Teil 1

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Snowcat ließ ihre Beine gelangweilt über die Sessellehne baumeln. Langsam verschwanden Blackhearts Worte in den Hintergrund und wurden dort zu einem gleichmäßigen Gebrabbel. Sie hasste es, wenn zum Schluss einer Besprechung alles noch mal und noch mal wiederholt wurde. Sie hatte, wie die meisten Ancients aus ihrer Gruppe, den Plan schon beim ersten Mal verstanden. Abgesehen davon würde nachher jeder von ihnen sowieso eine Kopie davon im Comlink haben. Dafür sorgte Ghostfinger schon.

Sie ließ ihren Blick im Gebäude umherwandern und ihre Gedanken schweiften ab. Seit etwas über einem Jahr war sie nun ein Ancient. Sie lebte jede Sekunde davon aus.

Ein paar ihrer inzwischen zahlreich gewonnenen Freunde hatten ihr gesteckt, dass Sting es nur all zu gern sah, dass Snowcat im Hauptquartier ihre neue Heimat gefunden hatte. Obwohl die Worte „neue Heimat“ hier eigentlich vollkommen fehl am Platz waren. 

Sting hatte Snowcat sogar erlaubt die Wände des riesigen Aufenthaltsraums zu gestalten. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass Snowcat ein künstlerisches Potenzial besaß. Sie arbeitete bereits an ihrer zweiten Wand und die erste mit der Schlachtszene: „Ancients treten Spikes in den Dreck“ gefiel allen ziemlich gut. Mit Gefühl und Temperament hatte Snowcat ein wildes Farbgewirbel an die Wand gesprayt und dabei nicht an gut aussehenden Elfen und platzenden Trollschädeln gespart. Dank der AR Vorlagen, die ihr Ghostfinger auf die Wand projiziert hatte, war es ihr sogar gelungen realistische, chromblitzende Bikes in Szene zu setzten.

 Im hinteren Teil des ehemaligen Fabrikgeländes wohnte Snowcat in einem umgebauten Büro, damit gehörte sie zu der Handvoll Elfen, die ständig im Hauptquartier  lebten. Dieser eigene kleine, aber sichere Platz reichte ihr vollkommen aus. Hier fühlte sie sich wohl. Snowcat  hatte ihr Zimmer simpel gestaltet, denn sie legte noch nicht viel Wert auf die Anhäufung von persönlichem Besitz. 

Außerdem war sie nicht besonders wählerisch, was Design oder Zusammenpassen von Möbeln und ähnlichem anging. Bequem musste es sein. Auf Dekoschnickschnack oder Luxus verzichtete sie gern.  Die einzige Ausnahme bildete hierbei ihre Körperpflege. Sie duschte täglich, und die meisten Mitglieder der Gang wussten inzwischen, dass man ihr mit einem Badezusatz oder einer Duschcreme eine Freude machen konnte. Dem entsprechend besaß sie nun eine riesige Auswahl an Duschgels, Badeessenzen und Haarshampoos.

Diese Anzahl hatte sich vor drei Tagen fast verdoppelt, denn da hatte Snowcat ihren ersten Geburtstag gefeiert.

Snowcat kannte ihr eigentliches Geburtsdatum ja nicht, deshalb war sie bei Katzes Idee geblieben, den Tag ihres Rite of Passage dazu zu machen. Ihr wöchentliches „Budget“, welches ihr die Gangspitze aufs Comlink überwies,  hatte sie eine zeitlang gesammelt und zu ihrem Ehrentag davon ein paar Kästen Kesáera besorgt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich bei der Gang herumgesprochen, dass Snowcat Geburtstag feiern wollte. Andere Ancients hatte weitere Getränke oder Knabberkram mitgebracht und so hatte es eine kleine Feier gegeben. Natürlich waren nicht alle im Hauptquartier erschienen, aber die Partyterrasse auf dem Gelände hinter dem Haus war doch recht üppig gefüllt gewesen.

Nun stapelten sich außerdem noch zwei Dutzend Kissen mehr als zuvor auf der Schlafmatratze in ihrem Zimmer.  

Viel hatte sich im vergangenen Jahr bei Snowcat verändert. Regelmäßiges Training und vor allem regelmäßiges Essen hatten ihrem Körper gut getan, Muskeln hatten sich gebildet und sie sah nicht mehr verhungert aus, obwohl sie wahrscheinlich immer ein wenig zu dünn sein würde. 

Sperethiel, die „alte“ Sprache der Elfen mussten laut Gangstatuten alle Ancients wenigstens in den Grundzügen erlernen. Snowcat schien diese Sprache zu liegen, denn sie kam ihr inzwischen fließend und leicht von den Lippen und das, trotz der teilweise sehr genauen Bezeichnungen für die Worte und trotz der unterschiedlichen Endungen von Verben, die sich von der Beziehung zwischen den Sprechenden und zu den Objekten ableitete. Im Allgemeinen sollte diese Komplikation der des Japanischen nahe kommen. Nachdem Snowcat das erfahren hatte, hatte sie sich jemanden unter den Ancients gesucht, der Japanisch sprechen konnte und bereit war, es ihr beizubringen. 

Sie war fündig geworden. Sogar Lesen konnte sie die beiden neu erlernten Sprachen inzwischen ein wenig. Snowcat verdankte ihre großen Fortschritte auf dem Fremdsprachen-Gebiet vor allem ihrem Ehrgeiz. Vielleicht konnte es jedoch auch daran liegen, dass ihr die Lehrer stets so zugetan waren.

Nahkampftraining in Streetfighting  und Carromélég, sowie Schießübungen, Lektionen in Teamtaktik und häufiges Motorradfahren komplettierten das regelmäßig angesetzte Übungsprogramm für jedes Gangmitglied. Das Motorrad beherrschte Snowcat außerordentlich gut und mit den Taktikübungen hatte sie sich abgefunden.

Überleben war alles.

Leben war viel mehr.   

Snowcat Gedanken kehrten langsam in die Gegenwart zurück, sie räkelte sich ausgiebig in ihrem Sessel und ließ dabei den Blick nun über die anwesenden Elfen schweifen. Das war ihre Familie. Viele Brüder und Schwestern. Bei dem Gedanken musste sie breit grinsen. Zum Glück waren das nicht wirklich ihre leiblichen Brüder, das wäre bei einigen echt doof gewesen. Es gab hier ein oder zwei… Dutzend, ihr Grinsen wurde jetzt noch viel breiter, für die sie keine geschwisterlichen Gefühle hatte, jedenfalls nicht nur. Dennoch waren alle hier für Snowcat eben mehr als nur Freunde. Sie war sich nicht sicher, ob es ein treffenderes Wort dafür gab, als Familie. Oder reichte es einfach „Gang“ zu sagen, um alles zu erklären? 

Snowcat kraulte genüsslich den weichen, flauschigen Kopf von Katze. Blackheart war anscheinend immer noch nicht ganz fertig. Katze begann zu schnurren und Snowcat lächelte: „Jeder Plan hält eh nur bis zum ersten Kontakt. Stimmt’s Katze?“

„Ja, liebstes Elfenmädchen, genauso ist es!“ Katze gähnte bevor sie sich auf Snowcats Schoß in anderer Position zusammenrollte.

„Snowcat, was hast du gesagt?“, sprach Blackheart sie direkt und laut an. Es dauerte einen kleinen Augenblick bis sie es registrierte.

„Ich hab nur auf deine Frage geantwortet, Lieutenant.“, schnurrte sie zurück.

„Ich hab dich aber gar nichts gefragt.“

„Siehst du!“ Die anderen sechs Elfen aus der Gruppe lachten. Fast wie in der Schule, dachte Snowcat. Jedenfalls nahm sie an, dass es so in einer Schule war. 

„Gut“, schloss Blackheart seinen Vortrag, „Dann wissen alle was zu tun ist und genau in…“, er blickte kurz auf, „… in 48 Minuten geht’s los. Kontrolliert eure Ausrüstung und richtet eure Aufmerksamkeit wie immer besonders auf die Waffen.“

Die Gruppe erhob sich. An ein paar anderen Stellen der Lagerhalle geschah mehr oder weniger das Gleiche. Die Ancients unternahmen oft geschäftliche Sonderaktionen, zu denen sie fast immer in dieselben Gruppen eingeteilt wurden. Zu solchen Anlässen unterstanden sie dann auch der ausdrücklichen Führungsgewalt ihrer Lieutenants. Über sie erfolgte stets die Kommunikation und Koordination in allen Dingen, die die gesamte Gang betrafen. Dazu gehörte auch das gelegentliche Schlichten von internen Streitigkeiten. 

In ihrer Freizeit würfelten sich die Elfen dann eher freiwillig und zufällig zusammen.

Über jeder Gruppe, die sich nach dem Meeting auflöste änderte sich das Licht. Waren die in der Lagerhalle verteilten Sitzgruppen zuvor von einem hellen Spot beleuchtet gewesen, wurde nun alles in ein gleichmäßiges, sanftgelbes, kerzenähnliches Licht getaucht. So war leicht zu erkennen, welches Team fertig war und welches nicht.

Snowcat schlenderte zu einem Kühlschrank rüber und nahm sich eine Flasche Wasser. Eigentlich wollte sie zu einigen anderen an die Spielautomaten gehen, doch Blackheart fing sie ab. Er blickte sie langsam von unten bis oben an. Schwere Motorradstiefel mit chromfarbenen Schnallen auf blank geputztem Schwarz reichten bis über ihre Knöchel. Die schwarze Lacklederhose saß wie immer, wie angegossen. Die grünen Riemen ihrer schwarzen Korsage waren eng geschnürt und die Spitze des ebenfalls grünen BHs schrie geradezu nach Aufmerksamkeit. Ihre nietenbesetzten, fingerlosen schwarz-grünen Handschuhe, hatte sie mit grünen Strasssteinchen verziert. 

Snowcat trug keinen Lippenstift, ihre Augen waren schwarz umrandet, die langen Wimpern dunkel getuscht und eine zweite Linie aus blauen Kajal ließ die großen eisblauen Augen förmlich erstrahlen. Sie wurden im fast milchweißen Teint der Haut zum Blickfang. Ihre hellen Haare glänzten und wirkten beinah irisierend, sie reichten ihr bis zu den Schultern und wuselten ungebändigt umher. Hellblaue und silberne Reflexe darin komplettierten den Look.   

Blackheart hatte einmal gesagt, dass Icecat ein noch passender Name für die Elfin wäre: „Hast du vor, beim Einsatz so zu bleiben?“, fragte er sie.

„Nee, ich zieh noch ne Panzerjacke und ne Multitoolweste drüber. Wieso?“

„Reine Fürsorge, weißt du doch. Narben können zwar ganz aufregend aussehen, würden aber deinen Porzellanpuppenlook zerstören.“

„Ach was“, sie streckte sich und fuhr grinsend fort, „ich würd’ die Narbe einfach blau und grau umranden und dann sähe es aus, als hätt’ ich nen Sprung.“

„Gute Idee, aber unbeschädigt biste mehr wert und gefällst mir noch besser. Also, pass auf dich auf!“

Snowcat nahm Haltung an und salutierte: „Aye, Aye Lieutenant!“, dann vollführte sie ein Drehbewegung und sah Blackheart von unten schief an, „aber eigentlich dachte ich, du passt auf!“

Er umfasste sie, klatschte ihr lautstark mit beiden Händen auf den Hintern, zog sie an sich ran und küsste sie auf die Stirn: „Auch das, Süße!“

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*