedergutmachung des Entführers.“, finden. 

Den größten Anteil der Summe von 92.500¥, die Arcade aus den Konten von Djorkaeff gezogen hatte, behielten die Runner, um so ihre weitere Reise zu finanzieren.


Zwei Kinder (+) aus Europa gerettet. 

Nächster Halt Afrika. Genauer gesagt Mombasa/Kenia. 

Denn dahin führte die Spur der Kinderhändler. In den Hafen der Stadt sollte in vier Tagen die Bella Aurora mit einem weiteren Container voller Kinder und Jugendlichen einlaufen, um sie von dort aus weiter transportiert zu lassen. 


Doc hatte sich vehement gegen die Verständigung von Eurocorps ausgesprochen und nur aus Zeitmangel und auf Bitten von Snowcat nachgegeben. Nun sagte er, noch bevor sie den Flughafen von Paris erreicht hatten: „Aber was auch immer wir da finden, wir werden auf keinen Fall ein zweites Mal irgendwelche Cops einschalten.“



Liam gab als Grund Wartungsarbeiten an und zahlte die zusätzliche Gebühr für den Hangar an der Flughafen, so konnten sie alle sicher in der TransSky den versäumten Schlaf der vergangenen Nacht nachholen. 

Zugegebener Maßen war Snowcat nicht drauf vorbereitet gewesen, gleich im Anschluss an Paris nach Afrika zu reisen. Dorthin wo derzeit eine Tages-Temperatur von bis zu 32° Celsius herrschte. So fuhr sie am Nachmittag noch einmal in die Stadt, um einzukaufen. SpArcade begleiten sie, um weitere Vorräte in Form von zusätzlichem Wasser und unzähligen Süßigkeiten so besorgen. „Boah, hier in Fracking Old Europe ist es ja noch viel schwerer Candybars zu bekommen, die nicht von Bloodztechnology sind,“, stöhnten die Zwillinge. 

Als sie wieder an Bord der Maschine waren, stapelten Sparky und Arcade die neuerworbenen Lebensmittel in die Schränke. Kaum hatten sie alles verstaut, blickten sie sich nach Liam um und begangen dann wieder damit, alles neu anzuordnen. Liam fuhr sie an: „Hört sofort auf mit dem Scheiß, das System ist perfekt.“

Die Zwillinge stellten alles an ihren Platz zurück, zogen fiese Grimassen und Sparky spottete: „Ja. Klar total perfekt, aber nur wenn man die Zahl Pi...“

„.. bis zur 32 Stelle im Kopf ausrechnen kann.“, beendete Arcade den Satz. „Oder wenn man das Periodensystem als Lied singen kann.“, fügte sie hinzu.

Nun übertrafen sich die Beiden an Ideen und taten somit kund, was Liam alles vermochte und weshalb sein System für ihn perfekt war. Schließlich runzelte Arcade die Stirn und meinte:  „Hey, das Meiste davon können wie auch.“

„Stimmt,“ bestätigte Sparky, „aber das System ist trotzdem total blöd!“, der junge Mann duckte sich, aber das erwartete Geschoss blieb aus.

Liam meinte einfach, „Ihr könnt eben nur das Meiste davon und nicht alles.“

Blackstone schüttelte minimal den Kopf. 


Während des Flug übte sich Snowcat in unterschiedlichen Haut und Haarfarben. Am Ende entschied sie sich für ein dunkles ,Karamell‘ für ihre Haut und für ein ,Bitterschokolade mit Kupfer‘ für ihr Haar. „Ich könnte Dir ganz viele kleine Zöpfe flechten.“, erklärte Arcade vor Freude strahlend.

Sparky klatschte in die Hände; „Oh ja, das könnten wir!“

Snowcat nickte: „Eine gute Idee!“ Die Zwillinge sprangen förmlich herbei und trennten mit Begeisterung Strähne um Strähne ab, um sie zu flechten. Sie wurden weder nachlässig noch müde und hin und wieder kamen ihre Zungenspitzen in ihren Mundwinkeln hervor.



Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel von Mombasa, als die Ares TransSky auf der Landebahn des kleinen Flughafens am südwestlichen Rand der Stadt und Abseits des Moi International Airports landete. Mombasa war eine Hafenstadt und das war sie über die Jahrhunderte der blutigen Geschichte des Landes hinweg, immer gewesen. Demzufolge war jeder Flughafen eher ein Stiefkind der Stadt, was sich auch nicht geändert hatte, als die Konzerne und vor allem der Corporate Court die Landesregierung übernommen hatte. In Kenia gab es zwar offiziell eine demokratisch gewählte Regierung, aber die machte keinen Schritt ohne die Erlaubnis des Corporate Courts.

Der kleine Flughafen für Privat- und Transportmaschinen wurde jedoch nicht unter dem Namen eines großen Konzerns geführt, und das hatte seine Vorteile. Die Sicherheit unterstand eben auch keinem großen Konzern oder gar dem Militär, sondern dem privaten Betreiber. Ein paar New Yen extra sorgten für extra Service.  

Die Einreisekontrolle durch die Zollbehörden, hinter denen definitiv ein Konzern steckte, hatten sie gut und problemlos überstanden. 

Liam hatte dem Landrover ein Safari-Outfit verpasst und die jetzt dunkelhäutige Snowcat, die ihre neue, weite, schwarze, weichfließende Victory Jazz Pants, ein schwarzes, ärmelloses Shirt von Body Line und Combatboots trug, wollte gerade einsteigen, als ein kleiner, schlaksiger, menschlicher Junge winkend in ihre Richtung rannte. „Misters, Misses, bitte warten. Bitte kurz warten!“

Doc warf Snowcat ihre Sonnenbrille zu, die sie aufsetze. Sie lächelte den einheimischen Jungen an. Völlig außer Atem kam er zu Stehen und sagte: „Danke Misses und Misters, Badawi wollen Führer sein für sie. Extra gerannt. Badawi seinen schneller als alle anderen Jungen.“ Badawi erholte sich rapide, bestaune kurz Snowcats zahlreiche und lange Zöpfe und meinte dann. „Oh Du sehr, sehr schöne Miss. - Badawi kennen alles hier in Gegend, auch besten Weg nach Mombasa, wir überholen andere Wagen noch vor Brücke.“ Der Junge betrachtete den Landrover und klopfte auf die Karosserie, „Auch schöner Wagen, aber nicht so schön wie Miss.“

Snowcat lächelte, der Junge war sicher nicht mal zwölf Jahre alt, aber er wirkte clever und ein einheimischer Führer hatte sich schon in Lagos bezahlt gemacht. Doc nickte und Snowcat begann mit dem Jungen zu verhandeln. Sie einigten sich nach einigem Hin und Her auf 29¥ für den Tag. 

„Badawi kann auf Schoss von Miss sitzen? Dann kann Badawi besser zeigen, was es zu sehen gibt.“

„Vergiss es!“, sagte Liam und klappe den Notsitz zwischen ihnen herunter. 

Mit der Hilfe von Badawi fanden sie ein Hotel jenseits der Brücken, also direkt auf der Insel Mombasa, bei dem sie ihren Wagen hinter dem Haus parken konnten und so einen guten Blick darauf hatten. Nach dem Einchecken fuhren sie zum Hafen und sahen sich dort um. Hier kannte sich Badawi wirklich gut aus. Er wusste Wege, die man nehmen konnte, um der einen oder anderen Kontrolle zu entgehen, hatte genaue Kenntnis darüber, wer welches Gebiet kontrollierte und wie weit das Einflussgebiet einzelner Konzerne reichte. 

Arcade zog mal so nebenbei aus der Martix wann und wo genau die Bella Aurora erwartet wurde. Sie hatten noch Zeit bis übermorgen um 14.30 Uhr, dann würde das Schiff am Pier 12 anlegen. 

Am Abend fragte sie der Junge: „Kann Badawi im Zimmer der beiden Misses schlafen? Badawi nimmt auch keinen Platz weg.“ Es stellte sich heraus, dass der Junge eigentlich außerhalb der Stadt lebte und nur zum Arbeiten hierher kam und meist gleich ein paar Tage blieb. Also durfte er bei Arcade und Snowcat schlafen, die Elfe nutzte die Gelegenheit um ihre frisch erworbenen Kiswhahili-Kenntnisse aufzubessern. 

„Boah wie fies,“ murrte Sparky, „der darf da schlafen und ich?“

„Du schläfst mit mir in einem Zimmer, wie besprochen.“, erklärte Liam ruhig. 


Am Vormittag des folgenden Tages erzählte der Junge, dass er auch an diesem Tag kurz zum Hafen wollen würde. Obwohl er sich stäubte, begleiteten sie ihn. Sie aßen in einem Fischrestaurant zu Mittag und der Junge haute kräftig und hungrig rein, wie er es bereits am Tag zuvor getan hatte. Snowcat konnte nachvollziehen, wie er sich dabei fühlte. 

Da sie alle darauf bestanden, ihn zu seinen ,Geschäften‘ zu bringen, betraten sie nun eine zwielichtigere Gegend von Mombasa. An einer Ecke sagte der Junge: „Bitte Misses, Misters, jetzt hier warten. Badawi müssen allein gehen, aber er seinen gleich wieder da.“ 

Sie ließen ihn ziehen, aber natürlich folgten Snowcat und Blackstone ihm heimlich. 

Badawi traf sich zwei Strassen weiter mit ein einem halben Dutzend Jugendlicher, die offenbar zu einer örtlichen Gang gehörten. Einem davon überwies er anscheinend Geld. Plötzlich schien etwas schief zu laufen, denn sie zogen Ketten und Messer und dann schlug Badawis Gegenüber mit seiner Kette zu. 

Der schmächtige Junge ging sofort zu Boden. Wo er augenblicklich von einem weiteren Ganger gegen den Kopf getreten wurde. Badawi hatte nicht mal mehr die Zeit gehabt, seinen Kopf mit den Armen zu schützen.

Snowcat rannte los.

Blackstone stieß einen Pfiff nach hinten aus, um den anderen Bescheid zu geben, dann folgte er ihr.

„Hey, hört sofort auf!“, rief Snowcat den Ganger zu. Die gehorchten, doch Snowcat kam mit ihrem Befehl ein wenig zu spät, denn da war die Kette bereits ein zweites Mal auf Badawi herab gerauscht. Dafür hatte die Elfe nun die  Aufmerksamkeit völlig auf sich gezogen. „Legt Euch doch mal mit jemandem eurer Körpergröße an, Fragger.“, schimpfte sie, für viel mehr reichte ihr Kiswhahili einfach noch nicht. 

Die jungen Männer bleckten die Zähne und grinsten. 

Allerdings nur kurz.

Snowcat schlug dem Ersten mit der Peitsche einen fetten Striemen ins Gesicht.

Blackstone versetzte einem anderen einen heftigen Schlag in den Unterleib. 

Kurz darauf erschienen Sparky und Arcade auf ihren Rollerblades und zeigten, dass sie sehr genau wussten, wie man einen Schlagstock schmerzhaft und wirkungsvoll einsetzte.

Natürlich hatten die Ganger keine Chance, so wie zuvor Badawi keine Chance gehabt hatte. Der Junge war ziemlich schwer verletzt.

Ihn so zu sehen, brach Snowcat beinah das Herz, aber natürlich ließ sie sich das nicht anmerken. Liam kümmerte sich sofort um den Jungen am Boden. Zum Glück war er einer der besten Ärzte, die sie kannte.  

Die Ganger, die nicht bewusstlos geworden waren, knieten inzwischen entwaffnet, mit runtergelassenen Hosen und zusammengebundenen Händen vor der Wand eines schäbigen Hauses. Sie erzählten, dass Badawis Familie ihnen Geld schuldete. Eine Menge Geld. Und der Betrag stieg täglich, so dass die Familie ihn wohl niemals aufbringen hätte können. Was sie auch gar nicht können sollte, denn die Ganger waren ausschließlich an den Organen der Metamenschen interessiert. Badawi hatte sich weigern wollen, eine weitere Erhöhung von Zinsen zu akzeptieren und die Ganger wollten sich das nun nicht bieten lassen. Ob der Junge durch die Schläge draufgegangen wäre, war ihnen egal. Genau genommen wäre es ihnen sogar Recht gewesen. Dann hätten sie seine Organe sofort verkauft und die Schulden beim Rest der Familie eingetrieben. 

Snowcat musste an sich halten, um die Typen nicht auf der Stelle allesamt auszupeitschen. Aber so war diese Welt nun mal und selbst die Ganger zu töten, hätte nichts daran geändert, denn an ihre Stelle wären einfach andere getreten. Deshalb beglich sie die Schulden der Familie. 

Doc sorgte mit einem intensiven Gespräch dafür, dass die Gang Badawis Familie auch zukünftig nicht belästigen würde und dann ließen sie die Ganger dort sitzen. Blackstone warf noch eines ihrer Messer in ihre Richtung und dann zog auch er ab. 


Natürlich brachten sie Badawi umgehend nach Hause. In den Slums außerhalb der Stadt fanden die Runner eine kinderreiche Familie vor, deren Mitglieder zwar extrem arm waren, sich aber liebevoll mit einander umgingen. Badawi hatte sechs Geschwister, fünf waren jünger als er. Hinzu kamen noch zahlreichen Cousins und Cousinen. Die Sippe umfasste gut 50 Personen, die alle nach und nach eintrafen, nachdem einige Commcalls stattgefunden hatten. 

Snowcat wusste, dass es unhöflich gewesen wäre, die Einladung zum Essen abzulehnen, selbst wenn die Familie den Runnern nicht zu so großem Dank verpflichtet gewesen wäre, hätten sie sie allein aus Gastfreundschaft einlgeladen. So wurde natürlich ein Fest zu Ehren der Retter veranstaltet. 

Wo sie schon mal da waren, konnte Liam auch gleich die anderen Kinder medizinisch versorgen. 

Badawi war sehr betrübt darüber, dass er die Runner nicht wieder zurück in die Stadt begleiten durfte, aber Liam bestand darauf, dass er sich ausruhen musste, auch wenn der Junge bereits fast wieder völlig fit war. Snowcat überwies dem Jungen noch einen Betrag, der ihm und seiner Familie weiterhalf, sie aber nicht zum Ziel von Neid oder gar Überfällen machte. 


„Ich bin sicher, der zählt für Afrika.“, meinte Blackstone auf der Fahrt zurück zum Hotel. Snowcat nickte zustimmend und zu ihrer Überraschung, war es überhaupt nicht wichtig für sie, ob Badawi für Afrika zählte oder nicht. Und sie glaubte, dass es für die anderen ebenso war. 



Sie hatten beobachtet, wie man einen der Container gesondert von der Bella Aurora ab- und auf eine Zugmaschine aufgeladen hatte. Sechs Afrikaner, vier Menschen und zwei Orks, hatten dabei gestanden, geholfen oder zugesehen. 

Snowcat hatte sich in die Nähe der Zugmaschine geschlichen, hatte ihre Sinne nach Bewegung ausgesandt und als sie sich sicher gewesen war, dass es in dem Container tatsächlich Bewegung gegeben hatte, die metamenschlichen Ursprungs sein konnte, hatte sie mit einer leichten Pistole eine Wanze an den Rand des Containers geschossen.

Nachdem der Container verlanden worden war, waren zwei der grobschlächtigen Afrikaner in die Fahrerkanzel gestiegen und die vier übrigen hatte sich auf einen Pick-Up der neusten Bauart und ein ebenfalls nagelneues SUV verteilt. Dann hatte sich die kleine Kolonne bestehend aus SUV, Zugmaschine und Pick-Up in Richtung Westen aufgemacht. Mit dem Verlassen der Stadt war beinah sämtliches AR verschwunden, darum war es wichtig gewesen, dass sie innerhalb der Reichweite der Wanze geblieben waren. 

Die Runner waren der Kolonne über sechs Stunden lang im weiten Abstand gefolgt. Natürlich war allen in Liams Landrover klar gewesen, dass sie am Hafen gar nicht hatten zuschlagen können, dennoch war ihnen unwohl dabei zu mute, Kinder noch länger einer solchen Tortur auszusetzen. 

Als sich das Signal der Wanze irgendwo in der kenianischen Wildnis nicht mehr bewegt hatte, hatte Liam ein Überwachungsdrohne in den Abendhimmel entsandt und nun blickten sie von dort aus auf ein Lager. 

„Heilige Scheiße.“, entfuhr es Blackstone. Es folgten ein paar Sekunden des Schweigens und dann sagte Sparky: „Na das ist unerwartet groß.“

Es viel ihnen allen schwer, dabei zu zusehen, wie 23 Kinder und Teenager in Fussfesseln aus dem Container entladen wurden. Man las ihre TAG‘s aus und verteilte sie dann auf sechs Blech-Baracken. 

Doc hatte bereits zusammengezählt und sagte: „Sechs Baracken in die sicher je bis zu 50 Kinder passen. Ein großes Zelt, dass wahrscheinlich als Kantine dient. Fünf-10 Mann Zelte, ein luxuriöses Motorhome, ein Wohnwagen mit einer Satellitenschüssel auf dem Dach, eine Generator-Hütte, zwei SUV‘s, vier Pick-Ups, fünf Dixi-Klos und gerade zu sehen sind 24 Männer, die mit Sturmgewehren bewaffnet sind und Panzerjacken tragen.“

Leider entdeckten sie noch mehr. Um das Lager hatte man einen elektronischen Zaun aufgebaut, der nach Außen die wilden, teilweise paranormalen, Tiere abhalten sollte und nach Innen auf Bewegungen achtete. An den Wellblechbaracken, die aussahen, als könnte man sie leicht wieder auf und abbauen, waren Überwachungskameras angebracht. Außerdem führten sechs der Wachleute Hunde. Nach ein wenig mehr Beobachtung gingen sie von 37 Wachleuten aus, die alle die gleichen Stammesfarben trugen, drei von ihnen nahmen offenbar eine gesonderte Stellung ein.

Snowcat war sich nicht sicher, ob sie hier zuschlagen konnten, aber Liam meinte: „Mach Dir keine Sorgen Kittycat, der Plan muss da einfach nur gut genug sein.“

Sparky und Arcade waren ungewohnt still.


Sie beobachten das Lager noch gut eine Stunde, dann benötigten sie etwa ein halbe Stunde für den Plan und eine weitere drei-viertel Stunde für die Vorbereitungen. Inzwischen war es außerhalb des Rovers tiefste Nacht geworfen. Die Fackeln im Lager warfen ein gespenstisches Licht auf die Szenerie. 

„Also gehen wir mit tödlicher Gewalt vor?“, fragte Arcade.

Blackstone rammte demonstrativ ein Magazin mit APDS-Munition in sein Ares Alpha: „Für mich stellt sich die Frage nicht. Ich hab gesehen, wie die Fragger mit den Kids umgehen.“

Doc nickte, „Bis auf die drei, die wir als die Anführer ausgemacht haben, müssen wir alle final ausschalten. Zumindest einer von den Anführen sollte aber überleben.“ Er sah Snowcat direkt in die Augen: „So schnell töten wie möglich. Hast Du gehört? Alles andere erhöht unser Risiko erheblich. Also keine Spielchen!“

Snowcat bestätigte mit einem Copy, „Aber es schadet sicher nicht, wenn Du mich zwischendurch daran erinnerst.“, fügte sie hinzu. 

Doc zwinkerte ihr kurz zu: „Das mache ich gern.“


Grillen zirpten und ein wolkenloser Sternenhimmel tauchte die Umgebung in ein schönes Licht. Da waren viele Geräusche und viele Gerüche unbekannter Art, aber Snowcat hatte keinen Sinn dafür. Sie lag im Gras der Savanne und hatte ihr AR-Display fest im Blick. Neben ihr surrte die von Liam gesteuerte Drohne leise. Die Ziffern des Countdown blinkten abwechselnd in orange und grün, 35, 34, 33.

Auf der anderen Seite des Lagers, von Snowcats Position aus genau auf 10 Uhr, lag Blackstone ebenso wie sie im Gras, auch er wurde von einer Drohne begleitet, seine steuerte Sparky. 26, 25, 24.

Auf der kleinen Karte im AR-Display tauchten nacheinander rasend schnell rote Punkte auf, bis es 37 Stück waren. Sie alle zeigten die Position ihrer Gegner an. Arcade hatte sie über ihre Commlinks geortet. 34 dieser Männer würden in den nächsten Minuten ihr Leben lassen. 18, 17, 16.

In einiger Entfernung stand der Landrover Impuls. Daran lagen Liam, Sparky und Arcade. Sie waren Full-VR gegangen. Auch Doc war in dem Wagen. Er blickte gleichzeitig auf alle Monitor-Feeds, die das Team zur Verfügung hatte. Sowohl Blackstone als auch Snowcat trugen Kameras, hinzu kamen die Bilder von sechs Drohnen, die sie im Einsatz hatten. Doc wertete die Informationen aus und gab seine gewonnenen Erkenntnisse augenblicklich ins Tac-Net ein. 6, 5, 4. 

Jazz wurde in Snowcats Blutkreislauf geschwämmt, es strömte durch ihre Adern, beschleunigte ihren Puls und setzte Adrenalin frei. 3, 2, 1. Go!

In dem Wissen, dass die Bewegungssensoren ausgeschaltet waren, huschte Snowcat los.  Ein AR-Pfeil wies ihr den Weg zu ihrer Zielgruppe. Auf der anderen Seite erloschen bereits zwei rote Punkte. Vor Snowcat tauchte ihr erstes Ziel auf. Er hatte sie nicht bemerkt. Snowcat nahm die Waffe in Anschlag. Ein kurzes Zögern, dann von Doc der Befehl in ihrem Ohr: „Feuer.“ Ihre Nackenhaare sträubten sich, doch sie drückte ab. Ein Burst, zwei. Ein dritter Punkt erlosch, gleichzeitig ein vierter. Auch Liam hatte geschossen.

Ihre Waffen waren schallgedämpft, aber ihrer Gegner starben nicht völlig lautlos. 

Im Lager wurde Alarm ausgelöst. Snowcats Route passte sich den neuen Umständen an.

Wie Geister bewegten sie sich durch das Lager. Snowcat und die Drohne näherten sich ihren nächsten vier Zielen. Zwei davon gehörten Snowcat. Die Ziele wirkten verwirrt, blickten in die falsche Richtung. Wieder sträubten sich die Nackenhaare der Elfe, doch sie drückte ab. Ein Burst. Die Drohne feuerte. Ein roter Punkt erlosch. Ein zweiter Burst. Ein weiterer roter Punkt erlosch. Die beiden übrigen Gegner wirbelten herum, sie erwiderten das Feuer. Snowcat wich aus. Ein Burst. Ein zweiter Burst. Zwei weitere Gegner down. 

Blackstone und Sparky hatten derweil sechs weitere Ziele eliminiert. 

Im Lager war Hektik ausgebrochen. Doch sie waren ihrer Kommunikation beraubt und irrten umher. Hunde kläfften wütend. 

Sparky legte aus zwei Drohnen Bahnen aus gespenstisch grünem Rauch, der nach Schwefel stank. Die berechneten Bahnen zwangen die Gegner in für die Runner günstige Routen. 

Ihre nächsten beiden Ziele hatten Hunde dabei, die sie witterten und die Richtung verrieten, aus der Snowcat kam. Liam war darauf vorbereitet. Seine Drohne preschte vor. Snowcat nahm ihr nächstes Ziel ins Visier. Ihre Nackenhaare sträubten sich. „Feuer!“, befahl Doc. Ein Burst. Die Gegner ließen die Hunde los. Snowcat ließ sich nicht beirren. Ein zweiter Burst. Der Kerl stand noch. Liam sprayte die Hunde ein, sie winselten und wichen zurück. Ein dritter Burst. Gegner down. Neues Ziel. Das schoss zurück. Snowcat wich nur knapp aus. Ein Burst, aber sie verfehlte ihr Ziel. Liam griff ein. Gegen sie Beide hatte das Ziel keine Chance. Wieder einer weniger. 

Der schnell blinkende AR Pfeil zeigte an, dass ihre Route erneut angepasst wurde und erheblich von der ursprünglichen abwich. Snowcat dachte nicht darüber nach. Sie folgte dem Pfeil. 

Die nächsten zwei Punkte waren wieder leicht auszuschalten, aber dann lief Snowcat auf sechs Punkte zu. „Deckung suchen. Vorbeiziehen lassen und von hinten angreifen.“, kam die Anweisung über das Tac-Net. Liams Drohne entfernte sich von ihr. Snowcat ließ sich flach auf den Boden fallen und drückte ihr Gesicht in das Gras. Sie spürte mit anderen Sinnen nach den Gegnern und ließ die sechs Männer an sich vorbeiziehen. 

Als Snowcat den Kopf hob, um den Rücken des ersten Ziel anzuvisieren, sträubten sich nicht nur ihre Nackenhaare, sondern ihr gesamtes Fell. Sie zögerte. „Feuer!“, befahl Doc. Snowcat gehorchte, aber sie konnte sich ein Pfiff nicht verkneifen. Ihr Ziel zuckte herum, noch bevor sie abgedrückt hatte. Dennoch hatte sie Glück und traf den ersten der Gruppe mit beiden Bursts. Liam streckte ebenfalls einen nieder. Snowcat rollte herum und änderte so ihre Position. Auch die übrigen vier Ziele hatten sich zu Boden geworfen und bepflasterten ihr Umfeld mit Kugeln. Das Liam sie mit der Drohne von erhöhter Position aus angreifen konnte, machte ihnen aber dann doch den Gar aus. 

„Blackstone hat den Anführer lebend erwischt und ruhig gestellt.“, jubelte Sparkys Stimme über das Netzwerk. 

Arcade trieb ihnen nun die Gegner über gefälschte Comm-Hilferufe zu. Die Runner nahmen sie nahe der Barracken in die Zange. „Feuer!“, kommandierte Doc und Snowcat gehorchte erneut. 


Als sich die sechs Runner versammelt, der grüne Rauch sich völlig aufgelöst und sich auch der Bleidunst gelegt hatte, zählten sie 35 Tote im Lager. Doc hatte sichergestellt, dass sie alle auch wirklich tot blieben. Von den Hunden fehlte jede Spur, sie hatten sich auf Nimmerwiedersehen in die Savanne von Kenia abgesetzt. 

Das Jazz floss immer noch durch Snowcats Adern, was es ihr schwer machte, still zu stehen. Sie lief umher, wie eine unruhige Raubkatze. 


So weit so gut.


Sie befreiten die 81 Kinder und Teenager, die sich aus unterschiedlichsten Rassen und ethnischen Herkünften zusammensetzten, aus den sechs Baracken, erlösten sie von ihren Fesseln, verteilten Süßigkeiten und Trockenobst und brachten sie in den Zelten unter. Hier standen ihnen wenigstens Schlafsäcke, Decken und Luftmatratzen zur Verfügung. Liam kümmerte sich erneut um die medizinische Versorgung und seine Miene verhärtete sich zusehends. Unter den Kids war die Stimmung irgendwann deutlich besser, als man es unter diesen Umständen hätte erwarten können, was besonderes Sparky und Arcade zu verdanken war. 


Snowcat und Doc verhörten den Warlord und Lagerleiter in einer Person fünf volle Stunden lang. Zwischenzeitlich hätte die Elfe so einiges dafür gegeben, einfach einen Zauberer dabei zu haben, der dem Kerl die Informationen aus dem Kopf zog, aber dass sie am Ende doch etwas herausbekommen hatten, entschädigte sie. 


Hier in Kenia befand sich quasi der Sammelpunkt für Kinder, die in unterschiedlichen Regionen der Welt eingefangen worden waren. In acht Tagen wäre ein frisch bestellter ,Auktionator‘ erschienen und hätte die Kinder versteigert. Diese Auktion wäre die dritte gewesen. Zu den ersten beiden waren unterschiedliche Auktionatoren gekommen. 

Der Warlord wusste nicht wer hier der Organisator war. Er wurde regelmäßig über Wegwerf-Commlinks kontaktiert. 

Leider musste auch Arcade feststellen, dass hier jemand sehr vorsichtig war. Da sie über die Kinder von den bisherigen Auktionen keine Daten hatte und weltweit einfach zu viele Kinder aus den unterschiedlichsten Schichten vermisst wurden, führte die Matrix-Spur ins Leere.

Die Zwillinge aus Paris jedoch waren wirklich als Speziallieferung gedacht, zwar wusste der Lagerleiter nicht, wer die Mädchen hätte bekommen sollen, aber er wusste, dass sie ein Versuch gewesen waren, eine feste Geschäftsbeziehung aufzubauen. Wer auch immer der ,Empfänger‘ der Zwillinge war, der wusste auch etwas über den Organisator des Camps. 

Morgen Abend würde hier in der Nähe ein Zeppelin landen, der die Mädchen abholen sollte. Die Metamenschen in dem Luftschiff würden zumindest den nächsten Zielort kennen. 

„Gut,“, meinte Blackstone grimmig, „diesen ,Empfänger‘ würde ich eh gerne mal treffen.“


Trotz des Verhörs blickte der Warlord entschlossen und stolz drein: „Nun hast du sogar den Zugang zu meinem Konto. Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß, Weib! Ich gebe dir mein Wort darauf. Nun halte dein Wort und lass mich unbehelligt ziehen!“

Snowcat schluckte, dann nickte sie. Sie schnitt ihm die Plastik-Stribes an Fuss und Handgelenken durch. Der Warlord starrte sie anzüglich an, als sie ihm so nahe kam. Er berührte sie zwar nicht, aber er atmete tief ihren Duft ein. 

Snowcat trat beiseite und machte ihm den Weg frei. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihm zu gehen.

Der Warlord hatte sich gerade mal zehn Meter entfernt, als Doc ihm hinterherrief: „Einen Moment noch bitte.“

Relativ gelassen drehte sich der fast 2 Meter große, kräftig gebaute Afrikaner um und blickte Doc fragend an.

Doc grinste und dieses Grinsen sah bedrohlicher aus, als es das Fauchen eines Tigers vermochte. Unsicherheit zeichnete sich auf dem Gesicht des Warlords ab. 

„Weisst du,“ sagte Doc entspannt lächelnd und zündete sich einen Zigarillo mit einem Streichholz an, „eines hast du übersehen, was nicht weiter verwunderlich ist, schließlich hast du ja unter Stress gestanden, du musst dir also keinen Vorwurf machen.“, er pustete sein Streichholz aus. „Die Lady hier hat dir versprochen, dich laufen zu lassen,“ Doc nahm einen Zug von dem Zigarillo, und stieß langsam den Rauch aus, „aber ich hab das nicht!“ Mit einer ultraschnellen und geschmeidigen Bewegung zog Doc seinen Revolver und schoss dem Warlord eine Kugel mitten in die Stirn.


Nachdem der Klang des Schusses verhallt war, kam Liam herbei, nickte Doc zu und sagte: „Ich wusste doch, dass es noch zu früh war, das Feuer zu entfachen.“

Nicht mal eine Stunde später waren der Warlord und seine Leute Dank Liams Spezialmischung Geschichte. 

Aufkommender Wind verteilte ihre Asche über der Savanne von Kenia. 


Arcade war es gelungen, die Comm-Id einer Frau vom Kinderhilfswerk der UN zu finden. Ein paar Bilder hatten mehr als tausend Worte gesagt und so waren bereits am Abend zwölf Mitarbeiter des Kinderhilfswerks mit zwei Schulbussen aufgetaucht, um sich der Kinder und Teenager anzunehmen. Auf die Meisten von ihnen wartete irgendwo eine Familie. 

Mrs. Rivers von der UN stellte keine Fragen, nicht mal als Snowcat sie um eine Kontonummer bat und Arcade dorthin dann eine Menge erbeutetes Geld überwies. Sie drückte Snowcat einfach mit einem festen Handschlag ihren Dank und ihre Anerkennung aus.



Der modifizierte Mitsuhama HD23i setzte ohne zu zögern zur Landung an, nachdem Arcade das vereinbarte Signal abgesetzt hatte. Bis auf Doc und Snowcat, die nahe des Landeplatzes in der Savanne standen, hielten sich alle versteckt. Sie hatten zwei unterschiedliche Vorgehensweisen vorbereitet, mit denen sie den Zeppelin kapern konnten. 

Zunächst stiegen zwei wahre Hünen von Menschen aus dem Transportschiff aus. Beide waren mit Sturmgewehren und Maschinenpistolen und wahrscheinlich sogar noch weiter bewaffnet. Sie trugen zur Umgebung passende Camouflage-Panzerkleidung und hatten eine Panzerweste darüber gezogen. Der Latino war ein Stück kleiner als der Kaukasier, aber auch er würde die Körpergroße von 1,85m sicher überschreiten. Die beiden blickten sich wachsam um und ließen dann einen weiteren Kaukasier aussteigen, der im Gegensatz zu ihnen ein Hemd war. 

Das ,Hemd‘ kam ein paar Schritte auf Snowcat und Doc zu, rieb sich die Hände und sagte auf Englisch: „Hoi, Omaes. Ich hoffe, die Ladung ist wie abgemacht nicht übermäßig groß, denn ich bin schon ziemlich voll.“ Offenbar schien er niemanden Bestimmten erwartet zu haben.

Der Latino stieß seinen Kumpan an und raunte ihm was zu, als sie ihrem Wortführer folgten. Snowcat hatte nicht verstehen können, was sie gesagt hatten.

Doc gestikulierte ihr: ,Keine Sorge. Er findet dich nur... ultra geil...‘. Sie sprechen übrigens ebenfalls Englisch.“

Das Hemd hatte Snowcat und Doc erreicht und meinte: „Tach‘chen, ich bin übrigens Sly. Wo ist denn nun die Ladung? Dann können Salem und Rios schon mal mit dem Einladen anfangen. Ihr wisst schon, Zeit ist Geld und so.“ Sly grinste Snowcat schlickrig an, „und wir Chicaa, können dann schon mal das Finanzielle regeln.“

Doc schnalzte mit der Zunge: „Sly, die Verhandlungen führst DU mit MIR. - Und außerdem gibt es da eine kleine Planänderung.“ 


Sly und seine Crew hatten offenbar gar keine Ahnung gehabt, was sie hätten transportieren sollen. Dennoch wollte Sly zunächst nicht mit der Sprache rausrücken, wohin sie hätten liefern sollen. „Nichts für ungut, Geschäft ist Geschäft.“ Aber Salem und Rios intervenierten und so gab Sly ziemlich schnell nach. Er ließ sich sogar dazu breit schlagen, dass Team samt Wagen an den Übergabe-Ort zu bringen. „Wenn das denn alles passt? Wegen dem Platz und so, ich bin ja schon ziemlich voll.“

Rios meinte darauf trocken: „Wenn‘s nicht reichen sollte, lassen wir einfach was von dem anderen Zeug hier, Sly. Denn wenn man in Scheiße tritt, lässt man die nicht einfach am Stiefel kleben.“



Über 5400 km Luftlinie lagen zwischen Mombasa und Neu Delhi und mit dem Zeppelin würden sie über 6 Tage für die Strecke brauchen, keine Reise, die man so einfach mit Fremden machte. Aber erstens konnte Liam den Zeppelin jeder Zeit übernehmen und zweitens hatte Arcade bei den Namen von Rios und Salem mit den Daumen nach oben gezeigt. Die Söldner, die in den letzten Jahren hauptsächlich in Asien unterwegs gewesen waren, hatten einen guten Ruf in den Schatten. Der Ruf von Sly ging so, aber das reichte allemal aus, um sich mit ihnen auf den Weg zu machen. Sechs Tage boten ihnen genügend Zeit, sich kennenzulernen und es würde sich auch die Zeit finden, die vielen kleinen Zöpfe aus Snowcats Haar wieder zu lösen. 

Salem versuchte während der Flugzeit mehrmals bei Snowcat zu landen, aber er kam nie besonders weit, da Sparky und Arcade sofort hinzukamen und ihn anstarrten und Dinge sagten wie: „Du kannst Dich auch einfach gleich bei uns ausweinen, dann sparrst du Dir die Schmach des Abblitzen.“, oder „siehst Du den Kerl mit den AR-Hut dahinten, der ist noch verrückter, als er aussieht.“, oder aber sie texteten ihn einfach so zu und brachten ihn vom Thema ab.  

Rios schmiss sich jedes Mal weg vor Lachen, wenn er das sah und Blackstone schüttelte minimal den Kopf. 


Rios erzählte: „Ganz Indien wurde von der SURGE-Welle durch den Kometen vielleicht stärker erfasst, als jedes andere Land, vor allem ein drittes Auge oder ein zweites paar Arme gibt‘s da echt oft. Der heilige Fluss Ganges zieht magisch Aktive aus dem gesamten Land an. Das typische organisierte Verbrechen wie Yaks, Triaden oder Mafia gibt es da kaum. Wenn ich genau überleg, dann gar nicht. Es gibt da drei Clans, so was wie riesige Gangs, die sich nicht gegenseitig ins Gehege kommen, weil sie sich Kastenmäßig das Verbrechen aufgeteilt haben. Generell gehen die in Indien mit dem Thema Verbrechen deutlich easy um, für die Inder gehört das zum Leben dazu, schließlich haben die es hier vor allem mit der Wiedergeburt, und auch nach Zerstörung kommt Wiedergeburt. Alles dreht sich hier um Dharma und Karma- Pflicht und Wirkung. Und wer viel Negatives tut, der wird eh vom Karma bestraft, entweder heute oder im nächsten Leben.

Was die Mädchen angeht, kommt eigentlich nur der Mansur-Clan in Frage, der befasst sich mit Organ-, Drogen-, Waffenhandel und mit Prostitution. Die Leader kommen ursprünglich aus Afghanistan. Neu Delhi ist total überbevölkert und da wimmelt es, wie in einem bunten Ameisenhaufen. Der Hindu-Glaube und das Kastensystem spielen eine übergeordnete Rolle, sind aber für Ausländer nicht so wichtig. Mehr fällt mir jetzt nicht ein.“, schloss Rios seine Ausführungen, „Dir Salem?“ 

Salem schüttelte den Kopf. „Außer natürlich, dass wir uns hier einigermaßen gut auskennen und Euch gerne begleiten würden. Denn wenn es um Kinder geht, hört der Spass auf.“ 


Easy war genau das richtige Wort für den Umgang mit den Männern des Mansur-Clans. Sie hatten nur auf das Signal von Sly reagiert, wie es ihr Auftrag gewesen war. Es war nicht ihr Dharma die Mädchen- sie wussten das es Mädchen waren und sie hätten sie dementsprechend behandelt- abzugeben. Also konnte ihnen eine jetzt asiatische Snowcat den Deal einfach abkaufen. 


So bekamen sie eine Adresse in Neu Delhi, wuselten sich auf Mopeds durch die Innenstadt und standen alsbald vor den Toren eines Palastes, wie ihn Bollywood sich nicht besser hätte bauen lassen können. 

Sie überwachten das Gebäude mit Hilfe von Minidrohnen mehr als einen ganzen Tag. Arcade grub alles über den alten, dicken, mega-reichen in Pakistan geborenen, ehemaligen Waffenschieber Ahmad Suskai aus, was sie finden konnte. Sie diskutieren ein paar Pläne, verworfen diese dann aber wieder und beschlossen schließlich es mit einem simplen Einbruch zu versuchen. Simple nur für alle die, deren Aufgabe nicht darin bestand, sich über die Matrix mit dem Sicherheitssystem des Hauses zu messen. 

Das Haus war State of the Art vernetzt. Unzählige Kameras waren überall, außer im dem ,Allerheiligsten‘ angebracht. Snowcat schwindelten beinah die Sinne, als sie die Liste der Sicherheitsvorkehrungen betrachtete. SpArcade hingegen strahlten über das ganze Gesicht und riefen: „Ledgendary-Level. Cool!“


Dank der Genialität von Liam, Sparky und Arcade, war das Eindringen in den Palast für Doc, Blackstone, Salem, Rios und Snowcat ein Spaziergang gewesen. Nun standen sie vor dem Koch und dem Sekretär von Ahmad. Ja dem Koch. Der die Fünf doch tatsächlich mit seinen beiden, zugegeben langen, Messern bedrohte. Beide Männer waren in schwarze lange Jacken und pinke Hosen im Bollywood-Stil gekleidet.

„Memsahib, es wäre besser, wenn Sie ihre Kollegen nähmen und wieder gingen. Wir würden Ihnen nur äußerst ungern wehtun“, sagte der Sekretär. 

Snowcat sandte ihre magischen Sinne aus, denn irgendetwas war hier merkwürdig, aber da war nichts, jedenfalls nicht auf dieser Ebene. 

Doc grätschte in die Lücke und verschaffte Snowcat so Zeit: „Wir wollen Ihnen auch nicht weh tun. Wir müssen uns nur mal eben mit ihrem Chef unterhalten.“

Snowcat verlagerte ihre Wahrnehmung und blickte quasi direkt in die Flammenaura eines ziemlich mächtigen Geistes. 

Während Doc noch ein paar nette Worte mit dem Sekretär wechselte, besprach er mit Snowcat einen Plan. Leider konnten sie den anderen Dreien nicht so einfach mitteilen, was zu tun war.

Doc trat vor und versperrte den beiden Männern im Gang ein wenig die Sicht auf Snowcat, die hinter ihrem Rücken Handzeichen machte und hoffte, dass Blackstone, Salem und Rios verstanden, wen sie angreifen sollten. 

In einer dramatischen Geste hob Doc beschwichtigend die Hände: „Na gut. Wir wollen auch nicht gegen Sie kämpfen. Also werden wir uns jetzt zurückziehen. Aber vorher... DREHT EUCH UM UND LAUFT!“ 

Der Sekretär und der Koch gehorchten. 

Snowcat presste sich an die Wand und zog ihre Monopeitsche.

Doc, Blackstone, Salem und Rios nahmen ihre Waffen in Anschlag.

Der Koch drehte zuerst um und er war unglaublich schnell. Er brauste heran und verpasste Rios einen Tritt gegen die Waffe, die ihm so aus der Hand geschlagen wurde. Salem trat hinzu und ehe man sich es versah, vermischten sich die drei in einem Nahkampf. 

Als der Sekretär auch nur den Ansatz einer Bewegung machte, die nicht wegrennen war, schoss Doc ihm aus zwei Pistolen vier mal in den Kopf, danach trat Doc nur ein wenig Schweiß auf die Stirn, doch dem Sekretär zerplatze das Hirn. 

Der Geist materialisierte sich brüllend, Flammen zischten und es wurde heiß.

Snowcat hatte ihre Monopeitsche kampfbereit erhoben, sie sah den Geist an und sagte: „Du bist frei, also geh.“

Der Geist hielt inne, verbeugte sich vor Snowcat und löste sich auf. 

Rios und Salem rangen weiter mit dem Koch, steckten sogar ein paar Schläge ein, aber sie waren ein eingespieltes Team und gewannen schließlich die Oberhand. 

Blackstone klopfte sich imaginären Staub von der Hose, sah die beiden Söldner grinsend an und fragte: „War was?“

Alle lachten kurz.

Dann näherten sie sich dem ,Allerheiligsten‘, dem goldenen Wohn- und Schlafzimmer von Ahmad Suskai.

Die dicke Mann Anfang sechzig hatte bisher noch nichts gemerkt. Er schnarchte friedlich in seinem riesigen Bett. 

Arcade meldete sich: „Also hier ist alles unter Kontrolle und friedlich, das System hatte ein ziemlich widerwärtiges Design, mussten wir mal eben einen anderen Filter drüber legen. Ihr könnt mit Eurer Befragung anfangen und Ihr könnt Euch Zeit lassen.“ 

Die fünf Metamenschen traten gemeinsam an das Bett heran und Doc weckte den Kerl unsanft.

Liam meldete sich über einen Sonderkanal bei Snowcat und meinte: „Links nebenan ist ein Zimmer. Arcade hat es aufgeschlossen. Geh da mal rein. Und Snowcat- geh unbedingt allein da rein.“

Snowcat gab Doc Bescheid und betrat dann ein Kinderzimmer, in dem es von Spielzeug nur so wimmelte. Sie musste einen Moment suchen, aber dann fand sie unter dem Kinderbett ein ungefähr 9-jähriges, indisches Mädchen, dem man die Haare blond gefärbt hatte. „Jungs“, wandte sich Snowcat an ihre Kollegen, „wenn ihr die Informationen habt, die wir wollen, dann macht das Schwein so richtig fertig!“ 

„Copy.“, kam es von Doc ernst.


Als sie gingen, brannte es hinter ihnen und Ahmad schrie wie am Spieß. 

Snowcat, die nun wieder weißhaarig und hellhäutig war, trug Suleila, die sich fest an sie geklammert und ihr Gesicht in Snowcats Haar vergraben hatte. Außerdem hielt die Elfe dem Mädchen die Ohren zu. 

„Ob ich Dir die Kleine abnehmen kann!“, fragte Salem leise, aber Snowcat schüttelte den Kopf. Obwohl das Kind wahrscheinlich etwas mehr als die Hälfte von ihr selber wog, war es sicher keine gute Idee, sie abzugeben und bis zu Liams Landrover war es ja nicht mehr so weit. 


„Hey,“ meinte Salem, nachdem sie ein paar Meter gefahren waren, „Wir kennen hier nen Mage oder Schamanen oder so, der kann die Erinnerungen verdrehen. Vielleicht wäre das ja was?“

Rios nickte: „Der schuldet uns auch noch einen Gefallen!“

Es dauerte eine Weile, bis sie sich durch die schmalen Strassen gekämpft hatten, aber Nachts war es nicht ganz so schwer. Schade, dass Mystère jetzt nicht hier war, dachte Snowcat.


Der Schamane konnte helfen und als Suleila am nächsten Tag das erste Mal fröhlich über die Comedy-Artist-Einlagen von Sparky und Arcade lachte, wussten sie, dass sie das Schlimmste überstanden hatte.

Salem und Rios versprachen sich darum zu kümmern, dass das Mädchen da hin kam, wohin es wollte, auch nach Hause. 


Jegor „the Mink“ Popow, Lideri der Vory war zumindest der Mann, der die Entführung der Zwillingsmädchen veranlasst hatte. Und man fand in am Besten in ...



Vladivostok: 

Sie verließen die AresTransSky am Abend des 10/28/71 und es war mit -2° Celsius bitterkalt. Der Wind wehte eisig und Snowcat schlug den Kragen ihres Wollmantels hoch. Hier und da mischte sich ein Häufchen grauen Schnees mit weißem. Liam hatte Kontakte unter den ungebundenen Schmugglern hier in der Stadt und mit ungebunden war gemeint, dass sie weder zu den allgegenwärtigen Vory, noch zu den stärker werdenden Triaden, der Yakuza oder den Seoulpa-Ringen gehörten. Wegen der Kontakte war klar, wohin der erste Weg führte, ins ,Seven Seas‘.

Sean, der bärbeissige Ork und Wirt, in dessen Stammbaum mit Sicherheit ein Wikinger steckte, erkannte Liam sofort und begrüßte ihn herzlich, dann nahm er Sparky und Arcade gleichzeitig auf den Arm und drehte sie im Kreis: „Cousin Sean“, riefen die Beiden erfreut. 

Das Seven Seas war ein rustikales Inn im klassischen Sinn. Es gab hier Bier, Schnaps, Stew und Zwei- bis Vierbettzimmer. 

Sie brachten ihr Gepäck samt Equipment auf zwei Zimmer und gingen dann runter in den Wirtsraum, ohne abgeschlossen zu haben. 

An der Bar füllte Sean sieben Wassergläser bis zur Hälfte mit eine klaren Flüssigkeit aus einen Flasche ohne Etikett und verteilte sie an sich und die Runner. Snowcat blickte in ihr Glas und betrachtete argwöhnisch, wie die anderen ihre Gläser alle gleichzeitig an den Mund führten. Arcade stupste Snowcat an und dann kippte die Elfe den Inhalt ebenso in einem Schluck runter, wie die anderen. 

Sie brauchte sämtliche verfügbare Selbstbeherrschung, um nicht laut aufzukeuchen. Scheiße war diese Zeug heftig. 

„Gut was?“, fragte Sean. 

Snowcat nickte und rang sich ein Lächeln ab, sie hätte sicher auch gesprochen, wenn dieser Schnaps ihr nicht völlig die Stimmbänder weggeätzt hätte. Vielleicht würde sie nie wieder sprechen können, dachte sie bei sich, aber wenigstens waren ihre Füsse jetzt warm geworden oder aber der Schnaps hatte ihr die Nerven-Enden ebenfalls weggeätzt und sie spürte die Kälte deshalb nicht mehr.  

Sie setzten sich an einen großen Runden Tisch und Sean servierte Stew, dass nach scharfen Gewürzen und viel Fleisch roch. Blackstone, Liam, Sparky, Arcade uns sogar Doc langten zu. Snowcat nicht. Der Schnaps brannte ihn in den Eingeweiden, eventuell würde sie auch nie wieder etwas essen können. 

Liam verschwand hinter der Theke in einer Tür. Sean hielt ihn nicht zurück. Nach einer Weile kam Liam mit einem mit Käse überbackenen Sandwich wieder und stellte es vor Snowcat ebenso ab, wie ein Stück Kuchen, dass nach Zimt roch. „Erst das Sandwich, dann den Kuchen.“, sagte er lächelnd. Snowcat probierte vorsichtig, aber dann aß sie doch beides auf. 

Neo-Folk mit russischen und keltischen Einflüssen erklang. Nach und nach gesellten sich immer mehr Metamenschen an ihren Tisch. Da waren Sven, Sören, Pjotr, Leika und Martin. Oleg, Jim und Igor. Weitere Gläser wurden mit der klaren Flüssigkeit gefüllt, nur Blackstone und Doc waren auf eine angestaubte Flasche Scotch umgestiegen. Snowcat war überrascht, dass Liam stattdessen weiter dieses klare Gift in sich hinein kippte. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er kippte uns kippte und Martin, Oleg und Co kippten mit und, man höre und staune, auch Sparky und Arcade kippen fröhlich mit, als wenn es sich bei der Flüssigkeit um Wasser handeln würde. Aber in den Gläsern war kein Wasser, wie Snowcat nach einem vorsichtigen Schnüffeln feststellte. 

Die Gespräche wurden lauter und fröhlicher, Sean setzte sich ebenfalls zu ihnen und da rief Sören: „Auf die O‘Nialls!“, worauf jeder, auch Snowcat, Blackstone und Doc erneut ein Glas mit der klaren Flüssigkeit hingestellt bekamen. „Slaínte!“ Snowcat trank, den sicheren Tod vor Augen. 

Irgendwann später, als nur noch Doc, Liam, Sparky und Arcade völlig nüchtern wirkten, meinte Pjotr, der schon erheblich lallte: „Der Mink und Kinderhandel? Kannisch mir garnisch vorstellen. Der ist doch nen Vooory und damit Tsar Sergei Byelmodin unterstellt. Und der Tsar ist mehrfacher Vater und Großvater. Prostitut‘ion, Knarren und Mord. Ja! Aber Kinderhandel. Nö, selbst wenns funk‘zioniert, denn dazu gibt der niemaaalz die Ärlaubnis.“

Doc nickte gelassen: „Ja, würde ich auch so verstehen, nachdem was ich heute so gelesen habe. Also wäre es doch gut, wenn wir uns auf die Suche nach Beweisen machen und dann mal mit den Tsar sprechen würden.“

Sören kicherte und Oleg meinte: „Nö, mit dem Tsaren von Vladivostok kann niemand so einfach sprechen. Dafür is der viel zuu paranodingsbums. Musst erst nen Antrag beim Sove‘; Sove‘,“ Oleg rülpste, „Tschuljung. SO VET NIK stelln und dat hört dann der Mink zuerst und dann heißt es: Abgelehnt.“

„Hmm?“ meinte Sean, „Stimmt! Es sei denn natürlich,“ der Ork lächelte Snowcat an, „man kennt zufällig eine schöne blonde Frau, die man auf seine „Väterchen Frost“- Party an Halloween schmuggeln kann und die da für ihn tanzt.“ Sean schmunzelte feiner, als man es ihm zugetraut hätte, „Und wenn sie gut getanzt hat, dann lädt der Tzar sie zum Dank an seinen Tisch und mit etwas Charme, kann sie ihm dann zum Zuhören bringen.“

Liam grinste: „Kennst Du zufällig jemanden, der eine schöne Frau und mindestens einen ihrer Wachhunde auf die Party schmuggeln kann?“

„Klar!“, bestätigte Sean.

Doc lächelte: „Ganz ausgezeichnet. Dann müssen wir ja nur noch innerhalb von drei Tagen ein paar Beweise gegen Jegor „the Mink“ Popow zusammentragen und schon geht alles seinen Weg.“

„Slaínte“, riefen Sparky und Arcade laut und fröhlich aus und hoben ihr Glas, um die Flüssigkeit darin hinter zu kippen. Danach sagten beide unisono: „Unauffällig schmuggeln, wie ein Blatt im Wind.“ Sie standen auf und ,schwebten‘ mit ausgestreckten Armen um den Tisch herum und ahmten dabei das Säuseln des Windes nach. 

„Slaínte“, sagten Blackstone und Doc und tranken einen Schluck von ihrem Whisky. 

„Slaínte,“ antworteten Liam und Sean und tranken ihr Gläser leer.

,Slainte‘, dachte Snowcat. Dieser tolle Plan hatte nur einen Haken, nach dem zweiten Glas des teuflischen Gebräus von vorhin, würde sie mit Sicherheit nie wieder in ihrem Leben tanzen können. 


Beweiskräftige Informationen innerhalb von drei Tagen gegen den Mink zusammenzutragen, war sicher nicht ganz einfach. Aber dank Docs genialer Kombinationsgabe hatten sie immer genau rechtzeitig die Wanzen angebracht, die Drohnen positioniert oder den Commcall abgehört. Sparky und Arcade verpassten Doc darauf prompt einen neuen Spitznamen und nannten ihn nur noch ,Docrakles. 


Halloween 2071 stand Snowcat mit Doc im eisigen Vladivostok vor dem Hintereingang des zu einem Nachtclub umgewandelten alten Theaters. Dumpfe, schnelle Rhythmen dröhnten von drinnen zu ihnen heraus. 

Unter ihrem Aston Wollmantel trug Snowcat blaugrüne Spitzenunterwäsche von Zoe, an die Liam so einige Federn angebracht hatte, kobaltblaue Netzstrümpfe und 8 cm hohe grüne Ferragamo-Pumps. Ihr eisweißes Haar hatten Sparky und Arcade in unendliche lang wirkende Korkenzieherlocken verwandelt und der Gesichtsbereich um die Augen herum war einem Eisvogel nachempfunden, kunstvoll geschminkt. 

Auf Docs Klopfzeichen, er war in einen seinen besten schwarzen Anzüge mit Gehrock gekleidet und trug darüber eine pelzbesetzten Mantel, öffnete sich die Hintertür. Untypisch für solche Momente wehte ihnen kein Schwall warmer Luft entgegen, nur die Musik wurde lauter. 

Sie wurden eingelassen. Snowcat öffnete ihren Mantel und präsentierte das Darunter und der Türsteher nahm sich die Zeit, sie genauestens zu betrachten, natürlich nur, um sie mit den Augen nach Waffen abzusuchen. 

Doc wurde nach Waffen abgetastet, aber sie entdeckten keine von denen, die er trotz des absoluten Waffenverbots für Gäste mit Sicherheit dabei hatte. 

Sie betraten den Hauptbereich des Clubs durch den Bühneneingang. Überall standen Eisskulpturen und gefrorene Bäume umher und verliehen dem alten Theater etwas feenhaftes. Selbst die Bar und einige der Tische hatte man mit Eis überzogen. Die Tanzfläche hatte man optisch in einen zugefrorenen See verwandelt. Über AR war der Eindruck eines Wintermärchenwaldes perfekt. Im RL wurde er allerdings ein wenig durch die überall herumstehenden und mit Sturmgewehren bewaffneten Sicherheitsmänner getrübt. 

Es war voll. Die Reichen und Schönen der Stadt tummelten sich auf der Tanzfläche. Pelz war hier das vorherrschende Kleidungsstück, die Damen trugen ihren Pelz offen über ihren dünnen Kleidern und die Herren trugen Pelz offen über ihren teuren Anzügen. 

Snowcat fiel auf, was nicht nur daran lag, dass sie als eine der wenigen hier keinen Pelz trug. 

Selbstbewussten Schrittes näherten sich Snowcat und Doc der Bar. Doc meldete sich am Netzwerk des Clubs an und gab einen Code ein. 

Auf einer erhöhten Fläche, die wie eine Theaterloge aufgemacht war, saß der Tsar der Stadt auf einer prächtigen barocken, halbrunden Sitzgruppe, links und rechts an seiner Seite war er von ein paar blonden, menschlichen Frauen drapiert. Seine engsten Vertrauten saßen bei ihm, aber der Mink war nicht darunter. Hinter und vor der Gruppe, aber eine Stufe tiefer, damit sie keinem Ehrengast die Sicht nahmen, stand genau ein dutzend Männer in Anzügen und Pelzen, die mit Sturmgewehren bewaffnet waren. 

Doc sandte dem Barkeeper einen ordentlichen Betrag über AR zu, woraufhin dieser die eisige Theke leer räumte. 

Genau bei den ersten Takten des Songs ,Du riechst so gut!‘, von einer Band aus dem Beginn dieses Jahrhunderts mit dem Namen Rammstein, das Lied hatte Blackstone ausgesucht, sprang Snowcat auf die Theke und begann zu tanzen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte sie die Aufmerksamkeit fast aller Anwesenden auf sich gezogen. Sie tanzte und ließ alsbald ihren Mantel geschickt in Docs Arme fallen. Nach der Hälfte der Zeit hätte Doc wahrscheinlich irgendeinen Gast, der nicht in der Ehrenloge saß, erschießen können und niemand hätte etwas bemerkt. Snowcat turnte und tanzte über das Eis der Theke und verlor Feder um Feder. Als sie dann noch die beiden Flüssigkeiten von Liam vermischte und nun durch eisblaue Flammen tanzte, die auch an ihrem Körper bleckten, johlte, pfiff und klatschte die Menge. Am Ende brandete tosender Applaus auf. 

Doc musste Snowcat gar nicht erst von der Theke helfen. Zwei Bodyguards des Tsaren Sergei Byelmodin standen bereit, um die Elfe an dessen Tisch zu geleiten. 

Der glattrasierte Mann Anfang sechszig, dessen braunes Haar an den Schläfen schon ergraut war, hatte die Mädchen und seine anderen Gäste weggeschickt. Er stand nun allein am großen Tisch und klatschte Snowcat zu. Einsetzende Musik sorgte dafür, dass sich der Großteil der Gäste wieder mit eigenen Angelegenheiten beschäftigte. 

„Welch Augenweide auf meinem Fest.“, sagte er auf English. Er warf einen Blick auf Snowcats Dekolletee, das wie der Rest ihrer Haut feucht vom geschmolzenem Eis war, und rief dann einem seiner Männer auf Russisch zu. „Dimitri, hol den weißen Hermelin.“ Dimitri lief sofort los. Der Tsar blickte sich kurz unter seinen anderen Bodyguards um, meinte dann zu einem von ihnen, „Und bis dahin Georgy, leih der Lady deinen Mantel.“, woraufhin der Angesprochene seinen Pelzmantel auszog und an seinen Patron gab, der Snowcat den gut vorgewärmten Mantel über die Schultern legte. 

Tsar Sergei wartete, bis Snowcat sich gesetzt hatte und setzte sich dann selbst relativ dicht neben sie, wobei er ihr unaufhörlich in die Augen blickte.

Snowcat bedankte sich auf Russisch für die Einladung an den Tisch. Der Tsar ließ für sie Champagner und für sich Wodka kommen, welcher aus einer riesigen Flasche aus Eis serviert wurde. Snowcat machte ein wenige Smalltalk, welchen Sergei immer wieder durch charmante Komplimente auflockerte, dann jedoch kam sie zur Sache und flüsterte dem Tsaren ins Ohr, warum sie eigentlich gekommen war. 

Sergei wurde erst ernst, dann schob sich sein Kinn vor und schließlich verhärteten sich seine Gesichtszüge. Er ließ sich von einem der Männer, die zuvor mit ihm an seinem Tisch gesessen hatten, ein Commlink bringen und forderte ihn zugleich auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Er setzte den Sovetnik schnell darüber ins Bild worum es hier ging. Danach lächelte der Tsar Snowcat völlig ungezwungen an und fragte sie: „So, schönes Kätzchen, wenn ich mir diesen Chip jetzt ansehe, wer kann mir dann antworten, wenn ich noch ein paar Fragen habe?“

Snowcat lächelte, natürlich war Doc ganz ohne Zuruf bereits etwas näher getreten. Die Elfe winkte ihn heran und nachdem Tsar Sergei seine Zustimmung durch ein Nicken erklärt hatte, durfte auch Doc sich setzen. 

Die beiden Russen sahen und lasen nun den Chip, dem SpArcade mit einigen Bildern aus dem Lager nahe Mombasa mehr bittere Würze verliehen hatten. 

Dimitri war inzwischen vor der ,Loge‘ erschienen und hatte einen weißen Pelzmantel dabei, aber Sergei Byelmodin beachtete ihn zunächst nicht. Er wandte sich an Doc, allerdings stellte er keine Fragen zu Details: „Und warum haben sie mir jetzt diese Unterlagen zukommen lassen?“, wollte er wissen. 

Doc lächelte freundlich: „Wir würden dem Mink in diesem Punkt gerne Einhalt gebieten. Wollten weitere Schritte aber auf keinen Fall ohne Ihre Zustimmung und Erlaubnis einleiten.“

Sergei schien mit dem was er gehört hatte zufrieden zu sein. Seine Gesichtszüge entspannten sich und er sagte: „Gut. Ich kann nachvollziehen, dass ihnen diese Art von Geschäften gegen den Strich geht. Aber bitte verstehen Sie, dass es meine Aufgabe ist, mich um meine Männer zu kümmern und nicht die Ihre. Betrachten Sie diese Angelegenheit einfach von nun an als erledigt.“ Doc nickte und der Tsar von Vladivostok nickte zur Antwort ebenfalls, dann sagte er zu Doc: „Lassen sie uns darauf einen wirklich guten Wodka trinken.“ Doc nickte erneut.

Danach wandte sich der Tsar wieder Snowcat zu, nebenbei winkte er Dimitri, den er offensichtlich doch bemerkt hatte, ließ sich den weißen Pelzmantel reichen und streichelte kurz darüber. Schwärmerisch erklärte er: „Das ist Hermelin, Kätzchen. Damit das Fell so weiß ist, muss man sie im Winter jagen und man muss sie auf die richtige Art jagen! Denn nur wer das Land, die Natur und die Tiere kennt und sie respektiert, kann genügend Pelze von so reiner Farbe zusammentragen, dass ein solcher Mantel entstehen kann.“ Der Tsar sah Snowcat erneut in die Augen und meinte dann sanft: „Komm Kätzchen, tu einem alten Mann einen Gefallen und zieh ihn für mich an.“

Snowcat stand auf, wandte Sergei ihre Vorderseite zu und tauschte dann den Mantel des Bodyguards gegen den weißen Hermelin. Sie kuschelte sich ein und drehte sich einmal zur Präsentation im Kreis. 

Der Tsar von Vladivostok strahlte: „Jeder Mann der nicht erkennt, dass ihr beide für einander geschaffen seid, ist ein Narr. Ich bin kein Narr! Darum möchte ich Dir den Mantel als Zeichen meiner Wertschätzung und als Dank für Deinen betörenden Tanz schenken.“

Snowcat war ein wenig überrascht und vor allem über diese Geste sehr erfreut. Es ging hier nicht darum, dass der Mantel wahrscheinlich einen hohen fünfstelligen New Yen Betrag wert war, es ging darum, wie er dieses Geschenk präsentiert hatte. Sie lächelte dankbar und umarmte Sergei herzlich, bevor sie sich wieder neben ihn setzte.

Der Tsar betrachtete sie sich noch einmal ganz genau und sagte dann leise „Kätzchen, möchtest Du nicht vielleicht hier bei mir in Vladivostok bleiben und meine Geliebte werden? Ich würde auch all meine anderen Gespielinnen für Dich aufgeben und Dich zu der Einzigen machen.“ Er sah ihr ein weiteres mal tief in die Augen und sagte dann, „Nein, vergiss es, da sprach nur der Traum eines alten Mannes, der sich an seine Jugend erinnert hat. Frauen mit solchen Augen macht man nicht zu seiner Geliebten, dass ist nicht fair ihnen gegenüber, auch nicht gegenüber einer Ehefrau. Frauen, die aussehen wie Du, sind so selten, in die verliebt ein Mann sich mit Haut und Haar, so dass es keine andere mehr gibt.“ Er seufzte kurz verträumt, „Wenn ich nicht schon seit über 35 Jahren glücklich mit meiner Anouschka verheiratet wäre, dann würde ich um Dich werben und Dir zu gegebener Zeit einen Antrag machen.“ Sergei schien einem Moment zu überlegen und sagte dann, „Ich habe vier Söhne, drei von ihnen sind nicht verheiratet. Ich habe sie gut erzogen uns sie wissen, dass man seine Frau lieben und ehren soll. Jeder von ihnen, würde Dich auf Händen tragen, Kätzchen. Was meinst Du? Möchtest Du Dir einen von ihnen aussuchen?“

Snowcat lächelte: „Sie sind wirklich unglaublich großzügig und wenn Sie nicht verheiratet wären und Sie mir einen Antrag gemacht hätten, dann hätte ich ihn mit Sicherheit angenommen. Was Ihre Söhne angeht, ich habe in der nächsten Zeit nicht vor zu heiraten oder so lange an einem Ort zu bleiben, auch wenn ich dieses Land hier wirklich wild, leidenschaftlich und faszinierend finde, also muss ich dankend ablehnen.“

Tsar Sergei nickte: „Ja Kätzchen, das verstehe ich.“ Er trank einen Wodka und meinte dann: „Und nun werde ich meine Macht missbrauchen und mir den hier rauben.“, dann kam er ihr ganz nahe, nahm ihr Gesicht in beide Hände und drückte ihr eine festen, trockenen Kuss auf den Mund. Er war dabei weder grob, noch zudringlich. Grinsend, wie ein Kind, das sich gerade eine Süssigkeit erschlichen hatte, lehnte er sich zurück. 

Die nächsten Stunden zeigten, wie gut die Metamenschen von Vladivostok es verstanden, Partys zu feiern. Der Wodka floss in Strömen und das Wort ,ausgelassen‘ erhielt für Snowcat eine neue Dimension.  


Sie verließen den Nachtclub bei Morgengrauen durch die Vordertür. Doc, der Snowcats Wollmantel über dem Arm trug, meinte: „Jetzt ist auch klar, warum Sergei Byelmodin vor zwanzig Jahren den Beinamen der Poet hatte.“



Ein paar Tage später in Seattle lud Paladin UC zu einem Umtrunk ins Haunted Mug ein. Snowcat war ein wenig verwundert, dass die Einlandung von ihm ausgerechnet dorthin ausgesprochen worden war, aber sie machte sich keinerlei Gedanken darüber, ein schlechtes Omen war das Hauted Mug schließlich nie.

Sie hob fragend die Augenbraue, als sie Sparky und Arcade im Trikot des Urban Brawl Teams von Seattle, der Seattle Screamers, begrüßten und zusätzlich noch TAG‘s mit deren Logo zum anpinnen verteilten und das, wo zwar der Super Brawl kurz vor der Tür stand, Seattle aber gerade erst in den laufenden Play-Offs unglücklich ausgeschieden war. Als dann auch noch ein Kuchen mit dem AR-Logo der Screamers auf dem Tisch stand, war klar, dass hier etwas im Busch war. 

Auf dem Gesicht von Mersey zeichneten sich sie unterschiedlichsten Stimmungen von Freude, schlechtem Gewissen bis hin zur glücklichen Verliebtheit ab. Außerdem musste sie sich bemühen, nicht mit dem Geheimnis, welches es noch kurz gab, einfach herauszuplatzen. 

Nachdem alle erreichbaren UC versammelt waren, klärte Paladin die Runner auf. Liam hatte durch seine Kontakte ein Treffen mit dem Management der Seattle Screamers veranlasst. Es war zu einem Probetraining gekommen und nun hatte man Paladin tatsächlich einen zwei Jahresvertrag bei den Screamers als Spieler angeboten. Eine fantastische Chance, die man sich eigentlich nicht nehmen lassen sollte, zumal sie auch eine Anstellung für Mersey hatten. Sie sollte zwar nicht für die Position des ,Sani‘ verpflichtet werden- schließlich war Magie beim Urban Brawl verboten, - aber die Screamers suchten dringend jemanden für ihr medizinisches Personal und da die junge Frau nicht nur magisch Heilen konnte, sondern bereits auch eine ausgezeichnete Normal-Medizinerin war, konnte man sie doppelt gut gebrauchen. Für die Einsätze während und nach des Spiels. 

Dennoch hatte Paladin nicht zusagen wollen, ohne sich vorher mit UC zu besprechen. Beide wollten das Team nicht im Stich lassen, womit auch Merseys widersprüchliche Stimmung erklärt war. 

Natürlich waren alle der selben Meinung: „Nehmt an!“, zumal die beiden ja nicht aus der Welt waren. Auf dem Niveau, auf dem UC arbeitete, war es immer gut, ein paar Ersatzspieler auf der Reservebank zu haben, von einem Heiler, an dem man sich wenden konnte, ganz zu schweigen. 

„Genau,“ sah Mersey bald darauf ein, „ich bin ja nur einen winzigen Commcallbumsi von Euch entfernt.“

Also konnte die Party steigen. 

Genau um Mitternacht hob Snowcat ihr Glas im stillen Gruß: ,Alles Gute zum Geburtstag Riven, wo immer Du auch bist.“


Wie das Jahr 2071 für Snowcat und UC endet und wie das Jahr 2072 für sie beginnt, wird demnächst hier zu lesen sein. 

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*