Teil 1

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1

An einem schönen Julitag des Jahres 2069 saß Snowcat mit Neon in seinem als Kranken- und Überwachungswagen ausgebautem Bulldog Stepvan auf dem Parkplatz des Ancient-Hauptquartier. Es war ziemlich warm und sie genossen die Vorzüge der Klimaanlage. 

Es war einer der Tage, an denen Craven irgendwohin verschwunden war.

Neon und Snowcat alberten umher. Sie hatten gerade einen Benimm-Kurs abgeschlossen, den Neon in der Matrix aufgetan hatte. Der Kurs hatte ihnen die Note: „Passabel, aber eine Wiederholung kann nicht schaden“, gegeben.

Sie mussten lachen, als sie auf Wiederholen drückten und der Kurs erneut begann.

Neon hatte nach der Absolvierung seines ersten Kurses, den er entdeckt hatte als er nach seiner schweren Verletzung durch die Policlubber ans Bett gefesselt gewesen war, damit begonnen sich so viele Kurse wie möglich runterzuziehen, und bald hatte er Snowcat dazu eingeladen. Inzwischen konnte Neon schon gut unterscheiden, welcher Kurs etwas taugte und welcher nicht. Jedenfalls fand Snowcat das.

Manchmal hatte sie das Gefühl, ihr würden diese Kurse mehr Spaß machen als Neon. Und auch wenn Craven ihr gesagt hatte, dass er solche Kurse ziemlich blöd fand, und ein Mädchen wie sie sich sowieso nie benehmen müsse, ließ sie sich den Spaß daran nicht verderben.

Nach einer Weile stoppte Neon die Wiederholung und sah sich ihren einzelnen Punkte-Stand an. „Na klar,“ meinte er danach, „Du hast schon wieder mal viel besser abgeschnitten als ich. Da“, er wies nun mit dem Finger auf eine Zahl, „hab ich dich sogar in der Wertung voll runtergezogen.“

Snowcat lachte lange und konnte sich kaum beruhigen: „Ja und wenn unser virtueller japanischer Gesprächspartner nicht von nem Konzern, sondern von der Yakuza gewesen wäre, dann hätte uns das Programm vielleicht gesagt,“ Snowcat verstellte ihr Stimme und sprach nun abgehackt wie ein altertümlicher Roboter, „Sie werden jetzt erschossen!“ Ihre Stimme wurde wieder normal: „Aber natürlich überaus höflich erschossen und danach entsorgen wir sie vorschriftsmäßig.“

Neon fiel in Snowcats Lachen ein: „Ja das könnte durchaus sein und dann hätten sie gesagt: ,Teilnehmer A wird nur mit erschossen, weil Teilnehmer B sich nicht benehmen kann. Wir raten Teilnehmer A davon ab, sich neben Teilnehmer B beisetzen zu lassen.“

Snowcat grinste immer noch: „Oh, wie fies diese Japaner doch sind. Sie geben einer hübschen Elfe nicht mal einen eigenen Grund, sie zu erschießen. Was für Rassisten!“ Sie klopfte Neon auf die Schulter: „Aber lass mal Neon, ist schon okay! Mit gefangen, mit gehangen.“ Dann brach sie erneut in Lachen aus und bewarf ihn mit einer Erdnuss.

Neons wurde auf einmal todernst und schloss die Augen.

Snowcats Stimme klang ganz sanft, als sie fragte: „Was ist denn, hab ich dich im Auge getroffen?“

Neon schüttelte den Kopf und seufzte: „Nein, natürlich nicht. Mir ist nur gerade eingefallen, was ich dir schon ganz lange mal sagen wollte.“ Er machte eine Pause und blickte zu Boden.

Snowcat griff nach seiner Hand: „Hey, egal was, ich komm schon damit klar, also sprich‘s einfach aus.“

Neon nickte und hielt Snowcats Hand fest: „Weißt du, dass was da letztes Jahr mit den Humanis-Typen passiert ist ... ich meine, was sie dir angetan haben ... Es tut mir so furchtbar leid, dass ich dich da nicht beschützt habe. Dass ich nicht richtig aufgepasst habe.“

Snowcat unterbrach ihn freundlich: „Hey, das war doch nicht deine Schuld! Und im Gegenteil, wenn du nicht gewesen wärest, dann wäre ich jetzt vielleicht schon lange Matschepatsche. Und selbst wenn ich überlebt hätte, wer weiß was die Arschlöcher mit mir noch angestellt hätten, bevor ich mich befreiten hätte können. - Wie auch immer, du hast die anderen informiert und somit für meine vorzeitige Befreiung gesorgt.“

Neon blickte auf. Unsicher fuhr er sich mit den Händen durch seine neongrün-gefärbten Haare. Dann bildete sich Wasser in seinen roten Augen und er schüttelte energisch den Kopf: „Aber vesteh‘ doch. Du hattest mich doch längst auf die Typen aufmerksam gemacht. Ich hab deine Warnung nicht für voll genommen und den Wagen aus den Augen gelassen. Nur so kam es dazu.“ 

Er wischte sich mit dem Unterarm übers Gesicht und schniefte, dann fuhr er fort: „Ich hätte berücksichtigen müssen, dass du dabei bist. Ich hätte aufmerksamer sein müssen! Ich hätte dich beschützen müssen!“

Nun machte Neon eine Pause. Snowcat wollte etwas erwidern und suchte nach den richtigen Worten. Sanft streichelte sie seine Hand. Sie hatte ihn noch nie so aufgewühlt erlebt. Diesen Gedanken schleppte er nun schon seit fast einem Jahr mit sich rum. Vorsichtig begann sie: „Aber Neon, du hättest doch nichts...“

„Nein,“ fuhr Neon abermals dazwischen, „DU verstehst es nicht: Es spielt keine Rolle, ob ich es konnte, ich hätte es einfach müssen.“ Wieder schniefte er: „Aber ich wusste ja schon von Anfang an, dass ich nicht stark genug für dich bin. Du bist eben was ganz besonderes.“

Er wischte sich noch mal die Augen, dann drückte er fest ihre Hand und sah sie an: „Zum Glück für mich ist ja alles noch einmal einigermaßen gut ausgegangen. Ich wollte ja auch nur, dass du weißt, dass es mir leid tut.“ Er lächelte leicht.

Snowcat lächelte zurück: „Danke Neon, dass weiß ich. Aber es ist schön, dass du es noch mal gesagt hast. Und nur um es noch mal klar zu stellen: Ich mach dir keinen Vorwurf.“  

Snowcats Lächeln ging in ein Grinsen über: „Und ich bin gar nicht so besonders... ich seh‘ zwar toll aus, bin unglaublich klug und schlag dich beim Benimm-Kurs..., aber ich bin nicht soo was besonderes. Jedenfalls nicht mehr als du.“ Sie machte eine kurze Pause und grinste dann noch breiter. „Naja, vielleicht ein klitze-kleines bisschen mehr.“

Neon schluckte und schüttelte dann heftig den Kopf: „Doch, du bist was ganz, ganz besonderes. Ich bin auch nicht der einzige, der das glaubt,“ eifrig stand er auf und kramte in einer Kiste, „und das kann ich sogar beweisen.“ Er fingerte eine Datachip heraus und legte ihn in sein Commlink. „Da schau! Das Bild ist vielleicht relativ langweilig, aber dafür ist der Ton umso interessanter. 

Auf AR blendete sich eine Datei ein. Snowcat „öffnete“ sie und ein Büroraum erschien vor ihren Augen. Green Lucifer war zu sehen. Er saß in einem gemütlichen Sessel uns trank einen Kaffee. Snowcat vergrößerte das Bild, bis sie praktisch selbst im Raum stand, dann blickte sie auf den Time-Stamp: April/09/69 21:39:06. Nun liefen die Sekunden weiter und in das starre Bild kam Bewegung. Die Kamera hatte mit der Aufzeichnung begonnen: 

Es klopfte. Green Lucifer blickte auf, doch noch bevor er „herein“ sagen konnte wurde die Tür bereits geöffnet, Craven trat ein und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.  

Green Lucifer setzte ein kaltes Lächeln auf und sagte ruhig und emotionslos: „Ah Craven, schön dich zu sehen. Komm doch rein und setzt dich.“

Craven hatte schon während dieser Worte einen Sessel mit dem Fuss in Position gekickt und sich dann lässig auf ihn plumpsen lassen. Seine Beine baumelten locker über der Lehne.

Das vormals schon kalte Lächeln Green Lucifers gefror zu Eis. Mit zuckersüßer Stimme bemerkte er: „Dein Benehmen ist wie immer vorbildlich. Was gibt‘s?“

Cravens Lächeln stand dem von Green Lucifer in nichts nach: „First Lieutenant, erstmal vielen Dank, dass du etwas von deiner Zeit für mich erübrigst.“

„Aber gern doch.“ Green Lucifers Augen funkelten bedrohlich.

Craven fuhr unbeeindruckt fort: „Genug des Austausches von Höflichkeiten. - Hör auf, mich und mein kleines Team ständig für irgendeinen Scheiß einzuteilen!“

„Ich verstehe gar nicht was du meinst,“ Green Lucifer setzte eine übertrieben unschuldige Miene auf, „erstens bin ich überhaupt nicht für die Einteilung zuständig, das macht Ghostfinger und zweitens gibt es keinen Scheiß, für den man bei den Ancients eingeteilt werden kann. Alles was die Ancients tun hat Hand und Fuss!“

„Ja, na klar und ich zieh mir meine Hose mit der Kneifzange an.“ Cravens Stimme klang nun zornig, „Seit Monaten werden wir schon für alles Mögliche eingeteilt, das meiste liegt dabei unter unserem Niveau. Ich hab mir das jetzt lange genug angesehen. Hör auf damit!“

Green Lucifer lächelte noch breiter, aus seiner Stimme tropfte inzwischen der reinste Honig. Er lehnte sich zurück und fügte die Fingerspitzen seiner Hände zusammen: „Craven, Craven, Craven... warum so hitzig? Bietet dir der Dienst für unsere gemeinsame Sache etwa nicht genug Gelegenheit dein Temperament abzukühlen? Oder hattest du vielleicht in letzter Zeit nicht ausreichend Sex?“

Craven änderte seine Position nicht. Nach außen hin wirkte er immer noch cool. Doch Snowcat sah genau, wie wütend er zu diesem Zeitpunkt gewesen war. Seine Stimme hatte er ebenso gut unter Kontrolle, wie seine Haltung, er klang fast gelangweilt: „Dass dir mein Sexleben Sorgen macht, das wusste ich schon vorher. Aber ich kann dich be-un-ruhigen. Snowcat und ich haben ausreichend Sex und er ist fantastisch, vielleicht sogar besser, als du es dir erträumen kannst. Genau da liegt auch der Hund begraben. Snowcat ist mit mir zusammen. Und das wurmt dich, denn du wolltest sie für dich! Aber ich war nun mal schneller. Nun setzt du unser Team ständig ein, weil du glaubst, du könntest sie damit näher an dich binden ... oder was weiß ich, was du glaubst. Natürlich machst du uns damit einen Strich durch eine Rechnung. Du hinderst uns daran, nebenbei unser eigenes Ding durchzuziehen...“

Green Lucifer unterbrach ihn: „Dass du mit Snowcat zusammen bist, interessiert mich nicht.“ Er richtete sich nun auf und legte eine gewisse Menge Zorn in seine Stimme, „Dass du aber sagst, ihr wollt euer eigenes Ding durchziehen, das geht mich in der Tat eine Menge an und ich bin überrascht das zu hören.“

Craven lachte auf. Dann setzte er sich gerade hin: „Green Lucifer, wir kennen uns doch jetzt schon eine Ewigkeit. Du weißt woher ich komme und ich weiß, woher du kommst.“ ...

Snowcat war sich nicht sicher, aber sie glaubte bei dieser Bemerkung das erste mal ein unkontrolliertes Funkeln in Green Lucifers Augen gesehen zu haben. Aber das konnte sie sich später noch mal in Zeitlupe ansehen.

... „Deshalb könnten wir diese Spielchen doch eigentlich auch lassen. Ich mach dir ja auch gar keinen Vorwurf,“ Craven sprach nun etwas leiser, „Ist doch nichts dabei, dass du tierisch auf meine Braut abfährst. Du hältst sie für was Besonderes und ich halt sie für was Besonderes, auch wenn wir beide höchst wahrscheinlich was anderes darunter verstehen. Und jetzt noch mal in aller Freundschaft, ich würde es sogar in deinem geliebten Sperethiel sagen, wenn du‘s dann leichter hast: Hör auf uns einzuteilen! Sonst ist sie schneller weg, als du denkst. Dann verlassen wir die Gang!“

Nun war der Zorn in Green Lucifers Augen deutlich zu sehen, er sprang auf: „Man kann die Ancients nicht verlassen! Einmal ein Ancient, immer ein Ancient! Abgesehen davon wäre das unglaublich dumm, denn ihr würdet dann vollständig allein dastehen. “ Die letzten Wörter hatte er förmlich ausgespuckt.

Craven blieb ruhig: „Doch man kann die Ancients verlassen, oder muss ich dich erst an Rinellé erinnern? Ich bin ziemlich sicher, er und seine Raegh O‘Faskit würden uns mit Kusshand nehmen.“...

Snowcat war bei dem Namen Rinellé bereits zusammengezuckt. Nachdem Craven  im selben Atemzug die Raegh O‘ Faskit genannt hatte, war ihr klar geworden, dass er damit den Rinellé gemeint hatte, den sie auch kannte. Doch sie fragte sich, was der Anführer eine kleinen Elfengang aus Tarislar mit den Ancients zu tun hatte. Außer, dass man die sie im selben Gebiet leben ließ. Der Gedanke an Rinellé verflog, so schnell wie er gekommen war. Gespannt sah sie weiter zu.

... „-Ich will dich nicht noch wütender machen. Wenn du aufhörst uns für jeden Mist einzuteilen, dann ist von Verlassen der Gang auch überhaupt keine Rede. Und nebenbei, Snowcat will ja auch gar nicht weg. Die Ancients sind ihre Familie. Aber wir wollen uns eben auch als Shadowrunner etablieren, was doch kein Nachteil für die Ancients ist! Also, schluck deine Stolz runter! Wenn du Snowcat haben willst, dann lass dir was Anderes einfallen. Finde einen eigenen Weg sie zu erobern.“

Green Lucifers Stimme klang nun viel dunkler und leiser. Er schien sich beruhigt zu haben und setzte sich wieder, bevor er sagte: „Du hast Recht, wir kennen uns schon lange und wissen viel von einander. Und ja, ich halte Snowcat für das bezauberndste, wunderschönste und außergewöhnlichste Geschöpf, was mir je unter gekommen ist. Doch in einem muss ich dich korrigieren, Freunde sind wir schon lange nicht mehr. Du drohst mir Snowcat meinem Einflussbereich zu entziehen. Doch was sagt dir, dass ich sie dir nicht einfach wegnehme?“

Craven stand auf und ging zur Tür: „Du kannst es versuchen, aber schaffen wirst du es nicht, nicht nachdem was du eben über sie gesagt hast. Denn sie müsste ja auch noch wollen.“ Craven legte die Hand an die Klinke. „Aber versuch es ruhig, Snowcat ist es alle mal wert! Versuch es ruhig, alter ... Weggefährte.“

Die Datei endete abrupt, Craven und Green Lucifer lösten sich samt dem Büro in Luft auf, und Snowcat konnte nicht mehr sehen, ob Green Lucifer noch etwas erwiderte.

Sie atmete tief durch. „Wow, deshalb hat die Mehrarbeit also so plötzlich aufgehört.  Craven hat mit Green Lucifer gesprochen. Mir hat er das nicht gesagt. Er hat nicht mal erwähnt, dass ihn das geärgert hat. - Wie bist du denn an die Aufnahme gekommen?“ Snowcat blickte Neon neugierig an.

Neon zuckte mit den Schultern: „Das ist doch egal. Ich hab, naja hatte da mal meine Quellen, aber Ghostfinger ist mir inzwischen draufgekommen. Diesmal hab ich nämlich nicht nur Mäuschen gespielt, sondern die Datei kopiert... aber was red‘ ich? Das spielt doch keine Rolle. Hast du denn nicht gehört, dass die beiden finden, dass du was Besonderes bist?“

„Doch hab ich, aber das fand ich eigentlich voll uninteressant.“ Snowcat blickte in Neons verblüfftes Gesicht, dann betrachtete sie ihr Spiegelbild in einer verchromten Platte und grinste: „Okay, du hast mich überzeugt und ich gebe dir mit einem uneingeschränkt recht, ich bin was gaaanz Besonderes. Aber dafür hattest du an der Geschichte mit den Rassisten keine Schuld!“ Sie blickte Neon tief in die Augen, „So, und nun Schluss mit dem Hundeblick, lass uns lieber noch so‘n Benimm-Dings durchziehen.“

Neon kniff die Lippen zusammen, doch dann nickte er begeistert: „Ich hab noch ein absolut aktuelles Teil von Ares, über angemessenes Verhaltensweisen bei einem Konzern. Und wenn die uns erschießen, dann wenigstens mit coolen Kanonen.“ Er lachte schallend.

Snowcat fiel mit ein, doch dann sagte sie: „Bevor wir damit loslegen, kann ich da ein paar Stellen von der Datei eben noch mal in Zeitlupe oder Zoom sehen?“ 

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*