Teil 2

2

Snowcat genoss ihr Bad. Zuvor hatte sie eine Weile vor dem Spiegel nackt posiert. Ghostfinger sollte ruhig was zum gucken haben, obwohl sie es sich nicht verkneifen konnte, dem Spiegel ausgiebig die Zunge rauszustrecken. Vielleicht brannte sich der Technofreak ja sogar ein Holo von ihr und hing es über sein Bett.

Heute war eine besondere Nacht und sie gab ein paar Tropfen „Ein Hauch von Winter“ ins Wasser. Irgendwann war sie eingeschlafen. Nach einer Stunde in der Wanne wurde Snowcat von Katze geweckt: „Es hat schon Menschen gegeben, die in ihrer eigenen Badewanne ertrunken sind, Elfenmädchen.“

Snowcat reckte sich: „Ja“, sie musste ein Gähnen unterdrücken, „Menschen, Katze. Zum Glück bin ich kein Mensch.“

„Ja, Elfenmädchen, und zum Glück bist du nicht ertrunken. Ich glaube, Ertrinken ist ein erbärmlicher Tod.“

„Ich stimm dir schon wieder zu, Katze.“ Snowcat wählte jetzt sorgfältig ein Haarwaschmittel aus, das zum Badeöl passte, „Aber es gibt noch viel erbärmlichere Arten umzukommen. Zum Beispiel von einem Trog erschlagen zu werden, oder einfach voller Langeweile und Runzeln an Altersschwäche zu sterben.“

„Bei deinem ersten Vorschlag gebe ich dir Recht. Der Zweite Tod kann nach einem erfüllten Leben doch ganz gemütlich sein, so lange man immer genügend Krauler hat. Aber abgesehen davon, habe ich gehört, dass es bei dir mit den Runzeln in Alter einmal ganz anders seien könnte, als man gemein so sagt. Wie dem auch sei, Altersschwäche ist bei dir so oder so noch lange nicht zu erwarten, so jung wie du bist. Also lohnt es sich für dich doch besonders, gelegentlich einmal vorsichtig zu sein, Elfenmädchen.“

Snowcat hatte nach sieben Duftproben langsam Probleme damit, überhaupt etwas zu riechen. „Ist das etwa eine Mahnung zur Vorsicht Katze?“

„Nein, ein Kompliment und die Feststellung, wie wertvoll dein Leben ist.- Du solltest übrigens die Zunge benutzen, um das beste Haarwaschmittel herauszufinden, deine Zunge ist viel feiner, als deine Nase, Elfenmädchen.“

Snowcat grinste: „Ja, das mag sein. Aber an einer Haarwaschmittelvergiftung zu krepieren hat eine gute Chance auf einen Top-Ten Platz der erbärmlichsten Arten zu Tode zu kommen!“ Snowcat traf schließlich eine Entscheidung und wählte ein relativ geruchsneutrales Shampoo mit „ganz leichter Limonennote, extra für elfisches Haar von weiß bis Silber“. „Sag mal was anderes Katze, was hältst du denn von der Idee mit Craven zusammenzuziehen?“

„Hm, du scheinst mit dem Männchen in der letzten Nacht viel Spaß gehabt zu haben und er versteht deine Körpersprache, aber eigentlich ist mir egal, mit wem du zusammenziehst, solange das nur für weniger Gewusel und Rudelgebell sorgt, Elfenmädchen. Natürlich spielt es auch noch eine Rolle, was für einen Ruheplatz er dir anbietet. Der sollte schon sehr kuschlig sein“ Sie leckte sich ausgiebig die Vorderpfoten.

„Na, das klingt jedenfalls nicht so, als wenn du dahin nicht mitkommen würdest Katze, also können wir es ruhig versuchen.“

Snowcat wusch sich das Haar.

„Ich wärm schon mal das Bett vor“, Katze verschwand durch den offenen Spalt der Tür, „Aber schlaf nicht wieder ein, Elfenmädchen.“

Snowcat lächelte und schnurrte dabei.


Sie verschlief den Rest der Nacht und den gesamten folgenden Tag. Erst gegen Abend ließ Snowcat sich wieder im Aufenthaltsraum blicken. Vor ihrer Tür stand eine Schachtel mit sechs Donuts und zwei Portionen extra scharfe Nudeln vom Thai. Sie nahm alles an sich, um es vor dem großen Trideoschirm in Gemeinschaftsraum zu verzehren.

Es war recht voll, denn die Urban Brawl Saison war im vollen Gange. Dieser Sport war bei den Ancients, neben Combat Biker, sehr beliebt. Heute spielten die Seattle Screamers und ein Spiel gemeinsam anzusehen machte ja bekanntlich doppelt so viel Spaß. Doch trotz der Fülle machte man Snowcat ohne Probleme einen Platz frei.

Kurz nach Ende des Spiels kam Craven herein. Er ging auf Snowcat zu und küsste sie zur Begrüßung lange und ausgiebig. Damit hatte er nun deutlich sein Revier markiert. Einige blickten erstaunt, aber keiner schien verärgert oder sagte etwas dazu.

„Na, Snowcat“, fragte Craven schließlich, setzte sich neben sie und zog sie dann auf seinen Schoß, „hast du heute schon was vor?“

„Nein, bisher noch nichts. Spontan jedoch würde ich weiter knutschen eine tolle Idee finden.“ Sie küssten sich erneut.

„Na dann komm mal mit, ich zeig dir was!“ Craven schob sie hoch. 

Einige der Ancients murmelten etwas, Snowcat hatte aber nicht genau zugehört. Das war auch nicht nötig, man brauchte nicht all zu viel Fantasie, um sich vorzustellen, was gerade angemerkt worden war. 

Snowcat holte ihren Mantel. Craven war zum Parkplatz vorgegangen. Als sie heraus kam, meinte er: „Wenn es dir nichts ausmacht, dann fahr doch noch mal bei mir mit!“ Seine Stimme hatte keinen fragenden Tonfall.

Sie überlegte nur kurz, stieg dann aber zu ihm aufs Motorrad. Das Tor war offen und sie brausten davon. 

Craven hatte einen rasanten Fahrstil. Snowcat hatte ja bereits gewusst, dass er zu den besten Fahrern unter den Ancients gehörte. Sie freute sich schon darauf, sich zukünftig immer mal wieder mit ihm zu messen. Sie grinste, ja das würde jedes Mal eine Herausforderung werden, für sie Beide.

Sie fuhren durch den Stadtkern Tarislars bis zum „Älteren“ Teil des Bezirks. Natürlich war der Teil nicht wirklich älter als irgendein anderer Puyallups. Die Metamenschen, die sich hier nach der Nacht des Zorns angesiedelt hatten, hatten nur versucht, einen solchen Eindruck zu erwecken. Die Wohnhäuser hier hatten früher einmal die Siedlung einer Kleinstadt gebildet, standen Wand an Wand und waren bis zu fünf Stockwerken hoch. Damals hatten auf dem Gehweg davor sicherlich umzäunte Bäume und Laternen gestanden, die in regelmäßigen Abständen angeordnet gewesen waren, jetzt war eine solche Ordnung nicht mehr vorhanden. Die Metamenschen, überwiegend Elfen, hatten sich zunächst nur provisorisch hier am Stadtrand einrichten wollen, in der Hoffnung, einst in das Land der Verheißung, Tir Taingire übersiedeln zu können. Bald war aus dem Provisorium aber etwas Dauerhaftes geworden. Mehr Elfen waren gekommen und nach und nach wurde der Platz knapp und auch die unattraktiveren Gebäude mussten herhalten. Jenen Gebäuden hatte man einen neuen alten Glanz verpasst, indem man die Fassaden in eine Backsteinoptik gekleidet, Malereien und Rankenpflanzen angebracht und Steinfigurenimitate angefertigt hatte. Der Fantasie der Hauseigentümer war dabei keine Grenze gesetzt gewesen und irgendwann hatte dieser Teil Tarislars den Beinamen „Old Quarter“ bekommen. Alle Mühe hatte jedoch nicht gereicht, um den zuletzt besiedelten Bereich zu einer der Besten Adressen Tarislars zu machen. Inzwischen war der neue alte Glanz etwas abgebröckelt und wirkte wirklich alt und etwas verwahrlost.

Vor einem solchen alten Haus parkte Craven die Maschine. Das Commlink konnte vermelden, dass hier auf AR zwar kein spektakuläres Design zu erwarten war, es aber sowohl ein aktives Netz, sowie eine Wasser- und Stromversorgung gab. Das Haus selbst war fünf Stockwerke hoch, hatte ein leicht schräges Dach, und wurde von zwei vierstöckigen Gebäuden eingerahmt. In der obersten Etage war ein großes rundes Fenster zu sehen. Das Dach selbst war etwa anderthalb Mal so hoch, wie die anderen Dächer, was dem Haus einen leichten turmartigen Charakter verlieh. Die Backsteinfassade war gut in Takt und  einfache Weinranken wucherten umher, nur wenige der Fenster wurden regelmäßig frei geschnitten. Die Fenster selbst waren durch einen schmalen, dunkelroten Rahmen viergeteilt. Drei Stufen führten zur ebenfalls dunkelroten Eingangstür. Das Treppengeländer endete auf beiden Seiten in zwei Gargolye-Köpfen und die bildeten gleichzeitig das Ende der Regenrinnen. Diese Wasserspeier spuckten also tatsächlich Wasser in die darunter liegenden Gullys. Die Eingangstür hatte in der Mitte einen Klopfer, der wie ein kleiner Teufelsschädel aussah. Neun mit zarten Ranken verzierte, durchnummerierte Briefkästen waren links zu sehen. Der einzelne, obere Briefeinwurf trug die Ziffer Neun.

Craven öffnete die Tür und ließ Snowcat eintreten. Ein alt aussehendes Treppenhaus empfing sie. Das Geländer war vom selben rot, wie die Tür. Die Wände waren einst zweifarbig gestrichen gewesen, doch vom oberen hellgrünen Teil war die Farbe fast vollkommen abgeblättert.

„Bis ganz nach oben.“, sagte Craven nur.

Die Treppe knarzte, als Snowcat sie betrat. Die Appartementtüren waren ebenfalls dunkelrot. Einige waren verstärkt worden. Oben am letzten Treppenabsatz gab es nur noch eine einzige frontale Tür und eine Leiter, die zu einer Dachluke führte. An der roten Tür hing eine gusseiserne Neun und darunter war ein Teufelskopf-Klopfer befestigt.

Craven ging an Snowcat vorbei und zog an dem Türklopfer. Ein Magnetschloss fuhr heraus. Er tippte einen Code ein, woraufhin ein Klicken ertönte. Craven sagte: „Es wird dir gefallen, nehme ich an.“ Er trat wieder beiseite und stieß die Tür schwungvoll auf.

Vor Snowcat öffnete sich ein hoher, etwa 60 Quadratmeter großer Raum. Ein dunkelbrauner Parkettboden wurde von weinroten Wänden umrahmt. An der rechten Seitenwand befand sich eine komplette graue Küchenzeile, deren Türen mit dunkelroten Holzlatten verziert waren. Links und rechts ging jeweils eine Tür ab. Ansonsten war der Raum vollkommen leer.

Das wirklich besondere an dieser Dachgeschosswohnung waren die Fenster. Ein kreisrundes, wunderschönes Buntglas-Fenster, mit einem Durchmesser von über 1m 60, lag mittig genau gegenüber der Eingangstür. Es gab noch zwei weitere Fenster an dieser Außenwand. Sie waren halbrund und begangen direkt über dem Fußboden in einem Radius von circa fünfzig Zentimetern. Das Glas war milchig und schien aus kleinen Teilen zusammengesetzt zu sein. Direkt in der Mitte der hohen Zimmerdecke war ein ebenfalls rundes Oberlicht, das vom gleichen Design war, wie die halben Bodenfenster. Auch hier betrug der Radius ungefähr fünfzig Zentimeter. Eine Sprossenleiter war mit einer Eisenkette an der Decke befestigt. Man konnte die Leiter also herablassen und so aufs Dach gelangen.

Das große Buntglas-Fenster lag in einer Art Erker und die so entstandene Fensterbank war mit einem hellgrünen, glatten Material ausgekleidet, welches aussah, als wäre es aus Marmor. In dem Fenster ließen sich die beiden oberen Kreissegmente öffnen.

Snowcat war wirklich beeindruckt. Das Ganze war zwar nicht gerade State of the Art ausgestattet, die einzige Beleuchtung stellte ein einfache Glühbirne da, die von der Decke hing und die Küche brauchte sicher schnellstens moderne Geräte, aber diese Fenster waren die wunderschönsten, die sie je gesehen hatte. Die Fensterbank würde, mit ausreichend Kissen belegt zum angenehmsten Ruheplatz der Welt werden.

Craven nahm Snowcat an die Hand: „Komm, wir gehen rein. Die Tür rechts neben der Küche führt in eine Vorratskammer, links ist das Bad. Das dürfte dich am meisten interessieren.“

Snowcat dachte, dass sie diese Wohnung sogar ohne Bad nehmen würde. Bäder konnte man einbauen. Der Raum hinter der linken Tür übertraf jedoch nochmals ihre Erwartungen. Es war zwar mit seiner Breite von knapp über 1,50 m relativ schmal, ging dafür aber über die gesamte Länge der Wohnung. Das halbrunde Fenster war identisch mit denen aus dem Hauptraum. Allerdings lag es diesmal in der oberen Hälfte der Wand. Davor stand auf einem Podest, welches über zwei Stufen erreichbar war, eine große, nierenförmige Badewanne. Die Wände hier waren zurzeit noch zartrosa gestrichen, aber das ließ sich ändern. Am anderen Ende des Zimmers standen WC und Waschbecken.

„Komm meine sprachlose Schmusekatze, ich wusste, es wird dir gefallen, ich zeig dir noch den Rest der Wohnung. Bevor du mir um den Hals fallen darfst.“

Das Zimmer auf der rechten Seite war von seinen Ausmaßen identisch mit dem Bad. Hier raus ließ sich gut eine Kleider- und Abstellkammer machen.

Schließlich ging Craven zu einem Haken an der linken Wand, an dem die Kette für die Sprossenleiter befestigt war. Er drückte auf einen Knopf und scheppernd wurde diese automatisch heruntergelassen. Er kletterte hinauf, öffnete das Oberfenster und trat aufs Dach. Snowcat folgte ihm.

Ein zwei mal drei Meter großer Bereich war durch ein halbhohes Gitter umzäunt worden und bildete so eine Art Dachterrasse. Snowcat fiel Craven sofort hier oben um den Hals und sie weihten ihr zukünftiges Heim nach allen Regeln der Kunst ein.


Nachdem sie beide wieder vollständig angezogen waren, sagte Craven leise: „Das heißt dann wohl, wir nehmen die Bude!“

Snowcat grinste: „Klar, aber das wusstest du doch eh schon vorher.“

Zurück auf der Strasse vor dem Haus griff Craven in die Tasche seines Mantels und holte zwei kleine Tags heraus. Einen heftete er an den linken Wasserspeier den anderen brachte er zu einer Straßenlaterne und befestigte ihn dort. Auf AR flammten zwei Ancient-Symbole auf. Dann warf er Snowcat eine kleine Spraydose zu, die sie problemlos auffing. Damit sprühte sie insgesamt drei Gangzeichen auf Haus und Strasse.

 

Bereits zwei Tage später waren alle Vorbereitungen für einen Umzug der Beiden abgeschossen und ihr gesamtes Hab und Gut war in einen Van, der zum Fuhrpark der Ancients gehörte, verstaut. Mit Hilfe von Neon, Blackheart und drei weiteren Gangkameraden dauerten die Renovierung und der Umzug nicht mal einen halben Tag. 

Die Gestaltung des neuen Bads übernahm Snowcat persönlich. Sie verpasste ihrem alten Design aus dem HQ einen Hauch von Männlichkeit, indem sie chromfarbene Regale und schwarze Kerzen verwendete und zu den weißen Handtüchern eine identische Ladung dunkelgrüne hinzufügte. 

Die vielen Kissen machten sich wirklich gut auf der Fensterbank. Zwei riesige gusseiserne Kerzenständer umrahmten den neuen Lieblingsplatz perfekt. Snowcat war zufrieden. Natürlich gab es noch ein paar Dinge, die man verbessern konnte, aber dafür war später noch Zeit und Geld.

Craven und Snowcat gaben noch am Abend des Einzugs eine kleine Einweihungsparty, die die ganze Nacht dauerte. Einige Ancients brachten Geschenke mit und so hatten sie nach dieser Nacht mehr als genug Kissen für Fensterbank, Bett und Couch.

An vierten Abend nach der Wohnungsbesichtigung nahm Snowcat ein erstes ausgiebiges Bad in ihrem neuen zu Hause. Craven setzte sich nur mit einem dunkelgrünen Handtuch um die Hüften bekleidet auf den Wannenrand und reichte ihr ein Glas Green Flying Fairy mit einer neongrünen Kirsche darin. „Und“, fragte er sie, „wie viele Kameras hast du nun in deinem Zimmer beim Ausräumen entdeckt?“

„Fünf.“, antwortete Snowcat, „Vier davon im Bad.“

Craven lächelte selbstsicher: „Ja, und das waren nur die, die du gesehen hast. Ghostfinger wird dich sicher tierisch vermissen.“

„Wahrscheinlich, besonders wenn er ahnen kann, was er jetzt so alles verpasst!“ Snowcat packte Craven an der Schulter und zog ihn ins Wasser. Er wehrte sich nicht.

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*