Tales of Snowcat 2: Outbreak (SatHS S3/E1)

TALES OF SNOWCAT (2)

PERIOD6: Magician

ERA6: Light Baroque

AGENDA12: Boston: Infection of a whole city

DATE1: 06/ 04-10/ 2076

BROADCAST6: Unter „SatHS in Danger“ wird Material als Dokumentation der Situation in Boston gedreht. Folge 1 wird am 07/03/2076 als Stream zu Verfügung gestellt.

PRODUCTION: Spinrad Media

APPEARANCE2: AveRAGE, Columbo,  Doc, Eden, Fang, Fierce, Foggy, Liam (aka Sapper), Mash, Mr. Tea, Shark Finn, Sinister, Snowcat, Tiernan;

SPECIAL APPEARANCE7 (u.a.): /dev/grrl, Harlequin, Hub Blogger

SPOILER ALERT: Die Episode enthält massive Spoiler auf Boston Lockdown von Catalyst Game Labs.

WARNING: Diese Trideo-Serie ist für Zuschauer unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke und Drogenkonsum können vorkommen. Mitglieder der Howling Shadows sind in Waffen- und Magiegebrauch ausgebildet und sind sich der die tödlichen Gefahr bewusst, mit der sie es während des Drehs zu tun haben. Zuschauer werden gebeten, diese Dinge nicht nachzumachen, es sei denn, es wird in einem Nachspann-Clip ausdrücklich erlaubt. Ferner ist absolut davon abzuraten, sich auf eigene Faust mit den gezeigten oder ähnlichen magischen Gefahren, Geistern und/oder Crittern anzulegen.

ANMERKUNGEN

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 01.09, 15.09. und 06.10. 2017 erspielt. Neben dem GM und mir waren am 01.09. der Spieler von Fang/Sinister und Eden/Mr. Tea, am 15.09. die Spieler von AveRAGE/Columbo und Eden/Mr. Tea und am 06.10. waren alle aktuellen Spieler anwesend. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere ohne weitere Erklärung auftauchen oder verschwinden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logistische Entscheidung sein. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Der Spotlight soll auf Charakteren stehen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere und Marks findest du hier [LINK].

Eine Übersicht von Cast und Crew von SatHS findest Du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jederzeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem kompletten SatHS Soundtrack findest du hier. [LINK]. Eine YouTube Playlist zu SatHS Season 3 findest du hier [LINK].

4.Die Truppe, mit der Captain America (Marvel) im zweiten Weltkrieg gegen Hydra ins Feld zieht, heißt „Captain America and the Howling Commandos". Daran angelehnt entstammt die Titelidee eigentlich. Abgesehen davon, ist „Howling Shadows“ der Titel des aktuellen Shadowrun® -Critter Quellenbuchs von Catalyst. Wir fanden die Doppeldeutigkeit gerade bei der Zusammensetzung des Teams passend. 

5. Eine Übersicht des Steampunk- Journals findest Du hier [LINK].

6. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten Zuhörer die Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. ‚Period' beschreibt dabei den Lebensabschnitt, auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Farbthema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

7. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtigt. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

8. Bei den Texten des Hub Bloggers handelt es sich um freie, teilweise gekürzte Übersetzungen aus Boston Lockdown von Catalyst Game Labs.

9. Teilweise stehen Dialoge in diesen « » Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in < > schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindlink oder Dragonspeech.

10. „AveRAGE“ hat seine Drohnen-Kamera-Einheiten, die je aus drei CU^3 bestehen, nach berühmten Kameramännern benannt.

11. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den Dresden Files von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

12. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter denen die Episode steht.

13. zu Deutsch: Kognitives Fragmentierungssyndrom, kurz KFS 

14. Geschrieben vom Spieler von AveRAGE

15. Mit dem grünen Monster ist diese ‚Wall‘ [LINK] gemeint.

Bildquelle: Das Bild ist ein Screenshot Beispiel aus dem  Shadowrun Chronicles: Boston Lockdown Game von Cliffhanger Productions, das von Nordic Games herausgegeben wurde und stammt von dieser Seite.

POSTED BY SNOWCAT

[Song 1: 30 Seconds To Mars - Walk On Water3] Ich drehte meine Runde über dem Lake Louise. Der Wind streichelte meine Schuppen. Es war ein wundervoller Sommertag. 

Ich hob den Kopf, reckte mich und schraubte mich höher in den Himmel. 

Ich war stark. 

Schnell.

Schön.

Frei!

Mein Herz schlug wie wild.

Ich zog meine Bauchmuskeln zusammen, drehte mich um und legte die Flügel an. 

Für einen Moment stand ich still in der Luft.

Dann schlug die Schwerkraft zu und ich sauste im freien Fall Richtung Wasseroberfläche. Sonnenlicht ließ den türkisblauen See glitzern als wäre er mit Diamantsplittern bedeckt.

Ich breitete meine Flügel aus, ließ mich mit der Strömung gleiten, zog die Luft durch die Nüstern und nahm so die Witterung auf. 

Wald, Wasser, Sommer, Sonne, Grizzlys, Wildgänse, Elche und irgendwo da unten kitzelte der Duft meines Liebsten meine Nase.

Ich ging tiefer, jagte ein paar Zugvögel ein Stück vor mir her, ohne einen von ihnen zu fangen, und flog dann so tief, dass meine Krallen durch das Wasser zogen. 

Dann nahm ich Kurs auf eines der fest verankerten Flöße, die den Drakes von Assets Inc. als Landezone bei Absprüngen dienten, aber im Sommer gerne als Badeinsel missbraucht wurden, obwohl das Wasser des Bergsees auch im Sommer immer noch ganz schön kalt war. 

‹Platz da! Ich komme!›9, rief ich meinem Liebsten zu und setzte Dragonspeech ein.

Harlequin, in Hawaii-Shorts, sprang auf und breitete die Arme aus, um mich aufzufangen.

Sich so zu wandeln, dass er mich in meiner elfischen Gestalt fangen konnte, würde ein schwieriges Manöver werden. 

Aber warum eigentlich nicht? Im schlimmsten Fall würden wir im Wasser landen.

❄️❄️

Stunden später knurrte mein Magen so laut, dass man es wahrscheinlich bis auf die andere Seite des Sees hatte hören können.

Fliegen verbraucht Energie.

Lernen verbraucht Energie.

Kein Wunder also, dass ich einen Drachenhunger hatte, als ich am frühen Abend des 4. Juni 2076 zu unserer Blockhütte ging. 

Harlequin stand mit verschränkten Armen lässig an den Zaun der Veranda gelehnt und stieß sich ab, um mir entgegenzukommen, als ich den Kiesweg hochgelaufen kam. 

„Ist mein Kopf größer geworden? Er fühlt sich ein bisschen so an“, fragte ich schelmisch grinsend.

„Nein, kein Stück. Er ist immer noch genauso perfekt wie heute Vormittag“, erwiderte er und sah mir tief in die Augen. Er strich mir zart eine Strähne meines langen, eisweißen Haares aus dem Gesicht und küsste mich.

Egal wie hungrig ich auch sein mochte, für einen Kuss konnte der Hunger warten, von mir aus auch bis in alle Ewigkeit.

❄️

Das Mittagessen hatte ich verpasst, für das Abendessen war es noch zu früh, darum hielt Harlequin Apfelkuchen mit Schlagsahne für mich bereit. 

Ich verputzte zwei große Stücke und trank dazu gleich noch zwei Tassen schwarzen Kaffee.

Danach fühlte ich mich deutlich besser. Einen Teil der zurückgewonnene Energie gab ich sofort für Intimität aus. Nichts ist besser für die Seele als Liebe und Sex, beziehungsweise Sex mit jemandem, den man liebt. 

Zweisamkeit, ich genoss sie mehr denn je. 

❄️

Einige Zeit später saßen wir gemeinsam auf der Veranda. Ich hatte meine Beine über den Schoß von Harlequin gelegt. 

Da mein Unterricht bei Rainwalker für heute abgeschlossen war, hatte ich nun keine Verpflichtungen mehr. 

Harlequin und ich lasen uns gegenseitig aus 'Stolz und Vorurteil' von Jane Austin vor und tranken frische Limonenlimonade, um unsere Kehlen feucht zu halten. Wir hatten kürzlich über Halloween gesprochen, da ich ja noch mein diesjähriges Kostüm in Auftrag hatte geben wollen. Nachdem ich zunächst einige dramatische Liebesgeschichten erwogen hatte, hatte mein Liebster etwas Leichtes mit einem glücklichen Ausgang vorgeschlagen. Eben jenes Buch mit Happy End von Jane Austin. Ich war schnell überzeugt gewesen. Doch ich kannte das Buch bisher noch nicht - und ich würde mich zu Halloween niemals als jemand verkleiden, dessen Geschichte ich nicht kannte. Also schafften wir Abhilfe und lasen dieses Buch gemeinsam. 

Irgendwann erregte eine Push-Nachricht meine Aufmerksamkeit, die es durch alle meine Filter geschafft hatte und mir via AR in mein Sichtfeld eingeblendet wurde. 

>>>Unidentifizierter Drache bricht aus MIT&T Labor aus8>>>

> Kurz vor 19.00 Uhr wurde ein unidentifizierter ‚irisierender‘ Drache gesehen, wie er gewaltsam aus einem unterirdischen Labor auf dem Campus des MIT&T ….

Ich legte meine Stirn in nachdenkliche Falten und warf einen Blick auf die Uhr. Es war 16.19 Uhr, die Nachricht vom Hub Blogger war wenige Minuten alt.

Harlequin hielt im Vorlesen inne und sah mich fragend an. 

„Ich habe hier eine Schlagzeile, die mich neugierig macht, sollte sie wahr sein.“ Für einen Moment wollte ich Harlequin den Text zuschnippen, doch dann wurde mir bewusst, dass mein Liebster es mit Commlinks und AR nicht so hatte. Also öffnete ich die Nachricht nur in meinem PAN und erklärte, „Die Schlagworte ‚Drache‘, ‚Labor‘, ‚MIT&T‘ und ‚ausbrechen‘ haben mein Interesse geweckt. Die komplette Nachricht stammt von jemandem, der sich Hub Blogger nennt und aus Boston stammt.“

Harlequin grinste. „Hub Blogger und Boston, das ist naheliegend.“

„Stimmt. Wenn du magst, lese ich den Text laut vor.“

„Au ja!“, freute sich Harlequin, ohne zu wissen, worum es ging. 

Er lehnte sich zurück und streichelte meine baren Füße.

Ich las: „Kurz vor 19.00 Uhr wurde ein unidentifizierter ‚irisierender‘ Drache gesehen, wie er gewaltsam aus einem unterirdischen Labor auf dem Campus des MIT&T herausflog. Der Drache brach in der Nähe eines Laborgebäudes aus dem Boden und tauchte dann in den Innenhof ab. Von dort nahm der Drache fliegend Kurs Richtung Hub. Wenige Minuten später wurde ein Drache gleicher Erscheinung bei seinem vernichtenden Angriff auf die NeoNET-Türme im Hub gesichtet, was zu erheblichen strukturellen Schäden an Turm 4 führte. Augenzeugen behaupten, der Drache sei von einer unsichtbaren Kraft getroffen worden. Die Kraft reichte, um den Drachen direkt bis zum Fenway Park zu schleudern, wo dieser mitten in das grüne Monster15 während des Red-Sox-gegen-Tigers-Spiel crashte. Das Spiel wurde wegen ‚Drachenregen‘ unterbrochen. Ich denke, es wird auf einen späteren Zeitpunkt in der Saison verschoben werden. Es schien, als erholte sich der Drache schließlich von seinem betäubten Zustand, denn er flog wieder davon. Augenzeugen sagen, er wirkte zunächst verwirrt und floh dann nach Norden, noch einmal quer durch den Hub. Wobei er weniger gewalttätig gewesen sei. Berichte vermuten, dass er bis nach Salem flog. Außerhalb der Vorstadt der Hexen wurde er aber nicht gesichtet. Aus den Regionen seines Überflugs stammen Meldungen, nach denen der Drache einen ‚schillernden Regen‘ abgesondert hat. Obwohl Spaßvögel behaupten, es handle sich bei dem Stoff um Drachenurin, könnte von dem Phänomen eine erhebliche Gefahr ausgehen. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass dieser Drache kürzlich eine Laboreinrichtung zu ungeklärten Zwecken verlassen hat. Bleibt vom schillernden Regen fern! Bleibt am besten drinnen und passt auf euch auf!“

Ich sah Harlequin aufmerksam an.

„Drachenpipi ist normalerweise nicht irisierend!“, kommentierte er ungerührt.

Er schien weder besorgt noch extrem neugierig, aber immerhin so weit interessiert, dass er nicht das Thema wechselte. 

„Wollen wir mal im Trideo gucken, ob es Nachrichten zu Boston gibt?“, fragte ich.

„Wenn du magst, mag ich das auch.“ 

Ich mochte. Also gingen wir hinein.

❄️

Wir fanden sogar Berichte über den Vorfall. Die Nachrichten konzentrierten sich dabei selbstverständlich überwiegend auf die Schäden am Tower. Der Turm war so stark beschädigt, dass er einzustürzen drohte. Dort waren Leben in Gefahr. Augenzeugen berichten tatsächlich von einem Drachen. Allerdings gab es keine guten Bilder. Die Überwachungskameras in der Nähe gehörten alle zu NeoNET und die gaben offenbar nichts frei. Warum auch? Private Bilder vom Ausbruch des Drachen hatten es noch nicht bis in die Nachrichten geschafft. Was das MIT&T anging, hieß es nur, Knight Errant habe die Ermittlungen aufgenommen. Es gab nur ein einziges Video, das zeigte, wie etwas von Turm 4 weggeschleudert wurde. Eventuell war das ein Drache. Eventuell war er grün. Oder aber es war irgendetwas völlig anderes. Das Objekt flimmerte so stark, dass ich ehrlich gesagt nicht von alleine darauf gekommen wäre, dass es sich dabei um einen Drachen gehandelt hatte. Überraschender Weise gab es ebenfalls so gut wie keine Bilder von dem Baseballspiel in Fenway Park. Hierzu wurde ich nur nach einigem Suchen in diversen sozialen Netzwerken fündig. Da gab es unter entsprechenden Hashtags zumindest eine Handvoll Bilder, die die Stelle im Stadion zeigten, an der der Drache aufgeschlagen war. Außerdem wurde von dem irisierenden Regen berichtet. Der Hub Blogger schien also Recht zu haben. Viel kam jedoch auch von der Social-Network-Seite nicht durch. Ich entdeckte noch einige Beschwerden, da man die Besucher des Spiels aus Sicherheitsgründen wohl nicht aus dem Stadion ließ.

NeoNET und Drachen, da fiel mir natürlich sofort der Große Drache Celedyr ein. Doch der Boss des Konzerns würde wohl kaum aus einem unterirdischen Labor ausgebrochen sein. Schon gar nicht, ohne erkannt zu werden. Celedyr war auch nicht grün. Aber selbst wenn, niemand sperrte einfach so einen Großen Drachen in einem Labor ein. Ich kannte den aktuellen Loremaster der Drachen - denn diese Position hielt Celedyr aktuell inne - nicht persönlich. Ich kannte sowieso wenige Drachen persönlich. Dass ich überhaupt Drachen und sogar Großdrachen persönlich begegnet war, war eine Besonderheit. Eine Besonderheit, um die mich wohl kaum jemand beneidete. Ich jedoch war stolz darauf. Jedenfalls musste ich Celedyr nicht persönlich kennen, um zu wissen, dass er selbst nur schwer einzusperren war. Doch ich traute Celedyr zu, andere Nicht-Große-Drachen einzusperren. Warum er das tun sollte, stand dann in einer anderen geschützten Datei. Also hielt ich es für möglich, dass dort tatsächlich ein Drache ausgebrochen war. Der irisierende Regen konnte von irgendeiner Substanz gekommen oder ein magisches Phänomen gewesen sein.

Zusammengenommen fand ich, dass es sich hierbei nicht um Hirngespinste des Hub Bloggers handelte, sondern um etwas, was man im Blick behalten sollte. Kurzerhand setzte ich Sparky und Arcade darauf an. Die Zwillinge hatten Spaß daran, etwas für mich zu tun. Sie konnten den Hub Blogger und die News aus Boston für mich im Auge behalten. 

Nach einem kurzen Gespräch mit den beiden konnte ich mich wieder der Lesung von ‚Stolz und Vorurteil‘ widmen und mich den romantischen Irrungen und Wirrungen un-standesgemäßer Liebe hingeben. 

❄️

Mehr als zwei Stunden später kamen Harlequin und ich aus der Dusche. Wir hatten das Lesen für eine Runde Schwertkampftraining unterbrochen, wobei mir mein Liebster mal wieder meinen entzückenden, wohlgeformten, knackigen Hintern versohlt hatte. Vor dem gemeinsamen Abendessen mit den anderen hatten wir uns mit einer Dusche - sagen wir mal - erfrischt. Immerhin war es letztendlich auch erfrischend gewesen.

Vor dem Essen blieb mir noch etwas Zeit, um zu studieren, was SpArcade zusammengetragen hatten.

Wieder runzelte ich die Stirn. 

Offenbar hatte Knight Errant die Gebiete um MIT&T und Fenway Park abgeriegelt, um Schaulustige fernzuhalten. Etwas, was auf dem Universitätsgelände leicht umzusetzen gewesen war, in Fenway Park aber daran gescheitert war, das SOX-Fans versucht hatten, das Gelände zu stürmen, um die Einsturzstelle zu sehen und Souvenirs zu ergattern. 

Tower 4 würde NeoNET wohl früher oder später leider verlieren. Akut bestand kein Grund zur Sorge um die Metamenschen, da man mit Hilfe von Geistern und Magiern den Turm halten würde, bis das Gebäude evakuiert war. 

Ich war ziemlich sicher, dass sie bei der Evakuierung nicht nur lebendige Aktivposten rausholen würden.

Was mich stutzig machte, war das Fehlen von jeglichen Bildern und Informationen aus Fenway Park. Es war, als hätte jeder da drinnen das Bedürfnis verloren, sich zu äußern - und das, wo doch rege Nachfrage nach Material bestand. Ob der Matrixzugang gestört war? Aber zwei komplette Stunden lang? Die KE-Polizisten, die das Gelände absperrten, hüllten sich jedenfalls in Schweigen, und die besorgten Fragen Angehöriger an ihre Leute im Stadion blieben unbeantwortet. 

❄️

[Song 2: John Murphy/ 28 Weeks Later Soundtrack— 28 Theme3

06/04/2076, 22:04 EST: SQUATTERS GONE WILD

Die Aufregung in Boston geht weiter, weil Squatter in den und in der Nähe der abgesperrten Gebiete auf das Eindringen so vieler Beamter zu reagieren beginnen und die Bewohner in diesen Gebieten gewalttätig angegriffen haben. Unter den Angegriffenen befanden sich auch Knight-Errant-Polizisten, die daran arbeiten, die Sperrzonen durchzusetzen. Die Angriffe scheinen nicht provoziert und völlig ohne Grund stattzufinden. In einigen Fällen wurden die Opfer gebissen, gekratzt, geschlagen und getreten. Die Situation wird durch die Anzahl der Schaulustigen verschlimmert, die zum Hub gekommen sind, um den Drachen oder die Trümmer zu sehen, die er verursacht hat.

Die Verletzten wurden in eine Reihe lokaler Krankenhäuser gebracht, während die meisten Angreifer in örtliche Knight-Errant-Lockups oder in das McLean-Krankenhaus gebracht wurden. McLean ist ein psychiatrisches Krankenhaus westlich des Hub in Belmont, das ein kleines Krankenhaus für Traumapflege beinhaltet. Laut Quellen innerhalb von Knight Errant war keiner der Angriffe tödlich, aber zwei der gewalttätigen Täter wurden tödlich verletzt, als sie der Verhaftung Widerstand leisteten.

Aktionen während der Festnahmen haben KE veranlasst, zu prüfen, ob Drogenkonsum eine Rolle spielt und möglicherweise sogar ein Wiederaufleben von Tempo im Spiel ist. Die Rückkehr von Tempo bewiese hierbei ein bemerkenswert schlechtes Timing.

06/04/2076, 23:10 EST: KNIGHT ERRANT CORDONS AT MIT&T LAB AND FENWAY PARK HAVING TROUBLES

Ich bekomme langsam aber sicher immer mehr Berichte von meinen Kontakten auf der Straße rein. Die Kommunikation ist im Moment schlecht. Wahrscheinlich liegt das an dem, was durch diesem schillernden Regen in der Luft schwebt. Die schillernde Beschaffenheit hat sich verdünnt, hängt aber definitiv noch über der Stadt.

Nach meinen Quellen scheinen die Squatter sich zu konzentrieren und zu koordinieren. Sie greifen an bestimmten Stellen die Absperrungen an, vor allem auf der Südseite der Innenstadt und an den Brücken. Was zunächst wie zufällige Gewalttaten wirkte, beginnt ein Muster zu bilden. Ich bin mir nicht sicher, was das bedeutet, aber es ist eindeutig nichts Gutes.

Die letzte der beiden Meldungen war ganz frisch. Was bei allen Drachen der Sechsten Welt ging da in Boston ab? Aggressive Gruppen von Squattern zogen marodierend durch die Straßen und versuchten, die Absperrungen zu durchbrechen? Obwohl 'marodierend' wohl nicht der richtige Ausdruck war. Sie zerstörten nicht, sondern griffen nur wahllos Passanten an. Ich fand das alles äußerst merkwürdig.

Es konnte sicher nicht schaden, wenn ich mich ein paar Schritte von den anderen in unserer Runde am See zurückzog, um zwei Commcalls nach Boston zu machen.

❄️

Mein Freund und Fechtlehrer Tango hatte von all dem überhaupt noch nichts mitbekommen. Er versprach aber in jedem Fall, zu Hause zu bleiben und die Tür geschlossen zu halten. Jemand mit seinem außergewöhnlichen Aussehen konnte leicht in den Fokus eines wütenden MobS geraten.

Dave ging nicht ans Commlink. Etwas, was bei ihm nicht ungewöhnlich war, da er sowohl während der Arbeit als auch während magischer Studien sein Commlink einfach in den Ruhemodus versetzte und nur Notrufe annahm. Ein Notruf war dies nicht, also sprach ich ihm auf den AB. An einen Magier setzte man keinen Notruf ab, nur weil man sich Sorgen machte. Das war es nicht wert, ein Ritual oder eine Zeremonie zu versauen.

❄️❄️

Als Harlequin und ich nach Mitternacht zu Bett gingen, hatte sich die Lage in Boston immer noch nicht beruhigt. 

Im Gegenteil. 

Irgendetwas lief da gewaltig schief.

Inzwischen berichtete jeder Newsfeed über oder aus Boston. 

Besonders am MIT&T hatte sich die Lage verschlimmert und die Gewalt hatte weiter um sich gegriffen. KE hatte sich gezwungen gesehen, die Sperrzone auf einen großen Teil von Cambridge zu erweitern. Zudem wurden weitere Angriffe aus immer mehr Teilen der Bostoner Innenstadt gemeldet. Allen Bürgern wurde geraten, in ihren Häusern zu bleiben. Man betonte, dass es strafbar sei, Gegenmaßnahmen in die eigenen Hände zu nehmen. Die Bürger, die in den Sperrzonen lebten, durften ihre Häuser per Dekret nicht mehr verlassen. 

Wir hier am Lake Louise lagen zeitlich drei Stunden hinter Boston. Dort war es also mitten in der Nacht. Ich konnte und wollte davon ausgehen, dass all meine Freunde und Bekannten dort bereits zu Hause waren, sich verbarrikadiert hatten und in Sicherheit schliefen.

Krankenhäuser und KE-Lockups waren überfüllt, hieß es. 

Ich verfasste eine Nachricht an meinen geliebten Mentor Ehran, mit der Bitte, er möge sich bei mir melden, wenn er denn Zeit dazu hätte.

Sogar der Corporate Court befasste sich inzwischen mit dem Thema. Er hatte um 4.10 Uhr Bostoner Zeit eine Notfallsitzung einberufen, um die Lage zu besprechen. Dass Ares Macrotechnology, deren Tochterfirma Knight Errant Security Services und Lone Star und deren Tochter Lone Star Security Services, also stark konkurrierende Unternehmen, zusammenarbeiteten, hatte die Aufmerksamkeit des Konzerngerichtshof erregt. 

Das wunderte mich nun nicht.

❄️

Ich war froh, als mein Commlink wenige Minuten später klingelte und das Display als Anrufer die Nummer meines Mentors zeigte. Ich schaltete das Bild ein und nahm das Gespräch an.

«Mein Personal und ich befinden uns nicht mehr in der Gefahrenzone9», erklärte Ehran nach einer freundlichen Begrüßung, die er selbstverständlich nicht ausgelassen hatte.

«Das ist gut. Du hast sicher gehört, dass der Konzerngerichtshof tagt?»

«Selbstverständlich.»

«Wenn du dein Haus eh schon verlassen hast, hast du vielleicht die Möglichkeit, auch gleich die Stadt zu verlassen, Meister?», fragte ich nach und fügte erklärend hinzu: «Ich habe mich in den letzten Wochen im Legen von Tarotkarten geübt und ein negatives, weltbewegendes Ereignis vorausgesagt bekommen. Ich habe den Karten nicht sonderlich viel Bedeutung beigemessen, da ich keinen speziellen Link zur Vorhersage nutzte. Doch jetzt bekomme ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe ein ungutes Gefühl, was Boston angeht.»

Ehran lächelte warmherzig. «Tatsächlich habe ich bereits meine Abreise veranlasst. Hatte ich noch gezweifelt, ob das wirklich nötig sei, haben deine Worte die Zweifel beseitigt. Wir starten in wenigen Minuten.»

«Das beruhigt mich. Ich hoffe natürlich, dass die Abreise am Ende völlig umsonst ist.»

«Das hoffe ich auch sehr. Ein wenig Urlaub schadet nicht.»

❄️

Harlequin war ebenfalls erleichtert, das konnte ich ihm ansehen. Er zog mich an sich. „Sieht dem alten Schwätzer ähnlich, dass er sein ganzes Personal mitnimmt, um zu verreisen.“

Ich lachte leise. „Im Gegensatz zu dir hat er eben viel Gepäck.“ 

Harlequin hatte nicht gezeigt, dass er sich irgendwie um Ehran gesorgt hatte. Er hatte ihn während der Nachrichten nicht einmal erwähnt. Er war ja auch nicht so, dass Ehran sich nicht verteidigen konnte. Im Gegenteil. Aber wenn er und sein gesamter Stab nicht mehr in der Stadt weilten, schadete es nicht. 

Dave hatte sich immer noch nicht gemeldet, doch im Gegensatz zu meinem Mentor lebten weder Dave noch Tango nah an den am stärksten von den Aggressionen betroffenen Gebieten. 

Ich war zu weit weg, um selbst nach dem Rechten sehen zu können. Doch selbst wenn nicht, meine Neugier würde noch warten müssen. Auch für jemanden wie mich war es keine gute Idee, mitten in einen wütenden Mob zu springen, der auf meine Fragen sowieso nicht antworten würde.

Natürlich fragte ich mich, was es mit dem irisierenden Regen, dem Drachen und mit den wütenden Squattern auf sich hatte.

Harlequin las meine Gedanken. „Nichts Gutes, aber auch nichts, was nicht bis morgen warten kann.“

In den Armen meines Liebsten fand ich die Geborgenheit, um meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. 

❄️❄️

06/05/2076, 07:14 EST: DAYLIGHT BRINGS NO RELIEF

Der Morgen brachte nicht die von allen erhoffte Entspannung dieser dunklen Nacht. Tatsächlich scheint es schlimmer geworden zu sein. Gewalthandlungen finden überall im Hub und in der nahe gelegenen Region um Boston statt. Nachrichtenberichte fangen an, die Angriffe miteinander in Zusammenhang zu bringen. Knight Errant sowie lokale Regierungsbehörden haben begonnen, nach Terroristenzellen zu suchen, die möglicherweise mit TerraFirst! oder Warpath verbunden sind und möglicherweise hinter den Angriffen stehen.

Knight Errant konzentriert sich auf die nationale Absperrung, was den Nationalgarden und UCAS-Regierungstruppen erlaubt, sich auf die Terrorismusuntersuchung zu konzentrieren und eine Sperrung über einen großen Teil der NEMA (Northeast Metroplex Axis) aufrechtzuerhalten. UCAS-Bürger innerhalb von Boston sind dazu verpflichtet, in ihren Häusern zu bleiben. Exterritoriale Bürger werden gebeten, auf einem Grundstück eines Megakons zu bleiben.

Durch irgendein Wunder steht NeoNET Tower 4 noch. Ich bekomme sehr wenig überprüfbare Daten aus diesem Bereich, aber es scheint, als sei NeoNET sehr darum bemüht, den Turm zu halten. Die meisten nehmen an, man wolle verhindern, dass der einstürzende Turm einen der anderen Türme beschädigt. Aber ich kann mir nicht helfen - ich denke, dass es um etwas anderes geht. 

[Song 3: John Murphy/ 28 Weeks Later Soundtrack - Theme 33] Als ich erwachte, war die Meldung des Hub Bloggers knapp zwei Stunden alt. Ich scrollte die Nachrichten zurück.

06/05/2076, 05:12 EST: MASSIVE NATIONAL EMERGENCY DRILL EXERCISE ISOLATES SECTION OF BOSTON

Die Massachusetts National Guard hat eine nationale Notfallübung begonnen, um den Abschnitt der Northeast Metroplex Axis (NEMA) um Boston zu isolieren. Gardisten behaupten, dass die Aktion nur eine zufällige Standardübung ist, aber die Einwohner der Stadt, die die Nachrichten die Nacht über beobachtet haben, glauben das keine Sekunde lang. Reisen in und aus dem Gebiet wurden vollständig eingeschränkt, sogar einschließlich lokaler Short-Hop-VTOL-Flüge. Mindestens ein VTOL, das die Grenze überflog, wurde gelandet, nachdem die Grid Overwatch Division (GOD) des CC die Kontrolle übernommen hatte.

All meine Quellen - zumindest die, von denen ich noch etwas bekomme - setzen das Mosaik zusammen. 

Was soll ich sagen, es sieht ziemlich schlecht für uns aus.

Wie praktisch, dass die Nationalgarde zufällig gerade eine Übung dort abgehalten hatte und nun die ganze Region sperren konnte. Die NEMA umfasste ein riesiges Gebiet. Ich konnte es kaum glauben. Inzwischen war Boston in aller Munde. Jeder berichtete davon und alle wussten …nichts. 

Ich nahm abermals Verbindung mit SpArcade auf, dankte ihnen für ihre Arbeit und bat sie, wenn möglich noch ein bisschen weiter für mich am Ball zu bleiben. 

«Klaro ma…» « …chen wir doch …» «… gern, Cousine!», lautete ihre fröhliche Antwort. Inzwischen hatte ich mich so an die abwechselnde Sprechweise der Zwillinge gewöhnt, dass ich sie gerade via Matrix als eine Person wahrnahm. 

«Guck mal …», fügten sie hinzu, « … da breitet sich … » « …alles weiter aus … » « … und man hat … » « … dem ganzen einen … « … Namen gegeben!» Sie schickten mir die nächsten Nachrichten auf mein Commlink. «Was meinst du dazu?», fragten sie unisono und drückten damit ihre Neugier aus.

Ich überflog alles, was ich bekommen hatte. Sowohl die Anzahl an Gewalttaten als auch die von Gewalttätern war gestiegen. Inzwischen gab es Tote, doch deren genaue Zahl war nicht bekannt. Knight Errant hatte sich dazu gezwungen gesehen, den Kordon auch auf die exterritorialen Gebiete der Megakonzerne auszuweiten. Nun wurden alle Bürger, egal ob sie eine Konzern-ID besaßen oder Staatsbürger waren, gebeten, in ihren Häusern zu bleiben. Der Mob auf der Straße war außer Kontrolle. Es schien, als wollten sie einfach nur andere verletzen, unabhängig davon, wer ihnen da gegenüberstand. Die Bilder, überwiegend Commlink- oder Drohnenaufnahmen, glichen Filmen einer Zombieapokalypse, von denen es zu Beginn dieses Jahrtausends so viele gegeben hatte. Reisen oder Bewegung innerhalb der Stadt sollte nur noch im absoluten Notfall und dann nur über Sky-Taxis stattfinden, die sich von Dach zu Dach bewegten. Tower 4 stand übrigens immer noch. Medizinische Berichte über die ersten Angriffe waren ausgewertet worden und nun hatten die Ärzte dem Ganzen einen Namen gegeben: 

Die rasante Ausbreitung einer Enzephalitis-Epidemie.

Ich hob eine meiner zarten Augenbrauen und beantwortete die Frage der Zwillinge. «Ich meine dazu: Aha!» Dann lachte ich. «Die Geschichte ist unglaubwürdig. Ich bin kein ausgebildeter Mediziner, aber das, was ich über Gehirnentzündung weiß, macht die Kranken nicht zu kratzenden, spuckenden und wütenden Randalierern, die zielgerichtet Absperrungen überwinden. Eine Krankheit, die dann offenbar der ausgebrochene Drache mit seinen Absonderungen ausgelöst hat. Doch irgendwas müssen sie den Leuten erzählen. Auch, wenn sie selbst nicht wissen, was genau dahinter steckt - und davon gehe ich jetzt erst mal aus. Außerdem glaube ich, dass sich das nicht so schnell wieder erledigt haben wird, wie es begonnen hat. Für genauere Analysen sind die Zahlen, Bilder und Quellen noch zu unsicher.»

Mit dem Versprechen, noch mehr auszugraben, düsten die Cartoon-Icons der Zwillinge ab.

Harlequin und ich frühstückten erst mal in Ruhe. Hier bei uns war die Sonne gerade erst vor etwas mehr als einer halben Stunde aufgegangen.

❄️❄️

06/05/2076, 14:54 EST: HOSPITALS AND CLINICS FILLED TO CAPACITY WITH UNEXPLAINED ILLNESSES

Medizinische Einrichtungen rund um den Hub und in den umliegenden Gegenden, vor allem jene, die vom ‚irisierenden Regen‘ des Drachens in der vergangenen Nacht betroffen waren, werden von Personen überrannt, die über schwere Kopfschmerzen, verschwommenes Sehen und Krampfanfälle klagen. Die meisten Patienten werden abgewiesen oder in nahe gelegenen provisorische Einrichtungen gebracht. Die provisorischen Einrichtungen, die in der Regel für regionale Notfälle vorgesehen sind, umfassen Area-Highschools und Lagerhäuser in der Nähe der Krankenhäuser. Medizinisches Personal wird hin und her geschoben, um den Anforderungen in allen Einrichtungen gerecht zu werden. Sieht schon mehr nach Fällen einer Enzephalitis-Epidemie aus.

Doc Wagon und CrashCart arbeiten derzeit mit maximaler Kapazität, um Kunden abzuholen und auf Notrufe zu reagieren, und offizielle Vertreter haben gesagt, dass alle Mitarbeiter von Doc Wagon einberufen wurden, um die wachsende Anzahl an Notfällen zu bewältigen.

Das alles hatte mir keine Ruhe mehr gelassen. Von meine Neugier mal ganz abgesehen waren zwei meiner besten Freunde in Boston. Ja, Tango und Dave gehörten nicht zu den Hilflosen, aber auch nicht zu denen, die sich ganz alleine irgendwo durchschlagen konnten. In solchen Epidemiesituationen konnte jemand mit dem echsenhaften Aussehen von Tango schnell mal zum Buhmann gemacht werden. Schuppen waren nun mal Schuppen, und die Gesunden konnte schnell befürchten, dass alle Schuppigen für die Verbreitung der wie auch immer gearteten Krankheit verantwortlich waren. Dave würde zwischen dem Wunsch, zu helfen, und seinem Bedürfnis, sich irgendwo vor der Gewalt zu verstecken, hin- und hergerissen sein. Obwohl er ein Magier war, schrieb Dave das Wort Selbstbewusstsein lieber klein und verfiel ohne richtige Leitung schon mal in Angst und Panik. 

Was da in Boston abging, sah nach nichts aus, was morgen schon wieder vorbei sein würde.

Also hatte ich mich nach Rücksprache mit meinem Liebsten nacheinander mit Rainwalker und Ryan getroffen, ihnen die Lage in Boston verdeutlicht und meine Absichten erklärt, auch, wenn diese meine Trainingspläne über den Haufen warfen. Das Gespräch mit Ryan war mehr pro forma gewesen, aber ich war doch erleichtert, als der Drache Rainwalker bestätigte, dass meine Abreise zwar schade, aber kein Problem sei. 

Also hatten Harlequin und ich gepackt. Etwas, was bei Harlequin stets nur wenige Minuten dauerte. Er reiste gern mit leichtem Gepäck.

Die letzten Neuigkeiten aus Boston hatten offenbart, wie groß das Problem wirklich war. Das war nichts für mich allein, das war etwas für mich und meine Leute. Also startete ich einen Rundruf an all meine Howling Shadows und bezog auch die UCler mit ein.

[Song 4: Zayde Wolf - Build For This Time3] Ich bat alle, innerhalb von vier Stunden zum Compound zu kommen, so es ihnen denn möglich war. Alle anderen sollten sich um 16.15 Uhr PST bereithalten, um sich via Matrix dazuschalten zu lassen.

❄️❄️

Unser Briefing Room im HQ war gut gefüllt, denn alle waren meinem Ruf gefolgt und hatten sich auf dem Compound versammelt. Und mit 'alle' meine ich jeden UCler und Howling Shadow. Die einzige Ausnahme stellte TriXhot dar, die anderweitig zu tun hatte und unabkömmlich war.

Den Raum mit all den Männern und Frauen zu betreten, erfüllte mich mit Stolz. 

Mein Team, mein UC, meine Howling Shadows! 

Harlequin setzte sich neben Fierce und zwinkerte ihr zu, als ich nach vorne trat, um zu berichten. Er wurde augenblicklich still und alle sahen mich aufmerksam an.

„Erstmal danke, dass ihr alle so schnell erschienen seid“, begann ich. „Es geht um Boston. Einige haben sicher schon gehört, dass etwas und vielleicht sogar was dort derzeit los ist.“ Ich schnippte eine Zusammenfassung ins Teamnetzwerk und auf den großen Bildschirm. „Hier könnt ihr die Details noch mal nachlesen, soweit sie mir bekannt sind.“ Ich hatte selbstverständlich nur die Fakten zusammengestellt und meine bisherigen Spekulationen ausgelassen. „Vor knapp drei Stunden hat man ein GridLock aktiviert, das heißt, sämtliche Autos wurden geparkt und das Verkehrssystem abgeschaltet. Das einzige, was jetzt noch auf den Straßen unterwegs ist, sind Krankenwagen und Polizei. Die leeren Autobahnen dürften mittlerweile schon zu Spielflächen von GoGangs geworden sein. In der Zusammenstellung werdet ihr auch immer wieder einige Nachrichten eines gewissen Hub Bloggers finden. Wir konnten ihn inzwischen als relativ zuverlässige Quelle ausmachen. Vor weniger als zwei Stunden meldete er, dass Boston nun endgültig ‚berserk‘ gegangen sei. Die Gewalt auf den Straßen ist offenbar nochmals eskaliert, Metamenschen würden nun wahllos andere Metamenschen angreifen. So wenig Tote gibt es offenbar nur, weil bereits Verletzte nicht weiter angegriffen werden.“

So einige aus unserer Runde nahmen diese Information mit gehobenen Augenbrauen auf. 

Ich fuhr fort. „Zudem häufen sich die Berichte, dass die Betroffenen in den Krankenhäusern selbst aggressiv werden und sich gegen Verwandte, Ärzte und Pflegepersonal richten. Der Hub Blogger bat darum, ihn rauszuholen, und genau darum geht es mir. Ich habe Freunde in Boston und möchte sie rausholen oder zumindest nach ihnen sehen und sie in Sicherheit bringen. Darum habe ich euch zusammengerufen. Ich möchte fragen, wer von euch bereit ist, mir zu helfen, eine Rettungsmission zu planen und dabei mitzuwirken?“

Ausnahmslos alle Anwesenden meldeten sich.  

Harlequin grinste.

Wäre ich nicht so Herr meiner selbst, wären meine Augen jetzt feucht geworden, denn ich war tatsächlich gerührt.

❄️

Zunächst einmal hatte ich ein AR-Fenster geöffnet und eine Liste erstellt, um die Namen derer zu sammeln, nach denen wir sehen wollten. Als Erstes hatte ich Tango und Dave darauf gesetzt.

„Lasst uns versuchen, den Hub Blogger zu finden“, schlug Fang vor.

„Eine ganz hervorragende Idee!“, fand Foggy. „Wir könnten dort gleich die dritte Staffel SatHS drehen und den Hype um die Serie nutzen.“

AveRAGE war begeistert. So sehr, dass ich seine Freude förmlich riechen konnten. „Ja, das ist cool. SatHS in Gefahr! Oder so was.“ 

Ich schmunzelte. „Ich finde dort zu drehen auch eine großartige Idee und mag die Vorstellung, dass Staffel drei damit völlig anders wird als die beiden Staffeln davor. Lasst uns besprechen, was wir bisher wissen. Die Nachrichten sollten wir weiter beobachten …“

Kaum ausgesprochen erwachten diverse Bildschirme zum Leben, auf denen die verschiedensten News-Trids liefen. Ein kurzer Blick genügte, um zu sehen, dass die Gewalt tatsächlich immer weiter eskalierte. Selbstverständlich waren keine Übertragungswagen zugelassen. Die News bedienten sich diverser privater Aufnahmen. Der Hub Blogger schien weiter unsere verlässlichste Quelle zu sein, doch er betonte immer wieder, dass er bereits Filter-Software nutzen musste, um sich überhaupt noch ins Grid einloggen zu können. 

„…um mit aktuellen Informationen eine grobe Strategie zu entwerfen“, schloss ich meinen Satz. „Zu früh in diesen Kessel zu springen, hilft niemanden.“

Doc nickte. „Das sehe ich auch so. Wir müssen abwarten, wie es sich entwickelt. Im Moment sind Flüge in die Stadt nicht möglich. Wir müssen uns also um einen Transport kümmern, doch dazu muss die Lage vor Ort klar sein.“

Fierce wirkte ein wenig nervös. „Kann das denn jetzt eine Krankheit sein, die die Metamenschen so aggro macht? Also wirklich die Enzephadingsbums?“

Mash wollte gerade eine kurze Abhandlung über die Gehirnentzündung halten, als SpArcade uns mit großem Getöse auf BREAKING NEWS aufmerksam machten.

08/16/2075, 19:35 EST: CORPORATE COURT CALLS EMERGENCY MEETING, AGAIN!

Hmm? Was immer da los war, sie bekamen es nicht in den Griff. Der Corporate Court sah sich gezwungen, weitere Schritte einzuleiten. Nichts in Boston würde sich innerhalb von Stunden klären. Wir konnten langfristig planen.

Mash bestätigte, was ich vermutet hat. Ja, Enzephalitis befiel das Gehirn und konnte in Einzelfällen auch zu verändertem Verhalten führen, aber im Großen und Ganzen bekam man eben ‚nur’ Kopfschmerzen, Fieber und Krampfanfälle.

Natürlich lag die Vermutung nahe, dass es sich tatsächlich um irgendeine Krankheit handelte, denn laut dem, was wir gehört und gesehen hatten, veränderten sich die Personen, nachdem sie von Squattern und anderen gebissen oder gekratzt worden waren. Höchstwahrscheinlich grassierte dort ein mutierter Virus, der über, auf oder mit einem Drachen aus einem Labor ausgebrochen war. Mash hielt es sehr wohl für möglich, dass ein Virus dazu in der Lage sei, das Verhalten eines jeden Wesens komplett zu verändern. Wie sollte er auch nicht. Immerhin hatte ein magischer Virus seine eigene DNA auf den Kopf gestellt.

Die Aussicht darauf, in Boston einer merkwürdigen, vielleicht nicht heilbaren Krankheit ausgesetzt zu sein, löste unterschiedliche Gefühle bei meinen Freunden und Kollegen aus. Fast alle von ihnen verspürten die unterschwellige Sorge, sie könnten krank werden. Ich vermutete mal, der eine oder andere hatte dabei mehr Angst, andere anzustecken, während wieder andere eher um sich selbst fürchteten. Natürlich vertrauten alle auf die magischen und medizinischen Fähigkeiten von Mash. Fang hatte trotz aller schlechten Nachrichten weiterhin immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, blieb aber im angemessenen Rahmen, den die Gefahr ihm setzte. Fang gehörte zu denen, die sich eindeutig mehr um die anderen aus dem Team Sorgen machten als um sich selbst. 

Edens Körpersprache verriet, dass die Lage in Boston ihr zielgerichtete Sorgen bereitete. Sie checkte immer wieder die Karte, auf der die uns bekannten Ereignisse eingetragen waren und wurden. Vielleicht gab es in Boston jemanden, den sie noch auf die Liste setzen würde. 

Der Gedanken an einen Virus, gepaart mit den Bildern aus Boston, nein, so wollte keiner enden.

Fierce riss sich zusammen, unterdrückte ihre eigenen Ängste und stupste Harlequin an. „Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, Snowcat ist immer so zart, aber ihr passiert schon nichts. Und selbst wenn, der Oheim ist ein guter Arzt und Mash ist auch ein fantastischer Teamarzt.“

Harlequin grinste. „Ich mach mir keine Sorgen!“

Genau so, wie er es sagte, meinte er es auch. Nachdem sich herauskristallisiert hatte, dass eine Krankheit für das in Boston verantwortlich war, hatte Harlequin sich sichtlich entspannt. Verschwunden war sein Hochinteresse, es war durch eine leichte Neugier ersetzt worden.

Offenbar zählte mein Liebster noch mehr als ich darauf, dass ich mich nicht anstecken würde.

Ja, ich setzte ebenfalls darauf. Ich konnte mich nicht erinnern, in meinem Leben sonderlich oft krank gewesen zu sein. Tatsächlich fiel mir weder eine Erkältung, noch eine der üblichen Kinderkrankheiten ein, die ich jemals gehabt hatte. Natürlich besaß ich generell nicht viele Erinnerungen an meine Kindheit, also konnte es auch sein, dass ich mich einfach nicht mehr daran erinnerte, krank gewesen zu sein. Obwohl … jetzt, wo ich darüber nachdachte, war es, als wüsste ich, niemals krank gewesen zu sein. Ich war fast verhungert, dehydriert oder erfroren, aber ich hatte niemals auch nur einen Schnupfen gehabt.

Fierce freute sich. „Na, dann macht sich schon mal einer keine Sorgen. Das ist ein Anfang!“ Dann hörte sie Mash aufmerksam zu, der etwas über die generellen Richtlinien beim Schutz vor ansteckenden Krankheiten erzählte.

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06/05/2076, 22:18 EST: CORPORATE COURT AND UCAS GOVERNMENT DECLARE QUARANTINE AROUND BOSTON IN THE NEMA

Die Nachricht schlug UCASweit wie eine Bombe ein.

Natürlich dachten wir hier in unserem Briefing Room alle sofort an das, was aus Chicago geworden war. Augenblicklich war uns klar, dass wir nicht alle nach Boston gehen können würden. Wir würden einen Außenposten brauchen, der das Einsatzteam gegebenenfalls auf der Luft versorgen konnte. Kommunikation konnte zu einem Problem werden. Da Millionen Metamenschen eingesperrt waren, würde die Aussicht auf knapper werdende Ressourcen die Lage in Boston sicher nicht verbessern.

Welcher Virus da auch immer wirklich ausgebrochen war, es machte dem Corporate Court und der Regierung so viel Angst, dass sie schlechte Presse und mehr riskierten, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. 

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Wir verlegten das Briefing kurzerhand in die Messe, aßen, schwatzten und behielten die Nachrichten im Auge. Dabei machten wir uns immer wieder Notizen. Wir passten unsere Vorbereitungen den Informationen aus den Nachrichten an. 

Selbstverständlich wusste ich, wussten wir, dass das Ausrufen einer Quarantänezone weitere Folgen nach sich ziehen würde. Man würde Boston isolieren, denn es war nicht leicht, Krankheiten irgendwo einzusperren. 

Bubbles war ganz still geworden. Sorgenfalten zerfurchten ihr Gesicht, Angst machte sich in ihr breit. Liam und SpArcade saßen bei ihr, noch bevor ich mich in die Richtung des jungen Mädchens aufgemacht hatte. Sie erwiderte mein Lächeln nur zaghaft, als ich mich zu der Gruppe gesellte. „Du musst keine Angst haben!“, erklärte ich, überzeugt von dem, was ich sagte. „Du wirst nicht zu denen gehören, die mit nach Boston in die Zone gehen!“, legte ich fest. 

Ich sah, wie sich zahlreiche Emotionen auf dem Gesicht der jungen, sonst so fröhlichen Frau abzeichneten. Da war Erleichterung, aber auch Widerstand gegen meine Anweisung. 

„Warte bitte, bevor du dich beschwerst“, fügte ich milde hinzu. „Ich weiß, du gehörst zu SatHS und somit zu denen, die eigentlich im Trideo zu sehen sind. Aber ich möchte, dass du zum Außenteam gehörst. Deine Kenntnisse sind wichtig für das Außenteam. Du bist diejenige, die Lücken in der Absperrung erkennen kann. Dabei brauchst du Zugang zu allen Ressourcen, damit du später sicherstellen kannst, dass wir wieder raus kommen. Natürlich kannst du dich anders entscheiden, aber ich hätte dich gerne im Außenteam.“

Liam nickte kaum merklich.

In das Gesicht der jungen Frau kehrte Farbe zurück. „Gut, das mache ich. Und wer hilft euch drinnen, mit dem zurechtzukommen, und baut, was ihr dringend zum Überleben braucht?“, fragte sie ernsthaft. 

Liam sah Bubbles an. „Das mache ich!“, versprach er.  

Ich hatte darauf gehofft, freute mich natürlich dennoch sehr, dass Liam uns erneut begleiten würde.

„SpArcade und du sorgen dafür, dass die Technik im Außenposten läuft.“ Mit diesen Worten hatte Liam festgelegt, dass die Zwillinge ebenfalls draußen bleiben würden. Bis zu Liams Anweisung hatten sie noch nicht gewusst, wo sie sein wollten. Die Aussicht, mit Bubbles zusammenzuarbeiten und das Technik-Kommando zu haben, erfreute sie nun. 

06/05/2076, 23:59 EST: BOSTON QUARANTINE

Und da ist es! Lockdown! Die Stadt Boston und ihre umliegenden Stadtteile, Städte, Dörfer und Bezirke werden um Mitternacht offiziell vom Rest der Welt getrennt. Zuerst ist unser Zugang zum Public Grid abgeschnitten worden, dann wurden Reisen limitiert und jetzt werden wir offiziell mit dem uns selbst überlassen, was auch immer den Wahnsinn über die Leute hier in Beantown gebracht hat.

Offizielle Ankündigungen sagen, dass die Quarantäne auf Grund eines ‚virulenten Stamms von Enzephalitis‘ ausgerufen wird. Die Offiziellen geben an, dass die Schwellung des Gehirns zur Produktion von Hormonen zusammen mit der Abnahme an Funktionen in höheren Regionen des Gehirns führt, was in einem deutlichen Anstieg von Wut und Aggression, einer Abnahme der Schmerzgrenze und einem konstanten, tief liegenden Hungergefühl resultiert.

Die Ankündigung gab nicht an, wie lange die Quarantäne in Kraft bleiben wird, aber sie erwähnte, dass die Versorgungsabwürfe um Mitternacht beginnen würden und die Bürger sich mit ihren Community-Leadern abstimmen sollten, um mit ihnen an der Versorgungsverteilung zu arbeiten und den Anweisungen und Zeitplänen zu folgen, um Panikessen und Hamstern zu vermeiden. 

Weißt du, was ich dazu sage?

Wer zum Teufel ist mein Community-Führer? Wie soll ich zu irgendwelchen Vorräten kommen, die zu all den verrückten Leuten auf die Straße fallen? Wie lange erwarten sie, dass wir hier sind, wenn sie innerhalb von Stunden nach Beginn einer Quarantäne Versorgungsengpässe einplanen?

Ist jemand da draußen? Wann wird der Wahnsinn enden?

Zumindest kann jeder loyale Bostoner mit Hub-Grid-Zugang meinen Blog genießen. Mitternacht ist inzwischen vorbei. Genau zur Geisterstunde erhalten wir also unsere Abkapslung von der Gesellschaft. Es fühlt sich nicht viel anders als vor einer Minute an, aber wenn ich auf meine Posts zurückschaue, habe ich das Gefühl, dass wir seit dem frühen Morgen genau darauf hinarbeiteten.

Die wenigen Berichte, die ich noch erhalte, deuten darauf hin, dass sich die Konzernkräfte an Stützpunkten und wertvollen Orten konsolidieren, während sie den Rest der Stadt den verrückten Massen überlassen.

Ich bin nicht überrascht, aber als Außenstehender habe ich immer gedacht, dass die Konzerne uns als Vermögenswerte und nicht als irgendwelche Leute sehen. Doch für sie ist jetzt die Zeit, die Verluste zu reduzieren und ihre realen Vermögenswerte zu schützen - ihre Produkte und Einrichtungen.

Ich habe akzeptiert, dass es unwahrscheinlich ist, dass ich aus meinem Turm gerettet werde. Ich habe etwas zu essen und fand die vergoldete Predator II, die sich mein Vater während seiner Zeit als Söldner in den Desert Wars verdiente. Sie sieht lächerlich aus, aber sie feuert (Vater musste es einfach ausprobieren). Ich werde hier oben sein und mich verstecken, falls irgendjemand eine Pizza oder irgendwelche zusätzlichen Vorräte aus den Versorgungsabwürfen vorbeibringen will, die ich jetzt schon zu Boden fallen sehen kann.

Was für ein Witz!

Ich hatte den jüngsten Post des Hub Bloggers laut vorgelesen. Sparky & Arcade hatten den neuesten Blogeintrag zwar nicht mehr gefunden, aber Bull war irgendwie noch dran gekommen. Der JackPoint gab alles, um möglichst viel über die ganze Sache in Boston in Erfahrung zu bringen.

„Können wir ihm schreiben, dass er durchhalten soll und wir kommen?“, fragte Fang, als ein paar Sekunden des nachdenklichen Schweigens vergangen waren.

Ich schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich nicht, aber er steht ja schon auf unserer Liste.“

Ein wenig Zorn machte sich unter meinen Howling Shadows und UClern breit. Wir alle waren in Chicago gewesen und wussten, wie wenig sich Regierung und Konzerne um die Metamenschen geschert hatten. Das schien schon wieder genauso zu sein.

„Na, zumindest wissen wir jetzt, wie wir reinkommen“, erklärte Liam mit einer Menge Entschlossenheit in der Stimme. „Wir lassen uns mit den Supplies abwerfen.“

Eine ganz hervorragender Einfall, an dem wir sogleich arbeiten konnten. Doch von meinem genialen Baumeister hatte ich auch nichts anderes erwartet.

Wir wollten nicht mehr Zeit verlieren als nötig, aber wir würden auch nicht hetzen, denn das nutzte niemandem.

„Ich werde mich über die Gesetzeslage unter Quarantänebedingungen schlau machen und entsprechende Formulare auf mein Commlink laden“, teile Foggy mir mit.

„Du kommst mit rein?“, fragte ich lächelnd.

Foggy nickte. „Selbstverständlich. Wenn es einen Zeitpunkt gibt, an dem ein Anwalt erforderlich ist, dann diesen.“

Irgendwie sagte er das immer.  

❄️❄️

Die nächsten Tage verbrachten wir mit Vorbereitungen und Lernen. 

Selbstverständlich war jeder von uns dazu in der Lage, sich in einer urbanen Quarantänezone zu bewegen. Doch in ein paar Dingen war Boston eben ganz speziell und es war zwingend notwendig, die anderen darauf vorzubereiten. So würden Mash und ich eine Boston-Klasse abhalten.

Abgesehen davon wollte ich eine frisch am See gelernte Kampftechnik verinnerlichen und noch den einen oder anderen nützlichen Zauber lernen.

Energie und Kommunikation würden in Boston schnell ein Problem darstellen. Doch es gab Zauber, die uns dabei helfen konnten, also gab es da etwas beizubringen oder eben zu lernen, je nachdem, auf welcher Seite man sich von Fall zu Fall befand.

Zunächst einmal hatten wir die Teams festgelegt. 

Nicht jeder, der nach Boston gehen würde, war ein Howling Shadow und nicht jeder Howling Shadow würde mit in die NEMA gehen. Doch das passte uns auch für die Dreharbeiten ganz gut in den Kram. Wir würden schließlich nicht zugeben, nach dem Lockdown nach Boston gekommen zu sein. Stattdessen würden wir so tun, als seien einige von uns zufällig gerade in Boston gewesen. 

Zusammen mit mir würden AveRAGE, Columbo, Doc, Eden, Fang, Fierce, Foggy, Liam, Mash, Mr. Tea, Shark Finn, Sinister und Tiernan in die NEMA gehen. 

Alle anderen würden außerhalb der Quarantänezone Position beziehen und dort einen Außenposten aufbauen. Von dort konnten sie uns hoffentlich versorgen, wenn wir etwas brauchten und eine Ablenkung starten, falls wir jemanden oder etwas über die Grenze bringen wollen würden.

Letzteres würde gar nicht mal so einfach werden. 

Man sicherte die Zone bereits auf Teufel-komm-nicht-raus und hatte noch in der Nacht der Verkündung begonnen, eine Mauer hochzuziehen. Geister patrouillierten, Boote lagen im Hafen, sogar U-Boote sollten zugegen sein - und nach dem, was wir gehört hatten, war das Netz ziemlich engmaschig. 

Wir wussten also noch nicht einmal, wann und wie es uns gelingen würde, gedrehtes Material rauszuschmuggeln, von Personen einmal ganz zu schweigen. 

Ich war sicher, wir würden einen Weg finden. Egal wie hoch sie die Mauern bauten.

Einen Weg, um mit dem Außenteam zu kommunizieren, besaßen wir ja schon mal. Ich würde den Ort des Außenlagers kennenlernen, und so würde ich einen Geist beschwören, binden und durch ihn eine Nachricht an das andere Team überbringen lassen können. Ein solcher Geist konnte über den Astralraum beziehungsweise seine Heimatebene abkürzen und würde so nicht aufzuhalten sein. Da ein Geist sich nicht anstecken konnte, würde diese Form von Kommunikation auch niemanden wirklich kratzen. Dank meines ungeheuren Charmes standen meine Chancen gut, einen Geist davon zu überzeugen, in den Ferndienst auch eine Antwort vom Außenteam an uns mit einzubeziehen

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Harlequin bliebt die Tage auf dem Compound bei mir. In Boston würde ich jedoch für eine unbestimmte Zeit ohne ihn auskommen müssen. Ein Grund mehr, jede Möglichkeit für Zweisamkeit zu nutzen, die ich freischaufeln konnte. Praktischerweise brauchte ich dank der mir innewohnenden Magie nicht sonderlich viel Schlaf.

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Da wir uns in Runnerkreisen nach Informationen aus Boston umhörten und im JackPoint Interesse gezeigt hatten, zählten Insider zwei und zwei zusammen. Es dauerte nicht lange, da meldete sich der JackPointer /dev/grrl bei mir. Sie wollte unbedingt, dass wir sie mit nach Boston nahmen, da ihre Eltern dort lebten und sie verständlicherweise nach ihnen sehen wollte. /dev/grrl war eine begnadete Deckerin, die von der Legende Pistons ausgebildet worden war oder immer noch wurde. Somit wäre sie in Boston wahrscheinlich eine Hilfe und in keinem Fall nutzlos gewesen. Doch der gefürchtete Pirat Kane, ebenfalls eine Straßenlegende, hatte bereits gedroht, jeden, der auch nur darüber nachdachte, /dev/grrl nach Boston zu bringen, persönlich bis ans Ende der Welt zu jagen. Selbstverständlich machte mir das keine Angst. Ich war mir sogar sicher, ihn vom Gegenteil überzeugen zu können, und zwar von jedem Gegenteil, das ich wollte. Doch ich respektierte, dass er das Mädchen unter seinen Schutz gestellt hatte. Auch, wenn wir es wirklich richtig drauf hatten, ich konnte nicht garantieren, dass /dev/grrl nichts passierte, und schon gar nicht, dass sie sich nicht ansteckte. Würde ich in ein paar Wochen ohne sie aus Boston zurückkehren müssen, würde ich mir das nicht verzeihen. Also versprach ich /dev/grrl stattdessen, nach ihren Eltern zu sehen - und setzte deren Namen kurzerhand auf die Liste.

Diese sah inzwischen übrigens wie folgt aus:

• Tango, Prospect Hill

• Dave, Chelsea 

• Professor Popow, MIT&T, Privatadresse unbekannt

• Hub Blogger, 1 Boston Place on the 64th floor, condo 6414

• Miri & Chris von Boston Massaker, Aufenthaltsort unbekannt (Wunsch von Bloody Guts)

• Edens Freundin Dana, arbeitet am MIT&T, lebt in Salem

• /dev/grrls Eltern, NeoNET Tower

Die Liste konnte sich sehen lassen. Einige Orte würden schwerer zu erreichen sein als andere, wie zum Beispiel der NeoNET Tower.

❄️❄️

[Song 5: Dropkick Murphys - I’m Shipping Up To Boston3] Die North-Eastern Metroplex Axis war groß und umfasste Boston, Salem und Cambridge sowie einige Wildlands der Umgebung. Wie gesagt, dieser Enzephalitis-Virus schien denen da oben eine Menge Angst zu machen. 

Auch, wenn die Fakten über Boston den Virus wahrscheinlich nicht sonderlich interessierten, würden wir es mit genau jenen Fakten zu tun bekommen und mussten auch diesbezüglich vorbereitet sein.

Geschichtlich hatte Boston so einiges durchgemacht. Ich könnte tagelang darüber dozieren, ohne einen Fakt doppelt zu nennen. Doch ich beschränkte mich auf das Wesentliche.

Boston bezeichnet sich stolz als Wiege der Amerikanischen Unabhängigkeit, da hier mit dem Boston Massaker 1770 und der Boston Tea Party 1773 zwei Ereignisse stattfanden, die zu den Initialzündungen für den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg wurden. 

Die nächsten zweieinhalb Jahrhunderte übersprang ich hier und machte weiter mit dem 8. Februar 2039, als der St. Patrick's Day zum ‚Blutigen Donnerstag‘ wurde. Die anti-elfischen Terroristen der Knights of the Red Branch zündeten eine Bombe in einem bei Elfen beliebtem Restaurant entlang der Marschroute der Parade. Zahlreiche Menschen und Metamenschen wurden dabei getötet und die folgenden stadtweiten Unruhen forderten zahllose weitere Opfer.

2053 verlor ein Tanker von United Oil im Hafen von Boston eine gewaltige Menge Chemikalien, was zur Entstehung einer toxischen Zone mit mutierter Flora und Fauna führte, die man dem Bostoner Hafen auch heute noch ansieht. 23 Jahre sind einfach zu wenig Zeit für ein Biotop, sich zu erholen.

Während des zweiten Crashs 2064 ging in Boston eine der in einem Werbezeppelin versteckten EMP-Bomben von Winternight hoch. Wieder wurden in der Stadt verheerende Schäden angerichtet, die trotz massivster Investitionen Richard Villiers in seine Heimatstadt auch 2070 noch spürbar sind.

Jetzt der Boston Lockdown, wegen eines ausgebrochenen, mutierten Virus'. Irgendwie schien es, als habe diese eigentlich so beschauliche Stadt jede Menge mieses Karma angesammelt.

Betrachtet man die Gesellschaft und das soziale Gefüge in Boston, so ist es zuallererst wichtig zu wissen, dass Elfen in Boston einen schweren Stand haben. Das gilt besonders für jene Elfen, die Sperethiel sprechen, den falschen Akzent haben, überheblich auftreten oder spitze Ohren besitzen. Also eigentlich für alle. In Boston leben viele irischstämmige Metamenschen, und die zahlreichen Menschen unter ihnen verzeihen den Elfen nicht, dass sie ihre Heimat zu Tír na nÔg gemacht haben. Die Elfen aus Irland hatten sich das Land unter den Nagel gerissen und behauptet, es sei ihnen bestimmt gewesen. Etwas, was man eben durchaus übelnehmen kann, wie ich fand. Selbstverständlich sind die Elfen, denen man in Boston begegnet, nur in den seltensten Fällen für diese Insel-Aneignung verantwortlich. 

Doch wann hatten Tatsachen jemals vor Vorurteilen und Rassismus geschützt?

Nur Elfen, die direkt aus Boston kommen, haben es besser. Was uns zu einer weiteren Besonderheit von Boston brachte. 

Zwei Gangs, Nachbarn oder Clans mögen sich bekriegen, doch das wird in Boston alles hinfällig, wenn einer von außerhalb dazu kommt. Dann proklamieren sie den Schulterschluss, stellen sich zusammen gegen den Eindringling und nehmen erst ‚danach’ ihren Kampf miteinander genau an der Stelle wieder auf, an der sie ihn wegen des Fremden unterbrochen haben.

Demnach sind Bostoner vollen Argwohn gegenüber allem, was nicht aus Boston kommt. Selbstverständlich waren diese Aussagen über Boston auch pauschalisiert. Schließlich gibt es überall solche und solche. 

Ich frischte jedenfalls schon mal meinen Bostoner Akzent auf. Immerhin hatte ich dort zwei Jahre gelebt, da war einiges hängen geblieben.

Dieses Bostoner Gemeinschaftsgefühl schlägt sich im Fanatismus nieder, den man dort für seine Sportvereine empfindet. Ob American Football, Baseball oder Urban Brawl, die Metamenschen sind ganz verrückt nach ihren Sportteams. 

Schon allein darum wird sie der Absturz des Drachen mitten in ein Spiel der Boston Red Sox hart treffen. 

An Z-Zonen findet man in Boston die unterirdisch liegenden Catacombs, wo man alles kaufen, aber auch alles finden kann, und die man nicht ohne Führer betreten sollte. Außerdem ist da noch die Rox, die man im Großen und Ganzen mit den Redmond und Puyallup Barrens in Seattle vergleichen kann.

Die Route 128 führt durch Boston, doch wer hier von Interstate spricht, ist schon unten durch, denn er hat sich soeben als Outsider geoutet. In Boston kennt man die Straße einfach nur unter „The Corridor“!

Die Skyline von Boston wird in der Innenstadt, dem sogenannten Hub - was nichts weniger als den Mittelpunkt der Welt bedeuten soll, was dann auch gleich mal von der Verliebtheit der Bostoner in ihre Stadt zeugt -  von den fünf NeoNET-Türmen beherrscht. Genau einer dieser Türme im Nabel der Stadt war von dem irisierenden Drachen attackiert worden. 

Übrigens hatte NeoNET in den letzten Wochen und Monaten Kernprojekte aus aller Welt in eine Einheit unter Tower 4 umgeleitet. Da war also eine große Sache im Gange gewesen. Es roch förmlich danach, als hätten sie kurz vor einem Durchbruch gestanden. 

Mein wunderschönes Köpfchen ließ Gedanken dazu bereits die ganze Zeit kreisen. Ich wettete mit mir selbst um eine Flasche Rosé-Champagner, dass die Ereignisse um den Lockdown damit zu tun hatten. Der Große Drache Celedyr sollte seit Beginn der Zusammenlegung höchstpersönlich in Boston weilen, um all das überwachen zu können. Im Umkehrschluss bedeutete das, dass er nun ebenfalls in Boston eingeschlossen war. Ich setzte eine zweite Flasche Champagner darauf, dass Celedyr für den unsichtbaren Schlag verantwortlich gewesen war, der den irisierenden Drachen zurückgeschleudert hatte. Von diesen Gedanken berichtete ich meinen Freunden und Kollegen freilich noch nicht. Die Zeit war nicht reif dafür. Zumindest noch nicht.

MCT (Mitsuhama Computer Technologies) fügt dem Stadtbild zwei Korkenzieher-Türme hinzu, die wie DNA-Stränge aussehen. 

Ares besitzt den Sky Touch Tower, der eine Hommage an den zerstörten Sears Tower in Chicago darstellen soll. Würde ich an Omen glauben, wäre das sicher ein schlechtes. 

Dann gibt es noch die Stufenpyramide aus grünem Marmor von Aztechnology. Jedenfalls sieht es aus wie Marmor. Ursprünglich war es wohl auch mal welcher gewesen. Saurer Regen und toxisches Hafenwasser waren dem Marmor allerdings nicht so gut bekommen, und darum war er durch resistenten Plast-Steel ersetzt worden, der nur so tat, als ob Marmor wäre. Die Pyramide steht so dicht am Hafen, dass das erste Untergeschoss mal ein Unterwasser-Restaurant gewesen war. Doch auch das hatte sich trotz all der Versuche, den Hafen sauber zu bekommen, nicht rentiert. Gerüchteweise gab es anstelle des Restaurants nun ein Unterwasserlabor. Ich bin nicht gerade ein Fan von Aztechnology, obwohl ich das Temperament der aztlanischen Männer mag, so hatte ich keinerlei Interesse daran gehabt, dieses Gerücht zu überprüfen. 

Das S-K-Logo ist in Boston nicht gern gesehen. Man mag den Großen Drachen aus den ADL einfach nicht. Die Firmentochter Siemens mag man hingegen schon. S-K nutzt das aus, indem sie das eigene Logo gezielt einsetzen, um die Bostoner eben zu einem Einkauf bei der eigenen Tochter zu bewegen. 

Horizon ist in Boston nicht stark vertreten. Das Interesse am vorhandenen Musikgeschäft teilt man sich mit dem Drachen Damon und S-K Media, wobei Damon einfach die bessere Position innehat.

Wuxing stellt mit FMI immerhin das größte Transportunternehmer der Stadt. 

Knight Errant, die Tochterfirma von Ares, hat zwar keinen Polizei-Kontrakt, bietet jedoch viele einzelne Sicherheitsangebote und hält gut besuchte Kampftrainings-Seminare ab.

Dann gibt es noch das DIMR, das Dunkelzahn Institute of Magical Research, dessen Hauptsitz in Boston ist und das der Stadt zu einem ordentlichen Boost verholfen hat. In Forschungsangelegenheiten arbeitet das DIMR eng mit dem MIT&T zusammen. Das MIT&T ist die Universität, an der ich höchstpersönlich eingeschrieben gewesen war, wenn auch nicht mit der SIN, mit der ich SatHS drehe. Die Namen und Daten sind aber ähnlich genug, dass sich niemand daran stören würde, würde er mich überprüfen. Immerhin sind Verkäufe an eine SIN gebunden, aber nicht die SIN an den Verkauf.

Sowohl die technischen als auch die magischen Absolventen des MIT&T sind bei den Konzernen der Welt hochbegehrt. Headhunter aus aller Welt strecken auf dem Campus die Fühler nach ihnen aus. Damit sie nicht versehentlich zu viel Druck auf einen desinteressierten Studenten ausüben, sind die Sicherheitskräfte des Campus undercover unterwegs und verweisen jeden vom Gelände, der sich dementsprechend nicht benimmt. 

Außerhalb des Sprawls befinden sich die Wilds. Offiziell gehört viel von dem Land dort ebenfalls irgendeinem Konzern. Sie nutzen es wenn überhaupt zum Training oder um Forschungen durchzuführen. Das Gebiet trägt seinen Namen jedoch nicht ohne Grund. So werden die Armee oder die Security nicht dafür verantwortlich sein, wenn nach dem Lockdown niemand über die Wilds rauskommt. Was dann meiner Meinung nach alles über die Gefahren dort aussagt. 

Was das organisierte Verbrechen angeht, liegt Boston voll und ganz in den Händen der Mafia. Zumindest fast. Den Hauptpart haben dabei - das war jetzt nicht weiter überraschend - die Familien irischer Herkunft, die O'Rilleys und die Muldoons. Der amtierende Capo der Cosa Nostra in Boston ist ein Elf, Don Connor "The Mick" O’Rilley, was der dritten großen Mafia-Familie in Boston, den italienischen Morellis, überhaupt nicht passt. 

Was ich während meiner Ausführungen für das Team auch nicht erwähnte, war die Tatsache, dass ich 2070/71 ein paar wilde Nächte mit dem Consiglieri der O’Rilleys, dem Elfen Kyle O’Farrell, verbracht hatte. Ich hatte das Verhältnis dann einfach auslaufen lassen. In den vergangenen Jahren hatte ich Kyle zwar immer mal wieder in einem Nachtclub getroffen und mich mit ihm unterhalten, war dabei aber immer nur freundschaftlich geblieben. Seit ich SatHS drehte, hatten wir noch nichts miteinander zu tun gehabt. Ich war dennoch sicher, dass uns diese Verbindung unter Umständen noch nützlich sein konnte. 

Mit dem Drachen Damon kam in den frühen 2070ern ein weiterer Spieler zur Bostoner Unterwelt hinzu. Das Geschäftsgebiet von Damon bewegt sich hauptsächlich im BAD-Handel, wobei er zumindest eine Zeit lang mit den Morellis zusammenarbeitete, womit er versuchte, die Mafiafamilien gegeneinander auszuspielen. Daraufhin wollten sich die O’Rilleys und die Muldoons ihrerseits mit Damon anlegen, wurden dann aber von der Commissione der Mafia zurückgepfiffen. Zudem liefert Damon exklusive BTL-Chips für einen Zirkel reicher BTL-Liebhaber, die sich "The Boston Teaparty" nennen. Außerdem besitzt Damon mehrere Nachtclubs, die er selbst immer wieder besucht. Hierbei machte Damon vor einiger Zeit klar, dass Clubbesucher unter seinem persönlichen Schutz stehen. Bei einem Angriff, den man in den Nachrichten schnell der Mafia zuschrieb, schützte er die Clubbesucher, indem er sich in Drachengestalt wandelte, selbst Kugeln fing, die Angreifer vertrieb und im Anschluss allen Gästen die gesamte Nacht über Freigetränke auf seine Kosten gewährte. 

Nebenbei gedacht, denn auch das sprach ich nicht aus, hoffte ich, dass ich diesmal in Boston Bekanntschaft mit Damon machen konnte. Bisher war mir es nämlich noch nicht gelungen, auf ihn zu treffen. Zugegeben hatte ich bisher auch nie nach ihm gesucht.

Was es an Yakuza in Boston gibt, macht Black Ops für MCT. 

Die Vory beschränkt sich auf Datenklau, und was es an dann noch an Triaden und Ringen gibt, schnappt sich dann die Unterwelt-Krümel, die die anderen übrig lassen.

An beachtenswerten Gruppierungen gibt es die Knights of the Red Branch. Eine Terrorzelle aus irischen Immigranten, die ihre Heimat verlassen haben, als aus Irland Tír na nÔg wurde. Sie hassen alle Elfen, und es gibt nur ein paar wenige Fälle, in denen sie nicht einfach alle Elfen angegriffen haben, ohne Fragen zu stellen. 

Boston ‚beherbergt‘ zudem Zellen der Human Nation, sowie der magischen Geheimorganisation Black Lodge und den Warpath, der aus wütenden Native Americans besteht.

An wichtigen Gangs gibt es natürlich die Ancients, die mit 50 Mitgliedern unter der Führung von Lucky Liam stark vertreten sind. Sie liegen im ständigen Krieg mit den elfenhassenden Bane-Sídhe, die wiederum gut mit den Knights of the Red Branch zusammenarbeiten und meist dort Mitglieder werden, wenn sie aus der Gang rausgewachsen sind. 

„Zu guter Letzt sind noch zwei Dinge erwähnenswert. Erstens die Prätorianer mit ihrer Elitegarde, den Zenturions, alles Ex-Special-Forces-Soldaten, die sich um ihren Anführer Caesar versammeln.

Zweitens ist da Smedley Pembrenton III. Einer von Dunkelzahns ‚Watchern‘, Ex-Runner und jetzt Fixer, den man im Nachtclub Avalon treffen kann und der uns sicher gerne weiterhilft, sollten wir mal Informationen oder Equipment brauchen, von dem wir nicht wissen, woher wir es bekommen können", schloss ich meine ausführlichen Erläuterungen.

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[Song 6: Muse -The 2nd Law /Isolated System3] Mit einer Deckergemeinschaft bestehend aus AveRAGE, Liam, SpArcade und Bloody Guts war es überhaupt kein Problem gewesen, die Arbeitsdrohnen so zu programmieren, dass sie die Versorgungsgüter auf den Paletten einfach um uns herum stapelten. 

Zuvor auf das Gelände des Organisators zu kommen, war schon so leicht gewesen, dass wir hatten aufpassen müssen, dabei nicht leichtsinnig zu werden. Offenbar rechnete niemand damit, dass jemand nach Boston rein wollte. Vermutlich war es ihnen sogar egal, ob jemand rein kam. Alles war darauf ausgelegt, nichts aus Boston rauszulassen.

Immer drei von uns kamen mit ihrem jeweiligen ‚Handgepäck‘, also all dem Equipment, das sie zu tragen vermochten, auf eine Palette. Da Shark Finn als Troll mehr Platz brauchte, stellten er und ich mit nur zwei Reisenden die Ausnahme dar. 

Eingebaut in Supplies lag ein dreistündiger Flug in der Rumpel-Klasse vor uns.

Ich kuschelte mich an Shark Finn, genoss seine Nähe und die Bequemlichkeit, die mir mein niegelnagelneuer, weißer Rosen-Catsuit bot, der eine frisch entworfene Sommervariante des Anzuges war, den ich in Chicago getragen hatte. So war es leicht, sich den eigenen Gedanken hinzugeben.

Ach, ich hatte es schon gut. 

Natürlich hätte ich es gerne gehabt, wenn Harlequin mitgekommen wäre. 

Man kann Sex zwar nicht auf Vorrat haben, doch wir hatten immerhin versucht, herauszufinden, ob es nicht doch möglich war.

Ich würde es schon ein paar Wochen ohne ihn aushalten, und wie jedes Mal, wenn wir getrennt waren, würde ich wahrscheinlich wieder viel zu viel zu tun haben, um mir lange über das Vermissen Gedanken machen zu können. Iron Horse war diesmal nicht mit, so würde ich die Versuchung nicht ständig vor Augen haben. Andererseits war Iron Horse schön anzusehen und ich sah gerne schöne Wesen an. Ich seufzte lautlos. Dann würde ich eben einfach öfter in den Spiegel schauen müssen.

Oh, von dem Drachen Damon hieß es übrigens, er würde sich in verschiedenen metamenschlichen Gestalten zeigen, die egal ob Männlein oder Weiblein alle eines gemeinsam hätten: Sie sahen verdammt gut aus. Ein Grund mehr, endlich auf ihn treffen zu wollen. 

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Am 10. Juni 2076, ziemlich genau um 1 Uhr am Mittag, landeten die Supplies mit uns in ihrer Mitte in Mystic Sweet, einen Bezirk in Boston. Die Fallschirme, an denen die Güter abgeworfen wurden, waren nur im geringen Maß steuerbar. Für Liam und AveRAGE dennoch kein Problem. Sie landeten unsere fünf Paletten einigermaßen dicht beieinander. 

Wir Insassen beeilten uns, von unseren ungewöhnlichen Flugkabinen wegzukommen, zogen unsere Messer, öffneten die Folien und stießen die Kisten beiseite. 

In meinem Fall übernahm das natürlich Finn. 

Die Metamenschen in dieser Gegend würden gesehen haben, wie die Kisten vom Himmel schwebten und sich aufmachen, um sich Lebensmittel zu sichern.

Das Wetter war gut, die Temperaturen angenehm warm und ja, das hier war unverkennbar der Duft von Boston. 

Unverkennbar - und doch völlig anders. 

Die Menge an Einzelgerüchen hatte sich drastisch reduziert. Der Geruch von Abfall schwemmte intensiver zu mir herüber, als in dieser Gegend eigentlich üblich war. Es war Sommer und da, wo die Klimaanlagen die Luft umwälzten, wurde Abluft nach draußen gepumpt. Angst und Verwirrung lagen so förmlich in der Luft. 

Dann war da noch die Matrix. Als unser lokales Netzwerk zum Leben erwachte, zeigte sich ein Bild, das wir so auch aus der Zone in Chicago kannten. Keine Werbung, kaum Signale und die Umgebung war nahezu trostlos, was Icons anging. Magische Hintergrundstrahlung fehlte, also war ich hier frei von dem Druck, der in Chicago mein ständiger Begleiter gewesen war. Für Liam und AveRAGE musste es hier jedoch nochmal schlimmer sein als in Windy City. Boston war von der Matrix abgeschnitten und im Moment gewährte nicht einmal ein Satellit Zugang darauf. Das, was für jeden Technomancer übrig blieb, war das isolierte System, welches Boston bot. 

Wir nahmen unser Zeug zusammen und zweigten uns gleich noch ausreichend Carepakete ab. Immerhin würden auch wir etwas essen wollen, wir waren 14 und hatten vor, einige Tage hier zu bleiben. 

Ich hatte aus gegebenen Gründen nicht noch einmal mit Tango sprechen können, also wusste ich nicht, wie es um seine Vorräte bestellt war. Doch selbst, wenn seine Lagerkammer voll war - wie gesagt, wie waren 14.

Ich warf einen kurzen Blick auf die Nachbarn, die herangeschlichen kamen. Einige von ihnen waren mit Baseballschlägern und Pistolen von Ares bewaffnet. Wer auch immer deren Community-Leader war, er hatte die Lage nicht sonderlich gut im Griff. 

Ich hatte noch nicht einmal etwas angesagt, da verdrehte Liam bereits die Augen und schüttelte den Kopf.

Ich grinste kurz. „Lasst uns die Verteilung übernehmen!“ 

Eden nickte. „Copy!“ Sie positionierte Columbo, Mr. Tea und Fang strategisch. Sinister fand ihre Position hingegen von ganz allein. Mash, Foggy, AveRAGE und Tiernan gesellten sich zu mir. Auch Doc und Liam traten an meine Seite. Shark Finn half mir auf eine der abgeworfenen Kisten und stellte sich dann mit Fierce vor unseren Stapel, um die Herannahenden davon abzuhalten, uns zu nahe zu kommen. Mehr beiläufig lässig hielt Doc eine Pistole in der Hand, die er aus dem Nichts gezogen hatte. AveRAGE ließ einen Schwarm CU^3 aufsteigen. 

Er hatte Recht, diese Verteilung konnten wir drehen.

Ich lächelte. «Gute Idee, AveRAGE, lass uns gleich ein Intro machen.»

AveRAGE freute sich sichtlich. Kaum ausgesprochen, flog Ballhaus10 1 in meine Nähe. 

Jeden Moment würden uns die ersten freundlichen Metamenschen aus der Nachbarschaft erreichen. Ihr Tempo hatte sich etwas verlangsamt. Unsere Gegenwart verunsicherte sie.

Liam schaltete sein Halsband ein. Er würde wieder als Sapper unterwegs sein und sein Gesicht nicht zeigen. Doc hatte sich noch nicht entschieden, ob sein Konterfei in der Serie zu sehen sein würde. Für den Fall das nicht, zog er seinen Hut tief ins Gesicht. 

Ich grüßte in die Kamera: „Hey, lieber Zuschauer von Snowcat und den Howling Shadows. Du hast bestimmt von dem Boston Lockdown Anfang Juni gehört. Wie es der Zufall will, waren einige von den Howling Shadows gerade mit mir und ein paar Freunden in der Stadt, als zugemacht wurde.“ Ich zeigte auf die Supplies. „Die Versorgung findet hier nun aus der Luft statt. Wo wir schon mal hier sind, können wir das alles dokumentieren und dir zeigen, was in einer Stadt mit Lockdown so abgeht. Ich hab keine Ahnung, wann du das sehen kannst, aber mein Gefühl sagt mir, es wird hier noch interessant. Diesmal gibt es also keine Jagd, sondern den ganz normalen Wahnsinn. Wir organisieren hier jetzt die Verteilung von Lebensmitteln. Nachher stelle ich dir dann noch die von uns vor, die du bisher noch nicht kennst.“

«Cut!», stellte Average zufrieden fest und positionierte die restlichen Kameradrohnen. Ich glaube wirklich, die Arbeit an der Serie tut ihm gut. Besonders, wenn er von der Matrix abgekapselt ist.

Doch nun waren sie da. Ich wandte mich den Neuankömmlingen zu und organisierte mit erhobener, wohlklingender Stimme die Verteilung der Versorgungsgüter.

Es dauerte nicht lange, dann erkannte man uns. Die letzte Folge der zweiten Staffel SatHS war erst wenige Tage vor dem Lockdown gelaufen. Nach und nach trauten sich mehr Familien aus ihren Häusern. Einen Community-Leader hatten sie tatsächlich nicht. Darum ernannte ich einen von ihnen dazu. Ich wählte den, den Doc für mich ausgesucht hatte.

Niemand von den Leuten war krank. Dennoch achteten wir darauf, sie nicht mit bloßer Haut zu berühren.

Wir konnten die Fragen der Metamenschen bezüglich dessen, was geschehen war, nicht beantworten. Einige waren erleichtert, uns hier zu haben. Sie glaubten, wir würden alles wieder gut werden lassen. Immerhin waren wir die Howling Shadows! Ich beschwichtigte sie mit nicht völlig leeren Phrasen. Ich sagte offen, dass wir noch herausfinden würden, was geschehen war, versprach aber nicht, jeden zu retten. Wenn es eine Krankheit war, konnten nicht einmal die Howling Shadows sie aufhalten.

Doch sollte es ein Gegenmittel geben, dann konnten wir das finden. 

Ich selbst wollte auch etwas finden, nämlich das Wissen darüber, was hier geschehen war. 

Wann immer ich konnte, würde ich helfen. 

Ich konnte die Welt besser machen, immer wieder, Stück für Stück. Gemeinsam mit meinen Howling Shadows!

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Unser erstes Missionsziel lautete, ein Basislager zu errichten und unsere Energieversorgung sicherzustellen. Praktischerweise wollten wir Tangos Studio zu unserer Basis machen. So würden wir dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und Tango quasi mit unserer Ankunft retten. Jedenfalls, wenn er zu Hause geblieben war. 

Wir riefen eine Stadtkarte auf und gaben unseren Stadtort per Hand ein, den wir von den Straßen-TAGs abgelesen hatten. Die Bestimmung unserer Adresse via GPS war nicht möglich. Dafür brauchte man einen Satelliten. Oder besser gesagt, eine ungestörte Verbindung dazu. Die konnten wir aber gerade nicht herstellen. Das einzige, was hier gerade online war, war ein spärliches Public Grid mit geringer Signalstärke, welches man offenbar wieder angeworfen hatte.

Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass wir hier viel isolierter als in Chicago waren. 

Es gab kein Zurück. 

Jedenfalls keines, das einfach und schnell zu bewerkstelligen gewesen wäre.  

Mein Blick fiel auf AveRAGE. Der behäbige Mann, dessen Sichtweise ich oft nicht nachvollziehen konnte, den ich auf seine Art jedoch für völlig genial hielt, steckte voller Tatendrang. Er murrte nicht einmal darüber, dass er sein Gepäck tragen musste. Solange er das Teamnetzwerk hatte, würde er sich hoffentlich nicht einsam fühlen, dennoch würde ihm die Matrix fehlen. Ebenso, wie sie Liam fehlen würde. Das Gefühl von begrenztem Zugang musste für sie allgegenwärtig sein. 

Ich sah die Straße entlang. 

Sie war metamenschenleer, dafür gab es Massen von Fahrzeugen, die GridLock einfach geparkt hatte. Ordentlich, sauber und in Reih und Glied. Noch waren die Autos nicht ausgeschlachtet worden. Doch wenn der Lockdown länger anhielt, würde es früher oder später dazu kommen.

Wie schnell der Zusammenbruch von Recht und Ordnung kommen würde, war auch davon abhängig, wie viele Metamenschen erkrankten. Ein geschlossenes System konnte nur einen bestimmten Prozentsatz an Ausfällen vertragen, bevor es zusammenbrach. Selbstverständlich stellten die Konzernenklaven dabei jeweils ein eigenes isoliertes System dar. Wenn die Metamenschen dort überwiegend zu Hause gewesen waren, als der Drache ausgebrochen war, würden sie viel länger durchhalten. 

Eines war schon nach wenigen Schritten klar. Hier auf den Straßen zu laufen, war gruselig. Meine Nackenhaare hatten sich aufgestellt. Am gespenstischsten war dabei die Ordnung, die hier noch herrschte. Die Reinigungsdrohnen hatten offenbar noch genug Saft gehabt und hatten höchstwahrscheinlich noch in der vergangenen Nacht die Straßen routinemäßig von Unrat befreit. Ein Großteil der Geschäfte war sogar noch intakt. Es fehlten eben nur die Metamenschen und die entsprechenden Matrixicons. Hier und da beobachte uns jemand verstohlen durch einen Vorhang oder verschwand eilig hinter einer Jalousie - und das waren dann die einzigen Anzeichen von intelligentem Leben. 

[Song 7: Gustavo Santaolalla/ The Last Of Us OST - The Last Of Us3] Bis zu Tangos Studio in Prospect Hill waren es elf Kilometer. Ein langer Fußmarsch von zwei bis bis Stunden. 

Fierce klatschte in die Hände. „Na, dann lasst uns mal zum ‚The Corridor‘ - so heißt das hier doch, oder? Weil wir besorgen uns doch jetzt was zum Fahren? Also, Motorräder haben wir gesagt.“

Fang lachte. „Klar, aber bis dahin müssen wir schon laufen.“

Eden wirkte unruhig. „Lasst uns losgehen und mehr am Rand der Straße laufen. Hier so in der Mitte geben wir ein leichtes Ziel ab.“ 

Ich schmunzelte ein wenig. Daher wehte also der Wind der Unruhe.

Doc zündete sich ungeachtet von Edens Sicherheitsbedenken eine Zigarette an. „Sich etwas mehr in den Schatten zu bewegen, schadet nicht. Denkt aber daran, dass wir hier wie Runner auftreten wollen und nicht wie eine militärische Einheit.“

Sinister und Eden lockerten beinahe gleichzeitig ihre Schultern, um die lässigere Haltung anzunehmen, die sie auf dem Compound geübt hatten. Sinister fiel das auf Grund ihrer Einsatzerfahrungen leichter als Eden. Sinister war deutlich öfter auch mal in einem Sprawl unterwegs gewesen.

„Mach dir keine Sorgen, Eden“, meinte Fierce und stupste Fang an, sich schneller in Bewegung zu setzen. „Die haben nämlich andere Sorgen, als aus dem Fenster zu sehen und uns zu erschießen.“ Dann lief die Orkin selbst los, blieb dann aber stehen und fragte: „Wo müssen wir lang?“

Ich lachte perlend. 

Liam blendete einen Richtungspfeil ins Teamnetzwerk ein. 

„Na also, das geht doch. Warum nicht gleich so?“, wollte sie wissen, besann sich dessen, wen sie da gefragt hatte und pflaumte stattdessen Fang an: „Dich mein ich. Nun lauf!“

Fang schubste zurück.

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Die Junisonne strahlte vom Himmel, als wir die Auffahrt zur Autobahn hinauf liefen. 

Die Straße war auf den ersten Blick völlig verlassen. Es musste Spaß machen, hier mit einem Motorrad entlang zu jagen. Selbstverständlich hätten wir auch einfach eines der abgestellten Autos knacken können. Allerdings würde es viele Nebenstraßen geben, auf denen es mit einem Auto kein Durchkommen gab. Abgesehen davon waren Autos einfach viel zu leicht durch eine Straßensperre aufzuhalten.

Fierce stemmte die Hände in die Hüfte. „Und, wie gehen wie vor?“, fragte sie.

„Na, clever!“, erwiderte Doc.

„Und cool!“, fügte Fang grinsend hinzu. „Immerhin werden wir das drehen.“

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Als sich Motorengeräusch näherte, stellten sich Doc, Fierce und Fang einfach auf die Straße, während wir anderen uns ein Stück die Auffahrt zurück zogen. 

Für den möglichen Fall, dass die Fahrer der Bikes Idioten waren und die Bedrohung durch drei ihnen überlegene Individuen einfach ignorierten, beschloss ich, einen Geist um Unterstützung zu bitten. Ich entschied mich für einen Gnom11. Ich holte einen mit wunderschönem Strandsand gefüllten Beutel aus meiner Tasche, verstreute den Inhalt als Gabe für den Geist um mich herum, öffnete meine Sinne für die Magie und sandte meinen Ruf auf die Ebene der Erde. Thog antwortete und erschien mit mürrischem Gesicht und verschränkten Armen in meinem Bewusstsein. Nach einer kurzen Verhandlung verbeugte er sich vor mir. Als ich ihn um die Gabe des Schutzes für meine Gefährten bat, erwiderte er ehrfurchtsvoll: ‹Wie ihr wünscht, MyLady!›

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Die drei Bikes - eine Harley Scorpion, gefahren von einem Ork, hinten drauf saß ein Elf, und zwei Rapiers, auf der einen saßen zwei Menschen, auf der anderen einer, Gangabzeichen waren keine zu sehen - reduzierten ob des ungewöhnlichen Hindernisses zunächst ihre Geschwindigkeit. Dann gaben sie grinsend Gas, um so dicht wie sie konnten an unseren Howling Shadows vorbei zu fahren. Offenbar erkannten sie die drei nicht als Trideostars. Was durchaus daran liegen konnte, dass Doc in der Mitte des Dreiergespanns stand und eindeutig den Anführer gab.

Selbstverständlich blieben unsere Leute ungerührt stehen, ohne ein Stück zurückzuweichen oder auch nur mit der Wimper zu zucken. Das war Coolness pur!

Als die Biker wendeten und zurückkehrten, meinte Fierce zufrieden: „Oh wie nett, ihr bringt uns unsere Fahrzeuge vorbei.“

Ein Blick von Doc ließ den fünf das Lachen in den Hälsen stecken bleiben. Als sie ihm gegenüberstanden und etwas sagen wollten, verlangte Doc ruhig: „Steigt von den Motorrädern ab!“ 

Sie konnten nicht anders, als zu gehorchen. 

Nach dem Absteigen zögerte der Ork einen Moment. Er überlegte, wieder aufzusteigen, doch da waren Fierce und Fang schon bei ihm. 

Als wir dazu kamen, suchten die fünf bereits das Weite. Doc tippte sich an den Hut und nickte mir zu. Wenn doch alles immer so einfach wäre. 

Ich schnappte mir eine Rapier. 

Shark Finn verzog das Gesicht. „Sollen nicht andere vorfahren?“, wollte er wissen. 

Liam stieg hinten bei mir auf. „Sie ist ja nicht alleine.“

Fierce nahm sich ohne zu zögern die Harley. Fang stieg wie selbstverständlich zu ihr aufs Bike.

So blieb eine Rapier übrig.

„Na, Average? Willst du fahren?“, fragte ich freundlich.

AveRAGE schüttelte den Kopf. „Nee, lass mal. Ich bin nicht so gut als Scout. Ich laufe.“

Tiernan grinste. „Los, schaltet ihn aus. Er ist von Aliens übernommen.“

Tiernan hatte absichtlich nicht so etwas wie ‚von einem Geist übernommen‘ gesagt. Auch im Scherz konnte so etwas schnell nach hinten los gehen.

„Ich würde gerne mit zur Vorhut gehören“, stellte Columbo fest. „Bin aber kein guter Fahrer.“

„Dann fahre ich.“, bot Eden an. 

Damit stand das motorisierte Team fest. Wir würden den Weg ausscouten und vorfahren. Finn würde leider sowieso laufen müssen, denn keines der Motorräder war darauf ausgelegt, einen Troll zu tragen. Noch nicht. Mein Bodyguard hatte gewusst, dass das so kommen würde, doch solange Liam oder Fierce bei mir waren, kam er damit klar.

Die Matrixverbindung war durch das Hintergrundrauschen stark gestört, aber für die paar Kilometer Abstand, die wir maximal zwischen unsere beiden Teams bringen würden, würde es schon reichen.

Also fuhren wir los.

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[Song 8: Hi-Finesse - Dystopia3] Ein Schrei hallte durch die nachmittägliche Stille. Ich hatte ihn von rechts gehört und dirigierte mein Team in die entsprechende Richtung. Eden hatte es auch vernommen. Es hatte nach einem Kind oder zumindest nach einer jungen Frau geklungen. Wir gaben mehr Gas und bogen bei nächster Gelegenheit ab. 

Und dann sahen wir sie: Die ersten ‚Erkrankten‘.

Der Schrei war höchstwahrscheinlich von dem Mädchen gekommen, welches gemeinsam mit einem Jungen - ich schätzte die beiden menschlichen Kinder auf ein Alter zwischen 12 und 14 Jahren - wegrannte, so schnell ihre Beine sie trugen. Dem Schweißgeruch nach zu urteilen waren sie schon einige hundert Meter auf der Flucht. 

Die Verfolgergruppe bestand aus 13 Metamenschen, genauer gesagt aus 8 Menschen und 5 Orks, die ihnen nachrannten. Einige sahen aus wie Squatter - und sie stanken auch so. Doch es waren auch normal gekleidete Personen unter ihnen. Eine Frau trug einen Arztkittel aus einem örtlichen Krankenhaus.

Sie alle hatten offensichtliche Kratzer oder zumindest getrocknetes Blut an der Kleidung. Apropos Kleidung, ob Squatter oder nicht, der Zustand ihrer Kleidung schien ihnen nicht wichtig zu sein. Sie sahen alle derangiert aus.

Zudem bewegten sich die Verfolger eigenartig. Ein bisschen so, als wären sie nicht ganz Herr ihrer Körper oder müssten zumindest nach einigen Schritten für den Bruchteil einer Sekunde in sich hinein hören, um sich zu vergewissern, wie das mit dem Laufen funktionierte. Es wirkte ungelenk und sie wackelten und torkelten beim Laufen hin und her. Dennoch waren sie kaum langsamer, als sie es wohl im normalen Zustand gewesen wären. Darum würde es auch nicht mehr lange dauern, bis sie die Kids eingeholt haben würden.

Doch nun waren wir ja da.

„Eden, Fierce, gebt Gas und sammelt die Kinder ein!“, wies ich an. „Wendet nur bei direkter Bedrohung durch die Verfolger Gewalt an.“

„Copy!“, erwiderte Eden sofort und rief dann zu Fierce: „Wir nehmen den Jungen!“

Ich selbst drosselte ein wenig das Tempo und nahm astral wahr. 

Ich stieß einen leisen, wohlklingenden Pfiff aus. Damit hatte ich nicht gerechnet. 

Tatsächlich litten alle dreizehn Metamenschen an mentalen Störungen, die - soweit ich das einschätzen konnte - nichts mit Enzephalitis zu tun hatten. Sie alle besaßen Nanoware und jeder einzelne von ihnen war ein Technomancer. 

Ich hob eine meine zarten Augenbrauen, konzentrierte mich und gestikulierte. Darüber, was das bedeutete, konnte ich mir später noch Gedanken machen.

Ich setzte gekonnt eine Eisfläche unter die Technomancer. Bei der Wärme würde das Eis schnell schmelzen, aber es reichte, um die Verfolger in Straucheln oder gar zu Fall zu bringen. 

Diese Tatsache verschaffte uns wiederum die Zeit, die Kids zu schnappen und irgendwie auf die Motorräder zu ziehen. 

Die Technomancer hatten ihr Ziel weiterhin im Blick. Sie versuchten, sich aufzurappeln und weiter zu kommen. Zwei von ihnen schrieen verärgert. Dass wir gekommen waren, schien sie eher anzutreiben als abzuschrecken. Auch, wenn sie nochmal stürzten oder sich gar verletzten, sie versuchten es erneut. Vielleicht bedeuten wir mehr Ziele für sie.

Zunächst glaubte ich, sie wären dumm und würden einfach immer wieder das Gleiche tun. Doch dem war nicht so. Es war, als verstanden plötzlich alle, dass man auf dem Eis nicht laufen konnte, ohne sich zu fragen, woher das Eis gekommen war. Die vorderen beschlossen, über das Eis zu krabbeln. Eine völlig normale Strategie.

Gespenstisch war jedoch, dass diejenigen, die sich mehr in dem Mitte der Eisfläche befanden, plötzlich beschlossen, zusammenzuarbeiten. Einige legten sich auf das Eis, fassten die Füße des Vordermannes und reihten sich aneinander, damit sie denen hinter sich als metamenschliche Brücke dienen konnten. Die hinteren bewegten sich langsam auf die Leiber zu, richteten sich dann auf und rannten über sie hinweg. So, wie wenn Ameisen über einen Fluss müssen.

Mir gefror das Blut in den Adern, als mir bewusst wurde, dass das mit den Ameisen das perfekte Bild gewesen war. Die Technomancer agierten mit Schwarm- oder Stammintelligenz. Kommunikation konnte ich keine bemerken, aber vielleicht waren sie via Commlink verbunden. 

Ich schüttelte den Schauder ab, konzentrierte mich erneut und rief nach Godfather11 Celeborn. Wenn wir schon mal eine Gruppe Erkrankter vor uns hatten, konnte ich auch gleich noch etwas ausprobieren.

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Geisteskräfte wirkten also. Angst hatte einige in die Flucht geschlagen und Verwirrung hatte sie bewegungslos stehenbleiben lassen. 

Die, die die Eisfläche verlassen hatten, begannen zu rennen und mir war, als legten sie an Tempo zu. Wir schienen tatsächlich nur frische Ziele zu sein.

Ich wendete und gab Gas. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Auch, wenn die Kids schlank waren, würde man mit einer zusätzlichen Person auf dem Bike nicht sonderlich schnell fahren können.

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Die beiden Kids waren Bruder und Schwester und wohnten nicht weit von der Stelle, an der wir sie aufgegriffen hatten. Sie hatten versucht, Lebensmittel zu besorgen, und waren dafür alleine los gezogen. 

Wir trafen uns mit dem restlichen Team und bewegten uns dann gemeinsam zur genannten Adresse.

Selbstverständlich waren die Eltern heilfroh, ihre Kinder wiederzuhaben. Da wir ihnen eine Kiste mit Lebensmitteln abgaben, würden sie in den nächsten Tagen auch nicht gleich wieder los müssen. 

„Die Shambler sind hier überall! Aber man kann vor ihnen wegrennen, wenn man schnell ist“, erklärte Bobby, der Junge, fast schon stolz in die Kamera. Theresa, das Mädchen, fügte hinzu, „Wenn sie einen erwischen, dann kratzen und beißen sie einen und so, und dann lassen sie die Leute liegen und ziehen weiter.“

„Wie sind den Howling Shadows so dankbar, dass sie unsere Kinder gerettet haben!“, verkündeten die Eltern gerne auch zum dritten Mal, damit AveRAGE gute Aufnahmen bekam. 

Ja, die Familie hatte uns erkannt und ja, wir hatten das ausgenutzt und würden diese Rettung in unserer ersten Folge ‚SatHS in Danger‘ zeigen. 

Ein schlechtes Gewissen hatte ich deshalb nicht.

Wir blieben noch ein paar Minuten, um uns mit ihnen zu unterhalten. Die Einladung zum Tee nahmen wir jedoch nicht an. 

Ich skizzierte die Familie mit Bleistift auf Papier und signierte das Bild - und selbstverständlich machten wir so viele Selfies, wie sie wollten.

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Als wir wieder abfuhren, wirkte Liam sehr nachdenklich. „Jeder Shambler hatte eine Living Persona und jeder hatte Naniten im Blut!“, sagte zu mir. „Ich glaube, wir müssen völlig umdenken, was die Ursache angeht.“

Ich nickte. „Das glaube ich auch, und ich habe auch schon so eine Ahnung, aber das besprechen wir, wenn wir bei Tango sind.“

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Tango ✔

Ich atmete sichtlich auf, als Tango nach dem zweiten Klingeln ans Commlink ging. 

Es ging ihm gut. Er warnte uns vor ein paar Männern, die vor seinem Haus herumlungerten und wegen denen er in den letzten Tagen lieber die Echsenfüsse stillgehalten hatte. 

Die Typen auf Nimmerwiedersehen zu vertreiben, war für uns selbstverständlich ein Leichtes.

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Tango war sichtlich gerührt, als er sah, wie viele Howling Shadow zu seiner Rettung gekommen waren. Dass wir so viele waren, schreckte ihn nicht ab. In seinem Tanzstudio konnten wir unser Nachtlager nebst Medizinstation aufschlagen, dann blieb die Kampfarena zum Training und zum Aufbau der Energieversorgung, die Liam bereits völlig durchdacht hatte. Durch den loftartigen Charakter von Tangos Haus - und da mein Lehrmeister gerne Besuch hatte - war in Küche und Esszimmer ebenfalls genug Platz, damit wir alle zusammenkommen konnten. Einzig die Zeiten fürs Bad würden wir einteilen müssen. Das Masterbad war groß, aber es war eben nur ein Bad. Mit dem Gäste-WC war immerhin eine zweite sanitäre Anlage vorhanden. Wir würden schon klarkommen.

Selbstverständlich erhielt ich mit dem einzigen Gästezimmer meinen eigenen Schlafbereich.

Liam und Tiernan machten gleich nach unserer Ankunft einen Rundgang, sahen sich das Gelände ganz genau an und vermaßen es dabei.

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[Song 9: Gemini Killer ft. Jen Titus - I Am No One3] Gegen 17.30 Uhr saßen wir bei Tee und Keksen beisammen und besprachen, was wir während unserer ersten Stunden hier in Boston herausgefunden hatten.

Zunächst berichtete Tango, wie es ihm ergangen war. Er bestätigte im Großen und Ganzen, was wir durch den Hub Blogger und die Nachrichten in Erfahrung gebracht hatte.

Hier draußen in Prospect Hill waren nur wenige Shambler vorbeigekommen. Die, die Tango gesehen hatte, hatten versucht, tiefer ins Zentrum zu gelangen. Offenbar wollten sie alle zum Hub. 

„Wenigstens ist heute kein Nebel mehr“, stellte Tango fest. "Nichts zu sehen, ohne ausreichend Strom oder Kommunikation, das war schon ungemütlich.“

Inzwischen gab es immer mal wieder Strom, und wenn Liam erstmal seine Anlage eingerichtet hatte, würden wir mit Strom kein Problem mehr haben. Abgesehen davon hatte Tiernan den magischen Ladezauber von Thunderstrike gelernt. So würden Drohnen, Bikes und Commlinks immer ausreichend versorgt sein.

Im Laufe des Tages waren zudem nach und nach die Grids einiger Megakons wieder zugeschaltet worden. Die Kommunikation innerhalb der Stadt wurde also wieder besser. Sogar einige Datenbanken waren nun wieder eingeschränkt erreichbar. Nach draußen kommunizieren konnte man natürlich nicht. 

Das alles hatte auch nicht dafür gesorgt, dass ich Dave hatte sprechen können. Sicher, das Noise war hoch. Doch im Moment ging ich vielmehr davon aus, dass Dave sein Commlink nicht eingeschaltet oder wieder mal nicht aufgeladen hatte.

Nachdem Tango mit seinen Ausführungen fertig war, erzählte ich, was ich in den Auren der Shambler gesehen hatte.

Alle waren für einen Moment völlig still und sprachlos. 

Das Gesicht von AveRAGE hatte sich weiß verfärbt. Unverständnis zeichnete sich darauf ab. „Das Virus befällt nur Technomancer?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Kein Virus in dem Sinn. Jedenfalls kein biologischer. Was immer die psychische Störung verursacht, verschafft den Metamenschen Zugang zu Technomancer-Fähigkeiten.“

AveRAGE ließ den Mund offen stehen.

„Die Vermutung liegt nahe, dass die Naniten in den Körpern dafür verantwortlich sind. Höchstwahrscheinlich sind sie durch den irisierenden Regen des Drachen übertragen worden“, erklärte ich weiter.

Fierce räusperte sich. „Also machen die Naniten die Metamenschen zu Shamblern? Geht das denn?“

Liam zuckte mit den Schultern. „Kann sein. Naniten werden unter anderem auch dazu genutzt, die Lernfähigkeit des Gehirns zu erhöhen. Auf der Basis könnte auch anderes möglich sein. Aber wissen tun wir das noch nicht. Bisher wissen wir nur, dass alle Shambler Naniten im Blut haben.“

Fang war ebenfalls verwirrt. „Also ist es gar keine Krankheit?“

Ich schmunzelte kurz. „Na, wie man es nimmt. Es ist eben keine biologische Krankheit. Doch es scheint sich wie eine Krankheit zu verbreiten. Naniten sind Minicomputer. Man könnte es als einen Computervirus sehen, der das Gehirn verändert. Es ist also ein technischer Virus, der krank macht. Kann man das so sagen, Mash?“

Mash nickte. „Alles, was du sagst, ist richtig, Snowcat. Selbstverständlich müsste ich mir für eine Bestätigung selbst ein Bild machen. Natürlich ist eine Gruppe noch lange keine ausreichende Menge, um nur irgendwas zu bestätigen. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit ebenfalls hoch ein, dass es bei allen anderen Betroffenen ähnlich aussieht. Nach dem, was wir gehört und gesehen haben, ist davon auszugehen, dass die Naniten den Organismus eines Metamenschen brauchen, um zu überleben und dass sie durch Tröpfcheninfektion übertragen werden. Wie und warum sie die Befallenen zu Shamblern machen, ist schwer zu sagen.“

Während Mash dozierte, kämpfte ich mit mir selbst. Es fiel mir sehr schwer, all mein geheimes Wissen preiszugeben. Doch an dieser Stelle war es einfach notwendig. Mehr kluge Köpfe verfügten einfach über höhere Kapazitäten. Doc war sogar Meister darin, Dinge zusammenzusetzen. Also war es Zeit, mein Wissen auszuplaudern, welches ich als JackPointer besaß. „Erinnert ihr euch noch daran, was wir über UC und die Ereignisse um Seth Dietrich oder den Copycat Killer berichtet haben? Wenn nicht, ist es nicht weiter schlimm. Eine Zusammenfassung kann ich später noch einmal rumschicken. Wichtig ist hierbei nur, dass beide Fälle etwas mit Metamenschen zu tun hatten, deren eigene Persönlichkeit durch Fragmente einer anderen überschrieben wurden. Die Runnerin und Medizinerin Butch hat sich mit dieser mysteriösen Angelegenheit näher beschäftigt und herausgefunden, dass die Gehirne durch Naniten umgeschrieben wurden. Das Ganze nennt sich Cognitive Fragmentation Disorder oder kurz CFD13.“ 

Ich berichtete weder, welche Erkrankten es unseres Wissens gab, noch gab ich Details darüber preis, was ich bei meinen Recherchen über den Verlauf der Krankheit herausbekommen oder gar empfunden hatte. Die Stimmung war angespannt genug, niemand hier brauchte meinen Grusel. 

„Butch sagt, ist man von den Naniten befallen, läuft CFD in vier Phasen ab. Erstens Kopfschmerzen, gekoppelt mit dem emotionalen Zustand der Hypersensibilität. Zweitens zeigt sich die Fragmentationsphase, die ersten Persönlichkeitsfragmente der neuen Person oder Personen tauchen auf. Das geht einher mit Gedächtnisverlust, Blackouts und Halluzinationen. Einige der Persönlichkeiten sind intelligent, andere wild und animalisch. Da die fragmentierten Identitäten die Kontrolle bei Bewusstlosigkeit oder Schlaf übernehmen, kommt der Körper nicht zur Ruhe. Der Schlafentzug schwächt den Wirt. Daraus folgt dann drittens, die dissoziative Sensibilitätsstörung. Die Originalperson wird depressiv und entmutigt. Das macht den Weg für die neue Persönlichkeit frei, die aus den Fragmenten geboren wurde. Die ursprüngliche Persönlichkeit fällt dann viertens, völlig weg.“

Ich ließ meinen Blick kurz durch die Reihe meiner Gefährten schweifen und nahm das Sammelsurium an Reaktionen in mich auf. Bis auf Fierce, die keinen Hehl daraus machte, welchen Schrecken CFD auf sie ausübte, wirkten an der Oberfläche alle höchst professionell und kühl. Unter der Fassade sah das schon etwas anders aus. Besonders die, die wussten, dass sie bereits Naniten in ihrem Organismus hatten, waren besorgt.  

Eden, die das Training auf dem Compound dem Leben ‚draußen’ als Star irgendwie vorzog, hatte sich mit jeder Minute, die sie sich im Einsatz befand, sicherer und vielleicht sogar lebendiger gefühlt. Äußerlich verzog sie bei meinen Erklärungen keine Miene. Meine feine Spürnase konnte den Angstschweiß riechen, der bei ihr ausgebrochen war. Was natürlich nicht bedeutete, dass sie vor Angst schlotterte. Angst ist für den normalen Metamenschen eine unkontrollierbare Angelegenheit. Der Schweiß machte keinen Unterschied zwischen Angst und Sorge, nur die Menge variierte. Standardsinne hätten das nicht einmal wahrnehmen können.

Fang tat lässig, aber auch bei ihm zeichnete sich zumindest eine gewisse Unruhe ab. 

Mr. Tea blieb innerlich ebenfalls gelassen. Wahrscheinlich würde er sich erst dann Sorgen machen, wenn wir das nächste Mal nach draußen gehen würden und bis dahin noch nicht wussten, wie wir uns vor einer Ansteckung schützten.

„Butch hat noch mehr herausgefunden, auch wenn sie zugibt, dass ihre Testreihen mangels Subjekten nicht groß genug gewesen sind, um die Ergebnisse wissenschaftlich zu bewerten“, fuhr ich fort. „Naniten in einem nicht verstärkten, mundanen Host, also in normalen Metamenschen, infizieren erst einige Zeit nachdem sie in den Körper eingedrungen sind, beziehungsweise, wenn die Nanitenkonzentration in ihrem Blutkreislauf hoch genug ist. Auch ein erwachter Host kann CFD zum Opfer fallen, meist können Erwachte es aber länger und besser bekämpfen. Befallen die Naniten Technomancer, verzögert sich die Zeit, bis CFD ausbricht. Technomancer stellen die einzigen Fälle dar, in denen CFD direkt tödlich verlief, da es zu überlastenden Schäden im Nervensystem kam. Tiere können ebenfalls befallen werden. Sie werden intelligenter. Paracritter behalten bis zu 80 % ihre Para-Fähigkeiten. Generell lässt sich sagen, je weniger Essenz ein Wesen noch hat, desto schneller gewinnt das Fragment die Kontrolle über den Körper. Hat man Naniten im Körper…“ Eden und Fierce bewegten sich bei dieser Bemerkung nervös, „… führt das zu einer deutlichen Reduktion der Ausbruchszeit.“ Ich sah zu Mash, „HMHVV-Infizierte sind höchstwahrscheinlich immun gegen CFD.“ Unser Arzt hatte darauf gesetzt, doch es war angenehm für ihn, dies jetzt von mir zu hören. „Halten sich Fragmente verschiedener Personen in einem Host auf, versucht am Ende einer, die alleinige Oberhand zu gewinnen. In frühen Phasen von CFD treten die Persönlichkeiten in scheinbar zufälliger Reihenfolge nacheinander auf. Der Versuch, als Gegenmittel Killer-Naniten einzusetzen, hat bisher immer für einen schnelleren Krankheitsverlauf gesorgt. Die CFD-Naniten haben sich die Angreifer einverleibt und umprogrammiert. Bisher gibt es kein Heilmittel. Über Wesen, die Phase vier überlebt haben, wird berichtet, dass sie Sand gegessen haben.“  

Fierce klappte erneut die Kinnlade runter. „Sand? Warum machen die denn sowas?“

„Wahrscheinlich können sie aus dem Quartz darin Energie gewinnen, die Nahrung für sie ist“, mutmaßte Liam.

„Hat das bisher irgendein Infizierter überlebt?“, wollte Fang wissen. „Also mit seiner Original-Persönlichkeit?“

Ich holte etwas tiefer Luft. „Bisher lässt sich das schwer sagen. Butch kennt niemanden, der geheilt wurde, aber durchaus einige, die bisher sehr lange durchgehalten haben und größtenteils immer noch sie selbst sind. Allerdings verfügen sie über Wissen und Erinnerungen, die nicht die ihren sind. Das ist übrigens ein Punkt. Wenn eine fragmentierte Persönlichkeit am Steuer sitzt, hat sie Erinnerungen und Gefühle ihrer Selbst. Sie hält sich für denjenigen, der sie einmal war. Darum konnte im Fall des Copycat-Killers auch ein Ork zum Rassisten gegen Orks werden.“  

Ich strich mir in einer weiblichen Geste eine Strähne meines eisweißen Haares hinter mein spitzes Ohr. „Butch konnte vier verschiedene Typen von CFD-Naniten identifizieren. Erstens, Hater. Sie sind zielstrebig in ihrem Hass gegen irgendetwas. Zweitens, Connivers. Sie sind wie Hater, gehen aber kalt und berechnend statt leidenschaftlich und emotional vor. Drittens, Rager, sie alle werden zu gewalttätigen Psychopathen. Und schließlich viertens, die Manipulators, die schwer zu lokalisieren sind, sich smart im Verborgenen halten und im Kleinem daran arbeiten, sich zu verbreiten. Nicht richtig bestätigt ist eine fünfte Variante, die Hidden. Persönlichkeiten, die sich verbergen, sich nur selten zeigen und die man so gut wie nicht erkennen kann.“

Sinister hatte die Stirn in Falten gezogen. „Woher kommen die Persönlichkeiten denn?“ 

Ich zögerte für einen winzigen Augenblick. Ich gab meine Geheimnisse eben nicht gerne preis. „Darüber gibt es sicher so einige Theorien. Ich halte im Moment die für am wahrscheinlichsten, nach der es sich bei den Persönlichkeitsfragmenten um Personen handelt, die während des Crash 2.0 in der Matrix gewesen sind. Ihr wisst wahrscheinlich, dass damals so einige mit schweren Hirnschäden oder gar hirntot vor ihren Decks gesessen haben. Ich nehme an, dass es deren Bewusstseine sein könnten. Wie verrückt sie das auch immer gemacht haben mag.“

Sinister wollte etwas sagen, doch ich kam ihr zuvor.

„Wenn deine nächste Frage nun ist, wie diese Fragmente aus der Matrix in die Naniten kamen: Ich weiß es nicht. Ich weiß aber sehr wohl, dass NeoNET zum Beispiel schon länger an der Funktionsweise der Gehirne von Technomancern interessiert ist. AveRAGE ist aus diesem Grund sogar schon mal entführt worden.“ 

Ich erwähnte nicht, dass er und Starbuck damals wochenlang in einem Labor von NeoNET gewesen waren. Selbstverständlich kam mir auch wieder in den Sinn, wie sich im Hort von Alamais AveRAGES Verhalten geändert und er plötzlich Japanisch gesprochen hatte. Zumindest Doc und Liam kannten die ganze Geschichte. Es lohnte nicht, jetzt irgendein weiteres Teammitglied in Panik zu versetzen oder Argwohn gegen AveRAGE zu schüren, indem ich all das erwähnte. Einige waren bereits paranoid genug. Paranoia ist eine Krankheit, die unter Runnern weit verbreitet ist. Mr. Tea hatte beim Stichwort von verändertem Verhalten bereits zu AveRAGE geguckt und das nur, weil der behäbige Mann vorhin freiwillig gelaufen war. 

„Auch andere Konzerne forschen daran. Vielleicht hat man auch versucht, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man das Bewusstsein eines Metamenschen nach seinem Tod aufbewahren kann. Oder eine AI arbeitet daran, die in der Matrix ‚Gefangenen‘ nach draußen zu bringen.“

Fierce kratzte sich am Kopf und sah zu Liam. „Gibt es dann so was überhaupt, also Geister in der Matrix?“

Liam nickte. „Sowohl über Bewusstseinsfragmente also auch über komplette E-Ghosts wird in der Matrix berichtet. Niemand weiß genau, wie sie entstehen und ob sie zur Weiterentwicklung und zum eigenständigen Handeln fähig sind.“

„Alles schön und gut“, warf Eden ein, „Aber die Leute hier in Boston haben doch jetzt kein CFD, oder? Die Shambler sehen mir jedenfalls nicht nach jemandem aus, der eine neue Persönlichkeit bekommen hat. Es sei denn, das sind alles Rager. Aber auch dann ging es doch sehr schnell.“

„Es wird eine mutierte Form sein“, erklärte Doc. „Eine, die mit einem Drachen aus einem Labor ausbrach.“

„Aber warum sollte man - oder es - sich auf einen Drachen übertragen?“, wunderte sich Fang.

Wieder musste ich mich überwinden, um das nächste Stück Wissen preis zu geben. „Fügt man die Stichworte Crash 2.0, Bewusstsein und Drache aneinander, stößt man direkt auf eine besondere Geschichte“, verkündete ich leiser und im geheimnisvollen Ton. Immerhin hatte diese Story ein wenig Dramatik verdient. Ich jonglierte gedankenverloren mit drei Gegenständen, die ich spontan vom Tisch gezogen hatte und verbarg so, dass ich zauberte. Ich ließ die Silhouette eines nicht näher definierten, westlichen Drachen entstehen und dazu ein wenig düstere Musik erklingen. 

[Song 10: Gustavo Santaolalla/ The Last Of Us OST - Outbreak3] „Drachen ist es nicht möglich, über eine Datenbuchse in die Matrix zu gegen. Sie können nur über Trodennetze Zugang zur Matrix bekommen und selbst dann ist die Perfomance schlecht. Es gibt einfach kein gut funktionierendes Drache-Matrix-Interface. Dabei sind einige Drachen, auch Große Drachen, sehr an der für sie völlig neuen Welt der Matrix interessiert. Der einzige Drache, bei dem jemals eine Datenbuchse funktionierte, war der erwachsene Drache Eliohann.“ Ich wandelte das Aussehen des Drachen in eines, das der Beschreibung von Eliohann nahe kam. Ich war weit davon entfernt, Drachen anhand ihres Aussehens identifizieren zu können. Das entscheidende Merkmal war auch für mich die Farbe. Während ich das Bild entstehen ließ, fiel mir auf, dass Eliohann grün war und dass auch im Zusammenhang mit dem irisierende Drachen von einem grünen Monster gesprochen worden war. Doch das hieß gar nichts. Die Eigenschaft grün konnte sich auch nur durch das ‚grüne Monster‘15 in Fenway Park in die Beschreibungen eingeschummelt haben. Schließlich ließ ich eine Datenbuchse an der Schläfe des Drachen entstehen, setze ihn an einen Schreibtisch und verband ihn via Kabel mit einem Deck. „Gerüchteweise war sein erster direkter Kontakt mit der Matrix dennoch traumatisch.“ Auch die folgenden Worte untermalte ich mit meiner Trideoillusion. „Jedenfalls wurde Ende der 50iger der Große Drache Celedyr auf Eliohann aufmerksam und extrahierte ihn für Transys Neuronet, also genau für den Konzern, aus dem NeoNET später hervorging. Weitere Gerüchte besagen, dass Eliohann zu diesem Zeitpunkt bereits matrixsüchtig gewesen ist. Jedenfalls war er beim Crash 2.0 online und auch sein Geist ist dabei in der Matrix verloren gegangen. Vielleicht teilte er das Schicksal der vielen Metamenschen, deren Körper nach dem Crash hirntot, aber irgendwie noch am Leben gewesen war. Bald darauf tauchte eine Persona in der Matrix auf, die sich Cerberus nannte.“ Ich ließ einen Mann im Anzug mit Hut und ohne identifizierbares Gesicht entstehen, der eine Brosche mit einem dreiköpfigen Hund trug. „Für einige ist Cerberus ein E-Ghost, für andere nur irgendeine Persona. Klar ist, Cerberus hat viel drauf, was die Matrix angeht. Außerdem wird er immer wieder mit Celedyr in Zusammenhang gebracht und es gilt als sicher, dass er für ihn arbeitet.“ Ich ließ die Illusion zerfasern und sprach im Plauderton weiter. „Celedyr ist seitdem mehr denn je an der Matrix interessiert. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass er daran arbeitet, Cerberus in Eliohann zurückzuholen. Als Großer Drache hat Celedyr eventuell von CFD gehört, vielleicht ist seine Forschung auch die Ursache dafür, obwohl ich das im Moment nicht glaube.“ Wieder musste ich ein imaginäres Hindernis überwinden, bevor ich den letzten Hinweis rausrückte. „Jedenfalls hat er vor einigen Monaten viele Forschungsprojekte nach Boston verlegt und weil seitdem selbst hier.“

Fierce stieß einen lauten Pfiff aus und schlug dann mit der Faust auf den Tisch. „Shit, dann ist er für den Müll hier verantwortlich!“ 

„So direkt würde ich das jetzt nicht sehen“, beschwichtigte ich. „Zumindest noch nicht. Aber die Tatsache, dass ein Drache ausbrach und NeoNET Tower 4 angriff, stellt einen Zusammenhang her.“

„Dann ist dieser Große Drache also noch hier“, stellte AveRAGE in kaltem Ton fest. Wie immer hatte er den Namen des Drachen nicht ausgesprochen. Die Ideen von Velvet Touch hatten ihn tief beeindruckt.

Nun entflammte eine rege Diskussion, ob der irisierende Drache der Körper von Eliohann gewesen war, ob man das Bewusstsein schon transferiert hatte, ob es ausgebrochen war, an welcher Stelle etwas schief gegangen sein konnte, warum CFD nun massenweise Shambler hervorbrachte, was oder ob die Shambler ein Ziel verfolgten, ob die Naniten die Persönlichkeitsfragmente eines Drachen in sich trugen oder ob das alles auch der Versuch einer ‚bösen‘ AI wie Deus sein konnte, aus der Matrix auszubrechen, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. 

Ich lehnte mich zufrieden zurück und hörte zu. Nur ein einziges Mal mischte ich mich ein, als ich dem Gedanken widersprach, dass Drachenfragmente schlimmer als jede anderen Fragmente seinen. 

Warum ich zufrieden war? Meine Howling Shadows würden die Lösung am Tisch nicht finden, doch die Diskussion bedeutete, dass sie alle neugierig geworden waren, und so würden sie herausfinden wollen, was wirklich geschehen war. 

So wie ich. 

Es würde ein Leichtes sein, sie davon zu überzeugen, früher oder später das geheime Labor unter dem Campus zu suchen oder gar in Tower 4 einzudringen, um die Geheimnisse dort zu lüften.

Liam schlug das sogar vor, und sein Argument, dass es dort eventuell ein Gegenmittel zu finden gab, war auch für ihn nicht der einzige Grund, dorthin zu wollen.

Apropos Gegenmittel. Wir besprachen noch, was gegen Naniten helfen konnte. 

Keine anderen Naniten einzusetzen, hatte Butch uns bereits gelehrt. Doch was war mit Blutfiltern, Stromschlägen und ähnlichem? Wir wussten es nicht und kamen überein, dass wir uns besser nicht ansteckten. Wir mussten demnach darauf achten, uns nicht kratzen oder beißen zu lassen und würden vorsichtshalber Breezer und Handschuhe tragen. 

Plastikhandschuhe für alle und ganz besonders welche, die groß genug für Orkhände waren, setzte Liam darum gleich ganz oben auf die Liste der Dinge, die besorgt werden mussten. 

Fierce hatte von uns allen die größte Sorge, sich anzustecken, ihre eigene Persönlichkeit zu verlieren und uns als Shambler anzugreifen. 

Doch selbstverständlich war niemand von uns frei von dieser Sorge.

[Song 11: Grace ft. G-Eazy- You Don't Own Me3] Die einzige Ausnahme neben dem immunen Mash, stellte ich dar. 

Die Naniten, die meine Persönlichkeit verändern konnten, mussten erst noch erfunden werden. Und ich würde mich ganz sicher nicht zu einem Shambler machen lassen und mit zerzaustem Haar und Blutflecken auf der Kleidung durch die Gegend wanken. 

Snowcats Rulz of Life No 9: Never fall from grace!

Wobei mir das gerade viel zu niedrig dotiert war. 

Snowcats Rulz of Life No 2: NEVER fall from GRACE.

Ich lächelte sanft und grinste schließlich, als AveRAGE uns seine eigene Theorie vorstellte, in der der Ausbruch von CFD und die Shambler der Plan einer Vampirkönigin waren, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Ich verstand nicht, wie er aus der Tatsache, dass Vampire gegen CFD immun waren, gleich eine solche Theorie entwickelte. Mir war ebenso wenig klar, warum er als Technomancer nicht viel mehr auf der Schiene aller AI-Verschwörungstheorien fuhr. Wahrscheinlich würde ich AveRAGE nie völlig verstehen und seine Gedankengänge niemals nachvollziehen können. Doch das brauchte ich auch nicht. Ich wusste, dass er ein ganz besonderer Mensch war. Oft war abstrus, was er zusammen dachte, doch manchmal offenbarte sich viel später die Genialität in dem, was er gemeint hatte. 

Ganz tief in den düstersten Regionen meiner eigenen Gedankenwelt schwelte die Befürchtung, AveRAGE konnte von CFD betroffen sein. Er konnte es sich durchaus in Celedyrs Anlage in Albuquerque eingefangen haben. Aber konnte die Krankheit so lange unbemerkt in ihm stecken? Wenn dann doch nur durch einen Hidden? Wenn dem so war, dann würden wir wohl ein Heilmittel finden müssen. Ich würde AveRAGE jedenfalls nicht so leicht aufgeben. 

Ich würde nie wieder leicht einen meiner Leute aufgeben!

Ab jetzt würde jeder von uns auf Verhaltensänderungen der anderen achten, daran gab es keinen Zweifel. Es war wichtig, die Paranoia dabei nicht unnötig hoch werden zu lassen.

Klare Regeln im Umgang mit der Ansteckungsgefahr mussten her. 

Wir stellten einen Regelkatalog auf.

Keine Flüssigkeiten zu trinken, die aus einer ungesicherten Quelle kamen, war eine der Regeln.

Zumindest besaßen wir mit unseren aktuellem Wissen die Möglichkeit, eine Infektion festzustellen. Liam hatte ein Gespür für Naniten und Technomancer, ich konnte sie mit Astralsicht in Metamenschen entdecken und Mash und Liam konnte Naniten im Blut nachweisen. 

Doch keine Methode war so sicher, dass wir uns auf nur eine verlassen konnten. Wir würden jedes Mal nach einem Einsatz mehrgleisig fahren müssen. Zur großen Freude von Mash würden regelmäßige Blutproben unabdingbar sein.

Das Problem stellten die von uns dar, die bereits Naniten hatten. Hier fielen all unsere Mechanismen aus, denn niemand von uns wusste, wie lange es dauerte, bis sich Technomancer-Fähigkeiten zeigte. 

„Ich schlage Einzelgespräche der Nanitenträger bei mir vor, damit ich feststellen kann, ob jemand von einer Persönlichkeitsveränderung betroffen ist", meinte Doc.

Ich nickte. „Die Idee finde ich gut. Mash sollte zur Absicherung dabei sein. Die Shambler haben zusammengearbeitet. Wir wissen nicht, wie weit das geht. Ein Infizierter könnte den anderen decken.“

„Einverstanden!“, erwiderte Doc nur. 

Fierce lachte. „Jaja, Analyse-Gespräche, und ich muss dann all die Fragen über meine Sexgewohnheiten beantworten.“, 

Doc grinste wölfisch. „Dazu frage ich nicht dich, da frage ich Fang!“ 

Fierce zog die Stirn in Falten. „Aber woher soll er das wissen? 

Fang, der Tiernan und Tango hinten bereits beim Registrieren der Vorräte in der Küche half, rief: „Das sind doch Einzelgespräche, da erfährt niemand anderes, was gesagt wird.“

„Das hab ich verstanden!“, rief Fierce zurück. „Aber du weißt doch trotzdem nichts über mein Sexleben.“

Fang betonte noch einmal: „Einzelgespräche!“

❄️

Da Sommer war, stand uns noch lange genug Tageslicht zur Verfügung. Darum machten wir uns sogleich an die Sicherung und Aufrüstung unseres Lagers.

Schlafstätten wurden eingerichtet, Vorräte sortiert und Barrikaden aufgebaut. 

Eden und Sinister gingen die Umgebung ab, verminten mögliche Scharfschützenpositionen unserer Gegner mit von Liam erstellten Sprengsätzen und bauten auf den eigenen Dachbereichen Unterschlüpfe auf. 

Shark Finn, Tango und Mr. Tea sicherten Türen und Fenster, verschoben Autos und taten sich dann mit Eden und Sinister zusammen, um die weiter entfernten Zugänge zu unserem Gelände zu sichern. Auf der direkten Zufahrt entstand sogar ein Labyrinth. 

Liam und Tiernan bauten Batterien und Treibstoffzellen aus den in der Nähe geparkten Autos aus und zimmerten alles zu einer Energieversorgung zusammen.

AveRAGE kümmerte sich um den Aufbau von Sicherheitskameras und erschuf einen seiner kleinen, intelligenten Technomancer-Helferlein, die man Sprites nannte, um jederzeit eine Hilfe zur Verfügung zu haben.

Foggy und Doc stapelten und sortierten Vorräte und richteten ein durchdachtes Vorratslager ein.

Mir fiel die magische Sicherung des Geländes durch einen Hüter zu, da ich Rituale in der Hälfte der normalen Zeit bewerkstelligen konnte. Ich führte das Ritual an und Mash und Columbo halfen mir.

Fang und Fierce oblag es, die erste Versorgungstour zu unternehmen, um die Equipmentliste abzuarbeiten. Fang hatte vorgeschlagen, selbst als Wolf loszuziehen.

„Hä, wieso denn das?“, hatte Fierce entgeistert wissen wollen. „Ich dachte, wir nehmen ein Bike.“

„Na, wegen vier Pfoten und so“, erklärte Fang. 

Fierce schüttelte den Kopf. „Nee, lass mal. Wenn wir zu zweit rumlaufen, haben wir auch vier Gliedmaßen zum Bewegen.“

Dieser Logik konnte sich Fang natürlich nicht entziehen.

Wir waren alle über mehrere Stunden beschäftigt. 

❄️❄️

Was Fang und Fierce erfolgreich von der Liste besorgt hatten, war zwar lange noch nicht genug, schon gar nicht, wenn wir in den nächsten Tagen weitere Personen zu uns holen wollten, doch ein Anfang war gemacht. Gleich im ersten Baumarkt waren sie dabei auf sechs Shambler gestoßen, die sie entdeckt hatten und die ihnen gefolgt waren. Doch auf dem Bike waren sie ihnen schnell entkommen. Fierce und Fang berichteten ausschweifend, wie gruselig die Shambler gewesen waren. 

Ferner konnten sie berichten, dass ein Teil der nächstgelegenen Mall von einer Bürgerwehr eingenommen worden war. Der Haupteingang war geschlossen, doch wir würden in den nächsten Tagen sicherlich einen anderen Zugang finden können, wenn wir wollten.

❄️

Selbstverständlich teilten wir Wachen ein.

Als ich auf mein Zimmer ging, war es bereits weit nach Mitternacht. 

Unterwegs kam ich an AveRAGE vorbei, der sich von einer CU^3 filmen ließ und irgendetwas einsprach.

Hi14, kommt ruhig näher ran. (Bild zoomt rein)

(Rückseite von AveRAGE mit Breezer von hinten zu sehen, Licht bildet eine Halo)

Jetzt bin ich nicht nur der Meisterregisseur von SatHS, sondern auch ein Akteur.

Ihr wisst, was das bedeutet? Ja. (Pause) (Schultern heben sich)

Also, ich weiß es nicht. Ich bin echt aufgeregt. Wer weiß, ob ich das überhaupt senden darf?

Aber ich bin jetzt mittendrin. Was? Ich kann das nicht? Ja, ok, meine Figur ist nicht in Topform. Aber komm, ich bin schon echt kräftig. Ja, mit den harten Kerlen kann ich nicht ganz so mithalten. Aber die können ja nur eins, ich schon zwei oder drei oder vier, oder ihr wisst schon.

Warum ich mit mir selber laber? Das nennt sich innerer Monolog, um die Figur zu charakterisieren.

Ihr wollt doch sicherlich wissen, wer der megacoole Kerl mit den heißen Outfits und den abgefahrenen Sprüchen ist. Nein? Egal, ich erzähle trotzdem weiter.

Also, ich kann echt gut mit der Kamera, das habt ihr schon gemerkt uuuuunnndd

ich kann auch mit Cyberdecks umgehen. Und ich kann helfen. Ich will Action, ich will endlich wieder (Pause, Räuspern) uups da hätte ich mich fast verraten.

Na ja, Waffen und so, das kann ich auch und eine schnelle Auffassungsgabe habe ich auch. Ich wisst schon, einmal im Kopf, dann läufts schon mit den Händen und so.

Ob ich nachdenklich bin, wart ma? Äh, nein. Die ganzen Technomancer-Morde, das Einschließen von Boston (Halt, Cut, das markiere ich nachher fürs Rausschneiden), ja, das mit den Technomancern geht mir echt auf die Eier. Nicht, das ich einer wäre, aber solche Experimente mit Nanozeug gehören echt verboten. Und dann musste ich so viel laufen. Hat das einer aufgenommen? Das war echt episch. AveRAGE unterwegs. Coole Schlagzeile, oder? Ach ja, das wäre ich dann selber. Ja.

Also, ich finde es echt scheiße, wenn eine Minderheit so eins auf die Fresse kriegt, insbesondere, wenn (ganz leise) ich auch ein Technomancer wäre.

Dies Nanozeug ist auch was für Vollpfosten. Wie kann man mit so einem Mist rumhantieren, ist garantiert ansteckend und bringt das gute Aussehen und (Pause) die, äh, das Ego, halt, Cut, Cut

Auf jeden Fall bin ich wieder in einer echt coolen Truppe mit Snowcat der Megabraut (eh, wenn die das hört, gibt's wieder eine hochgezogene Augenbraue, ich sag euch, diese Blicke und die Figur), ich schweife ab. Und ich glaube, die finden mich auch alle cool, auch wenn sie es nicht so zeigen können. Ich wisst schon, Emotionen und so ist nix für harte Kerls. (Und dann haben sie einen Teddybär im Bett.)

Die drei neuen Schnitten mit den Riesen..., äh, gutem Aussehen? Äh, Kampferfahrung. Ja, mit denen, da könnte man echt mal, äh, einen, äh (Cut, Cut) Mit den interessanten Damen könnte ich aufregende Erfahrungen teilen. Genau.

Ich bin oberflächlich ? Ich habe keine Tiefe, Quatsch! Telegene Körper inspirieren mich (Sex sells, Titten und Arsch, sagte man schon früher in einem, äh, 2D-Trid live, oder so.)

(Licht blendet ein wenig ab) Naja, manchmal fühle ich mich schon einsam, ihr wisst schon, Depri und so. Aber das geht vorbei, meistens wenigstens. Dann ist es gut, gebraucht zu sein. Snowcat gibt mir das Gefühl, manchmal glaube ich, sie tut es nur meinetwegen, um nett zu mir zu sein, weil ich sonst so isoliert bin. Aber (Licht wieder heller) glaubt ihr das wirklich! Genau. Das denke ich auch.

Also, diese Folgen werden noch mehr Gewalt haben, noch mehr intellektuelle Dialoge und noch mehr Sex. Alles nur (Pause), nein das ist jetzt Quatsch (Pause), weil wir eine echt geile Truppe sind.

Ja, das Zusammenleben ist echt anstrengend. Keine geregelten Mahlzeiten, dauernd wollen die Mädels duschen und Jungs sabbern oder lassen ihre Unterwäsche rumliegen.

Und dann das Training. Die wahre Hölle. Ich schwitze schon, wenn ich daran denke. Aber schön ist es, im Team zu sein. Da sind Kleinigkeiten völlig egal. (Lange Pause) Wenn ich genervt bin, gehe ich in die Matrix oder rede mit einem oder (he, jetzt wird’s langweilig oder?)

So, das war jetzt der kurze innere Monolog.

Bin ich jetzt?

Bin ich jetzt echter für euch?

Bin ich jetzt?

Super-AveRAGE.

CU

(Bild zoomt raus, Rückenansicht dreht sich, Licht wird dunkler)

Halt, eins noch.

Seid vorsichtig da draußen.

SatHS können nicht überall sein.

Stimmt für uns, wann immer möglich - und I love ya!

(Schwarz)

[Song 12: Toni Halliday & Louise Dowd - Call The Shots3] Ich hatte einen langen, romantischen Brief an Harlequin geschrieben. Handschriftlich. Auf Papier. Mit einer Feder und Tinte, die ich aus dem Kalligrafieset entnommen hatte, das mir Lung geschenkt hatte. 

Ich wusste nicht, wann mein Liebster diesen Brief erhalten würde, doch das spielte keine Rolle. Ich zog mit dem Commlink eine elektronische Kopie. Ich verfasste die Briefe an meinen Liebsten schon seit längerer Zeit auf Papier und versandte sie dann zunächst elektronisch, einfach weil es schneller ging. Die Papiervariante überreichte ich ihm dann meist, wenn wir uns wiedersahen. Harlequin war von Beginn unserer Beziehung an so verfahren. Es war schön, etwas in den Händen halten zu können. Es ging kaum persönlicher als mit einem handschriftlichen Brief, wenn man körperlich getrennt war. 

Selbstverständlich hatte ich meinem Liebsten auch davon berichtet, welche Erkenntnisse wir aus dem ersten Tag in Boston gezogen hatten. Doch hauptsächlich war es ein Liebesbrief geworden. Ich versiegelte den Brief mit einem Kuss und einem Klebeherz aus Glitzer. 

Harlequins Briefe würden mich hier kaum erreichen. Doch ich hatte ein paar seiner schönsten Exemplare an mich eingepackt. 

Sie dufteten nach ihm. 

Ich las einen davon und legte sie dann alle unter mein Kopfkissen. 

Dann löschte ich das Licht und schloss die Augen.

Ich öffnete sie gleich darauf wieder. Mir war noch nicht nach Schlafen. Also zog ich mich wieder an, bewaffnete mich und entließ den Leprechaun11, den ich um astrale Nachtwache gebeten hatte.

Ich holte ein Schächtelchen mit einen Dram Waffensplitter aus meiner Zaubertasche, konzentrierte mich und sandte meinen Ruf auf die Ebene der Guardian Spirits aus. Warden11 McCoy stellte sich gern in meinen Dienst. Der stattliche, ansehnliche Krieger würde für meine Sicherheit sorgen.

Auf dem Dach von Tangos ausgebauter Fabriketage traf ich auf Doc, der gerade Wache hatte. Er saß lässig auf einem Stuhl, hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen und behielt dennoch die Umgebung im Auge, dessen war ich sicher. 

Ich nickte ihm zu und gab ihm nonverbal zu verstehen, dass ich mich hier oben ein wenig umsehen wollte.

Das Haus schräg gegenüber war laut unserer frisch erstellten Karte als unbewohnt markiert. Es war ein gutes Stockwerk höher als dieses hier und hatte zudem einen kleinen Aufbau. Von dort würde man einen guten Blick haben. Die alte Feuerleiter konnte ich bestimmt leicht mit einem Sprung erreichen.

Ich nahm Anlauf und fasste die Sprosse mit sicherem Griff. Behände stieg ich die Leiter hinauf. Dann lief ich über das Dach und sprang mit einem Satz auf den Aufbau.

Die Sommernacht war lau. Der Himmel nur gering bewölkt. Hier oben wehte ein leichter Wind. Unter mir lag das abgeriegelte Boston. Die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet, um Strom zu sparen. Aus dem selben Grund waren nur wenige Fenster erleuchtet. Am Hub war Feuerschein zu sehen. Hin und wieder trieb der Wind Kampfeslärm von dort zu mir herüber. 

Eine Bö erfasste mein Haar und fächerte es auf. 

Sicher standen überall Shambler in Rotten auf den Straßen und warteten murmelnd darauf, dass sich ihnen ein neues Opfer näherte. 

Shambler waren so gespenstisch, dass mir der Gedanke an sie einen unangenehmen Schauer den Rücken hinunterlaufen ließ. 

Ich hoffte wirklich, es gab irgendwo ein Heilmittel oder würde irgendwann eines geben. Vielleicht würden die Shambler sich auch von selbst erholen, doch das hielt ich für unwahrscheinlich. 

Der Gedanke, alle Shambler wären längst tot, machte mich traurig. 

So viele verlorenen Seelen.

Ich machte mir nichts vor, wer immer befallen war, der würde nicht wieder derselbe werden. Mit jedem Tag, der verging, würde sich die Situation des Wirts verschlimmern. Die Shambler sahen nämlich bisher nicht so aus, als würden sie sich um ihre Körper kümmern. 

Ob sie überhaupt aßen oder schliefen?

Ich setzte mich auf die Kante des Aufbaus, zog die Beine an und umschloss mit den Armen meine Knie.

Die Situation in Boston war deutlich anders als ich erwartet hatte. 

Gefährlicher. 

Geheimnisvoller. 

Wir wollten unsere Leute suchen, finden und hier bei Tango in Sicherheit bringen. Dann würden wir sie untersuchen, und sofern sie nicht befallen waren, würden wir daran arbeiten, sie aus Boston herauszuschaffen. Nach der jetzigen Lage konnte das nur einzeln, nacheinander und mit einigem Abstand geschehen.

Wenn alle draußen waren, würden wir damit beginnen, uns auf die selbe Art wegzubringen. Frühestens.

Mir war jetzt bereits klar, dass das alles deutlich länger als die angepeilten sechs bis acht Wochen dauern würde. Ich seufzte.

Eine schwarzweiße Katze kam durch die schief in den Angeln hängende Tür im Aufbau auf das Dach gelaufen. Zielstrebig nutzte sie einen stützenden Stahlträger und kam zu mir hoch. Sie mauzte mich an.

Ich lächelte, nahm die Arme runter, ließ die Beine baumeln und machte ihr so auf meinem Schoß Platz.

Die Katze bewegte sich leichtfüßig auf meinen Schoß, streckte sich und rieb ihren Kopf schnurrend am meinem Kinn.

Ich streichelte sie. „Was hat dich denn hierher verschlagen?“, fragte ich sanft, ohne eine Antwort zu erwarten. „Was machen die Mäuse und Ratten? Tanzen sie auf den Tischen, jetzt, wo all die Metamenschen nicht mehr da sind?“

Die Katze mauzte zwei mal und rollte sich dann auf meinem Schoß zusammen.

Unsere Leute zu finden, war nicht das einzige, was wir auf dem Schirm hatten. Wir wollten herausfinden, was genau zu all dem geführt hatte. 

Zumindest ich wollte das in jedem Fall herausfinden, und ich war gut darin, meinen Willen durchzusetzen.

Die Geschichte interessierte mich nicht nur, weil höchstwahrscheinlich der Große Drache Celedyr darin involviert war. Sie interessierte mich grundsätzlich, denn in ihr lagen viele Geheimnisse verborgen. 

Ich kraulte die Katze zwischen den Ohren. Sie schnurrte laut und zufrieden.

‹MyLady, einer Eurer metamenschlichen Krieger nähert sich›, meldete Warden McCoy.

Ich drehte mich um. 

Liam schwang sich gerade aufs Dach. Um auf den Aufbau zu kommen, nutzte er denselben Stahlträger, den auch die Katze zuvor genommen hatte. Sie würdigte ihn keines Blickes.

„Du hast Gesellschaft gefunden“, stellte Liam ruhig fest und setzte sich neben mich auf die Kante.

Ich lächelte. „Ja. Wir sollten Katzenfutter auf die Beschaffungsliste setzen. Aber bis dahin tut es eine Dose Thunfisch sicher auch.“

Ende der Episode

❄️❄️❄️

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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat and the Howling Shadows

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures and stories. Without them, our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

Boston Lockdown

Bildquelle: Das Bild ist ein Screenshot Beispiel aus dem  Shadowrun Chronicles: Boston Lockdown Game von Cliffhanger Productions, das von Nordic Games herausgegeben wurde und stammt von dieser Seite.

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*