Teil 4

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Whisper sagte schließlich „Na dann komm mit“,  und sprach damit das erste Mal Englisch, sie hatte eine merkwürdigen Akzent.

Snowcat folgte ihr die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Sie hörte noch, wie Green Lucifer sein Motorrad in Gang setzte, bevor sich die Tür einer der Wohnungen der zweiten Etage hinter ihr schloss.

Das Zwei-Zimmer Appartement war nicht wie eine Wohnung eingerichtet, sondern eher wie ein Tanzstudio oder Dojo. Im ersten Raum gab es eine Spiegelwand mit einer Stange davor. Im hinteren Bereich hing ein Sandsack und es lagen stapelweise Turnmatten herum. Drei Kletterstangen ragten im Raum verteilt bis zur Decke. Eine Theke trennte das Zimmer von der Küchenzeile. Eine weitere Wand war komplett durch ein Metallrollo verdeckt, dahinter lag wahrscheinlich ein Fenster.

Als die beiden den Raum betraten schaltete sich sanftes Licht ein und eine Art von Meditationsmusik begann zu spielen.

„Ist dein Sperethiel gut genug, um sich darin richtig zu unterhalten?“ wollte Whisper wissen.

„Ja!“

„Gut, Suchende.“ Whisper sprach sofort wieder die angeblich alte Sprache der Elfen.

Sie holten sich eine der Matten. Whisper setzte sich im Schneidersitz darauf und Snowcat tat es ihr nach. Sie hatte wirklich kein Problem damit sich auf Sperethiel zu unterhalten, aber da die Sprache irgendwie sehr geschwollen klang, konnte sie sich ein lockeres Gespräch so nicht vorstellen.

 „Toll“, dachte sie, „ein Geschenk für das man erst ein Interview geben muss. Klasse!“ Sie verzog das Gesicht.  

„Nun, aus Schnee gewobene Katze, seit wann bist du eine von den Leuten, ein <Ancient>?“, sie blickte ihr dabei tief in die Augen.

Snowcat hielt dem Blick stand, zog die Augenbrauen ein wenig zusammen, kramte in ihren Vokabeln und antwortete dann: „Wer spricht dass ich ein <Ancient> bin?“

„Niemand erzählte mir das, das meine ich und ich frage dich nun, seit wann du deren Namen trägst?“

Weiterhin starrten die beiden einander in tief in die Augen.

„Hmmm“, meldete sich Katze zu Wort: „Elfenmädchen, wer zuerst blinzelt hat wahrscheinlich verloren, das gefällt mir. Ich kann förmlich eure Schwänze langsam hin und her pendeln sehen.“

„Man Katze!“, zischte Snowcat ihr zu, „Wie kannst du jetzt von Schwänzen sprechen? Da muss ich bloß grinsen und nachher verlier ich noch, weil ich zuerst blinzele oder gar den Blick abwende. Also halt die Klappe!“

„Oh, Elfenmädchen, das tut mir leid. Wenn du bei dem Gedanken an einen Schwanz grinsen musst, dann triffst du dich wahrscheinlich mit den falschen Jungs.“

Snowcat spürte förmlich, wie Katze sich räkelte und streckte, und musste nun den Impuls unterdrücken, dies ebenfalls zu tun. Sie nahm sich zusammen, hielt den Blick und sagte dann wieder laut, auf Sperethiel zu Whisper:

„Ihr seit mir nicht bekannt genug, um euch eine Auskunft irgendeiner Art darüber zu geben, was oder wer ich bin. Vermuten mögt ihr soviel, wie ihr wollt.“ 

Whisper grinste nun breit und wechselte ins Englisch mit ihrem merkwürdigen Akzent: „O.k. Hübsche. Test bestanden. Ich kann nämlich niemanden leiden, der immer gleich alles ausplaudert oder neugierig gleich Gegenfragen über meine Wenigkeit stellt. Wenn du nun auch noch geschickt genug bist, dann will ich es mit dir versuchen. Vorausgesetzt du willst meine Schülerin sein.“

Snowcat grinste nun ihrerseits und wollte gerade fragen, was Whisper mit Schülerin meinte, als diese fortfuhr: „Hier in dem Kasten befindet sich eine Waffe, deren Handhabung ich dir beibringen würde, wenn du geeignet, gewillt und bereit bist meine Bedingungen zu akzeptieren. Dabei handelt es sich übrigens um das bereits erwähnte Geschenk. Aber ich bin die, die entscheidet, ob du dafür geeignet bist.“

Snowcat blickte neugierig auf den Koffer, legte ihren Kopf schief und fragte dann: „ Was’n für ne Waffe, und leider auch was für Bedingungen?“

Whisper zog den Koffer zu sich heran, öffnete den Verschluss, hob aber nicht den Deckel: „Hier drinnen befindet sich eine Monopeitsche. Unübertroffen wird ihre Eleganz nur von ihrer Tödlichkeit. Sie ist ausgesprochen leise und in der Lage einen Kopf von seinem Hals mit einem Flüstern zu trennen. Fast völlig unsichtbar kann man sie dann wieder am Handgelenk verschwinden lassen.“ Whispers Gesicht hatte einen schwärmerischen Ausdruck angenommen, der sie irgendwie viel jünger wirken ließ. „Allerdings ist sie schwierig zu handhaben, und in ihrer geschmeidigen Schärfe macht sie keinen Unterschied zwischen einer Tür, dem Kopf deines Feindes und deinem eigenem Bein. Sie ist manchmal widerspenstig und nur jemand mit einem hohen Geschick vermag sie zu zähmen.“

Whisper lächelte sanft: „Die Bedingungen sind wie folgt. Du hörst während des Trainings auf mich und versuchst nicht einfach mal was anderes auf eigene Faust und nörgelst nicht an den Methoden rum, nicht mal wenn ich dich stundenlang Zäune anstreichen lasse.“ Whisper lachte kurz auf: „Du berichtest niemandem von unserem Training. Wir wechseln während unserer gemeinsamen Zeit immer mal wieder die Sprachen, zwischen Englisch, Japanisch und Sperethiel. Das schärft nämlich unseren Verstand. Wenn wir Sperethiel oder Japanisch reden, dann bin ich dein Lehrmeister und du mein Schüler, das drückst du auch sprachlich aus, bis ich dir etwas anderes erlaube. Mehr gibt es eigentlich nicht zu beachten. Könntest du damit lernen?“

Snowcat hatte aufmerksam zugehört und nickte: „Ja, damit hab ich keine Schwierigkeiten. Klingt sogar gut!“

„Nun denn“, Whisper stand auf, „dann lass uns mal herausfinden, ob du geschickt genug bist. Und keine Sorge, du musst jetzt auch nicht unter einem tropfenden Wasserhahn greifen, ohne nass zu werden, oder deine Pistole zwischen meine klatschende Hände bringen.“ Wieder grinste Whisper breit, aber Snowcat wusste nicht, warum. 

Whisper zuckte mit den Schulter: „Wenn wir später Bock darauf haben zusätzlich Zeit mit einander zu verbringen, dann wirst du verstehen, was ich damit gemeint habe.“

Sie standen auf, und Whisper ließ Snowcat nacheinander über eine Stange balancieren, eine Kugel durch ein kleines AR- Labyrinth navigieren und eine Öse über AR- Stangen führen, ohne die Stangen dabei zu berühren. Dann musste sich Snowcat schließlich selbst durch eine Art Stangenlabyrinth bewegen ohne dabei an rot gezeichnete Flächen zu stoßen, welche manchmal plötzlich über AR auftauchten.

Snowcat blieb dabei nicht völlig fehlerlos, aber sie schlug sich ausgesprochen gut und selten ertönte das Warnsignal in ihren Ohren. 

„Gut, das Grundgeschick besitzt du alle Fälle, aber ich hätte auch nie gedacht, dass mir Green Lucifer eine Stümperin als Schülerin vorschlägt. Wenn du magst, dann können wir es miteinander versuchen?“

„Ich mag gerne.“ Stimmte Snowcat zu. Irgendwie hatten ihr die Aufgaben gefallen. 

„Na dann, komm einfach morgen Abend um zehn wieder. Ich denke Training viermal die Woche sollte für den Anfang reichen. Ich arbeite lieber nachts. Mit Green Lucifer ist alles besprochen, man wird dich in der nächsten Zeit für nichts einteilen, wenn nichts Dringendes dazwischen kommt. Bring dir morgen was zu trinken mit und komm bitte clean und damit meine ich keine Drogen irgendeiner Art, auch keinen Alkohol. Du kannst es dir noch nicht leisten, nicht voll bei Sinnen zu sein.“

Snowcat gab stumm ihr Einverständnis. Whisper blickte auf die Uhr und sagte dann: „Es ist schon früh, für ein Pläuschen haben wir auch noch…ähm … heute Nacht Zeit. Hier…“, sie griff nach dem Koffer und zog einen kleinen schwarzen Kasten hervor, „…ist dein Geschenk. Da ist eine Monopeitsche drin, aber fahr sie noch nicht aus! Auch nicht zu Hause. Warte damit, bis wir das schon ein paar Mal zusammen gemacht haben“

„Gut, mach ich.“ Antwortete Snowcat nun und nahm den kleinen schmucklosen Kasten an sich: „Danke und bis heute Abend dann.“

Whisper lächelte:„Dewa mata, sé rielle kanîr fèeliere.” 

Snowcat hob die Hand zum Gruß. „Sprachen wechseln“, dachte sie, „Sprachen mischen waren hier wohl die passenderen Worte.“ Dewa mata, war japanisch für: bis dann und sé rielle kanîr fèeliere bedeutete aus dem Elfischen übersetzt: Aus Schnee gewobene Katze.  


Im Erdgeschoss wieder angekommen saß Green Lucifer mit geschlossenen Augen an eine Wand gelehnt. Die Hände hatte er gefaltet und sein Motorrad stand hinten in der Ecke. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Noch bevor Snowcat die Hälfte der Entfernung zu ihm zurückgelegt hatte, begrüßte es sie leise mit: „Ahh, Schönste der Nacht. Da bist du ja wieder. Und?“

„Ich kann später am Abend wieder kommen.“

„Gut!“, er lächelte sie warm an, stand auf und ging zu seiner Maschine.

Sie stiegen auf und brausten in Richtung Hauptquartier in den beginnenden Morgen.

Snowcat hatte eben fast nicht mal bemerkt, dass sie schon wieder Sperethiel gesprochen hatten.  

„Hey Elfenmädchen, cool eine Monopeitsche. Jetzt hast du ja nen richtigen, coolen Schwanz!“

Snowcat fühlte sich ausgelassen, zufrieden und sie hatte sich ausgetobt. Sie lachte lauthals und Katze stimmte irgendwie mit ein.   

In den nächsten Wochen trainierten sie jeden zweiten Abend mehrere Stunden, dabei hatte Snowcat die Monopeitsche im ersten Monat nicht ein einziges Mal in der Hand. Meistens brachten sie ein bis zwei Ancients bis zu einer Ecke in der Nähe, die letzten Meter fuhr sie allein, und sechs Stunden später wieder holte man sie wieder dort ab.

Nach fast vier Wochen war es dann soweit. Snowcat betrat den Trainingsraum im oberen Stockwerk und ein halbes Rind hing in der Mitte des Raumes. Eine seltsame, metallene Stangenkonstruktion war daneben angebracht und zusätzlich standen noch zwei hölzerne Balken bereit. 

Snowcat schnetzelte das gesamte Übungsmaterial noch in der gleichen Nacht klein. Sie hatte viel Spaß daran, aber niemals ließ sie es an der nötigen Ernsthaftigkeit mangeln. Dazu hatte Whisper sie viel zu gut vorbereitet.

Der erste Kontakt mit der Monopeitsche war vollbracht und nun begann das eigentliche Training. Feinheiten wurden erarbeitet und Angriffstaktiken geübt. Die beiden Elfen vorbrachten gemeinsam artistische Bewegungen, die einem Tanz nahe kamen. Und sie tanzten nur für sich. 

Snowcat konnte nicht ganz die Schnelligkeit von Whisper erreichen und auch ihre Geschmeidigkeit wirkte nicht ganz so raubtierhaft, wie die Whispers, an Eleganz stand sie ihr jedoch in nichts nach.


Zwei weitere Trainingsmonate später meinte Whisper, in dieser Nacht unterhielten sie sich meist auf Japanisch: „Mein Schüler, du hast mich fast ein…!“

„Ach so ein Unsinn“, fiel ihr Snowcat ins Wort, „ich bin weder so schnell, wie du, noch handhabe ich die Peitsche mit der gleichen Präzision. Du bist einfach viel mehr auf Draht als ich!“ Sie grinste breit.

„Oh, meine liebliche Schülerin, du hast mich nicht aussprechen lassen. Du hast mich fast ein, was unsere Übungen hier drinnen angeht. Wir werden unser Trainingsgebiet erweitern müssen. Wir werden raus gehen. Natürlich hast du mich nicht ein, aber vielleicht wirst du mir eines Tages fast ebenbürtig sein. Meine Schnelligkeit ist dabei wahrscheinlich die geringste der Hürden die du zunehmen hast, denn im Gegensatz zu mir brauchst du dafür nur Übung und Willen, auf Dinge wie Geld und Ärzte kannst du verzichten, das Talent dafür wurde dir doch in die Wiege gelegt.“ 

Nun grinste Whisper ebenfalls breit. Sie fuhr fort: „Na komm meine weiße Katze, dein Japanisch ist schon viel besser geworden. Zum Abschluss der heutigen Trainingsnacht lese mir noch was aus dem Buch vor, vielleicht träumst du dann wieder japanisch. Und morgen starten wir einen Streifzug über die Dächer.“

Snowcat öffnete eine Datei auf dem Comlink und las daraus vor, sie übersetzte die Schriftzeichen nicht mehr, sie verstand sie einfach. Nicht nur ihr Körper war durch den Unterricht von Whisper schneller, flexibler und kräftiger geworden, auch ihr Geist hatte hinzu gewonnen.


„Hast du gehört, was sie gesagt hat, Katze?“ fragte sie später, als sie sich an diesem Morgen auf den Heimweg machte und fröhlich die Treppe runter tänzelte. „Sie hat Recht, ich hab sie wirklich fast ein!“

„Ja Elfenmädchen, ich hab’s gehört. Aber deine Lehrmeisterin hatte nicht in allem Recht, was sie dir heute gesagt hat. Dein Talent wurde dir nicht einfach in die Wiege gelegt…“, Katze machte einen lockeren Satz über Snowcat hinweg und war nun vor ihr auf der Treppe, „… du wurdest ausgewählt und dann wurde es dir großzügiger Weise geschenkt!“ 

In den folgenden Septembernächten streiften zwei schlanke Gestalten über die Dächer und Strassen von Puyallup und sie blieben nicht nur in Hell’s Kitchen. Gelegentlich hinterließen sie abgetrennte Hausecken oder löschten ein Nest von Teufelsratten aus.

Aber niemand sah die beiden je, denn sie schlichen auf Samtpfoten und waren leise, wie ein Flüstern des Windes.

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*