Tales of Snowcat 23: Collecting Clues (Run 73)

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TALES OF SNOWCAT (23)

PERIOD4: Magician

ERA4: Modern Baroque

AGENDA8: Boston Lockdown

TIMESTAMP1: 10/03-12/276

RUN NO: 73

APPEARANCE2 : AveRage, Dana10, Doc, Eden, Fang, Foggy, Hamaka, Liam, Medaron13, Mr. Tea, Phoenix9, Shark Finn, Sinister, Sionn, Snowcat, Tiernan;

SPECIAL APPEARANCE2;5:Dave, Five by Five12 (Fuego, Mississippi, Rock, Sirrus, Stalker✝︎), Kariwase12, Tango; 

SPOILER ALERT: Die Episode enthält massive Spoiler auf „Boston Lockdown“ von Catalyst Game Labs.

WARNING: Dieser Text ist für Leser unter 17 Jahren nicht geeignet. Sexualität, Gewalt, Magie, Tod, Kraftausdrücke, Folter, Rassismus, Alkohol- und Drogenkonsum können vorkommen. 

DAS GESCHAH ZULETZT:

Ein kleiner Teil des Teams besucht den Nachtclub ‚Shoten's Castle‘. Dabei trifft man auf den Rigger und Elf Medaron, der gleich von mehreren Gruppen gesucht wird. Medaron begleitet das Team nach Snow Haven (Tag 81). Eine DNA-Probe bestätigt Liams Vermutung: Medaron und Sionn sind verwandt, sie haben denselben Vater. Nachdem Medaron die Quarantäne überstanden hat, findet am Abend ein vierfaches Speeddating statt, bei dem Dana, Dawante, Medaron und Phoenix offiziell als Anwärter bei SatHS aufgenommen werden (Tag 82). Am nächsten Tag werden alle Anwärter mit einigen anderen auf eine Mission geschickt, um Supply-Drops zu hacken. Dabei treffen sie auf die Mitglieder einer Gang, die sich ‚We Own the Night‘ nennt. Als man die Ganger nach ihrer ‚Queen‘ fragt, greifen sie sofort an. Das Team kann den Angriff zurückschlagen und kehrt erfolgreich mit zwei Ladungen Gütern nach Snow Haven heim (Tag 83). 

Snowcat begleitet Fang zu der Fenris-Wölfin, die am Tag zuvor mit 18 Hundewelpen befreit wurde. Nach einer Runde lockerem Pub-Quiz und einem intensiven Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem so einige Geheimnisse ans Licht kommen, legt man den Geburtstag von Dawante auf den nächsten Tag fest (Tag 85). Einen Tag nach der Geburtstagsfeier macht man sich in einer Gruppe von sieben Runnern ins McGregor's Octagon auf, um etwas über ‚We Own the Night‘ zu erfahren. Schnell trifft man auf Rock Knight, ein Mitglied besagter ‚Gang‘. ‚We Own the Night‘ sind bereits an SatHS und Snow Haven interessiert. Ein Treffen mit Medaron und Co am nächsten Abend soll eine Falle sein. Der Boggle Duda folgt dem Team, welches nur bis zu einem Lagerhaus fährt, astral. Er schlägt einen Pakt vor. Er verrät dem Team, wo die Queen lebt, wenn man verspricht, zu verhindern, dass die Queen ihn jemals wieder rufen kann. Der Boggle ist unfreundlich gegenüber Snowcat. Der Pakt mit Dana wird geschlossen. Man erfährt, dass die Queen auf der Oak Grove Cemetary lebt. Ein weiterer Pakt zwischen Medaron und Duda wird vereinbart (Tag 87). Die Howling Shadows beschließen, schon am nächsten Tag, gleich nach dem nächsten Treffen mit Duda, zuzuschlagen. Vorbereitungen werden getroffen. Duda verrät, dass die Queen eine Nosferatu und Blutmagierin ist. Bei der Erkundung einer Stelle am See schrecken Sinister und Sionn einen Blutgeist auf. Da die Queen und ihre Schergen nun wissen, dass jemand unterwegs ist, geht man zu Plan B über, einem sofortigen Angriff ohne vorher Tageslicht in den Unterschlupf zu bringen. Die Howling Shadows schalten alles aus, was ihnen entgegen gestellt wird. Als man bereit ist, die kleine Kirche zu stürmen, hält Snowcat inne. Sie glaubt, dass das alles zu leicht war und dass die Queen bereits den Standpunkt von Snow Haven kennt. Snowcat bittet die anderen, sich zu beeilen, lässt sich verschleiern, nimmt ihre Drake-Form an und fliegt Richtung Snow Haven davon. (Tag 88).

In Snow Haven angekommen haben die Queen und ‚We Own the Night‘ bereits die vier Gebäude der Market Hall eingenommen und damit angefangen, die Bewohner von Snow Haben zusammenzutreiben. Bei einer Rettungsaktion für Familie Line werden Mash und Fierce auf dem Motorrad mit einem Raketenwerfer abgeschossen und getötet. Nachdem das restliche Team eingetroffen ist, zieht man sich nach Snow Haven zurück. Bei Verhandlungen mit der Queen stellt sich heraus, dass Ethan und Leila, die vor Jahren entführten Geschwister von Eden und Phoenix, jetzt zu den Anhängern der Queen gehören und sich als ihre Kinder fühlen. Genau diese beiden sind auch für den Tod von Mash und Fierce verantwortlich. Außerdem stellt sich heraus, dass Pax und der White Rabbit eine Allianz mit der Queen eingegangen sind. Die Howling Shadows beschließen nach einem Vorschlag von AveRage, die Queen zu ihrem Ziel von Staffel 3 zu machen. Es gelingt letztendlich die Queen, Pax und alle deren mitgebrachten Anhänger zu töten, die Geiseln zu befreien und Snow Haven zurück zu erobern. Einzig Amanda, das drittes ‚Kind‘ der Queen, entkommt. Bei einer Durchsuchung entdeckt man Hamaka, einen Ork und Nekromanten, den die Queen jahrelang per Zauber versklavt hatte. Mit der Wikinger-Bestattung von Fierce und Mash endet die 3. Staffel von Snowcat and the Howling Shadows (Tag 89).

Anmerkungen

1. Der Zeitstempel wird an unsere Zeitlinie angepasst und ist maximal an die offizielle Timeline angelehnt.

2. Die Episode wurde am 09.12.18, 04.01., 11.01. und 08.02.19 erspielt. Neben mir und dem GM waren am 09.12. alle Spieler anwesend und sogar der Spieler M. (z.B. TriXhot) war als Gast dabei. Am 04.01. war der Spieler von Eden/Mr. Tea -am 11.01 waren die Spieler von Eden/Mr. Tea, Fang/Sinister und AveRage/Dana/Hamaka und am 08.02 waren wieder die Spieler von Eden/Mr. Tea und AveRage/Dana/Hamaka anwesend. Da wir eine große Gruppe von 8 Spielern sind, nimmt jeder Spieler immer nur einen Charakter mit auf den Run. So sollen zu viele gleichzeitige Handlungsstränge vermieden werden. Nur in der ausgespielten Downtime, darf ein Spieler alle seine aktiven Charaktere ausspielen. Wegen den Widrigkeiten und Schönheiten des RL, können nur selten alle Spieler am Spielabend teilnehmen. Deshalb können Charaktere ohne weitere Erklärung auftauchen oder verschwinden. Darüber, welche Charaktere mit auf einen Run gehen, entscheiden die Spieler nach eigenem Gefallen. Das muss nicht immer die logistische Entscheidung sein. Manchmal ist ein Charakter mit auf einem Run, obwohl sein Spieler abwesend ist. In diesen Fällen wird der Charakter zwar mitgeführt, sein Handeln gerät, wenn möglich, aber in den Hintergrund. Das Spotlight soll auf Charakteren stehen, deren Spieler anwesend sind. Gegebenenfalls hinterlassen Spieler beim GM Regieanweisungen. 

Eine Beschreibung aller Charaktere findest du hier [LINK].

3. Die verlinkten Songs sollen lediglich zu Stimmung beitragen und enthalten keine versteckten Hinweise. Jedenfalls meistens nicht :). Übrigens kaufen wir jeden in den Episoden verwendeten Song, sollte er sich nicht schon vorher in unserem Besitz befunden haben. Nicht nur, damit wir die Songs jeder Zeit auf all unseren Geräten abspielen können, sondern auch, weil wir damit den jeweiligen Künstler unterstützen möchten. Eine Liste mit dem kompletten Episode-Soundtrack findest du hier [LINK]. Eine passende YouTube-Playlist findest du hier [LINK].

4. In den ‚Tales of Snowcat’ erzählt Snowcat einem imaginären, nicht näher definierten, Zuhörer die Ereignisse aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Seit dem Weggang von Katze führt Snowcat auch Tagebuch. Was ihr zunehmend wichtiger wird, da ihr die Dialoge mit Katze fehlen. Man kann ToS demnach auch als Tagebuchauszug betrachten. ‚Period‘ beschreibt dabei den Lebensabschnitt auf dem sich Snowcat befindet. ‚Era' beschreibt das Thema, unter das Snowcat in dieser Zeit den Inhalt ihres Kleiderschranks gestellt hat. ‚Broadcast‘ fasst zusammen, was von dem per Drohne gedrehten Material dem Trideo-Zuschauer der Serie Snowcat and the Howling Shadows zur Verfügung gestellt wird und wann es gestreamt wird.

5. Einige der Namen, die in der Geschichte auftauchen, sind auch in der offiziellen Shadowrun-Welt ein Begriff. Ähnlichkeiten sind beabsichtig. Allerdings kann das hier dargestellte Bild auch deutlich von dem Bild im SR-Kanon abweichen, da es unserer Spielwelt angepasst wurde.

6. Teilweise stehen Dialoge in diesen « » Textzeichen. Die gesprochenen Worte werden dann vornehmlich via Teamnetzwerk oder Commlink verbreitet und sind für Wesen, die keine Mitglieder im Teamnetzwerk sind, nicht oder nur schwer zu hören. Ferner stehen in < > schriftliche Nachrichten und in ‹ › stehen Dialoge via Geistesverbindung, wie zum Beispiel die mit einem Geist unter Kontrolle, Gespräche via Mindnet oder Dragonspeech. Wird zusätzlich eine andere Schriftart verwendet, handelt es sich um unausgesprochene Gedanken oder extra-persönliche Anmerkungen von Snowcat.

7. Snowcat sieht die Geister, die einen Element zugeordnet sind als klassische Elementarwesen:  Luftgeister sind Sylphen, Erdgeister Gnome (früher Brownies), Feuergeister Salamander und Wassergeister sind Undinen. Jeder Geist, den sie beschwört, hat für sie zudem einen eigenen Namen. Guidance Spirits sieht Snowcat als weise Paten, die sie mit Godfather und Godmother betitelt. Guardian Spirits sind für sie Warden, also Krieger verschiedenen metamenschlichen Rassen. Die Warden tragen als Hommage an meine Lieblingsbuchsreihe den ‚Dresden Files‘ von Jim Butcher, die Namen von den Warden des White Council. Spirits of Man sind für sie Leprechauns (Kobolde) und Task Spirits sind Brownies. Beast Spirits bekommen den Titel Master und Plant Spirits den Titel Mother (z.B. Master Wolf oder Mother Oak). 

8. Schlagwort(e), Überschrift(en) unter denen die Episode steht.

9. Phoenix wird von der Spielerin T. geführt. Sie ist neu in der Gruppe und ein RPG-Frischling. Phoenix stieß als Reporterin Alba zum Team. 

10. NPC, der in Boston gerettet wurde und für den Verlauf der Geschichte keine wichtige Rolle spielt. Max und Caroline sind eine Hommage an die Serie: Two Broke Girls.

11. Nach dem Tod von Columbo übernahm Spieler I. die Charakterführung von Dana, die ursprünglich als NPC gedacht war.

12. Bei dem Charakter handelt es sich um einen Runner, den die Howling Shadows in Boston getroffen und mit nach Snow Haven genommen haben. Diese Charaktere werden vom GM oder von einem anwesenden Spieler geführt. Je nachdem, wer gerade Zeit zum Würfeln hat oder einen solchen Charakter ausprobieren mag.

13. Medaron wird von dem Spieler M2 geführt. Auch M2 ist ein RPG-Frischling. 

14. Ganz so stellt sich das laut SR-Regeln nicht dar. Bei der Ausschmückung der Szene handelt es sich um künstlerische Freiheit.

• Weitere Begriffserklärungen findest Du dort: [LINK].

POSTED BY SNOWCAT:

[Song 1: The Be Good Tanyas - When Doves Cry3] Wir hatten beinah einen Monat gebraucht, um Snow Haven wieder aufzubauen. Oder besser gesagt, wir hatten uns beinah einen Monat Zeit dafür gelassen. 

Die Toten waren weggebracht und auf der Oak Grave Cemetery, dem ehemaligen Domizil der Queen, bestattet worden. Dank Hamakas Fähigkeiten, die Toten vor dem Wiederauferstehen und in der Besitznahme zu schützen, hatten wir es uns nämlich leisten können, alle gefallenen Bewohner von Snow Haven auf einem Friedhof zu begraben. Genau den Ort als letzte Ruhestätte zu wählen, auf dem die Queen zuvor regiert hatte, fand ich besonders symbolkräftig. Außerdem lag der Friedhof dicht genug an Snow Haven, sodass man den Gräbern auch während des Lockdowns einen Besuch abstatten konnte. 

Zusätzlich hatte wir die Metamenschen, die die Queen unter ihren heuchlerischen Schutz gestellt hatte, die aber nichts weiter als ihr Vieh gewesen waren und die ich jetzt mal als ihre "Sklaven" bezeichnen möchte, zu uns nach Snow Haven geladen.

Mehr Metamenschen brauchten zwar auch mehr Nahrung, aber wenn mehr Metamenschen an einem Ort lebten, dann konnte man auch mehr schaffen. Stellen wie die Sicherheit oder das Krankenhaus, konnten in mehr Schichten besetzt werden, was für alle von Vorteil war. Selbstverständlich hatten wir den Sklaven der Queen den Umzug freigestellt. Dass wir sie genauestens durchgecheckt hatten, war nicht mal eine Frage. Wir waren ja paranoid genug.

Die, zugegeben, von der Queen gut ausgesuchten Sklaven brachten eine Menge Fertigkeiten und Wissen mit nach Snow Haven. So einiges an Handwerkern, Ärzten, Lehrern und Sicherheitskräften war in der Gruppe vertreten. Von letztern schafften es allerdings nicht alle durch unseren Loyalitätscheck. 

Insgesamt hatten wir 76 ehemalige Sklaven bei uns aufgenommen. 

Im Anschluss hatte ich in der näheren und entfernteren Umgebung von Snow Haven gezielt nach weiteren Metamenschen Ausschau gehalten. Bei denen, nach den ich gesucht hatte, war es nicht geblieben. Wir hatten noch Platz, also nahmen wir auch Bedürftige mit.

Inzwischen lebten 412 Metamenschen hier, die Howling Shadows, Anwärter und Silent Shadows nicht mitgerechnet. 38 davon waren ausgebildete Sicherheitskräfte.  

Während ich mit einem kleinen Trupp durch die Gegend gefahren war, um Mitbewohner für Snow Haven zu suchen, hatten andere weiter fleißig an Snow Haven gebaut und wiederum andere hatten sich um die Ausbildung der Bewohner gekümmert. 

Die Queen hatte uns unsere Schwachpunkte aufgezeigt. Doch wichtiger, sie hatte uns daran erinnert, dass es da draußen mehr als Shambler gab, vor dem man sich schützen musste. 

So hatten wir unsere Sicherheitsprotokolle geändert, unsere Zäune verstärkt und unser Ausbildungsprogramm angepasst. 

Eden zeigte bei der Ausbildung unserer Bewohner nun mehr Engagement denn je. Sie wusste nur allzu gut, wie wichtig professionelles Verhalten war. Außerdem war die Arbeit für sie eine gute Möglichkeit, mit den Problemen der vergangenen Tage fertigzuwerden. Auch wenn die schöne SEAL gefestigt wirkte, war es nicht einfach, die Wahrheit über den Verbleib ihres Bruders erfahren zu haben.

Die körperlichen Probleme der Howling Shadows waren dank moderner Medizin und Magie schnell vergessen. Die Narben auf ihren Seelen würden viel, viel langsamer heilen. Sie versteckten sich im Verborgenen, um sich im ungünstigsten Moment zu offenbaren.

Natürlich konnten wir Snow Haven nicht auf alles vorbereiten, und vor allem schützen konnten wie es schon gar nicht, aber wir konnten den Bewohnern von Snow Haven beibringen, wie man auch mit unerwarteten Ereignissen fertigwerden konnte.

Viel geschlafen hatten wir in den letzten Wochen nicht. Neben der Arbeit gab es ja auch noch Freizeit, und die nutzten wir hauptsächlich dafür, Party zu machen. Oh, wir spielten auch, und einige von uns machten Sport - letzteres ordne ich allerdings dem Training zu und Training verbuche ich als Arbeit, also ist Sport für mich keine Freizeit. 

Wenn die O’Nialls feierten, gab es früher oder später Alkohol. Ach, was sag ich, es gab eigentlich sofort Alkohol. 

In den letzten Wochen hatten Sionn jeden Abend sein Glas gefüllt, es gehoben und gesagt: „Auf Fierce!“ Dann hatte er gewartet, bis alle ihre gefüllten Gläser ebenfalls erhoben hatten - und wir hatten getrunken. 

Kaum jemand entzog sich diesem Ritual. Genau genommen entzog sich dem keiner, es gab nur die Ausnahme, dass AveRage dabei keinen Alkohol trank. Einige, wie Doc und die O’Nialls, tranken danach weiter. Ich gehörte auch zu dieser Gruppe. Ich hatte meinen durchschnittlichen Alkoholkonsum vervierfacht. Für mich selbst überraschend kam ich damit ziemlich gut klar, trotz meines zarten Körperbaus. Vorsichtshalber ließ ich von Liam einmal die Woche meine Leberwerte checken, doch bisher waren sie stets im Bereich des normalen geblieben. Sie waren sogar so gut, dass ich mich fragte, ob Tiernan nicht vorsorglich jeden Morgen eine Detox-Zauber in meinen Haferbrei mischte. 

By the way: ich liebe Haferbrei mit Zucker und Zimt. Tiernan hatte sogar noch ganz andere, weitaus fantastischere, Geschmacksrichtungen drauf. Haferbrei ist sättigend und gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit. Außerdem wirkt sich Hafer positiv auf die Schönheit aus. Was ganz ausgezeichnet wirkt, wie man an mir sehen kann. 

Zudem musizierten wir regelmäßig. Die Sessions gingen aktuell oft bis tief in die Nacht. 

Mit Dawante hatte ich begonnen Bike-Ball zu spielen, wie wir es von den Ancients her kannten. Diese Spiele reichten zwar noch nicht an Combat Biker heran, verlangten einem aber dennoch Fahrkunst und akrobatisches Geschick ab. Ob klassisches Bike-Ball oder Bike-Polo, wir hatten unseren Spaß, und nach und nach machten mehr Howling Shadows mit. Allen voran Fang, der von Fierce ihr Motorrad und ihre ausfahrbare Lanze geerbt hatte. Fang vermisste Fierce. Die alte Leichtigkeit wollte sich bei ihm nicht so recht einstellen. 

Viele von uns vermissten Fierce oder Mash oder beide. Vermissen gehört zum Tod nun mal dazu, das gab es quasi als Gratisbeigabe.

Selbstverständlich vermisste ich die beiden ebenfalls. Allerdings nicht so sehr, wie es einige andere taten. Mein bisheriges Leben hatte mich gelehrt, dass sie früher oder später alle starben, egal, wie lieb man sie hatte.

Liebe kommt nicht gegen den Tod an, nur gegen das Vergessen. 

Es war also nur eine Frage der Zeit.

Shark Finn, Moxi, Liam, Ehran … Harlequin …  alle! Der Gedanke versetzte meinem Herzen einen Stich, der so heftig war, dass es durchaus daran zerbersten konnte.

Doch das würde es nicht tun!

Snowcats RulZ of Life No. 1: Am Ende zählt nur das eigene Überleben. 

Wenn … was hieß hier wenn? … DA diese Regel galt, durfte mich der Tod eines einzelnen Wesens nicht runterziehen.

Ich war am Leben, also würde ich auch leben, genießen und lieben. Der mögliche Schmerz würde mich nicht davon abhalten!

❄️

Nachdem Snow Haven gut gefüllt, sicherer und auch hübscher als zuvor hergerichtet war, war es endlich an der Zeit, uns um unsere Projekte auf der Todo-Liste zu kümmern. 

Liam hatte alles an Daten zusammengesucht, was bei Pax zu finden gewesen war. Gemeinsam mit Doc hatte er die Daten gesichtet und analysiert. Am Ende waren dabei vier Adressen zum Vorschein gekommen. 

Vier Orte, an denen mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Rituale stattgefunden hatten.

Beim Brunchmeeting am 3. Oktober 2076, unserem 116. Tag im Boston Lockdown, wählten wir zufällig einen dieser Orte aus und planten einen Ausflug dorthin. 

[Song 2: Arctic Monkeys - Do I Wanna Know3] Einen schönen Motorradausflug sogar, jedenfalls was Dawante und mich anging. 

Medaron würde unser SUV steuern, und Phoenix, Dana, Eden und Sinister darin chauffieren. Neidvolle und zugleich stichelnde Bemerkungen, Medaron würde nun das „Schneckenmobil“ steuern, nahm der glatzköpfige Rigger mit den eisblauen Augen nur allzu gern entgegen. Wäre ich Fahrgast gewesen, ich hätte auf eine solche Bemerkung eine bissige Antwort parat gehabt, aber hätte ich in der Limousine gesessen, hätte wohl auch niemand ‚Schneckenmobil’ gesagt. 

Das Bike unter meinem knackigen Hintern schnurrte zufrieden. Ich lehnte mich nach vorn und gab Gas. Augenblicklich verschmolz ich mit dem Gefährt zu einer Einheit. Wenn man einmal ein Go-Ganger war, lag einem das Gefühl für den Asphalt und die Maschine für immer im Blut . 

Der Herbst war inzwischen eingezogen. Die Straßen waren frei. Der von uns verursachte Fahrtwind wirbelte bunte Blätter auf. Indian Summer - es hätte idyllisch sein können, wären da nicht auf diversen Plätzen und Ecken die Shambler gewesen, die mit zunehmender Zeit immer verwahrloster aussahen.

Gut, dann eben keine Idylle, sondern nur Motorradspaß. Dank Helm und gepanzerter Lederkombi, umspielte der Herbstwind zwar weder Haar noch Haut, es fühlte sich aber dennoch toll an. 

Außerdem saß ich unglaublich gut aus, in meinem dunkelblauen, maßgeschneiderten Catduit nebst passender Biker-Jacke, Halbstiefeln und einem Helm, über dessen blauweiße Oberfläche, elektrische Blitze zucken konnten. 

Als ich Liam vor ein paar Tagen gefragt hatte, ob ich nicht einen blauen Catduit haben könne, da dieser ganz hervorragend zu meinem Haar passen würde, war ein Lächeln über seine Lippen gehuscht. „Anstelle von weiß?“, hatte er wissen wollen. 

Meine Bestätigung ließ ihn zufrieden grinsend mit meinem weißen, wandelbaren Catsuit abziehen. Nur wenige Stunden später hatte ich meine Panzerung wieder bekommen. Sie strahlte nun in einem perfekten Königsblau und war an der einen oder andere Stelle leuchtend eisblau abgesetzt. Alles Leuchtende ließ sich jederzeit abschalten. Mehr noch, es war mit meinem integrierten Biomonitor verbunden und schaltete sich unter bestimmten Bedingungen ganz von selbst ab. Liam war mit der Veränderung unglaublich schnell gewesen. Es konnte natürlich auch sein, dass er dafür nur etwas hatte einstellen müssen und dass dies eigentlich nur eine Sache von ein paar Minuten gewesen war. Die Option weiß war jedenfalls verschwunden.

Hier und jetzt beschwor ich eine Sylphe7, bat sie um Schutz vor Unfällen und forderte Dawante grinsend dazu auf, Schlangenlinien zu fahren, bei denen wir unsere Bikes immer wieder kreuzen ließen.

Unsere Zieladresse lautete 1224 Parkland Avenue. Das lag in einem Wohngebiet mit dem hübschen Namen Lynn. 

Von Snow Haven aus mussten wir uns einfach Richtung Salem halten.

Meinen Vermutungen nach musste die Dragon Line ziemlich direkt an der Adresse entlang führen. Vielleicht lag das, was auch immer da sein würde, sogar direkt auf der Manalinie.  

Viel besser konnte es doch kaum losgehen, oder? Auf einer Dragonline war meine magische Potenz so hoch wie sonst nirgends.

❄️

Unterwegs begegneten wir so gut wie keinen Fahrzeugen. 

Als wir einen Großteil der Strecke hinter uns gebracht hatten, drangen dann doch irgendwann Motorengeräusche an unsere Sensoren. Sollten unsere Sinne uns nicht trügen, waren dort Bodenfahrzeuge und zumindest eine Rotormaschine unterwegs. Die Autos würden unseren Weg wahrscheinlich irgendwann kreuzen. Wir mussten nur langsamer fahren, um sie zu umgehen. Für das Rotorengefährt in der Luft war Ortskenntnis nötig. Zum Glück kannte sich Dana hier aus. Ihr Hexenzirkel hatte sich vor dem Lockdown regelmäßig nicht allzu weit entfernt von unserer aktuellen Position getroffen. Die schöne Frau lotste uns im Nu unter eine Brücke, in deren Schatten wir alles an uns vorbeiziehen lassen konnten.

Natürlich riskierten wir beim Warten einen Blick in den Himmel. Das EVO-Konzernlogo prangerte auf der Rotordrohne und zeugte von der Präsenz des AAA-Konzerns in diesem Gebiet.

Wo wir schon mal hier waren schlug Dana einen Umweg über Salem vor. Sie hätte gern nach ihren Freunden und nach ihrem Haus gesehen. Ich konnte ihren Wunsch verstehen, aber da wir nichts über den Status der Hexen von Salem wussten, war es wohl keine gute Idee, dort unvorbereitet einzutreffen.

❄️

Ich nahm während der Fahrt astral wahr. Die Dragonline pulsierte kräftig, strahlend, golden und schön in der Erde unter mir.

Es machte Spaß, ihr zu folgen. 

Ich gab Gas. 

Dawante beschleunigte ebenfalls und blieb an meiner Seite.

Für Medaron als Rigger war es natürlich kein Problem, auch bei dieser hohen Geschwindigkeit an uns dranzubleiben.

Würde ich der Dragonline weiter folgen, würde sie mich direkt bis nach Salem führen.

Wenn mich der Ruf des Manastroms schon so lockte, wie stark musste das Verlangen wohl für den verwirrten, irisierenden Drachen gewesen sein, nachdem er zunächst ziellos umhergeirrt war?

Hatte der Ruf der Dragonline ihn nicht genau nach Salem führen müssen?

Vielleicht konnte ich ihn zu Gesicht bekommen, wenn ich einfach weiter fuhr? Vielleicht waren Damon oder gar der Große Drache Celedyr bei ihm?

Und vielleicht konnte ich einen Blick auf einen von ihnen erhaschen?

Vielleicht konnte ich sogar mit einem von ihnen reden. Damon sollte gutaussehend und ‚nett‘ sein.

Die güldene Energie kribbelte belebend auf meiner Haut …

«Hallo? Snowcat? Hörst du uns?»

Die Stimme von Medaron riss meine Aufmerksamkeit in die Realität zurück. «Ja, ich höre dich!», erwiderte ich. 

 «Ich meinte eben, wir hätten dort hinten abbiegen müssen», wiederholte der Rigger, was er offenbar auch kurz zuvor gesagt hatte.

Dana meinte dazu: «Ach, lass mal. Die Richtung ist doch gut. Ein Zwischenstopp zu Hause würde mir gefallen.»

Ich warf einen schnellen Blick auf den Routenanzeiger. Tatsächlich hätten wir schon vor ein paar hundert Metern abbiegen müssen. «Wir sind für einen Ausflug nach Salem nicht ausgerüstet», erklärte ich. 

Sollte ich mir Salem wirklich ansehen wollen, sollte ich wohl besser nicht direkt mit dem Motorrad die Straße runter brettern. «Ich wende», sagte ich noch an.

❄️

Das Haus der Familie Mayfor stand einzeln am Ende einer schmalen Straße, direkt an einem Wäldchen. Wir parkten gut 100 Meter davon entfernt im Schatten und unter dem Sichtschutz einiger Bäume.

Medaron ließ eine Überwachungsdrohne steigen.

Vor dem Haus zeigten sich keinerlei Anzeichen, dass dort aktuell jemand wohnte. Es gab weder Müll noch stand irgendeine Art von Fahrzeug davor.

Ein Stück hinter dem Haus, ein bisschen tiefer in den Wald hinein, entdeckten wir über die Sensoren der Drohne einen Hain aus Bäumen, der eine Form zu haben schien, die wahrscheinlich nicht natürlich so gewachsen war. 

«Ich habe hier keinerlei Commlink-Signale, außer denen, die wir mitgebracht haben», sagte Phoenix an. «Der virtuelle Briefkasten quillt vor Werbeflyern über, die seit Wochen nicht mehr aktiv gelöscht wurden.»

Ich stieg von der Maschine, nahm meinen Helm ab, löste meinen Rucksack aus seiner Halterung und schulterte ihn. „Na, dann lasst uns das mal vom Nahen ansehen!“

❄️

Die Tür war nicht einmal abgeschlossen. Mein Puls beschleunigte sich allein deshalb. Doch als ich meine Sinne nach Bewegung oder Magie ausstreckte, entdeckte ich nur uns.

Ich traute dem Frieden aus Prinzip nicht.

Das metamenschenleere Haus war spartanisch eingerichtet. Die technische Ausstattung stammte aus den 60ern und war schon länger nicht mehr angeschaltet gewesen. Auf dem Esstisch in der Küche standen diverse Gläser mit allerlei magischen Utensilien. So, als habe man gerade frisch beim Taliskrämer eingekauft, die Sachen zu Hause ausgepackt und dann vergessen, sie wegzuräumen. 

❄️

[Song 3: Daniel Pemberton / King Arthur Soundtrack - Seasoned Oak3] Auch nach mehr als einer halben Stunde im Haus hatten mein ziemlich unentschlossenes Team und ich nichts von Bedeutung gefunden. Hier drinnen hatte nie und nimmer ein Ritual stattgefunden und Aufzeichnungen über ein Ritual gab es schon mal gar nicht.

Also gingen wir hinaus. 

Medaron sandte seine Rotordrohne in die Luft und verschaffte mir ein Bild aus der Vogelperspektive.

Dana und Sinister machte die durch die nahe Dragonline verursachte Hintergrundstrahlung inzwischen weitaus weniger zu schaffen als noch vor ein paar Minuten. Wir hatten uns nämlich ein gutes Stück von der Hauptader entfernt.

Dennoch war hier magisch etwas los, was alle magisch Aktiven aus der Gruppe deutlich spüren konnten. Es wurde wieder stärker, je weiter wir uns dem Hain näherten.

Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich konnte es nicht ganz greifen, aber dennoch war mir klar, dass hier mächtige Magie gewirkt worden war. Die Atmosphäre unterschied sich völlig von dem, was wir in den letzten Wochen und Monaten hier in der NEMAQZ erlebt hatten. 

Dana spürte es auch. Und was sie fühlte, gefiel ihr. 

Wir zählten 24 gleichartige Bäume, die man in eine Formation gepflanzt hatte. Botanik war nicht meine größte Stärke, aber Dana und ich waren uns schnell einig, dass die Bäume mindestens 60 Jahre alt sein mussten. Medarons Überflug offenbarte dann, was es mit der Position der Bäume auf sich hatte. Die Formation bildete die Umrisse eines Drachens.

Hatte man die Bäume verpflanzt? Der Boden sah nicht danach aus. Allerdings war das Ritual inzwischen schon ein paar Monate her, da konnten die Anzeichen dafür einfach auch nicht mehr zu erkennen sein. Außerdem konnte man bei der Beseitigung der Spuren magisch nachgeholfen haben.

Oder hatte irgendwer vor 60 Jahren Spaß daran gehabt, die Bäume so zu pflanzen? Hatte man gar vorausgesehen, dass es nötig sein würde? Hatte man die Bäume kürzlich gepflanzt und magisch wachsen lassen? Fragen über Fragen. Ohne entsprechende Aufzeichnungen oder einen Augenzeugen zu finden, würden wir es wohl nie erfahren.

Auf dem Boden waren noch die Restspuren von Kreidelinien zu erkennen. Überall duftete es nach parfümiertem Wachs. Das kam von den bis über die Hälfte hinaus abgebrannten Kerzen und Wachsflecken auf dem Boden, an den Kreuzpunkten von Kreidelinien. 

Im Astralraum hatte das Ritual einen interessanten Wirbel hinterlassen. Außerdem hatte es eine magische Untiefe erzeugt, deren Auswirkung wir nun spüren konnten. 

Insgesamt gesehen hatte hier wohl ein Naturritual stattgefunden, welches dazu gedient hatte, den drakonischen Aspekt zu dämpfen und den natürlichen Aspekt zu verstärken. 

Ich grinste keck. Es zahlte sich aus, dass ich in Magietheorie immer so gut aufgepasst hatte. 

Ich holte meine Quicksilver-Kamera aus meinem Rucksack und stellte sie auf, um neben den physischen Aufzeichnungen, die wir gemacht hatten, auch noch die Auswirkungen im Astralraum festzuhalten. Der magische Aspekt zeigte Richtung Südwesten. Dort lag Havard.

„Das Belichtung dauert jetzt so um die 10 Minuten!“, sagte ich meinem Team an. „Behaltet so lange die Umgebung im Auge. Plötzliche Eindringlinge würden das Bild ruinieren.“ 

Und uns wahrscheinlich auch irgendwie gefährden, aber letzteres erwähnte ich nicht.

❄️

Nur Minuten, nachdem ich es ausgesprochen hatte, waren aus der Ferne die klassischen Geräusche eines Feuergefechts zu hören.

Sofort kamen uns die Minuten wie Äonen vor.

Medaron ließ seine Drohne so hoch wie möglich steigen, um unbemerkt Bilder von dem Geschehen machen zu können. 

Ich traute meinen Augen kaum, als ich die Bilder der Drohnenkamera betrachtete. Konzerneinheiten vom EVO und Aztechnology lieferten sich ein Gefecht. Laut der Analyse von Sinister und Eden ging es dabei um die Frage, wer in welchem Gebiet das Sagen hatte. 

Als wenn es in Boston keine andern Probleme geben würde.

Zum Glück schien das Ganze mehr zu einer Drohgebärde auszulaufen. 

Beide Truppen führten im Anschluss ihre Patrouillen weiter fort. Dummerweise brachte das den Konvoi von Aztechnology genau in unsere Richtung. 

So mussten wir am Ende doch zusehen, dass wir schnell wegkamen, und für ein paar Hundert Meter die Dienste eines Geistes in Anspruch nehmen, der unsere Gegenwart vor den Augen und Sensoren verschleierte. 

Wir kamen unbemerkt davon. Das war einfacher gewesen, als ich gedacht hatte.

Ich hielt ein Puzzleteil in den Händen. 

Ich war den Geheimnissen um den Lockdown einen Schritt näher gekommen. Vielleicht würde sich bald schon ein fertiges Bild ergeben. 

❄️❄️

[Song 4: Des Rocs - Let Me Live or Let Me Die3] Unser nächster Ausflug führte die kleine Gruppe, bestehend aus Eden, Dawante und mir, zu Lagerhaus 273 in der East First Street. Einem Ort direkt über South Boston, in einer Gangzone am Hafen, der ebenfalls dicht an der Dragonline lag. Kapitäne diverser Schiffe hatten sich dort zusammengetan, um eine Fort Independence Free Zone zu etablieren, dort Handel zu betreiben und Lagerhäuser zu vermieten. Das naheliegenden Fort nutzten sie als Gladiatorenarena.

Wir trafen am frühen Abend des 6.10.2076 vor einem der künstlich angelegten Checkpoints auf unseren drei Bikes ein. Überall waren Container abgestellt, die als Wachhäuser oder gar als Mauer dienten. Vor unserem Checkpoint standen vier Trolle als Wachen, die große Augen machten, als wir abstiegen.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie Eden und mich als SatHS erkannten, aber sie waren zumindest so fasziniert von mir, dass sie mir bereitwillig über die Regeln in der Zone Auskunft gaben, uns einließen und sogar auf unsere Motorräder ein Auge werfen wollten. 

Trolle haben ziemlich große Augen, da kann man schon mit einem Auge viel sehen.

Die Regeln in der Free Zone waren simpel: Man durfte nichts klauen. Man durfte keinen Ärger machen. Das sollten wir hinbekommen.

Wir waren schon fast drin, als einer der Trolle den Arm ausstreckte und Dawante aufhielt: „Äh, bist du einer von den Ancients?“

Dawante grinste freundlich. „Sehe ich so aus?“

„Äh, nee oder doch, ja“, meinte der Troll nun.

Ich lächelte entwaffnend. „Gibt es in der Free Zone auch Gangs?“

Der Troll kratzte sich verlegen am Kopf. „Äh, ja, na klar!“

„Auch Ancients?“, hakte ich nach.

„Ja, auch, manchmal.“ Der große Kerl überlegte einen Moment angestrengt. „Aber Ärger dürfen die auch nich’ machen!“

Ich legte den Kopf leicht schief und meinte zuckersüß: „Wir machen keinen Ärger, versprochen!“

„Ja, dann ist gut, dann geht mal rein!“

Als wir ein Stück gegangen waren flüsterte einer der Trolle: „War das nicht? Du weißt schon!“, 

„Ja!“, bestätigte ein anderer Troll. „Weil, sie war - besonders!“

Ich lächelte zufrieden. Wie recht er doch hatte.

❄️

Eden, Dawante und ich waren ausgesprochen gut drauf und sahen dabei noch ausgesprochen gut aus. Hatte ich schon mal davon geschwärmt, wie unglaublich gut dieser Dawante aussah? 

Ich schwang bei jedem Schritt die Hüften, Eden machte es ebenso. Vielleicht hatte meine Attitüde auf die schöne SEAL abgefärbt. Vielleicht lag es daran, dass wir so wenige waren, jedenfalls lächelte sie. Sie hatte wirklich ein bezauberndes Lächeln. 

Wir orientierten uns nach rechts, Richtung Wasser. 

Nach und nach waren die riesigen Containerschiffe abgeladen worden. Den Inhalt hatte man genutzt und verkauft. Im Lockdown konnte man alles gebrauchen. Ich schätzte, das beinah die Hälfte der Container abgeladen worden war. Hier würde es also noch eine Zeit lang ein gutes Sammelsurium an Waren geben. Die leeren Container wurden für alles benutzt, was nur irgendwie ging. Sie dienten als Wohnungen, Bars, Spielcasinos, Restaurants oder eben als Außenmauer. Ebenso lief es mit den Booten und Schiffen. Hier war eine eigentümliche Kleinstadt entstanden, die etwas von einer modernen Version einer Pirateninsel hatte. Vor den größeren Schiffen standen Wachposten. Seemänner gingen darauf ihrer Arbeit nach. Die Kapitäne von großen Schiffen hatten schnell einen guten Batzen Einfluss bekommen, besonders, wenn ihre Fracht wertvoll gewesen war. Die Männer und Frauen auf einem Schiff waren ihrem Kapitän sicher treu ergeben. Einfach, weil ihr Kapitän ein Autorität war, die sie kannten. Wenn es unübersichtlich oder unsicher wurde, verlangte es den Metamenschen nach Ritualen und Bekanntem. 

Die Lagerhäuser wechseln offenbar öfter den Besitzer. Einige TAGs schienen Monate alt, andere waren frisch. Außerdem war Beschriftungen mit realen Farben aufgemalt worden. Teilweise waren so viele neue Schichten aufgetragen worden, dass der Farbbelag zentimeterdick war. 

Zwei Orks vor einer Tür unterhielten sich über die verschiedenen Mieten, so als wäre das hier schon seit Jahren Gang und Gebe,

Aus einem dieser Lagerhäuser strahlte die güldene Magie einer Powersite heraus.

❄️

Auch vor der Powersite standen Wachleute. Die vier männlichen Menschen trugen Panzerklamotten und auf ihre Ares-Lightfire-Maschinenpistolen waren Schalldämpfern aufgeschraubt. 

Ob das wohl hieß, dass ein Feuergefecht keinen Ärger darstellte, solange es leise vonstatten ging? 

Auf ihren Jacken hatten sie arkane Symbole gestickt, die sogar eine Bedeutung hatten und nicht nur eine rein zufällige Aneinanderreihung von Zeichen waren, die ihnen gefallen hatten. 

Ich tat, als kontrolliere ich etwas auf meinem Commlink, und nahm aus dem Augenwinkel astral wahr. Tatsächlich waren alle vier magisch aktiv und ihre Magieattribute konnten sich durchaus sehen lassen. Ich gab das Wissen an meine beiden Begleiter weiter. Eden hatte derweil dafür gesorgt, dass auch Dawante einen Schalldämpfer auf seine Pistole geschraubt hatte.

Mit den Männern zu reden schadete sicher nichts. Vielleicht waren sie ja bereit, uns einen Blick in das Lagerhaus werfen zu lassen? Mehr brauchten wir ja nicht.

Als die Männer uns auf sich zukommen sahen, fächerten sie sich auf. Einer von ihnen, er hatte rot-blonde Haare und trug ein auffälliges, rotes Messer, trat einen Schritt vor. Er würde also der sein, mit dem ich jetzt sprechen würde.

Drei, vier Sätze freundlicher Smalltalk, dann kam ich zur Sache. „Wie heißt du eigentlich?“, begann ich.

„Ich bin Red Blade!“

Ich warf einen schnellen Blick auf sein Messer und lächelte. „Verstehe. Ich bin Snowcat …“ Red Blade versuchte, ein Pokerface zu bewahren, was ihm auch beinah völlig gelang. „ … Und eure Gang, wie heißt die?“

„Wir sind der Devil's Coven!“

Ich lächelte etwas mehr. „Ein schöner Name. Du, sag mal, Red Blade, was meinst du, ob ich wohl einen Blick in eurer Lagerhaus werfen könnte?“

Red Blade zögerte.

„Ich wäre auch bereit, dafür irgendwas einzutauschen, was ihr brauchen könnt. Ein bisschen was haben wir dabei.“ Ich deutete auf den Rucksack von Dawante. 

Red Blade zögerte erneut, dann meinte er langsam: „Ich kann das nicht entscheiden. Da musst du wohl mit Warlock sprechen.“ Red Blade war gar nicht mal so dumm, denn er ließ sich das nächste Stück Wissen nicht aus der Nase ziehen, sondern fügte von ganz selbst hinzu, „Ich sag ihm Bescheid. Kommt doch einfach in einer Stunde wieder.“

„Okay, machen wir, danke!“, sagte ich zuckersüß, winkte kurz und wandte mich zum Gehen. Gleichzeitig schrieb ich: <Haben wir irgendeine Möglichkeit dabei, mit der wir sie abhören können?>

Von Eden kam sofort: <Ich habe meine Schlangendrohne dabei. Die kann das.>

Also war das hübsche Teil nicht nur ihr Cyberhaustier, das aufpasste, wenn sie allein schwimmen ging. Gut zu wissen.

❄️

Die ersten Fetzen des Gesprächs bekamen wir nicht mit, da wir uns erst ein Stück entfernten und die Drohne dann den Weg zurück schleichen musste.

In dieser Zeit waren sie sich inzwischen einig darüber geworden, dass wir tatsächlich Snowcat und Eden seien, zumal sie schon Gerüchte über unsere Anwesenheit in Boston vernommen hatten. Jetzt fragten sie sich, was sie denn als Bezahlung von uns verlangen konnten. Sie träumten von Geld, klar war aber auch, dass sie Geld aktuell nicht sonderlich brauchten. Was sie brauchten, war Zugang zur Macht der Powersite. Doch die endgültige Entscheidung würde natürlich Warlock treffen.

Wir schlenderten los, um uns die Gegend anzusehen. Ganz ohne Ärger zu machen, selbstverständlich.

❄️

Uns war klar, dass Warlock vor Ablauf einer Stunde am Lagerhaus eintreffen würde, und so trafen wir auch 20 Minuten vor der Zeit an unserem Abhörposten an den Docks ein. 

Wir waren früher dran als Warlock, und so verbrachten wir die Zeit mit leisen flüsternden Lästereien über die Leute, die an uns vorbeizogen. Immer, wenn eine von uns Frauen eine Pause im Gespräch machte, nutzte Dawante die Gelegenheit, um seine Arme auszubreiten und uns eine Umarmung anzubieten. Dabei grinste er breit. Diese Masche, um an Umarmungen zu kommen, zog der extrem attraktive Elf nun schon durch, seit wir ihn kannten. Sein unschuldiges Lächeln brachte ihm dabei so einigen Erfolg ein, jedenfalls bei den weiblichen Howling Shadows. Dass es sich gut anfühlte, sich in seine Arme zu werfen, wie ich aus eigener Erfahrung wusste, spielte dabei bestimmt auch eine Rolle.

Als Warlock, ebenfalls ein Mensch, aber mit pechschwarzen Haaren und Nasenpiercing, schließlich eintraf, war er nicht ganz so euphorisch, dass Snowcat da gewesen sei. Er hatte Angst, dass wir ihm die Powersite einfach wegnehmen wollen würden. Red Blade beschwichtigte, dass ich zwar toll aussehe, dass SatHS aber eine Trideoshow sei und ich sicher nur halb so viel drauf hätte, wie gezeigt wurde. Wenn überhaupt. 

Sieh mal einer an, Red Blade versuchte Warlock ins Abseits zu locken. Offenbar waren Red Blade und Warlock nicht gerade die besten Freunde. Was mich jetzt nicht so überraschte, denn dieser Warlock schien ein arrogantes Arschloch zu sein.

Kurz darauf zeigte sich, dass sie überhaupt keine Freunde waren. 

Ein blutroter Watcher materialisierte sich vor uns uns, strahlte erfreut, uns gefunden zu haben und sagte: „Du tötest Warlock, dafür darfst du die Powersite ansehen. Ich kann die anderen bestimmt davon abhalten, sich danach einzumischen. - Deal or no Deal?“

Ich machte große Augen. „Wie bitte?“

Ohne zu zögern wiederholte der kleine, dienstbare Geist seinen Text: „Du tötest Warlock, dafür darfst du die Powersite ansehen. Ich kann die anderen bestimmt davon abhalten, sich danach einzumischen. - Deal or no Deal?“

Spontan gesagt, mochte ich Red Blade deutlich mehr als Warlock, aber … wir machten keine Wetwork. Für den Tod von jemanden bezahlt zu werden, war nun einmal Wetwork, egal, was man am Ende dafür bekommen mochte. 

„No Deal!“, erwiderte ich laut und deutlich. Der Watcher nickte und entstofflichte. Er war über meine Antwort weder enttäuscht noch erfreut gewesen, er war einfach nur zufrieden, dass er den schwierigen Teil seine Aufgabe erfüllt hatte. Ganz so, wie es sich für einen richtigen Watcher geziemt.

❄️

[Song 5: The Score - Under The Pressure3] Wir scherten pünktlich in die Gasse ein, um zur verabredeten Zeit am Lagerhaus zu sein. Warlock hatte noch drei weitere seiner Männer mitgebracht. Sie hatten sich erneut aufgefächert, um im Fall eines Falles besser angreifen zu können.

Warlock gab sich keine Mühe, freundlich mir gegenüber zu sein. Selbstverständlich fiel es im dennoch schwer, sich mir gegenüber mies zu benehmen. Ich habe nun mal eine solche Wirkung auf jedwede Art von Metamenschen. Sei größtes Schimpfwort gegen mich war ‚Irgendeine … S… Frau!‘ Um vor seiner Gang zu bestehen und generell aus Prinzip wollte Warlock sich durchsetzten, nicht einfach eine fremde Person an seine Powersite lassen. Das Teil war sein-Schrägstrich-ihr größter Schatz, obwohl sie wahrscheinlich kaum klar denken, geschweige denn Magie wirken konnten, wenn sie ins Lagerhaus gingen. Die Macht des Ortes war erheblich und - sie war auf Drachenmagie eingeschwungen. Niemand aus der Gang würde die Macht des Orts je nutzen können. Jedenfalls keiner aus dem Devil's Coven, den ich bisher gesehen hatte. Wenn es unter ihnen jemand gab, dann hätte dieser wahrscheinlich das Sagen. 

Wir verhandelten eine Zeit lang. Warlock wollte sich weder einschüchtern noch überzeugen lassen. Er hatte schnell verstanden, dass ich nur gucken wollte. Er glaubte sogar, dass ich nichts im Schilde führte. Dennoch wollte Warlock mich letztendlich nur ins Lagerhaus lassen, wenn ich ihm Dawante und Eden als Pfand draußen ließ. Dem konnte ich nun wieder nicht zustimmen. Selbstverständlich waren wir ihnen überlegen. Aber zwei mundane gegen insgesamt 8 magisch aktive Metamenschen, von denen 7 zaubern konnten? Das war zu riskant.

Anspannung machte sich in mir breit. 

Red Blade schlug schließlich ein Zauberduell vor. 

Ich hob fragend eine meiner wohlgeschwungenen Augenbrauen. „Du meinst ein Zauberduell zwischen Warlock und mir?“

Red Blade nickte.

Warlock war interessiert. 

Da überschätze sich jemand. 

Ich holte etwas tiefer Luft und lächelte leicht überheblich. Ich konnte mir das einfach nicht verkneifen. „Also gut, ein Zauberduell.“ 

Wir wurden uns überraschend schnell über die Modalitäten einig. 

Red Blade zählte den Countdown runter.

3

Eigentlich war das ziemlich lächerlich.

2

Ich war Snowcat, wunderschön, ein Drake und ich hatte Zugang zu Drachenmagie.

1.

Ich war schneller als er. Natürlich. Kurzerhand stieß ich meinen Eisatem aus. Meine mächtigste Waffe. Dafür zielte ich nicht so gut. 

Er zuckte erschrocken, aber rechtzeitig, zur Seite.

Der Zauber schlug hinter Warlock in das Lagerhaus ein. Das Haus besaß nun ein ziemlich großes Luftfenster. 

Da sollte als Warnschuss reichen.

Warlock war etwas blass um die Nase geworden, doch er konzentrierte sich und …zauberte. Er versuchte es mit einem Manabolt. 

Die Energie kam nicht durch meine Spruchabwehr.

Ich war reglos stehen geblieben. 

Ich verzögerte meine nächste Handlung. Warlock sollte einfach aufgeben. Ich hätte das auch von ihm magisch verstärkt verlangen können, doch ich tat es nicht.

Einer von Warlocks Lieutenants wollte ihm entgegen der Absprache helfen. Er hob seine Hand. Doch daraus wurde nicht mehr als ein Zucken. 

Dawante machte zwei schnelle Schritte vor und schlug dem Typen aus dem Lauf heraus auf die Brust. 

Der Devil's-Coven-Ganger flog im hohen Bogen durch die Luft und knallte hinten gegen die Wand.

Dawante war stärker, als ich gedacht hatte. 

Als Warlock erneut zu gestikulieren begann, holte ich wieder tief Luft und atmete aus. Dazu machte ich Gesten, um nicht zu erkennen zu geben, dass das eine innere Kraft statt eines Zauber war.

Diesmal traf ich voll. 

Warlock gefror zu einer Eisstatue, die niemals wieder atmen würde.

„Gewonnen!“, sagte ich eiskalt.

Dem Devil's Coven stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben.

Ich hatte ihn gewarnt.

Im Nachhinein kann ich sagen, dass der zweite Eisatem nicht nötig gewesen wäre. Eigentlich war nicht mal der erste nötig gewesen. Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung, warum ich zu so einem rabiaten Mittel gegriffen hatte.

Ich hatte andere, schönere Methoden, um meine Macht zu demonstrieren. Den Tod konnte man nicht mehr zurücknehmen. Das Ableben von Warlock belastete mich zwar nicht, aber es löste auch keinerlei überlegenes oder gar befriedigendes Gefühl in mir aus. Es ist nicht befriedigend, eine Ameise zu zertreten. Red Blade war mir einfach sympathischer gewesen als Warlock. Vielleicht hatte sein Angebot für einen Deal unterbewusst bei der Wahl meiner Waffe eine Rolle gespielt? Zumindest Red Blade hatte seinen Willen bekommen. Wer wusste schon, wozu das noch gut sein konnte?

Wie auch immer, Red Blade bekam seine Gangkollegen in den Griff. Er hielt sich an die Abmachung. Wir durften uns das Innere des Lagerhauses ansehen, und dafür würden wir ihm sagen, wie der Devil's Coven sich die Macht zunutze machen konnte.

❄️

Die Magie im Lagerhaus empfing mich golden und warm. Hier hatte man die Macht der Dragonline direkt angezapft. Kerzen und im den Boden eingravierte und mit Metall ausgegossenen Linien zeigten ein klar strukturiertes, heilmagisches Ritual, dessen Ausrichtung zur MCZ zeigte. 

Ich wusste nicht, ob es den Machtplatz schon vor dem Ausbruch gegeben hatte. Doch das konnte gut sein, obwohl ich von diesem Punkt zuvor nie gehört hatte. Vielleicht war das Lagerhaus vorher im Besitz von NeoNET, Damon oder irgendjemand anderem gewesen. Wenn niemand Zugang bekam, sprach sich das auch nicht rum. Dank seiner Hintergrundstrahlung machte der Ort auf die Allgemeinheit keinen verlockenden Eindruck, da konnte eine Lagerhauswand Schutz genug sein.

Wir filmten alles, und ich machte auch mit der Quicksilver-Kamera ein Bild. 

Draußen erzählte ich, dass sie sich alle möglichst viel in der Nähe des Lagerhauses aufhalten sollten. Mit der Zeit würden die Kopfschmerzen vergehen. Irgendwann würden sie dann ganz von selbst Zugang zur Macht des Ortes bekommen.

Erstes stimmte, da sie sich an die Hintergrundstrahlung anpassen würden, was dann zumindest ein Vorteil gegenüber Eindringlingen wäre. Zweites war gelogen, aber ihnen zu sagen, dass sie niemals Zugang zu Drachenmagie erhalten würden, hätte es nicht besser gemacht. 

Weder für sie noch für uns.

Die Magietheorie dahinter würde ihnen eh nichts sagen. Und am Ende konnten sie sich vielleicht einen Ruf aufbauen, der sie schützte.

❄️

Unsere Motorräder waren noch da, die Trolle bekamen die ausgemachte Bezahlung und zum Dank noch ein Selfie mit mir, dann fuhren wir in die Nacht davon. Im Gepäck hatte ich ein weiteres Puzzleteil. Nach und nach nahm das komplexe, groß angeordnete Ritual in meinem Kopf Gestalt an. 

Es war unglaublich, was man dafür an Mengen von Entwicklung, Ressourcen und Teilnehmern gehabt haben musste.

❄️❄️

[Song 6: Kaleida - Meter3] Den dritten Ort, den wir aus den Daten von Pax gezogen hatten, gingen wir am 09.10.2076, unserem 122. Tag im Boston Lockdown, an.

Von dem Gebäude in Stoneham - einem idyllischen Wohngebiet - hatte ich schon einem gehört - und das, obwohl es nicht einmal in der Nähe der Dragonline lag. Dem Architekturunterricht während meines Studiums sei Dank.

Beim Enoch Fuller House [BILD] handelte es sich um ein historisches Achteckhaus in der Pine Street 72. Das zweigeschossige Holzrahmenhaus wurde um 1850 für Enoch Fuller, einem Freund von P. T. Barnum, erbaut, und wird von einem niedrigen Dach mit einer zentralen Kuppel gekrönt. Es gibt eine einstöckige Veranda, die das gesamte Gebäude umgibt. Die Veranda wird von abgeschrägten Pfosten getragen, die mit hängenden Klammern versehen sind.

Das war doch schon mal ein guter Anfang. Das Haus hatte eine Geschichte und ein ansprechendes Äußeres. 

Wir nutzen Motorräder, um ans Ziel zu kommen. Drei an der Zahl. Hamaka fuhr bei Eden mit, Tiernan bei mir und Fang hatte sein Bike für sich. 

Wir hielten uns nordwestlich des Oak Grave Cemetery und dann weiter sprawlauswärts immer der Hautstraße entlang. 

Jetzt am frühen Nachmittag trafen wir auf kleinere Gruppen von Metamenschen, die sich durch die Straßen bewegten. Leise und zügig, vor jeder Ecke auf der Hut und sich stetig  umsehend. Sahen sie jemanden, den sie kannten, hoben sie die Hand zum stillen Gruß. 

Wenn wir uns auf unseren Maschinen näherten, nahmen sie hingegen eine abwehrende Haltung an, suchten Deckung und Schutz. Sie waren kampfbereit, aber nicht aggressiv. Sie würden sich nicht mit uns streiten, wenn es nicht nötig wäre, aber sie würden alles verteidigen, was sie besaßen und was immer sie taten, sie würden dabei immer so leise wie möglich sein. Niemand wollte Shambler anlocken. 

Die Attitüde der Stadt hatte sich geändert. 

Ich genoss die Fahrt. Jeder Meter, den wir zurücklegten, brachte mich der Auflösung des Puzzles näher, und damit brachte es mich näher an den Tag, an dem ich Boston verlassen würde. Näher an Party, Sushi, Shopping, Gespräche mit Moxi und näher an Harlequin. 

Schritt für Schritt, Meter um Meter. Puzzleteil um Puzzleteil.

Noch 22 Tage bis Halloween.

Wahrscheinlich würde ich es nicht mehr bis dahin aus Boston raus schaffen. Zumal wir uns ja auch noch um den Hivemind kümmern mussten. Mindestens. 

Schade um mein schönes, maßgeschneidertes Kostüm, das ich Halloween dann nicht tragen konnte. 

Daran, hier in Boston ein Heilmittel für AveRage zu finden, glaubte ich inzwischen nicht mehr. Doch wenn es Hinweise darauf gab, dann im gelösten Puzzle. Die Krankheit von AveRage hatte sich in den letzten Wochen nicht verschlimmert. Wir hatten das zweite Bewusstsein nicht mehr zu sehen bekommen und darum auch nicht mit ihm sprechen können. Zusätzliche Bewusstseine hatten sich ebenso nicht gezeigt. Vielleicht konnte AveRage einfach damit leben? Er hatte ja kein Boston-CFD, sondern eine Variante, die er sich direkt in Celedyrs NeoNET-Labor in Albuquerque eingefangen hatte. Wer wusste schon, was es damit auf sich hatte? Natürlich war die Wahrscheinlichkeit groß, dass Celedyr genau für diese Fälle ein Heilmittel besaß. Ob ich ihn danach fragen konnte, stand in einer anderen Datei. Oh, es war nicht unwahrscheinlich, dass Celedyr das Heilmittel irgendwo in Boston hatte. Ich glaubte inzwischen nur nicht mehr daran, dass wir es fanden und wenn doch, dann würde es vielleicht nicht richtig passen.

Doch eventuell stießen wir einfach auf Hilfe für AveRage, während wir das Puzzle zusammensetzten.

Als Shadowrunner hatte ich noch ganz andere Sachen zufällig entdeckt. 

Ich gab spontan noch etwas mehr Gas. Tiernan störte sich nicht daran. Im Gegenteil. 

❄️

Bald sahen wir immer weniger Metamenschen auf den Straßen. Nahezu alle Gebäude waren verschanzt worden. Der Grund zeigte sich bald: Hier gab es mehr angefressene metamenschliche Kadaver. 

Auf einigen Leichenteilen begannen sich bereits bunte Blätter zu sammeln. Vielleicht würde der wundervolle Indian Summer es sogar schaffen, das alles hier hübsch aussehen zu lassen. Natürlich entdeckte man die Leichen, wenn man genauer hinsah. Das war eigentlich ein gutes Motiv für ein Gemälde. Das Grauen steckte im Verborgenen. 

Unsere feinen Sinne bemerkten trotz Motorradhelmen 15-20 Brummler, um nicht immer Shambler zu sagen, die sich in einiger Entfernung vor einem Gebäude versammelt hatten. Unser Weg führte direkt an der Brummel-Kolonie vorbei. Als wir in die Nähe kamen, startete ich eine unserer Kameradrohnen, die ich für dokumentarische Zwecke dabei hatte. Ich war zwar kein Rigger, aber auch ich verstand es, eine Drohne fernzusteuern. Wenn ich nicht allzu dicht ran flog, war die Gefahr gering, von den Shamblern entdeckt zu werden.

Um zu sehen, ob sich die Texte verändert hatten, die die Shambler da so brummelten, harrten wir drei Minuten aus, um sie eine Weile aufzunehmen. 

❄️

Als wir uns den Zielkoordinaten auf gut einen Kilometer näherten, wurde auf einmal alles besser. Die Wege und Straßen waren aufgeräumt und die AR-Umgebung erwachte zum Leben. Nach und nach poppte eine Vielzahl von Icons auf. Wir lasen Straßennamen und konnten sehen, welche Familie zu Hause war.

Wir schlängelten uns mit den Motorrädern durch einige als Hindernisse geparkte Autos und fanden uns plötzlich in der perfekten Vorstadtidylle wieder. 

Saubere Häuser, teilweise umzäunt, gepflegte Gärten. Nur die fahrenden Autos und Metamenschen auf dem Rasen fehlten, sonst war alles perfekt. Vielleicht waren sie ja alle in der Kirche, schoss es mir durch den Kopf. 

Uns fiel eine Bewegung an einem Fenster auf. 

Darauf reagierte ich seit kurzem allergisch. 

Wir hielten an. Dabei ließ ich das Fenster nicht aus den Augen. Ein Zauber lag bereits auf meinen Lippen. Sogleich sandte ich die Drohne los und aktivierte das Richtmikro.

Ein menschlicher Mann mittleren Alters stand am Fenster und sprach in ein Commlink. „Ja, genau, da sind Fremde. Sie strahlen kein Commlink-Signal aus.“… „Nein, auch keine SIN. Ich sag ja, sie haben kein Commsignal.“

Laut seinem Icon war das da Ryan MacAdams. Seine Frau und seine beiden Kinder hielten sich etwas weiter hinten im Haus auf, wo ich die Küche vermutete.

„Ich weiß nicht, ob das Shambler sind. Sie sehen nicht so aus. Äh, und sie sitzen auf Motorrädern.“ … „Nein, wie Ganger sehen sie auch nicht aus. Komm besser her, Brad.“ … „Ja, dann bis gleich!“

Ich schmunzelte, „Schaltet eure Commlinks in den aktiven Modus!“, wies ich mein Team an. Ich folge meiner Anweisung selbst, postete meine SIN und nahm den Helm ab. 

Bis Sergeant Brad Kemoura und Officer Lance Keller vom Stoneham Police Department in ihrem Elektro-Auto vorgefahren waren, waren wir alle bereits sichtbar online.  

❄️

Es dauerte einen Moment, bis die beiden Polizisten völlig aufgetaut waren, aber nicht sonderlich lange. 

SIN und Commlink-Signal als Identifikationsmerkmal zu benutzen, war eine bisher ungewöhnliche Methode. Aber sie funktionierte. Hidden-Shambler würden sich vielleicht einschleichen können, wenn diese auf ihr Äußeres geachtet hatten. 

Meine gepflegt Erscheinung trug nämlich ebenfalls zum schneller gewonnenen Vertrauen bei. 

Das und die Tatsache, dass wir die Information mit den Brummlern in relativer Nähe an sie weitergaben. 

Sie alarmierten sofort den Konvoi der Bürgerwehr. 

Ein verstärkter, umgebauter Pickup fuhr vor. Auf ihm saßen gut ein halbes Dutzend Metamenschen, die mit Lanzen und Kuhtreibern bewaffnet waren. An den Seiten des Fahrzeugs waren Zaunteile und anderes angebracht, damit Shambler weder durchgreifen noch aufspringen konnten. Ein Gestell aus Kuhfängern sorgte dafür, eine Gruppe, die dem Wagen hinterherlief, in Formation zu halten. Zwei gepanzerte, ebenfalls verstärkte Begleitfahrzeuge erscheinen zudem. Der Konvoi hielt kurz an und ließ sich von Kemoura die von mir genannte Adresse geben. 

Nachdem der kleine Konvoi die saubere Nachbarschaft verlassen hatte, schaltete der Pickup einen Lautsprecher ein, über den man die klingenden Töne eines lockenden Eiswagens abspielte.  Ein Rattenfänger in der Shambler-Variante.

❄️

Das Fuller House war seit Jahren unbewohnt. Inzwischen war dort ein kleines Museum eingezogen, mitsamt New England Souvenirstand‘ Besucher waren in den letzten Jahren selten gekommen. Seit dem Lockdown kamen überhaupt keine mehr, so erzählte man uns, als man uns zum Fuller House begleitete. 

„Im Fuller House spukt es!“, erzählte Officer Keller leise.

„So ein Quatsch!“, fauchte Kemoura sofort.

„Doch!“, behaarte Keller. „Da gibt es Geräusche. Manchmal hört man dort Flügelschlagen. Und wenn man da reingeht, dann stellen sich einem die Nackenhaare auf.“

Kemoura verdrehte die Augen. „Das ist doch alles nur eine alte Legende, damit sich die Andenken besser verkaufen!“

Interessant, demnach spukte es dort nicht erst seit dem Ausbruch. 

Ich lächelte die beiden Männer an. „Nun, wenn es dort tatsächlich spukt, werden wir es herausfinden. Schließlich sind wir die Howling Shadows."

Die Polizisten nickten zufrieden.

❄️

Der Holzboden der Veranda knarzte unter unseren Schritten. Die Tür war unverschlossen. Eine astraler Blick hatte eine hochstufige Magical Lodge gezeigt.

Wir begannen, das Gebäude zu durchsuchen.

Am interessantesten erschien uns zunächst die altertümliche Küche, da es dort nach Wachs und Räucherstäbchen roch und wir auch Reste davon finden konnten. Allerdings gab es keinerlei arkane Symbole oder auch nur irgendwelche rituellen Anzeichen.

Das hier war ein altes Haus. Seine Geräusche zeugten von Naturmaterialien. Man hatte moderne Leitungen verlegt, und es gab eine AR-Führung, allerdings war alles, was auch nur irgendwie modern aussah, in altmodischen Schränken versteckt. 

Das war alles sehr schön anzusehen. 

Das bedeutete aber auch, dass die Gänge hier eng und die Türen niedrig waren. 1850 hatte es kaum Männer mit einer Körpergröße von über 1,80 m gegeben. Von den breiten Schultern eines Orks mal ganz zu schweigen. Kurz gesagt, wir hatten hier nicht sonderlich viel Platz. 

Während wir auf der äußeren Treppe das Gebäude auf dem Weg nach oben umrundeten, vernahmen wir deutlich das Flügelrauschen, von dem vorhin gesprochen worden war. Es klang mehr nach den ledernen Flügeln einer Fledermaus als nach denen einer Taube oder ähnlichem, die sich durch einen Kamin oder einem Lebensmittelaufzug bewegten. Es kam irgendwie von innen, aus den Wänden. Auch ein Kratzen war zu hören. Doch selbst als ich astral wahrnahm, konnten ich ebenso wenig sehen wie wir zuvor mit allen mundanen Sinnen. 

Kurz darauf hörte es sich an, als wenn dieses Wesen direkt an uns vorbeiflog. Doch da war nichts. Gespenstisch war das schon irgendwie. 

Auch oben in der kleinen Kuppel war nichts von magischem Interesse. Also kehrten wir in die Küche zurück. 

Irgendetwas musste hier doch sein.

Wir suchten, sahen uns genauer um. Irgendwann entdeckten wir feine Schleifspuren auf dem Boden, die uns bald darauf zu einer Luke führten. 

Hamaka öffnete die Klappe. 

Eine Leiter führte tief nach unten. Hamaka würde niemals durch die Luke passen. Für Tiernan, Fang und Eden wäre es nicht gerade bequem. Fang war zwar breiter gebaut als die schöne SEAL, dafür war er aber beweglicher, da sein Training auf die Verbesserung anderer Attribute wert legte als das Training von Eden.

Wir rüsteten uns mit Taschenlampen aus, denn zumindest von hier oben konnte man unten kein Licht einschalten. Fang machte den Anfang, danach kam ich und dann Eden. 

Hamaka und Tiernan würden derweil oben Wache halten. Oh, und sie sicherten das Seil, an dem wir uns vorsichtshalber festmachten.

Bevor wir loslegten, spürte ich mit meinen magischen Sinnen nach Bewegung. 

Doch da unten bewegte sich nichts. Sollte dort etwas Lebendiges sein, dann war es reglos oder nicht größer als ein kleines Insekt.

Magie gab es hier natürlich, denn das alles hatte die Hintergrundstrahlung eines fest angelegten, magischen Kreises, wie man ihn von einer hochstufigen Magical Lodge erwarten konnte. 

Oh, und das Ganze fühlte sich golden, mächtig und für mich sehr angenehm an. 

Das hier war also alles mit Drachenmagie verbunden. Für Fang, Tiernan und Hamaka bedeutete das, dass es ihnen hier sehr schwer fallen würde, Magie zu wirken oder zu nutzen.

Das Licht von Fangs Taschenlampe erleuchtete nur einen schmalen Kreis der steinernen Bodenfläche. Es ging ja auch nicht darum, den Raum zu erhellen, sondern darum, uns die Sprossen der Leiter zu zeigen.

[Song 7: Ramin Djawadi/GoT Ost - Golden Crown3] Als erstes fiel mir auf, dass die Luft hier unten deutlich besser war, als ich erwartete hatte. Es war hier weder abgestanden, noch glich der Geruch dem eines Kellers. Dafür roch ich aromatisierten Kerzenwachs und Räucherstäbchen.

Ein Grund für das Fehlen von abgestandener Luft lag sicher darin, dass das Untergeschoss über eine beinahe doppelt so hohe Decke verfügte wie die oberirdischen Geschosse.

Nachdem Eden unten angekommen war und sich wieder ausgerüstet hatte - sie hatte ihr Equipment ablegen müssen, um durch die Luke zu kommen - nahmen wir alle unsere Taschenlampen und schalteten sie auf den breitesten Lichtkegel.

Die hohe Decke wurde von acht Pfeilern getragen. Um die Pfeiler waren Kreise in den Boden eingelassen, die man miteinander verbunden hatte. Die Verbindungslinien ergaben wieder das Achteck des Hauses. In jedem dieser Kreise stand jeweils ein Gefäß mit einer Weihrauchschale. In der exakten Mitte des Achtecks war ein kleineres Achteck aufgemalt wurden. Zwischen den Pfeilern waren Weihrauchschalen und Kerzen platziert. Auf dem Oktagon in der Mitte standen neben den Kerzen kleine Ständer mit metallenen Flächen. Sie waren so angeordnet, dass sie das Kerzenlicht reflektieren konnten.

Ansonsten war das Untergeschoss völlig leer.

Die gemauerten Wände bestanden aus Ziegeln. Um Unebenheiten, Details oder gar Zeichen zu entdecken, würden wir die acht Wände einzeln ableuchten müssen.

Doch zunächst nahmen wir astral wahr. 

Ja, wir. Da es in dem Haus spuken sollte, was es besser, wenn Fang und ich gleichzeitig astral aktiv wurden. So konnten wir Gegnern, die sich hier im Astralraum aufhielten, zusammen entgegen treten.

Auf Drei!

Ich sog überrascht die Luft ein.

Unsere gesamte Umgebung war nun aus glattem Stein. Die Säulen, die hohen Wände, die Decke -  alles. Goldenes und blaues Licht durchflutete die Szenerie. Schriftzeichen und Symbole waren auf Säulen und Wänden zu lesen. Sie waren Verzierung und Aussage zugleich. Geschrieben in einer Sprache, die nie ein Metamensch würde sprechen können. Drakonisch. Das sprechen zu können, war nur den Drachen und Drakes vorbehalten.

Es war, es wären wir durch ein Dimensionstor getreten. 

Obwohl, nicht ganz, denn Eden stand immer noch bei uns. Sie konnte uns ebenfalls sehen und hören, wie klar wurde, als ich laut beschrieb, was ich sah.

«Ärgerlich, dass ich da nicht durch passe», beschwerte sich Hamaka. «Können wir das Loch nicht größer machen?», wollte er noch wissen.

«Vergiss es», meinte Tiernan sofort. «Wir verunstalten doch kein historisches Gebäude. Jedenfalls nicht, wenn wir das nicht unbedingt müssen.»

«Das hier ist ein manifestiertes Alchera», erklärte ich den magietheoretischen Fakt.

Als Drake wäre ich in der Lage, Drakonisch zu sprechen, doch noch konnte ich diese Sprache nicht. Zukünftig würde sich das hoffentlich ändern. Allerdings würde es nicht einfach sein, einen Lehrer dafür zu finden. Zumindest setzte ich den Wunsch auf meine Todo-List. Zum Glück verriet mir die Magie in den Zeichen etwas, mein Gefühl für Sprachen tat ihr übriges.

Das Ritual hier hatte Energie aus der Verbindung aus einem alten Konstrukt gezogen und mit einem modernen Konstrukt verbunden. Diese Information gab ich weiter.

Mir war zudem klar, dass dieser Teil des Rituals die Aura von Eliohann mit seinem neuen Körper verbunden hatte. Oder verbinden sollte.

Erneut erklang das Schlagen von Flügeln. Drachenflügeln, wie ich nun glaubte. Wir sahen auch diesmal niemanden, was vielleicht sogar besser war.

Auch Fang hatte Probleme, sich von diesem wundervollen Anblick zu lösen. Doch wir besannen uns und ließen die Astralsicht fallen.

Zum Glück würde die Quicksilver-Kamera zumindest einen Teil des erhabenen Eindrucks des Astralraums festhalten.

Nachdem das Foto fertig war, machten wir uns daran, ein weiteres Geheimnis des Untergeschosses zu lüften.

Wir inspizierten die acht Wände.

In der südlichen Wand entdeckten wir ein Loch. Das Skelett eines Drachenkopfes lag darin verborgen. Es war so angeordnet, dass der Drache aus dem Raum hinaus blickte. 

Ich konnte nicht anders, als die Finger auszustrecken und den Schädel ehrfürchtig zu berühren. Ich hatte nicht genug Erfahrung, um zu sagen, wie groß der Drache gewesen sein musste. Ich schätzte, den Schädel eines erwachsenen, westlichen Drachen vor mir zu haben. Außerdem vermutete ich, dass in dem Haus nicht nur der Kopf, sondern das gesamte Skelett des Drachen eingelassen war.

«Bring doch einen Knochen mit», verlangte Hamaka. 

Ich schmunzelte. Selbstverständlich würde ich nicht zulassen, dass man einen Knochen aus dem Skelett brach.

In der östlichen Wand gab es noch so ein Loch und noch einen Drachen. Dieser Schädel sah ins Haus.

❄️

Den Weg zurück verbrachte ich ehrfürchtig schweigend. 

Was für ein schönes Puzzleteil.

❄️❄️

Am Vormittag des 12.10.2076 saßen wie mal wieder beim Frühstücksmeeting beisammen. Ein spätes, herbstliches Frühstück, mit Pumpkin Spiced Latte, Apfelküchlein und Bratkartoffeln mit Kürbis.

Wir ließen die Untersuchung des Fuller House Revue passieren.

Fang zeigte mit seinen Armen an, wie groß der Schädel des Drachen und wie lang die einzelnen Zähne gewesen waren. Die Größe war wirklich beeindruckend, und Fang hatte nicht übertrieben.

„Das sind aber lange spitze Zähne!“, stellte Phoenix erstaunt fest.

Fang lachte. „Ja, denen möchte man nicht ins Maul geraten.“

„War das denn einer von diesen ‚Großer Drachen‘?“, wollte Medaron nun wissen.

Ich strich verträumt über den Black Tooth Dagger, den ich in seiner Scheide an meinem langen Oberschenkel trug. „Nein!“, sagte ich. „Große Drachen sind noch ein ganzes Stück größer als erwachsene Drachen!“

[Song 8: Afroman- Because I Got High3] Hamaka trank seine Tasse Tee in einem Zug leer und zwar sehr geräuschlos für einen Ork. Wegen ihrer Hauer neigten sowohl Orks als auch Trolle dazu, beim Trinken zu schlürfen. Mich störte das nicht und ich sah es auch nicht als ein Zeichen von schlechtem Benehmen. Wo sollten sie denn mit ihren vorstehenden Hauern hin? Dass Hamaka als Ork so wenig schlürfte, zeigte, dass er mehr auf metamenschliche Gepflogenheiten achtete, als sein gechilltes Verhalten vermuten ließ. Hamaka war sowohl dem Alkohol als auch einer ordentlichen Pfeife mit leichten Drogen zugetan und wirkte darum immer entspannt und zufrieden. „Drachen sind sehr imposant, ich würde gerne mal einen von Nahem sehen. Sie haben kraftvolle Körper“, meinte Hamaka. 

„Passt auf, was du dir wünschst“, erwiderte Sionn beiläufig.

Hamaka nickte. „Ich weiß, dass sie sehr gefährlich sind. Ihre Formen und Farben sind aber trotzdem beeindruckend.“

„Findest du Drachen schön?“, fragte ich lächelnd. 

„Ja. - Tot sind sie noch interessanter“, stellte er dann fest.

Mein Lächeln wurde breiter. „Dann wird dein Wunsch noch schwerer zu erfüllen sein. Einen interessanten Drachen zu sehen, meine ich!“ 

„Ob sich an der Größe und Spitze ihrer Zähne wohl ihr Alter erkennen lässt?“, überlegte AveRage.

Liam lachte dreckig. „Selbst wenn, die misst sich im Todeskampf im Maul eines Drachen schwer.“ 

Tiernan griente. „Ich glaube eh, dass man das nicht kann. Die verraten ihr Alter nicht, da kommt ihre weibliche Seite raus.“ 

„Es wäre wohl auch unhöflich, sie nach ihrem Alter zu fragen!“, erklärte Mr. Tea. „Ich kann jedenfalls nicht einmal unterscheiden, ob ein Drache männlich oder weiblich ist.“

Sionn nickte. „Stimmt auch wieder. Bei Jahrtausenden kommt es auf ein paar Jahrhunderte eh nicht an. Zählen die Jahre eigentlich auch zum Alter, die sie schlafen?“ 

Liam legte sein Besteck geräuschvoll ab. „Ziehst du dir die Stunden Schlaf vom Alter ab, alsooo, wenn du mal schläft?“

Sionn grinste jungenhaft. „Nö, bisher nicht. Aber das ist vielleicht mal ne Idee?“

„Wenn man wenig schläft, sieht mal ja alt aus!“, stellte Hamaka überzeugt fest.

Eden schlief dank ihres Schlafregulators nur wenige Stunden pro Nacht. Sie schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Das trifft nicht auf jeden zu.“

Hamaka sah zu ihr. „Doch. Du siehst auch immer alt aus nach wenig Schlaf!“ 

Eden nahm ihm das nicht krumm, konnte sich eine spitze Bemerkung aber dennoch nicht verkneifen: “Du bist ja charmant!“

Die Ironie in Edens Stimme prallte an dem Ork völlig ab. „Danke!“, sagte er ernstgemeint. Dann sah der Ork in die Runde. „Was ist denn das für ein Konzern, bei dem noch so ein Ritual stattgefunden hat?“

Liam erwiderte: „Aqua Arcana? Na, die machen ihr Geld genau mit dem, was ihr Name sagt. Mit Wasser und Magie. Wenn du aus der Karibik kommst, dann hast du es doch mit Wasser, oder, Hamaka?“

„Ja. Ich kann zumindest schwimmen. Aber ich habe es nicht so sehr mit Wasser wie Eden.“ Der Ork sah erneut zur SEAL. „Eden, welche Art von Meeresbewohner wärst du wohl?“

Sionn grätschte ein: „Na, eine schöne Wassernixe!“

Eden lächelte. „Oh, danke.“

Hamaka nickte. „Ja, das passt.“ Nun stellte er Sionn die Frage: „Und was für ein Tier im Wasser wärst du?“

Liam verdrehte die Augen. „Dünnes Eis!“ 

Sionn zuckte mit den Schultern. „Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht!“

„Ein kleiner Clownsfisch“, schlug Eden vor. 

Sionn lachte.

„Ich habe doch gesagt, das ist dünnes Eis, aber ihr müsst ja drauf rumstampfen.“

„Ich bin eher ein Pilotfisch“, verkündete Hamaka. „Ich muss saubermachen und werde von anderen gesteuert!“

Ich hob interessiert eine meiner zarten Augenbrauen. Sprach Hamaka da seine Kontrolle durch die Queen an? Oder hatte er gar noch mehr Dinge erlebt, die in diese Richtung gingen?

Sionn hatte inzwischen darüber nachgedacht, was er für ein Wassertier er wäre. „Ich habe keine Ahnung was für ein Tier. Clownsfisch nehme ich, die sind niedlich und bunt. Ich hätte wohl an einen Delfin gedacht.“

„Ein Delfin ist ein schöner Fisch!“, bestätigte Hamaka. 

Tiernan schüttete missbilligend den Kopf. „Ein Delfin ist kein Fisch!“ 

Hamaka war überrascht. „Aber er schwimmt doch im Wasser!“ 

„Wenn du im Wasser bist, bist du dann auch ein Fisch?“, fragte Liam. 

„Wir haben doch nicht nur über Fische gesprochen, sondern von Meeresbewohnern“, rechtfertigte sich Sionn. 

Tiernan wiederholte: „Aber ein Delfin ist kein Fisch!“ 

Sionn sah zu seinem Cousin. „Ich weiß! Das weiß doch jeder, der nicht zur Schule gegangen ist!“ 

Hamaka war noch ein wenig von Sionns Aussage verwirrt, meinte dann aber: „Ich wusste das nicht!“ 

„Was? Ob du nicht zur Schule gegangen bist?“, wollte Liam wissen. 

„Doch, das weiß ich!“ Hamaka kratze sich am Kinn. „Ich bin selten zur Schule gegangen. - Ein Delfin steht dir, Sionn, der hat was von deiner Eleganz. Tiernan, was bist du für ein Meeresbewohner?“ 

Tiernan zögerte nicht. „Eine Krake!“

Hamaka machte große Augen. „Meine Mama hat immer gesagt, dass ich nicht zu tief ins Wasser gehen soll, da lauern die Kraken!“ 

„Deine Mama war schlau“, stellte Liam fest. 

„Ja, Mum hat mir viel beigebracht, als sie noch lebte. Bis das Dorf brannte und alle Kinder versklavt wurden!“

Mein Apfelküchlein wäre mir beinah im Hals stecken geblieben. „Dein Dorf hat gebrannt und alle Kinder wurden versklavt?“, fragte ich entsetzt nach.

Hamaka nickte. 

„Und wie lange ist das her?“, wollte ich nun wissen.

„20 Jahre ungefähr.“

Ich wusste natürlich, dass es in Afrika und diversen anderen Gebieten noch Sklavenmärkte gab, aber jetzt, wo ich so plötzlich auf eine solche Geschichte getroffen war, erschreckte es mich doch ein wenig. „Und wurdet ihr an einen Piraten oder an mehrere Haushalte verkauft?“ 

„Das war verschieden. Die Hexenkönigin, die hatte das alles bei sich im Griff!“

Von der Hexenkönigin zur Nosferatu-Queen, offenbar hatte Hamaka kein Glück mit mächtigen Frauen. „Wie gut, dass du entkommen konntest!“, meinte ich ehrlich erfreut.

Hamaka freute es ebenfalls. „Mit der Zeit wurde die Macht der Hexe schwächer. Die Chance habe ich genutzt!“

❄️

Die vierte Adresse, die Liam aus den Daten von Pax gezogen hatte, lautete 145 Main Street, Havard. Dort lag ein studentisches Labor, das von Aqua Arcana betrieben wurde. Oder besser gesagt betrieben worden war, denn Havard lag mitten in der MCZ. 

Die Ausflugsgruppe Nummer 4 bestand aus Eden, Hamaka, Liam und mir. Es sollte eine Nachwanderung werden. Gruselig war es in der MCZ immer, aber nachts wurde man wenigstens nicht meilenweit gesehen. 

Wir alle hatten ja so unsere Rituale, wenn wir uns auf einen Run vorbereiteten.

Bei Hamaka sah das mal so ganz anders aus. 

Während er seine Preparations mit Zaubern füllte, trank er Alkohol, spuckte etwas davon auf den Gegenstand und rieb Knochen mit Asche ein, um sie zu schwärzen. 

Als Waffe hatte er ein langes Messer, genauer gesagt eine Machete, bei seiner Ausrüstung zu liegen. „Kann ich noch eine Pistole oder MP bekommen?“, fragte er.

Liam hielt ihm eine schwere Pistole hin. „Kannst du damit umgehen?“, fragte er noch.

Hamaka schüttelte den Kopf. „Nee. Ist zur Tarnung, damit man nicht auf mich schießt.“

Liam hatte offenbar schon damit gerechnet. Er zog die Pistole noch einmal weg, tauschte das volle Magazin gegen ein leeres und übergab ihm dann die Waffe.

Als Liam mir beim Packen des Equipments zusah, meinte er: „Du weißt aber schon, dass Shark Finn nicht mitkommt!“

„Ja, aber ich dachte, du nimmst mir was ab!“, erwiderte ich zuckersüß.

Liam schüttelte den Kopf. „Ich nicht. - Aber ich bin sicher, du kommst selbst drauf, Hamaka zu fragen.“

❄️

[Song 9: Marco Beltrami/World War Z - Like A River Around A Rock3] Es war Wochen her, seit ich das letzte Mal in der MCZ gewesen war. 

Sergeant MacNamara behagte es auch diesmal nicht, dass ich hinein wollte. Mit der Warnung, dass alles noch schlimmer geworden war, ließ er uns durch den Doppelzaun.

Das zweite Tor schloss sich knatternd hinter uns.

Liam trug einen Helm, jetzt setzte er zudem noch seine Goggles auf, damit war er so gut wie nicht mehr zu identifizieren. 

Wir alle holten unsere Breezer raus, der Gestank nach Verwesung war wirklich widerlich.

Selbst Hamaka fand das, obwohl er ein reges Interesse an einigen Leichen zeigte. Leichen mussten möglichst intakt sein, damit sie ein gutes Gefäß für seine Geister abgaben. Einfach, damit sie etwas hatten, womit sie sich gut fortbewegen konnten. Ansonsten schien jeder Teil einer Leiche für Hamaka von Interesse. Er bat um die Zeit, sich eine gut erhaltene Leiche näher ansehen zu dürfen.

Sich bewegende Kadaver waren ein unästhetischer Anblick, noch schlimmer war der Gestank. Ich wusste nicht, ob ich mich damit anfreunden konnte. Selbstverständlich war mir klar, dass die Toten tot waren und ein laufender Kadaver keine Seele vertrieb, aber sie stanken eben und waren hässlich. Hier in der MCZ würde so ein ‚Geist‘ weniger auffallen. Dennoch musste ich Hamaka warnen - die Toten hier konnten mit CFD infiziert sein, und wenn der Tote noch nicht lange genug tot gewesen waren, konnten die CFD-Naniten durchaus noch aktiv sein.

So erhob sich Hamaka und entfernte sich von der Leiche, vor der er eben noch gekniet hatte.

«Ihr seid doch alle willensstark, oder?», fragte der Ork. 

«Ich schon, aber Eden ist nicht so willensstark», betonte Liam. «Wenn ich sehe, wie sie Sionn ansieht.» 

Hamaka lachte leise und tief. «Ach, sie ist doch jung!»

Liam schüttelte den Kopf. «Nee, Eden ist doch schon älter!» Ich konnte das wölfische Grinsen in seiner Stimme hören.

«Älter, so wie du?», konterte Eden. 

Liam zuckte mit den Schultern. «Ich bin ein Mann. Ich bin nur reifer, aber du bist eine Frau, du bist älter.“ Dann sah er zu Eden rüber, und ich wusste, dass er lächelte. «Hast dich aber gut gehalten.»

Unsere Commlinks waren in den Hidden-Modus geschaltet. Zudem schützte Liam unser Equipment vor Matrixangriffen. 

Ich hatte mein eisweißes Haar zu einem Zopf geflochten und ein Bandana aufgesetzt. 

Wir bewegten uns so leise wie nur möglich durch die MCZ.

Die für diese Gegend jetzt üblichen Geräusche drangen an unsere Ohren. 

Das Schmatzen der Ghoule, Schreie, Schüsse! Es war, als wäre es hier nie anders gewesen.

❄️

Als wir uns dem Labor von Aqua Arcana näherten, bemerkten wir, dass sich die Leichen häuften. 

Ein Blick über den Parkplatz und die freie Fläche bis hin zum Labor bestätigte die Vermutung. Es dauerte einen Moment, bis mir zudem auffiel, dass das durchaus ein Muster sein konnte. 

Ich wollte schon levitieren, um mir von oben einen Überblick zu verschaffen, als Liam den Kopf schüttelte. «Seit wann nutzt du nicht mehr all deine Assets?», fragte er. «Ich kann eine Drohne hochschicken.»

Natürlich konnte Liam das. Aber ich hatte einfach nicht daran gedacht, ihn zu fragen.

Zum Glück entpuppte sich das Muster nicht als irgendeine tiefe Symbolik. Es war einfach nur eine Spur, wie man sie vor einem Fast-Food-Restaurant finden würde. Lauter weggeworfene Essensreste, die sich neben Schneisen Richtung Eingang häuften. Wie eine Spur aus verlorenen Pommes. Irgendwas zog hier immer wieder los, um sich in der Umgebung Nahrung zu besorgen.

Der Zaun vor dem Labor war intakt. Also besaß das, was dort lebte, einen Schlüssel oder kam irgendwie anders über den Zaun.

Es war Zeit, sich einen der leblosen Shambler näher anzusehen, doch bevor ich das tat, zog ich mir ein zweites Paar Plastikhandschuhe über. So, wie Mash es uns geraten hatte.

«Was hast du vor?», fragte Liam. Argwohn klang in seiner Stimme mit.

«Ich möchte mir einen Shambler näher ansehen. Irgendjemand oder irgendwas wirft sie hier ab. Keine Sorge, die Handschuhe sind nur eine Sicherheitsvorkehrung, ich habe nicht vor, eine Leiche anzufassen», beschwichtigte ich. 

Liam nickte. Damit war er also einverstanden. Er und Eden begannen, in die Umgebung zu sichern. Ich musste gar nichts anweisen.

Der Shambler, ein Ork in den Überresten von Jeans, T-Shirt und College-Jacke, war erwartet verdreckt. Sein Mund war umgeben von dem charakteristischen Kranz aus getrocknetem Blut aus diversen Schichten. Sein Gesicht war eingefallen, sein Körper ausgemergelt. Demnach hatte er versucht, den Schaden zu regenerieren. Da er keine Aura mehr besaß, war ihm das nicht mehr gelungen. Arme und Beine wiesen Bissspuren von großen Hunden auf, sein Unterleib war aufgerissen, ein Großteil seiner Innereien fehlte. Was übrig geblieben war, quoll noch heraus, und auf seiner Jacke entdeckte ich einen riesigen, blutigen Pfotenabdruck. 

Mit einem Klick auf mein AR-Display schaltete ich einen Duftstoff in meinem Breezer frei. Ich brauchte das kurz, auch wenn ich den Gestank dank des Breezers nicht hatte riechen müssen. Leichen anzusehen war wirklich nichts für Zartbesaitete. Ich atmete tief durch und sagte dann: «Sie sind von Hunden von der Größe eines Ponys gefressen worden.»

Der Vorteil daran, mit einem Nekromanten unterwegs zu sein, lag darin, dass er mit der Begutachtung von Toten überhaupt kein Problem hatte. Als Hamaka anbot, den Toten magisch zu untersuchen, sagte ich ohne zu zögern Ja. 

Hamaka zog seine Rumflasche heraus, schüttelte etwas vom Inhalt über den Leichnam, trank einen Schluck und sang dann leise eine durchaus fröhliche Melodie vor sich hin. 

Gut zehn Minuten später beschrieb er, wie die Leiche vor ihrem Tod vor sich hinge-shamblert und dann von einem großen Hund gejagt, zu Fall gebracht und schließlich von einem Hunderudel gefressen worden war. Außerdem war das Blut des Toten immer noch von inzwischen inaktiven Naniten verseucht.

Ein Hunderudel also. Ich blickte zum Zaun. Bei ihrer Größe konnten die Tiere vermutlich einfach über den Zaun springen. 

Bei der Nanitenmenge, mit der das Rudel in Kontakt gekommen war, würden die Wesen höchstwahrscheinlich mit CFD infiziert sein. Eine Kombination, der ich eigentlich lieber nicht begegnen wollte.

❄️

Wir mussten ein paar Leichen umgehen, um ans Tor zu kommen. Nahezu geräuschlos knackte Liam das Schloß und schob das Tor im Anschluss ein Stück weit auf.

Wir schlüpften hindurch und huschten über den Platz Richtung Eingang ins Gebäude.

Auf halber Höhe vernahmen wir ein vereinzeltes Knurren. 

Wir hatten es alle gehört. 

Wir blickten uns um, doch wir sahen niemanden.

«Hoffen wir einfach, dass er satt genug ist, uns nicht anzugreifen», flüsterte ich. 

Die Tür ins Laborgebäude stand einen Spalt offen. Makabererweise wurde sie von einem Fuß offen gehalten. Dieser Mann hatte es nicht mehr rechtzeitig ins Gebäude geschafft und war inzwischen bis zu seinen Oberschenkeln hin aufgefressen worden. 

Hier funktionierte nur noch die Notbeleuchtung. Zum Überfluss flackerte sie auch noch. Aber hey, das hier war die MCZ.

Liam schaffte es dennoch, dem System eine Karte zu entlocken. Wir hielten uns Richtung ‚Großer Ritualraum & Unterwasserlabore‘“

Anzeichen, dass sich hier normale Metamenschen versteckt hatten, entdeckten wir keine, während wir durch die Gänge schlichen. 

Shambler übrigens auch nicht, was wohl den Hunden zu verdanken war.

GRRRR!

Wie aufs Stichwort knurrte es wieder. Dunkel und bedrohlich.

Und wenn mich nicht alles täuschte, dann synchron, in drei leicht unterschiedlichen Tonlagen.

«Ich glaube, das ist gar kein Rudel, sondern ein einzelner, dreiköpfiger Hund», flüsterte ich.

«Gibt es so was denn?», fragte Eden nach. 

Ich musste kurz schmunzeln. «Ja, das gibt es tatsächlich, nennt sich Cerberus-Hund. Wie passend.»

Der Gang wurde irgendwann leicht abschüssig. 

Plötzlich änderte sich die Farbe. Der blaue Teppich war feucht, hier war Wasser ausgetreten.

Es gelang uns zum Glück trotzdem, die Tür zu öffnen.

Vorsichtig natürlich.

Alle meine Sinne waren angespannt.

❄️

Auch das Labor stand unter Wasser. Offenbar hatte das Schott Richtung Charles River nicht richtig geschlossen. Doch zumindest konnte man im Terminalbereich des Labors beinahe trockenen Fußes einmal fast komplett um den Ritualbereich herum laufen.

Kerzen schwammen in dafür geeigneten Schalen auf der Wasseroberfläche. Auf dem Grund waren Linien zu erkennen, doch Details waren schwer auszumachen.

Jedenfalls, bis Liam das Licht wieder einschaltete. 

Zu meiner großen Überraschung kannte sich Hamaka nicht nur mit dem Tod aus, sondern verstand sogar einiges von Magietheorie. 

Wir guckten, notierten und diskutierten. 

Nach etwa 20 Minuten waren der Ork und ich uns sicher, dass hier ein Ritual stattgefunden hatte, bei dem die Naturkraft des Charles River angezapft worden war, um eine Menge Magie zu unterdrücken und in eine Richtung zu zwingen. Die Wirkrichtung zielte Richtung Maincampus, also genau dorthin, wo der Drache ausgebrochen war.

Da ich noch Fotoplatten übrig hatte, machte ich noch ein Bild mit der Quicksilver-Kamera. 

Liam grinste mich an.

Ich lächelte zurück. „Und? Was hast du herausbekommen?“ fragte ich.

„Das Ritual hier lag unter der Schirmherrschaft von Project Vulcan. Das ist aber nicht das wirklich Interessante. Interessant ist nämlich der Hinweis darauf, dass die ganzen Daten zu den Ritualen und Projekten auf einem Evo Cold Storage liegen, der irgendwo in den Yamatetsu-Docks steht.“

Meine Augen weiteten sich vor Überraschung. „Also da, wo der Hivemind ist?“

Liam nickte.

Ich klatschte geräuschlos in die Hände: „Prima, zum Hivemind wollten wir sowieso noch.“

Wir hatten Bilder, magische Informationen über die Rituale und Namenslisten zu den Projekten, wenn wir das jetzt noch alles mit Projektdaten verbinden und Namen zuordnen konnten, dann konnten wir am Ende sogar ein beweiskräftiges Bild erhalten.

Dem Cereberus-Hund begegneten wir übrigens nicht.

❄️❄️

Zurück in Snow Haven sprach Liam das Thema ‚sich bewegenden Leichname unter dem Befehl von Hamaka‘ an.

Ja, Liam hatte recht, man würde Hamaka und seine Geister schnell für Shedim halten, wenn man ihnen begegnete. Die Feinheiten, dass das nicht stimmte, würde kaum einen überzeugen. Ein Shedim-Runner würde schnell einen schlechten Ruf haben, was auch sein Team belasten konnte. Außerhalb des Lockdowns käme noch hinzu, dass es gar nicht mal so einfach sein würde, an geeignetes Material zu kommen. Von der Lagerung und dem Transport solcher Exemplare mal ganz zu schweigen.

[Song 10: Buffy/Once more with a feeling - I’ve got a Theorie3] Wenn man jemanden gruseln wollte, konnte man den Effekt sicher auch bewusst einsetzten. 

Aber generell wollte ich schon mal keine ‚begeisterte‘ Leiche in meinem Auto oder meiner Wohnung haben. Das sagte ich auch.

Liam hob beide Augenbrauen. „Das heißt, Hamaka braucht schon mal einen eignen Wagen.“

Hamaka nickte. „Wenn der dann noch kühlt, das wäre doch was.“

Ich streckte mich, einer leicht desinteressierten Katze gleich. „Das allein reicht aber nicht. Die Leichen sollten Masken tragen und Parfum und einen Mantel, der verbirgt, dass sie Leichen sind!“

Liam grinste böse. „Also am besten wäre, die Leichen wären gar keine Leichen!“

Ich lächelte niedlich. „Ja. Am liebsten sind mir gar keine Leichname in meiner Nähe.“

„Nur dann kann ich eben meine Magie nicht voll nutzen. Dann kann ich nämlich keine Geister beschwören“, stellte Hamaka fest.

Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich nur innerlich. Genau genommen störte es mich nicht, wenn Hamaka keine Geister beschwören konnte. Aber es war natürlich ein Machtverlust. Also sagte ich unter dem nächsten Strecken: „Ja, das stimmt, dann sollten es eben hübsche Leichen sein. Die man nicht gleich auf den ersten Blick als Leichen erkennt. Also möglichst frische Tote. Wobei ich nicht meine, dass du jemanden dafür töten sollst.“

„Gehen für die Geister eigentlich auch tote Tiere?“, fragte Tiernan nach.

Hamaka nickte. „Ja, das geht auch.“

Liam sah zu mir. „So ein besessener Hasenkadaver? Würde das gehen?“

„Das ist in jedem Fall unauffälliger. Man kann sie in eine Kühlbox stecken, da ist auch der Transport leichter“, erzählte ich.

„Und Katzen? Oder Hunde?“, fragte Liam nach.

„Oh nein, Hunde nicht!“, sagte ich sofort. „Das wäre zu grausam, wenn jemand seinen verstorbenen Hund auf der Straße sieht und der dann nicht kommt, wenn er gerufen wird. Katzen wären okay. Aber Hasen finde ich noch besser. Oder Raben. Die können sogar fliegen.“

Die Vorstellung, wir würden auf dem nächsten Run einen ganzen Schwall toter Hasen dabei haben, die dann auch noch niedliche oder gar gepanzerte Kostüme trugen, entwickelte sich. 

Hasenkadaver in Panzermänteln? Die Vorstellung war skurril, aber irgendwie hatte sie auch was.

Über die Details würde ich mir Gedanken machen, sobald wir zurück in Seattle waren und, wenn Hamaka dann noch am Leben sein würde und mit uns auf Runs gehen wollte.

Jetzt wollte ich erstmal die Geheimnisse hier in Boston lösen.

Da waren wir in den letzten Tagen ein gutes Stück weiter gekommen.

Liam hat mit vielen Dingen recht, aber in einem Punkt konnte ich ihm nur uneingeschränkt zustimmen: Von allen Lebensarten, die die Sechste Welt zu bieten hatte, bot Runner zu sein einem den höchst mögliche Grad an Freiheit.

Dazu gab es noch jede Menge Macht und Wissen, die praktisch in den Schatten verborgen waren und nur darauf warteten gefunden zu werden, und zwar am besten von mir.

Heute war der 13. Oktober 2076 und unser 126. Tag im Boston Lockdown.


Ende der heutigen Geschichte. 

❄️❄️❄️

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Wir freuen uns, dass du uns während dieser Geschichte begleitest hast, danken dir für’s Lesen und verbleiben bis zum nächsten Mal:

Snowcat und die Runner von UC.

An dieser Stelle bedanken sich die Spieler unserer Runde bei allen, die an der Entwicklung und Verarbeitung der Shadowrun®-Produkte mitgewirkt haben. Ohne ihre Arbeit wäre unser Spiel nicht möglich! 

We would like to thank the authors, artists and all others who are involved in the development of the Shadowrun® rules, adventures and stories. Without them, our game would not be possible.

Vielen Dank auch an @Vin für das Korrekturlesen. ;*

*reckundstrekgenüsslich* Hoffe Ihr habt Spass; *knutschi*